Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Der deutsche Militarismus nach 1961

Johannes Oehme, “Unentdecktes Land” e.V.

Mai 2015

Siehe Teil 1 mit Fokus auf die Periode 1945-1961

1. Einleitung: Die BRD vor 1961 und nach 1961

1.1. Die Widerwärtigkeit des westdeutschen Wiederbewaffnungs-Wunders

Die BRD der 50er/60er Jahre – das ist das Maximum an schwarz-brauner Reaktion, das nur je in einer notdürftig zurechtgezimmerten, völkisch verbrämten bürgerlich-demokratischen Republik Platz fand.

Das sogenannte Wirtschaftswunder Westdeutschlands besteht nicht darin, dass es auf Basis der nazistisch beflügelten Kapitalakkumulation und der zusammengeraubten Kriegsbeute recht erkleckliche Wachstumsraten zeitigte – das versteht sich unter Imperialisten ganz von selbst. Vielmehr ist die welthistorische Besonderheit dieses “Wunders” darin zu sehen, dass es in einem Jahrhundert, das sich das 20. schimpft, und nach einem deutschen Krieg, der der unangefochten bestialischste der Menschheitsgeschichte war, dennoch möglich war, mit einem derart patriarchalischen, feudalistischen, völkischen und schließlich faschistischen Ballast in Staatsverfassung und Volksgesittung wieder in den Ring der imperialistischen Großmächte steigen und sich zum ökonomischen Schwergewicht Europas hochprügeln zu können. Das westdeutsche “Wirtschaftswunder” ist nur ein politisches Wunder – ein zum Himmel und zur Hölle schreiender Anachronismus. Es ist das westdeutsche Wiederbewaffnungs-Wunder.

Wenn es denn eines anschaulichen, ja saftigen Beispiels für die Fäulnis des imperialistischen Weltsystems auch nach 1945 bedarf, dann drängt sich dieses Beispiel mit der Macht aller versammelten Alpträume der Weltgeschichte auf: Dass Deutsche mit derart ungelüftet-unaufgeklärten Formen, wie sie sich insbesondere seit 1949 in Westdeutschland allzu deutlich abzeichnen, zum dritten Anlauf zur Weltherrschaft antreten können, ist die leibhaftige Bankrotterklärung der Weltbourgeoisie, der offenbar nichts mehr einfällt, und erscheint nur noch als Farce auf die Tragödie der Völker Europas, die sich im Lustspiel der Deutschen, dem eben wieder beendeten Weltkrieg, noch stets zu wiederholen droht.

1.2. Bürgerliche Demokratie auf deutsch: Restauration und Remilitarisierung

Die Restauration gelingt – machtvoll, entschieden, mit atemraubender Geschwindigkeit. 1951 ist die westdeutsche Beamtengesetzgebung im Sinne aller patent-demokratischen Nazis von gestern durchgeregelt, ist die FDJ verboten, ist das KPD-Verbot beantragt (und nur aus pragmatischen Gründen bis 1956 in der Schublade aufbewahrt) – und ist die Remilitarisierung beschlossene Sache, die nur noch eines parlamentarisch-kretinistischen Nachtrabs zur Absegnung der Alternativlosigkeit der wieder mal sehr präventiven “Bolschewistenabwehr” bedarf.

Hut ab vor allen Kritikern jener Zeit, die diesen Krüppel von parlamentarischer Demokratie namens BRD dennoch nicht mit einer faschistischen Diktatur verwechselten. Spätestens als 1956 die Bundeswehr unterm Balkenkreuz antritt, um Adolf Heusinger und Hans Speidel zu salutieren und sich auf den neuerlichen Ostlandritt als Vaterlandspflicht einzuschwören, während die Kommunistische Partei verboten wird, wie es in keinem anderen Land Europas außer dem faschistischen Spanien der Fall ist, lag es nur allzu nahe, die BRD schlankweg als faschistisch zu denunzieren und sich nicht länger dem Schrecknis zu stellen, was alles an schwarz-brauner Reaktion in einer bürgerlichen Demokratie möglich ist.

1.3. Die wesentliche Funktion des Staates BRD bis 1990

Der Staatsapparat der BRD ist nicht nur bis 1961, sondern bis 1990 in seiner Gesamtheit auf ein einziges Ziel ausgerichtet, hat in seiner Gesamtheit nur eine einzige Funktion, der sich alle Einrichtungen und Phänomene des westdeutschen Lebens nachweislich unterordnen: das Etappenziel des deutschen Imperialismus, die Annexion der DDR, die deutsche Einheit unter deutsch-imperialistischen Bedingungen, die Schmiedung eines neuen imperialistischen Großdeutschlands notfalls auch gegen den Widerspruch der imperialistischen Konkurrenten und in Widerspruch zu ihnen zu erzwingen.

Natürlich geifern allerlei Landsmannschaften gegen die Benesch-Dekrete und die polnische Neugründung von 1945. Natürlich fordern allerlei alldeutsche Großmäuler ein Deutschland in den Grenzen von 1937, 1938, 1939, 1940 usw. Aber von diesen Zielen wird keines an dem Etappenziel, an Ziel Nummer Eins, an der Annexion der DDR vorbei erreichbar sein. Das wissen alle Ministerial-Strategen so gut wie alle Otto-Normal-Vergaser und einfachen “Vertriebenen” auf der Straße.

Sie alle kennen nur zu gut die politische Binse, dass man mehr fordern muss, als man nach Maßgabe der gegebenen Lage wird kriegen können, wenn man überhaupt etwas erreichen will. Sie sind dazu da, mit ihrem organisierten und staatlich aufgepäppelten Geschrei all jene Maßnahmen zu rechtfertigen, die den deutschen Imperialismus dem “bescheidenen” Etappenziel, der Annexion der DDR, näherbringen. Um Ostdeutschland mit bestem Gewissen erobern zu können, müssen sie es Mitteldeutschland nennen, müssen sie der historischen Maßlosigkeit und Anmaßung und Unersättlichkeit, eben der besonderen Aggressivität des deutschen Imperialismus ihre vielen heiseren Stimmen leihen. Und es ist auch wieder diese Aggressivität, die den deutschen Imperialismus eben in der Verfolgung seines Etappenziels in den Widerspruch zu seinen imperialistischen Konkurrenten zu treiben, wie die Ereignisse von 1953 und 1961 besonders deutlich zeigen.

1.4. Die grundgesetzlich garantierte Aufhebbarkeit der BRD von rechts

Dass es sich bei der kaum hinlänglich bekannten, kaum gebührend anerkannten Bestimmung der einzig wesentlichen Funktion des Staates BRD nicht um eine Propagandaphrase selbstverliebter DDR-Bürger handelt, sondern um das Selbstverständnis der BRD schlechthin, deutet Paragraph 146 des “Grundgesetzes” von 1949 an:

Dieses Grundgesetz verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke in freier Entscheidung beschlossen worden ist.

Was sich an linken Hoffnungen an diese Formulierung knüpft, einmal dahingestellt, bietet sie eben den juristischen Hebel für den feuchten Traum der westdeutschen Reaktion: Neugründung des alldeutschen Vaterlands aus der doppelten Bewegung einer ostdeutschen Volkserhebung gegen “Moskau und seine Pankower Satrapen” und dem “unterstützenden” Einmarsch der noch zu gründenden westdeutschen Wehrmacht in die zu “befreienden” Gebiete.

Die BRD ist damit gekennzeichnet als ein Provisorium, das zwar von links, aber eben auch und vor allem von rechts ersetzt werden kann, wenn nur die Mobilisierung einer wahlweise reichsdeutschen, völkischen, faschistischen Massenbasis und die Inszenierung der entsprechenden, nicht erst seit 1938 berüchtigten Volksabstimmungen zur Erreichung des Etappenziels gelingt.

Damit nach der Annexion der DDR weitergesehen werden konnte, wie weit der Revanchismus noch getrieben werden könne, ohne eine neue Anti-Deutschland-Koalition auf den Plan zu rufen, musste die BRD als stets nach rechts erweiterbares Provisorium, als Rechtsnachfolger, Erbe und Statthalter, ja als “identisches Staatsrechtssubjekt” (wie es ein Verfassungsgerichtsurteil von 1973 ausdrückt) des Deutschen Reiches konstituiert und auf diese Weise alle Optionen für alle Gelüste des deutschen Imperialismus offen gehalten werden.

Und es musste angesichts des Kräfteverhältnisses von 1949 so kommen, dass die BRD für diese eine Aufgabe, für die Annexion der DDR, maßgeschneidert wurde. Und es musste in jenen Tagen dahingestellt bleiben, ob für die weiter gesteckten Ziele des deutschen Imperialismus nicht doch eine andere Staatsform und ein anderer Staatsapparat vonnöten sein würden. So wenig wie irgendeine andere Klasse kann die deutsche Monopolbourgeoisie aus dem Stegreif der Kaffeesatzlektüre absehen, ob die Form ihrer heutigen Kampf- und Herrschaftsinstrumente den Anforderungen von morgen genügen kann, ob also etwa unter der Flagge einer um die DDR erweiterten BRD weiter gen Osten und auch wieder Westen zu segeln sein würde, oder ob es dafür anderer, neuerer bzw. wieder älterer Formen bedürfte.

Deswegen war die Verfassungsfrage derart offen zu halten. Deswegen krochen die Reichsbürger aus den Löchern und wimmelte es seit je von rechten, ja faschistischen “BRD-Kritikern”. Und deswegen ist auch in der Fassung des Paragraphen 146 des Grundgesetzes, die nach 1990 lakonisch die Annexion der DDR verbucht, die Option einer demokratisch bemäntelten Neukonstitution eines deutschen Staates durch Volksabstimmung seitens einer “Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes” offengehalten:

Dieses Grundgesetz, das nach Vollendung der Einheit und Freiheit Deutschlands für das gesamte deutsche Volk gilt [wobei tunlich offen bleibt, ob die Einheit und Freiheit wirklich schon vollendet ist], verliert seine Gültigkeit an dem Tage, an dem eine Verfassung in Kraft tritt, die von dem deutschen Volke [inklusive Volksdeutsche bis Siebenbürgen?] in freier Entscheidung [will heißen, das deutsche Volk könnte immer noch unfrei sein?] beschlossen worden ist.

1.5. Die ökonomische Front, die außerökonomische Front und der “Tag X”

Was der Bundeswehr vom Anbeginn ihres Aufmarsches auf die Stirn, ist noch jedem Kuscheltier “Made in W.-Germany” strukturell eingeschrieben. Was die Bonner Militärdoktrin bis weit in die 1960er Jahre als Mindestgebot der Stunde verkündet, erwerkelt und grundiert die westdeutsche Wirtschaft mit ihrer vielen Entbehrung, Entsagung und besonders ausgeprägten Streikunlust aus den Arbeiterrippen.

Der neuerliche Ostfeldzugsplan bedarf einer ökonomischen Basis, eines ökonomischen Hinterlandes, wie die ökonomische Produktivität eines höheren kapitalistischen Selbstzwecks, eines strategischen Planziels, das den Eroberungsfeldzug, den Krieg, einschließt.

Die Wirtschaft im Imperialismus arbeitet auf den Krieg hin, der die Ungleichmäßigkeit der Wirtschaftsentwicklung im Imperialismus politisch “korrigiert”. Die westdeutsche Wirtschaft erarbeitet dem deutschen Imperialismus die Möglichkeit, die Einnahme der DDR auch mit militärischen Mitteln anzugehen und sich dadurch für den wiederum ökonomischen und militärischen Kampf gegen die Sowjetunion, vor allem aber für die zwischenimperialistischen Auseinandersetzungen um die Beute dort und anderswo zu stärken.

Die außerökonomische Front und die ökonomische Front gegen die DDR sind also die Einheitsfront der westdeutschen imperialistischen Reaktion. Der Wirtschaftskrieg ergänzt sich um das Waffenstarren und Waffenklirren der Remilitarisierten, die nur darum remilitarisiert sind, dem Wirtschaftskrieg neue Pfründe, Basen, Möglichkeiten zu verschaffen und die Fernziele von heute in die Tagesziele von morgen zu verwandeln.

Ausbluten soll die DDR bis zum “Tag X”, an dem das ostdeutsche Volk sich erheben und seine Einverleibung fordern soll. Die Wiederaufrüstung ist vor allem Aufrüstung zu diesem ersehnten reaktionären Volkskrieg.

Der erste “Tag X”, den vor allem westdeutsche Sozialdemokraten initiieren, um sich als die großmäuligeren Deutschlandpolitiker zu profilieren, ist der 17. Juni 1953, der fortan bis 1990 als “Tag der deutschen Einheit” Staatsfeiertag in der BRD ist.

Doch scheinen weder die Widersprüche und ökonomischen Gebresten der DDR auszureichen, um dem Annexionsfeldzug der Bundesgrenzschutzeinheiten und anderen Hobby-Wehrmachtkader eine entsprechende Massenbasis zur Verfügung zu stellen, noch auch erweisen sich die Westmächte als sonderlich willig, um deutsch-imperialistischer Sonderinteressen willen die Konfrontation mit der Sowjetunion zu steigern.

So sorgfältig der Tag gewählt, vorbereitet und auf ihn spekuliert wurde: das Unternehmen “Befreiung der Deutschen vom Russenjoch” scheitert diesmal – vor allem am Widerstand der Alliierten, aber auch an der unterschätzten Stabilität der Verhältnisse in der DDR.

An der Strategie des deutschen Imperialismus ändert dieses denkwürdige Lehrstück nichts. Weit über das Jahr 1961 hinaus ist es Ziel und Wunschtraum der regierenden Reaktion, mit aller Energie das herbeizuführen, was sie nur unter einem “Tag der Befreiung” verstehen kann: Putsch und Pogrom gegen die im Wirtschaftskrieg “sturmreif” zu kochende DDR-Regierung durch eine völkische 5. Kolonne oder einen sozialdemokratischen Arbeiteraufstand, sekundiert von westdeutscher Wirtschafts-, Waffen- und Personalhilfe, zwecks Liquidation der DDR und Installation des westdeutschen imperialistischen Herrschaftssystems zunächst auf DDR-Gebiet.

1.6. Wer zwingt nach 1961 die deutsche Bourgeoisie zu ihrem Glücke?

Die Befestigung der Grenzen zu Westberlin 1961 ist zu allererst ein Mark- und Meilenstein für das Scheitern der westdeutschen Arbeiterbewegung, die nicht vermochte, das Projekt DDR entgegen den Einflüsterungen und Einpaukungen der deutschen Bourgeoisie als gesamtdeutsches Projekt zu erkennen und zu ihrem ureigensten Projekt zu machen.

Jedoch symbolisiert der sogenannte “Mauerbau” – freilich auf sehr symbolträchtige Weise – auch das einstweilige Scheitern der offensiven “Befreiungs”-Strategie des deutschen Imperialismus.

Mit dieser Strategie scheitert die ganze BRD in ihrer bisherigen Form und Ausrichtung. Nicht dass irgendjemand sich durch den “Mauerbau” veranlasst gesehen hätte, die Existenzberechtigung der BRD auch nur infragezustellen. Nicht dass der “Mauerbau” wenigstens zum sofortigen Sturz der Adenauer-Regierung geführt hätte – im Gegenteil!

Aber die hausgemachte außenpolitische Krise des deutschen Imperialismus ist objektiv da und schreit zumindest nach Flexibilisierung der merkwürdig steifen, international zusehends Befremden hervorrufenden schwarz-braunen Außenpolitik der Adenauer und Konsorten, deren manche noch 1975 in Helsinki gegen jegliche Ostbeziehungen geifern.

Seit 1961 ist die Zeit überreif geworden für eine realistischere, pragmatischere, modernere Strategie und Taktik und den ihr entsprechenden Personalwechsel.

Bezeichnenderweise dauert es dann noch ganze Legislaturperioden und internationale Kräfteverschiebungen wie in Vietnam, ehe die deutsche Bestie den Wutschaum von 1961 notdürftig vom Maule gewischt kriegt und zur Einsicht gelangt, dass das Gebot der Stunde “Hinterlist statt Hasardspiel” lautet. Der Zuschlag der deutschen Monopolbourgeoisie geht nicht früher als 1969 und nur unter vielem Zögern, Maulen und Pfeifen an die “neue Ostpolitik” der SPD, die sich doch schon 1953 so eifrig als der agilere, besser camouflierte Ostlandritter um die Gunst der Bourgeoisie beworben hatte.

2. »Militarismus nach innen« und Notstandsgesetzgebung

2.1. Zum Bundeswehr-Einsatz im Inneren 1962

In der peinlichen Situation nach 1961 fragen sich immerhin so manche Kreise, wofür die Bundeswehr als schon üppiger Moloch und massenhafter Apparat noch gut sein soll, nachdem die Blitzkriegsavancen des deutschen Imperialismus ihren verdienten Korb bekommen haben.

Freilich ist Franz Joseph Strauß nicht der einzige, der es für die unveränderte Tagesaufgabe hält, jetzt und sofort mit den Westverbündeten im Rücken und mit allen nur erdenklichen militärischen Mitteln einen deutschen Durchmarsch bis etwa Wladiwostok zu organisieren (nur mit der kleinen Einschränkung: “die Atombomben dabei bitte nicht auf genuin deutschen Boden zu werfen”).

Aber an den Rändern von SPD, Gewerkschaften und demokratischem Kleinbürgertum wird durch die Grenzbefestigung 1961 eine gewisse Nachdenklichkeit befördert, die bis in herrschende Kreise hineinreicht.

Aus der Not, dass keine Not ist, weil die Bolschewisten so sehr deeskalieren, kann scheinbar höchstens noch Mutter Natur helfen. Und da braust sie auch schon ganz rechtzeitig heran: in Form einer Sturmflut im Winter 1962.

Flut ist gut: vor allem als Ersatz-Bolschewik! Das macht bekanntlich triefend vor Betroffenheit – und Zentralisierungsgelüsten. Das spült kernige Hamburger Innensenatoren (1961-65), Kanzleranwärter (1974-82) und Zeit-Mitherausgeber (seit 1983) mit Wehrmachtoffizierserfahrung (1939-45) hoch, die sich regelrecht auf eine Gelegenheit gefreut haben, mal wieder mit ein paar alten Kameraden über die Rettung des Vaterlands telefonieren zu können.

Die guten Kontakte des Bundeswehr-Hauptmanns der Reserve Helmut Schmidt (SPD) zur Truppe hatten zwar 1958 zu seinem Ausschluss aus der SPD-Bundestagsfraktion geführt. Doch in der Not marschiert sichs auch ohne Gesetz.

Der erste Bundeswehr-Einsatz im Inneren basiert auf einer blank willkürlichen Notstandsverfügung. Weil die über 25.000 mehr oder weniger zivilen Helfer (Feuerwehren, DRK, THW, Polizeien etc.) der maroden Deichanlagen nicht Herr werden, fordert Schmidt bar jeder gesetzlichen Grundlage nicht etwa nur NATO-Truppen oder – Gott bewahre! – zivile Helfer aus der DDR an, sondern ruft explizit über 1.500 Bundeswehr-Soldaten nebst Gerät, vor allem Hubschraubern, aus den Kasernen, und wird dafür, von einigen nachträglichen parlamentarisch-kretinistischen Katzenjammereien abgesehen, bis heute als harter Kerl belobigt.

Die im Grunde genommen nur innenpolitische Episode mit militärischer Komponente hat ihre gute moralische Wirkung, zumal unter den 340 Flutopfern 4 Soldaten sind – manche Sozialdemokraten entdecken hier eine neue Sinnhaftigkeit der Bundeswehr.

Dabei bildet der Einsatz in der Tat ein anschauliches Beispiel für die Umsetzung der zu jener Zeit nur in den Schubfächern der Bundesministerien lauernden Notstandsgesetze und für die Gewöhnung an die militärische Grundierung des Heimatschutzes. Auf einer “volksgemeinschaftlich” anmutenden Welle der gegenseitigen Hilfeleistung reitet der Staatsapparat heran und erprobt schon mal die Werkzeuge der zivil-militärischen Zusammenarbeit, die heute mittels Notstandsgesetzgebung, “Katastrophenschutz” und “Terrorismusabwehr” überscharf geschliffen sind, jeden ernstzunehmenden politischen Widerstand mit der geballten Wucht aller Behörden und Ehrenämter – trockenzulegen.

2.2. Zur Notstandsgesetzgebung 1968

Seit spätestens 1958 erarbeiten bundesdeutsche Ministerien eine Notstandsgesetzgebung, deren Durchsetzung zunächst an der SPD und FDP und seit den 60er Jahren zunehmend am Widerstand der Gewerkschaften und bürgerlichen Demokraten scheitert.

Der Kampf gegen die Notstandsgesetze prägt die 60er Jahre. Im Juni 1968 kann die Große Koalition aus SPD und CDU/CSU das “17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes” verabschieden. Als Anlass dafür dient nicht zuletzt die militanter werdende Bewegung gegen dieses Gesetz!

Das Gesetz ändert 30 der 146 Artikel des Grundgesetzes. Es erlaubt einer Bundesregierung, bei Naturkatastrophen und anderen Katastrophen (Gummibegriff Nr.1 das), im Kriegsfall (etwa bei einer NVA-Übung?) oder bei einem Aufstand (gegen die FDGO oder weniger!) den Notstand auszurufen und damit weite Teile der im Grundgesetz – wie völkisch verkrüppelt und dürftig auch immer – fixierten demokratischen Rechte auszusetzen.

Der Notstand ermöglicht natürlich den Einsatz der Bundeswehr im Inneren, die Ausübung militärischer Funktionen durch andere Sicherheitsorgane (Polizeien, Zoll, …) sowie eine umfassende Konzentration und Zentralisation der Befehlsgewalt in den Händen der Regierung.

Nicht genug also, dass mit der Beamtengesetzgebung und der Remilitarisierung die Altnazis zu ehrenwerten Patentdemokraten umgestempelt werden. Nicht genug, dass FDJ und KPD und noch jeder Friedenspfaffe illegalisiert sind. Es braucht im Kampf gegen die DDR die Ruhe im Hinterland und also eine Prävention, schon mal eine gesetzliche Sicherheit und Vorab-Legitimierung für die äußerste Zentralisation des Staatsapparates gegen Linke aller Art. Wurde früher nachträglich sanktioniert, was die Militaristen in ihren Himmeroder Klöstern oder Hamburger Pfützen erdachten, erfolgt jetzt der Vorgriff und Blankoscheck für eine Notstandsdiktatur, die man als letztes Krisenstadium der bürgerlichen Demokratie bezeichnen kann.

Die Notstandsgesetzgebung ruft einige prinzipielle historische und rechtliche Fragen auf, die auch im Hinblick auf den Militarismusbegriff von Interesse sind. Sie erweitert nämlich vordergründig den Rahmen des “Militarismus nach innen” und verrechtlicht zugleich den Kriegszustand, formiert mithin die Gesellschaft auch zum “Militarismus nach außen”.

2.3. Was ist Militarismus? Was ist Funktion und Form des Militarismus?

Lenin zur Funktion des Militarismus:

»Der moderne Militarismus ist das Resultat des Kapitalismus. In seinen beiden Formen ist er eine ›Lebenserscheinung‹ des Kapitalismus: als Kriegsmacht, die von den kapitalistischen Staaten bei ihren äußeren Zusammenstößen verwandt wird (›Militarismus nach außen‹, wie sich die Deutschen ausdrücken) und als Waffe, die in den Händen der herrschenden Klassen zur Niederhaltung aller wirtschaftlichen und politischen Bewegungen des Proletariats dient (›Militarismus nach innen‹).«

Liebknecht zur Form des Militarismus: >»Der Militarismus tritt danach auf: erstens als Armee selbst, sodann als ein über die Armee hinausgehendes System der Umklammerung der ganzen Gesellschaft durch ein Netz militaristischer und halbmilitaristischer Einrichtungen … ferner als ein System der Durchtränkung unseres ganze öffentlichen und privaten Volkslebens mit militaristischem Geiste, wobei auch Kirche, Schule und eine gewisse feile Tendenzkunst, ferner die Presse, ein erbärmliches käufliches Literatengesindel und der gesellschaftliche Nimbus, mit dem ›unser herrliches Kriegsheer‹ wie mit einer Gloriole geschäftig umgeben wird, zäh und raffiniert zusammenwirken.«

Zur besseren Einschätzung dessen, was hiernach der deutsche Militarismus eigentlich ist und wie die bewaffneten und nichtbewaffneten, die staatlichen und nicht-staatlichen Formationen des imperialistischen Herrschaftssystems in Deutschland schon vor Ausrufung des Notstandes oder Kriegsfalls ineinandergreifen, möge die folgende, gewiss unvollständige Strukturanalyse des bundesdeutschen Gewaltapparats beitragen. Dabei darf wiederum nicht vergessen werden, dass eine solche quantifizierende Bestandsaufnahme des deutschen Militarismus zum Teil historische Besonderheiten und auch wesentliche Funktionen überblenden kann.

So ist die historische Besonderheit etwa der Bundeswehr, nicht irgendeine Armee zu sein, sondern eben der entgegen dem Potsdamer Abkommen und den fortschrittlichen Lehren aus dem 2.Weltkrieg gegründete Wehrmachtsnachfolger. Und die wesentliche Funktion der Bundeswehr ist nicht, ein aufgeblähter Apparat voll schießwütiger Ex-Nazis zu sein oder Wehrdienstverweigerer zu schikanieren, was eine funktionell ganz äußerliche Bestimmung wäre, sondern zunächst vor allem ganz speziell das Etappenziel des deutschen Imperialismus – Annexion der DDR – mit außerökonomischer Gewalt zu erreichen. Dies also gilt es, vor dem folgenden Faktenklimbim nicht zu vergessen.

3. Formen und Formationen des deutschen Militarismus

1968 erwähnt der Spiegel en passant, dass es in Westdeutschland 1,8 Millionen Beamte und 1,6 Millionen Angestellte im Öffentlichen Dienst gebe. Man kann davon ausgehen, dass es sich dabei um das ungefähre Personal-Quantum des “exekutiven” Staatsapparates der BRD handelt. Einige dieser 3,5 Millionen Gestalten finden wir in der Bundeswehr. Einige weitere finden wir in weiteren, direkt-staatlichen bewaffneten Formationen des deutschen Imperialismus, hauptsächlich in den Polizeien und Sonderpolizeien, aber auch in kuriosen anderen Institutionen, deren wesentliche hier angeführt und ebenfalls steckbriefartig erläutert sein sollen.

3.1. Staatliche bewaffnete Formationen der BRD

3.1.1. Zur Bundeswehr als dem Hauptinstrument des deutschen Militarismus

Truppenstärke: 1955 gegründet, 1959 250.000 Truppen, 1969-1990 500.000, 2004: 250.000, 2014: 185.000, je OHNE Verwaltung, Tendenz fallend/spezialisierend/auslagernd. Die sogenannte “Mobilisierungsstärke” unter Einschluss von Reservisten liegt bei ungefähr 3 Millionen Mann im Jahr 1970 und bei immerhin 1,5 Millionen Mann und Frau im Jahr 2014. Die Bundeswehr darf laut 2+4-Vertrag nicht über 370.000 Mann/Frau haben.

Bundeswehrverwaltung: mehr als 90.000 zivile Fachkräfte (davon nur ca. 20.000 bei den Streitkräften, so dass von einer Gesamtpersonalstärke von aktuell 250.000 auszugehen ist, die ich aber nirgends bestätigt gefunden habe). Bezogen auf die Bundeswehr-Verwaltung herzt uns Wikipedia an:

Die Bundeswehr gehört somit zu den größten Arbeitgebern und Ausbildungsbetrieben in Deutschland.

Kooperationen: in alle Gesellschaftsbereiche, insbesondere Ausbildungs- und Wirtschaftskooperationen. Firmen, zum Beispiel die BWI GmbH für Informationstechnologie in Kooperation mit Siemens und mit 2.800 Mitarbeitern. Bürgermeister, Stadtdelegationen und Presseleute besuchen gern die lokalen Stätten des geschätzten “Arbeitgebers” und prosten ihm zu.

Liegenschaften: mindestens 224 Kasernen (Tendenz fallend/konzentrierend), mindestens 24 Flughäfen bzw. “Fliegerhorste”, 7 Krankenhäuser, Docks, Sportplätze, 7 Bundeswehrverwaltungsstellen im Ausland + ein Jägerbataillon 291 in Frankreich.

Öffentlichkeitsarbeit: Dutzende Zeitschriften, 1 Radiosender (“Andernach”), 1 Youtube-Channel, 16 Karrierecenter mit 110 Karriereberatungsbüros und 200 mobilen Büros (teils noch in Planung), 1 Showroom (mit sicherem Instinkt am Bahnhof Friedrichstraße in Berlin eröffnet), mindestens 3 Museen, Hunderte Ehrenmale (unter anderem für die 3.100 Gefallenen, davon 103 in Auslandseinsätzen).

Fortbildungs- und Forschungsstätten: Dutzende Schulen, 2 Universitäten, 5 Akademien (“Think Tanks”), mehrere Fachschulen und Fachhochschulen, 1 Sportschule, 1 Diensthundeschule, 1 Musikschule, 3 ABC-Abwehrschulen, mehrere Bibliotheken und Fachbibliotheken, Militärhistorisches/Sozialwissenschaftliches Forschungsamt, Geoinformationsdienst. Sanitätsdienstschulen. Radiologien und andere Medizinforschungsstätten usw.

Verwaltung etc.: Mindestens 7 Kultur- und Konzerthäuser (sogenannte “Offizierscasinos”). Kapellen (Militärseelsorger haben aber noch mal einen Extrastatus – in der DDR gab es keine Militärseelsorge, was nach 1990 zu Konflikten führte, als die Ost-Pfaffen in Reih und Glied geschoben werden sollten). Eigener Postdienst (heute teils an Post/DHL verscherbelt/vermietet). Eigene Militärpolizei: Feldjäger. Eigene Truppendienstgerichte und Disziplinaranwälte. Eigener Militärgeheimdienst: MAD. Eigene Feuerwehr. Militärattachés (offenbar ohne eigene Liegenschaften).

Vereinswesen bei der Bundeswehr: Ferner hängen 20 Vereine unmittelbar an der Bundeswehr, so das Soldatenhilfswerk, das Bundeswehr-Sozialwerk, der Reservistenverband und konfessionelle Verbände, um nur die größten mit teils 100.000den Mitgliedern zu nennen.

Auslandseinsätze seit 1990: mindestens 130, davon 20 laufende. Vor 1990 ist unklar – bei teils widersprechenden Angaben war auch die dabei, dass es über 80 Auslandseinsätze bis 1990 gegeben habe.

“Neuausrichtung der Bundeswehr” seit 2010: schafft Grundwehrdienst ab, neue Aufgaben (VPR 2011), stärkt Generalinspekteur und Geschäftssitz Berlin (Ministerium bleibt weiterhin auf der Hardthöhe in Bonn), Personal-, Struktur- und Verwaltungsreformen, neue Reservistenkonzeption, Nachwuchsgewinnungs-Offensiven. Siehe auch “Bundeswehrattraktivitätssteigerungsgesetz” von 2015: 41-Stundenwoche, Teilzeitbeschäftigung, Wehrsolderhöhung für Soldaten, Entlastung von pensionierten Berufssoldaten und weitere rentenrechtliche Verbesserungen.

Methodologische Bemerkungen zur Kritik von Bundeswehr-Reformen:

• Zu beachten, dass bis 1990 ein ständiger Überhang an Offizieren und Mangel an Masse herrschte, welcher sich trotz Sinkens der Personalstärke der Bundeswehr nach 1990 gut mit Ossis (“Schütze Arsch”) beheben ließ.

• Zu beachten massive Auslagerungstendenz: Kantinen, Objektschutz, Infotechnik etc. wird stückweise oder bereichsweise vermietet, verpachtet, verkauft etc.

• Zu beachten, dass Militärausgaben sich in den Etats/Haushaltsplänen nur sehr unzureichend spiegeln. So finanzierte das Kanzleramt den Eurofighter und waren weite Teile der Kosten für den Jugoslawienkrieg 1999 nicht vom “Verteidigungshaushalt” gedeckt.

• Zu beachten, dass das viele “Transformations”-Gerede (so ein Epochenbezeichnungsversuch für die Bundeswehr-Reformen seit 1990) = ständiges Angepasse an neue Aufgaben = Aktivität, Geschäftigkeit, pragmatische Agilität bedeutet.

Vielleicht ist dieser Steckbrief geeignet, wenn nicht eine detaillierte historische Analyse, so doch eine gewisse Ahnung von Art und Umfang dieses Hauptinstruments des deutschen Militarismus namens Bundeswehr zu geben.

3.1.2. Bundesgrenzschutz / Bundespolizei

Bundesgrenzschutz 1951-2005, seither Bundespolizei, paramilitärische Truppe beim BMI, die polizeiliche, sonderpolizeiliche und militärische Funktionen auf sich vereinigt (und z.B. bis in die 80er mit mittleren Infanteriewaffen ausgestattet war) und als die zweitwichtigste bewaffnete Formation des deutschen Imperialismus und als das radikalste und wirkmächtigste Instrument der unter der Kriegsschwelle gehaltenen Provokationen gegen die DDR gelten darf.

Seit 1992 (in DDR schon seit 1990) integriert Bahnpolizei (in BRD 3.000 Bewaffnete + x). Schützt Grenzen (vor bolschewistischen Spionen und anderen Ausländern), Ministerien, See, Lufthansa-Liegenschaften, Konsulate usw. Hilft BKA, BfV (angeblich nur beim Funken) und den Länderpolizeien.

Seit 1951: 10.000, 1956: 16.400, 1992: 30.000, 2013: 40.000. 1956 wurden 60% des BGS, eines faktischen Sammelbeckens für Wehrmacht- und SS-Offiziere, in die Bundeswehr übernommen und das Seegrenzschutzpersonal komplett zur Bundesmarine umgewandelt. 1972 nach München erfolgte die Gründung der GrenzSchutzGruppe 9 (GSG 9). Deren Leiter Ulrich Wegener hat die Gnade der späten Geburt effektiv genutzt und sich Anfang der 1950er Jahre durch jugendliches Flugblattverteilen gegen die DDR-Regierung hervorgetan, wofür er 1 Jahr einsaß und dann rübermachte, um schließlich eine Art Eliteeinheit beim BGS aufzubauen.

Die Bundespolizei verfügt aktuell über 6.500 Kraftfahrzeuge, davon 5.500 Einsatzfahrzeuge und 1.000 Spezial- und Sonderfahrzeuge sowie Motorräder. Dazu kommen 12 (?) Boote, Duzende Hubschrauber, 500 Hunde, 25 Pferde. Die Bundespolizei unterhält 1 Akademie, 1 Hochschule, Fortbildungszentren und Schulen sowie mehrere Zeitschriften.

3.1.3. Länderpolizeien

2012: Über 200.000 Leute, mit Bundespolizei zusammen über 240.000. “Freiwillige Polizeireserve” in Westberlin und dergleichen Vorfeldorganisationen nicht eingerechnet, auch Besonderheiten in Bayern nicht berücksichtigt hierbei.

Was von der Bundespolizei allgemein bekannter ist, dass sie an Auslandseinsätzen mitwirkt, gilt seit 1994 auch für Länderpolizeien, wie es bei wikipedia strahlt und protzt:

Seit August 1989 nehmen deutsche Polizisten an Auslandseinsätzen teil. Die ersten Bundesgrenzschutz-Beamten wurden im Rahmen der UNTAG, in Namibia, eingesetzt. Nach Einsätzen in Kambodscha (UNTAC 1992), der West-Sahara (MINURSO 1993) und auf der Donau (WEU Danube 1993) traten auch deutsche Polizisten der Landespolizeien am 13. Oktober 1994 erstmals einen Einsatz im Ausland an. Sie unterstützten den deutschen WEU-Administrator Hans Koschnick bei seiner Mission in der Stadt Mostar während des Bürgerkrieges in Bosnien und Herzegowina. Schwerpunktmäßig sind deutsche Polizisten auf dem Balkan (Bosnien-Herzegowina: WEU Mostar Administration, UNMIBH und EUPM / Albanien: WEU MAPE / Kroatien: OSCE PMG / Kosovo: OSCE KVM, UNMIK / Mazedonien: EU PROXIMA), aber auch in Georgien (UNOMIG), Afghanistan (GPPT) und Liberia (UNMIL) sowie im Sudan (Darfur und Südsudan) mehr als 4.300 Mal zum Einsatz gekommen.

3.1.4. Bundeskriminalamt

Beim BMI. 5.500 Leute. Sitz: Wiesbaden.

3.1.5. Bundesnachrichtendienst

2013: 6.500 Leute. Sitz: München/Berlin. Unterstütz seit 1990 zunehmend offen Faschisten insbesondere in der Slowakei und in Jugoslawien. Kontakte zu kroatischen Faschisten im Exil seit spätestens 1979, Agenten für Wühlarbeit/Aufstandsentfachung in Jugoslawien seit spätestens 1981. So viel allein zu den “Nachrichten aus Jugoslawien”.

3.1.6. Zollamt/Zollkriminalamt

Beim Finanzministerium: 34.000 Leute. Eine faktische Sonderpolizei mit umfänglichen Befugnissen und ohne jegliche Parlamentskontrolle. Vorgeblich für den Kampf gegen “Schwarzarbeit”, “Schmuggel”, “Menschenhandel” Auch hier gilt es die neue neutrale Sachlichkeit der wikipedia zu Auslandseinsätzen zu beachten:

Zollbeamte und -beamtinnen nehmen auch an internationalen Einsätzen wie EUBAM Moldawien/Ukraine, EUBAM Rafah und EULEX teil, beispielsweise um (häufig gemeinsam mit Beamten der Bundespolizei) Infrastrukturen zur Grenzsicherung und Grenzaufsicht aufzubauen, die Abgabenerhebung zu sichern, Schmuggel zu unterbinden und auch zur Ausbildung und Schulung von lokalen Kräften.

3.1.7. Polizei des Bundestages

210 Mann. Eher eine Art Ehrenpolizei, aber durchaus gut zu wissen, dass extra jemand dafür abgestellt ist, dass nicht jeder Lump mal eben den Bundestag stürmen kann.

3.1.8. Bahnpolizei bis 1992

Die 3.000 Bewaffneten sind nur der ausführende Teil dieser umfänglichen Sonderpolizei. Seit 2000 im Rahmen der Bundespolizei verstärkte Tendenz zur Einbeziehung von Privatdiensten mit geringeren Befugnissen.

3.1.9. Organe des Strafvollzugs

1970: ca. 15.000 Beamte, davon 300 Erzieher. Diese Organe betreuen auch die Sträflingsarbeit. Der Strafvollzug erscheint als eine besonders chaotisch organisierte “Ländersache”. Inwiefern die Justizministerien eigene Bewaffnete unterhalten, war nicht zu ermitteln.

3.1.10. Forstämter/Forstpolizeibeamte

In der BRD bestehen 1966 1.400 Forstämter und 5.500 Förstereien. Zusätzlich können private Forstbesitzer zu Forstpolizeibeamten ernannt und teils auch außerhalb des Forsts polizeilich tätig werden. 1971 gilt (bis heute?) für Forstbeamte weithin das “Gesetz über den Waffengebrauch der Forst- und Jagdschutzberechtigten sowie der Fischereibeamten und Fischereiaufseher” von 1935, welches einen weitgehenderen Waffengebrauch als das polizeiliche Waffengebrauchsrecht erlaubt, so etwa bei Flucht vor Verhaftungsversuchen. Der Schrotflintengebrauch wird ausdrücklich geduldet.

Ähnliche Übertragungsregelungen von Polizeibefugnissen gibt es für Jagdberechtigte, Großgrundbesitzer, Bodenverbände. 1970 empörte sich der “Stern” (Nr. 50) über zahlreiche Verletzungen und Tötungen von Wanderern durch Jäger.

Förster helfen wie Schützenvereine und Aeroklubs (1971: über 1.000) zum Beispiel bei Suchaktionen und Fahndungen unter Leitung von Polizeivollzugsbeamten und stärken damit das Reservoir reaktionärer Bürgerwehren.

3.2. Staatliche Organe mit unmittelbarem Bezug zu bewaffneten Formationen

3.2.1. Bundesbehörde für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)

Beim BMI. Neugründung 2004 zur zentralen Organisation des “Zivilschutzes”, der eine lange Geschichte hat. Diverse Anläufe der Zivilschutzorganisation durch Zivilschutzämter, Luftschutzvereinigungen etc. schmücken die Geschichte der BRD. Beispielsweise der Bundesluftschutzverband hatte 1966 100.000 haupt- oder ehrenamtliche und 300.000 freiwillige Helfer. Daneben gab es einen Luftschutzhilfsdienst mit (1966) 100.000 Helfern und 10.000 Fahrzeugen. Werk-/Betriebsselbstschutz (erlangte keine Bedeutung).

Die BBK koordiniert, beflügelt von “Terror-“ und “Umweltgefahren”, die Zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC/ZMZ), evaluiert “kritische Infrastruktur”, unterhält eine eigene Akademie und bietet einen Studiengang an Universitäten an.

3.2.2. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ)

Sitz in Berlin-Treptow. Neugründung 2004 zur “Terrorabwehr”, koordiniert BKA+16 LKAs, BfV + 16LfVs, BND, BP, ZKA, MAD sowie Bundesamt für Migration und Flüchtlinge und Vertreter des Generalbundesanwaltes. 240 Planstellen.

3.2.3. Bundesamt für Verfassungsschutz + 16 Landesbehörden (BfV/LfV)

Beim BfV arbeiten offiziell 2.800 “Festangestellte”, dazu kommen die “Festangestellten” der 16 Landesbehörden. »Zivil« sind diese Behörden insofern ganz und gar nicht, als sie via V-Leuten auch für die Bewaffnung nazistischer Gruppierungen, Heimwehren etc. vollverantwortlich sind. Bekannt ist auch, dass der V-Mann Peter Urbach den RAF-Leuten Waffen und Bomben schon regelrecht aufschwatzte. Also Spitzeldienste, Provokation und Proliferation sind die honorigen Hauptaufgaben dieses Vereinsklüngels.

3.2.4. Bundesanstalt Technisches Hilfswerk (THW)

Das Technische Hilfswerk ist aus der Streikbrecher-Organisation “Technische Nothilfe” hervorgegangen, die sich 1919 aus Freikorps rekrutierte und 1939-45 Polizeivollzugsorgan auch in besetzten Gebieten war. Das THW wurde 1950 entgegen dem Potsdamer Abkommen wiedergegründet und 1953 zur “nicht rechtsfähige Bundesanstalt” geadelt. Es nimmt an Auslandseinsätzen auch unter Kriegsbedingungen teil (Vietnam!) und hat Tausende Hauptamtliche, 83.000 Gesamt, davon 16.000 via THW-Jugend e.V. (seit 1984, ab 6 Jahre, “spielerisch heranführen”). Untersteht dem BMI. 2008 schloss es ein Kooperationsabkommen mit der Bundeswehr über gegenseitige Ausbildung und Nutzung von Liegenschaften.

3.2.5. Berufs-Feuerwehren

Über 20.000 Mann sind 1970 in der Berufsfeuerwehr und über 800.000 Mann in den 25.000 freiwilligen Feuerwehren tätig. Militaristische Traditionen stehen hoch im Kurs:

So trägt der Präsident des Bundesfeuerwehrverbandes, Albert Bürger, an der Uniform ständig das ihm von Hitler verliehene Eiserne Kreuz und Kriegsverdienstkreuz I. Klasse.1

Daneben hilft auch die genaue Kenntnis der örtlichen Bedingungen, die Feuerwehren zu einem wichtigen Element des Polizeiapparates und des Notstandssystems zu machen, wie die Beteiligung an Großfahndungen, Absperrungen und anderen Sicherungsaufgaben bezeugt.

3.2.6. Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

Bekannter unter dem Namen “Flensburg”. Beim BM für Verkehr und digitale Infrastruktur. Ist eine Sonderpolizeibehörde mit ca. 900 Mitarbeitern. Es leitet z.B. Fahndungen nach Kfz ein und arbeitet auch sonst aufs Engste mit den Polizeien zusammen.

3.2.7. Bundesamt für Güter(fern)verkehr (BAG)

Ähnlich dem KBA, nur mit Zuständigkeit insbesondere für LKW (tut bei Maut-Eintreibung und Autobahnfahndungen mit) und Bahn. Hat 1.800 Planstellen und einen eigenen Fuhrpark. Wenn die netten Jungs und Mädels vom BAG in ihren blauen, polizeiähnlichen Autos oder in Zivil auf Streife gehen, gibt es immer wieder spannend Schmuggelbanden aufzutun, Steuern einzutreiben oder Sparprogramme gegen Staumalheure und Waren-Diebstahl zu entwickeln. Alles wie gehabt in engster Fühlung mit Polizei- und Zollbehörden. KBA und BAG erfüllen selbstredend bis 1990 umfängliche Informations- und Überwachungs-Hilfsfunktionen im Kampf gegen die DDR.

3.2.8. Weitere Behörden und Anstalten mit Sonderpolizeifunktionen

Insbesondere im Postverkehr zwischen DDR und BRD kam ein Postüberwachungsdienst zum Einsatz, der intensiv mit Zoll und Verfassungsschutz zusammenarbeitete. Ähnliche Funktionen werden heute beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik koordiniert.

Besondere Polizeiaufgaben zur See werden unter anderem von einem Havariekommando und einer koordinierenden Generaldirektion Wasserstraßen und Schifffahrt ausgeübt.

Wichtige verwaltungspolizeiliche Funktionen vollziehen insbesondere die Einwohnermeldeämter, Ordnungsämter, Jugendämter und “Bürgerämter” aller Art.

3.3. Hilfspolizeien / Nichtstaatliche Organisationen mit Polizeibefugnissen

In diesen Bereich gehören zahlreiche, überwiegend staatlich finanzierte Organisationen, die vor allem auf die sogenannte Ehrenamtsarbeit zurückgreifen.

Unterschiedlichen Angaben zufolge sind heute 12 bzw. 23 Millionen Menschen in BRD und annektierter DDR ehrenamtlich tätig. Das heißt zwar nicht, dass jeder Ehrenamtliche in einer der folgend genannten Organisationen entsprechende Polizeifunktionen ausüben darf, wohl aber, dass Ehrenamtliche eine personelle Reserve für diese Organisationen darstellen, auch wenn sie polizeilich tätig sind. Die Zusammenarbeit der genannten Organisationen mit Polizeibehörden umfasst auch die Bereiche Informationsbeschaffung und Ausbildung. Von teils erheblichen Überschneidungen bei den Personalangaben ist auszugehen.

3.3.1. Die Deutsche Verkehrswacht

Sie erhält zur Entlastung der Schutzpolizei verkehrspolizeiliche Befugnisse übertragen, die örtlich bis zum Schülerlotsendienst herabdelegiert werden.

3.3.2. Der ADAC

Der ADAC betreibt u.a. eine Straßenwacht mit (1971) über 500 Fahrzeugen (2013: über 1.300), die eng mit den Autobahnkommandos bzw. der örtlichen Polizei zusammenarbeitet.

3.3.3. Taxi-Innungen

Einzelne Taxi-Innungen haben örtlich Vereinbarungen mit Polizeistellen getroffen, die Taxifahrer verpflichten, über die Taxi-Funkzentralen Informationen oder Meldungen von “Bürgern” (“Judenwürgern” würde Brecht hierauf reimen) an die Polizeien weiterzugeben, wie etwa seit 1959 in Düsseldorf.

3.3.4. Arbeiter-Samariter-Bund, Johanniter- und Malteserorden, Deutsches Rotes Kreuz

Vom Deutschen Roten Kreuz wissen noch viele zu gut, wie es sich von den Nazis für die Verharmlosung des KZ Theresienstadt einspannen ließ.

Einige haben vielleicht auch schon erlebt oder gehört, dass karitative Organisationen Daten von Demonstranten an die Polizei weiterreichen, wobei es natürlich starke Unterschiede örtlich und verbandsweise gibt, etwa den Johannitern in den 1980ern nachgesagt wurde, dass sie sich vor solcher Kooperation mit staatlichen Stellen recht strikt verwahrten.

Eine Episode vom August 1989 zeigt, wofür die Malteser gut sein können, die sich auch sonst gewisser geheimdienstlicher Kontakte erfreuen:

16.8.1989: So genannte “Pass-Anordnung” des westdeutschen Außenministers Genscher (FDP). In Uniformen des “Malteser Hilfsdienstes” getarnt treffen westdeutsche Diplomaten in der ungarischen Hauptstadt Budapest ein und beginnen in der Kirche “Zur Heiligen Familie” den sich dort aufhaltenden DDR-Bürgern westdeutsche Pässe auszustellen.2

3.3.5. Freiwillige Feuerwehren

In Ergänzung zu den Berufs-Feuerwehren (siehe 3.2.5.), jedoch vor allem aufgrund ihres Umfangs (1970: über 800.000 Mann) gesondert anzuführen.

3.4. Private Polizeiorganisationen. Sonstige Waffenträger

3.4.1. Werkschutz

Allein 1965 gibt die Bundesregierung 1,4 Mrd. Mark für den Werkschutz aus. 1964 (27.8.) schätzte die Frankfurter Rundschau die Personalstärke des Werkschutzes exklusive Werkfeuerwehr und Werksicherheitsdienst auf 60.000 Mann. Die DDR-Literatur geht für das Jahr 1970 von zusammen 120-150.000 Mann “Privatpolizei der Monopole” aus.

Die sogenannte “Gemeinschaft zum Schutz der deutschen Wirtschaft e.V.” beim BDI wird 1968 “aufgelöst” (= umbenannt), weil sie vor Verabschiedung der Notstandsgesetze die Betriebe militarisieren will.

Für verschiedene große Konzerne [Mannesmann] wurden an Polizeischulen Angehörige des Werkschutzes in Speziallehrgängen ausgebildet. […] Ausbildungsveranstaltungen großen Stils […] unter Teilnahme von Vertretern des BMI und unter Mitwirkung von BW und BGS …3

In einem Fall denunziert ein Bayer-Ingenieur einen Bergarbeiter wegen Besuchs einer Veranstaltung der Deutschen Friedensunion (DFU). Er verlor seinen Job und erhielt noch 4 Jahre später keinen Passierschein für ein Bayer-Zweigwerk in Leverkusen. Zahlreiche ehemalige Angehörige der Gestapo, des SD und der Verfassungsschutzämter kommen im Werkschutz unter.

So zum Beispiel ist der wegen Mordes von der dänischen Justiz gesuchte ehemalige Westberliner Polizeioffizier Wilhelm Graurock Sicherheitsbeauftragter der Firma Hanomag in Hannover geworden. Graurock wird von dänischen Gerichten gesucht, weil er 1944 in seiner Eigenschaft als Hauptsturmführer der SS den dänischen Polizeibeamten Falkennaher auf offener Straße in Kopenhagen ermordet hat./ Graurock ist derjenige, der Himmler den barbarischen Vorschlag unterbreitete, dänische Polizisten in das KZ Buchenwald zu deportieren, was 120 dänische Polizisten das Leben gekostet hat./ Graurock, der auf Ersuchen der dänischen Behörden 1962 in Westberlin verhaftet werden musste, wurde bereits nach kurzer Zeit aus der Untersuchungshaft entlassen und tauchte unter. Erst der Freiheitssender 904 enthüllte, dass er als Sicherheitsbeauftragter untergebracht worden ist.4

In dem Fall gab es mal etwas Ärger, in von Günter Walraff aufgedeckten ähnlichen Fällen nicht.

3.4.2. Das Bewachungsgewerbe

Das Bewachungsgewerbe (“Wach- und Schließgesellschaften”) ist noch einmal vom Werkschutz zu unterscheiden. Es ist konzessionspflichtig. Polizeibehörden nehmen darüber hinaus Einfluss auf Ausbildung, Art und Umfang des Gewerbes. Zahlreiche SS- und Polizeioffiziere tauchten hier nach 1945 unter.

Einrichtungen des Bewachungsgewerbes werden zur Bewachung militärischer und anderer Staatsobjekte herangezogen – inklusive Schusswaffengebrauchsrecht. Aber auch Aufträge zur Bewachung von Baustellen, Lagerhallen, Werkanlagen, Fahrzeugen, Wohnungen, Wohngebieten und Freigeländen (Parks) sowie zum Personenschutz, Waren- und Geldtransport etc. werden angenommen. Größere Bewachungsfirmen sind üppig motorisiert, haben Diensthunde, kriminalistische Sicherungsdienste, eigene Funknetze und natürlich Waffen.

Allein 271 Unternehmen des Bewachungsgewerbes sind (1971) im “Zentralverband des deutschen Bewachungsgewerbes e.V.” […] zusammengeschlossen, durch den die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmerverbänden, mit den Zentralen der Polizei und des Verfassungsschutzes erfolgt.5

3.4.3. Detekteien und Auskunfteien

1970 gibt es ungefähr 550 Detekteien mit über 1.000 Detektiven. Sie bedürfen anders als im Bewachungsgewerbe nur eines Gewerbescheins.

Ein Beispiel dafür, wie faschistische SS- und Polizeioffiziere im Detektivwesen untertauchen, ist der Fall des Detektivunternehmens Altenbrunn in München. Altenbrunn, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit als leitender Gestapobeamter und Angehöriger des SD in Norwegen und in der CSSR sowie von Jugoslawien gesucht wird, konnte sein […] Unternehmen mit Hilfe von im Militärischen Abschirmdienst untergetauchten ehemaligen faschistischen Geheimdienstoffizieren errichten. Als Tatsachen seiner Vergangenheit öffentlich bekannt wurden, zog ihn der MAD als Detektiv zurück und gab ihm eine offizielle Funktion als Oberinspektor dieses Geheimdienstes der Bundeswehr.6

Detekteien werden als Tarneinrichtungen der Geheimdienste und Monopole geführt. Teils werden Detektive in die Arbeit von KriPo-SoKos einbezogen (“ein besonderes Anliegen der Fachzeitschrift “Kriminalistik”) oder als V-Leute, Provokateure, Spione in sozialistischen Ländern (unter dem Vorwand privater Ermittlungen) und als Spitzel verwendet, etwa in Betrieben oder für “Krankenbesuche”. Sie decken sich durch Rechtsschutzversicherungen ab.

3.4.4. Jäger

Es gibt ca. 360.000 Jagdberechtigte, von denen einige via Forstämter Polizeibefugnisse innehaben.

3.4.5. Schützen

Allein im Deutschen Schützenbund sind 1,4 Mio. Mitglieder organisiert, wovon 360.000 als Schützen gelten. Es gibt 15.000 Schützenvereine, die sich häufig in “Gauen” organisieren.

Bei der Erwähnung insbesondere der Schützenvereine und der Jäger geht es nicht um eine abstrakte Verurteilung ihrer Bewaffnung, sondern darum, dass sie mittelalterliche Formen und letztlich reaktionäre Karikaturen einer Volksbewaffnung in die Gegenwart verlängern. Ein Aufmarsch der Spießbürger ist jedenfalls nicht mit einer Volksbewaffnung zu verwechseln. Dabei geht es auch um den Zweck der kulturell-hegemoniellen Inszenierung, des Aufmarschierens als Tugend, Hobby und Gaudi.

In Aachen gibt es einen Holzwaffen-Verein, der auch das Erbe des Militarismus pflegt – das heißt auch, es kommt nicht auf den Bewaffnungsgrad an, sondern auf die Stiftung von “volksgemeinschaftlichem” Heimatschutzgefühl gegen Linke und andere Störenfriede, auf die Organisierung von Druck auf Linke etc. Siehe auch die Dienstgrade beim Karneval.

Der Unterschied ums Ganze wird hier insbesondere beim Vergleich zur DDR deutlich, deren Zivilschutz, GST und Betriebskampfgruppen wahrlich nicht geeignet sind, das Mittelalter zu erinnern.

3.4.6. Reservisten

1970 gab es circa 2,3 Millionen Reservisten, die in zahlreichen, oft militaristischen und revanchistischen Verbänden zusammengeschlossen sind. 1970 gab es über 2,5 Millionen Reservisten. Aktuell beträgt die Zahl der Reservisten rund 1,3 Millionen. Im Kriegsfalle ergänzen sie die Bundeswehr also zur sogenannten Mobilisierungsstärke von über 1,5 Millionen Soldaten. Es ist allerdings momentan nicht davon auszugehen, dass alle Reservisten bewaffnet sind.

3.4.7. Sonstige

Ordnerdienste, Saalschutzeinrichtungen, Stoßtrupps, Rollkommandos und Kontrollgruppen der CSU und der NPD, Gruppen wie die “Europäische Befreiungsfront” oder “Aktion Widerstand”, Heimatschutzgruppen, Bürgerbataillone, Kyffhäuserverbände sowie sämtliche Militaristen- und Revanchistenverbände und zahlreiche Bürgerwehren verfügen über Kleinwaffen unterschiedlicher Art und arbeiten seit je eng mit Polizeien und Verfassungsschutz zusammen.

Das wären dann auch schon die wesentlichen Organisationen und Privatpersonen, die 1970/2015 schon im Friedensfall Gewehr bei Fuß stehen, die das System des Militarismus nach innen bilden, die im Notstandsfall u.a. via GTAZ und BBK binnen Sekunden zentralisiert werden können und die für den Kriegsfall jetzt schon unmittelbare Relevanz haben.

4. Zur Außenpolitik der BRD in den Jahren 1961-1982

4.1. Die Konterrevolution schlüpft in Filzlatschen

Im Zeitraum 1965-1969 isolieren sich die offenen Revanchisten der BRD international. War die sogenannte “Flexible response”-Strategie der NATO für nur-militärische Geschmeidigkeit gut, hatten seit etwa 1966 auch führende US-Strategen die Notwendigkeit einer auch politischen Flexibilität erkannt. Also seit 1966 will sogar die NATO politisch direkt entspannen.

Dagegen gelingt es zwar der Großen Koalition unter Kurt Kiesinger, den Herrschaftsapparat nach innen zu festigen, außenpolitisch jedoch scheitert sie, weil sie bis zum letzten Tag die politische “Vorwärts”-Strategie des revanchistischen Rachefeldzugs zur “Befreiung” mindestens Ostdeutschlands auch gegenüber den zusehends überdrüssigen Westalliierten propagierte.

Die Kiesinger-Regierung trachtet auch nach Atombomben für die BRD, was zu teils heftigen Streits mit den USA führt. Noch 1969 legt Franz Strauß – immerhin Finanzminister in der Kiesinger-Regierung – in London wieder sein Europaprogramm dar, das eine föderierte Kernwaffenmacht Europa immer mitmeint. Demnach habe die NATO nur eine Zukunft, wenn sie zu einem Bündnis auf zwei Säulen (USA und vereintes Westeuropa) werde.

Die ständige Wiederholung derart weitgesteckter Pläne, die in anderen westeuropäischen Ländern kaum Gegenliebe fanden, hielten besonders SPD-Politiker für ein Hemmnis; sie gaben einem schrittweisen und pragmatischen Vorgehen den Vorzug vor unrealistischen Maximalvorstellungen.7

Willy Brandt von der SPD und die Mehrheit der FDP will mehr Ostkontakte. Brandt sagt 1968 erstmals öffentlich: “Die DDR existiert” – und das, ohne die DDR in Anführungszeichen zu setzen. Die CDU/CSU dagegen verbeißt sich immer mehr in Revanchismus, bis hin zur Agitation gegen die Ratifizierung der KSZE-Schlussakte in Helsinki 1975, weil man damit die DDR als Völkerrechtssubjekt anerkennen würde.

Die Aussage “Die DDR existiert” des Willy Brandt bedarf nun allerdings einer erläuternden Illustration. Wenn man sich zum Beispiel vorstellt, dass in einem Theatersaal die BRD zwei Sessel reserviert hat, einen schwarz-braunen und einen rosa-roten, und neben ihr die DDR ihren Sessel reserviert hat, dann besteht die schwarz-braune DDR-Politik darin, die Füße auf dem DDR-Sessel abzulegen und den DDR-Bürger, der sich ausbittet, seinen reservierten Sessel ungestört abklopfen und beziehen zu dürfen, schlankweg nicht zur Kenntnis zu nehmen.

Mit Willy Brandt wird nun ein Publikumsdialog möglich, der sich zunächst wesentlich zwischen den beiden BRD-Sesselnutzern abspielt. Willy Brandt versichert mit seiner Aussage “Die DDR existiert” zuförderst seinen schwarz-braunen Kollegen, dass er ganz die nämlichen Ziele wie sie verfolgt und auch sehr gern seine Füße auf den DDR-Sessel ausstrecken möchte. Ihn hindert allerdings ein Etwas, ein Ding, ein leidigerweise Existierendes daran, sich bei dieser Tätigkeit ungestört zu fühlen.

Man sollte in diesem Bild auf die neue Ost-Politik nicht eben eine gesittete Intervention eines Theaterbesuchers gegen den schwarz-braunen Rabauken und für das Recht des fremden Nachbarn auf seinen Theatersessel sehen.

Brandt meint nur, der Ossi, dieses Ding, solle sich nur eben mal kurz hinsetzen dürfen, um sich die wahrhaft vaterländische Lektion anzuhören, warum er gefälligst aus der ganzen Theaterveranstaltung, von der ganzen Weltbühne zu verschwinden habe, weil er, als hartnäckiger Bolschewik, offenkundig nicht durch bloßes ignorantes Rabaukentum zu vertreiben war.

Das ist die Attitüde des Saubermanns Willy Brandt. Das ist die objektive Verschwippschwägertheit des deutschen Sozialdemokraten mit der schwarz-braunen Reaktion. Der Unterschied zur Erreichung desselben Ziels besteht in taktischen Manöverchen, in ein paar rhetorischen Tricks, in einem sehr dünnen Anstrich von guten Manieren, in der Vermengung von antibolschewistischem Annexionismus mit perfidem Kalkül, wozu sich die Adenauer, Kiesinger und Strauß nicht fähig genug, ja zu tölpelhaft erwiesen.

Und mit dieser Haltung, die der DDR-Außenminister Otto Winzer einmal als “Konterrevolution auf Filzlatschen” bezeichnete, nahm die Brandt-Regierung, gleichsam seufzend und nur voll des vaterländischen Pflichtgefühls, Verhandlungen mit dem Osten einschließlich der DDR auf.

4.2. Verträge der Brandt/FDP-Regierung gegen CDU/CSU-Stimmen

11/1969 Atomwaffensperrvertrag gegen besonderes Maulen der CDU/CSU und zur Erleichterung der West-Alliierten.

8/1970 Moskauer Vertrag mit der Sowjetunion, der an der DDR vorbei geschlossen wird und sie damit bloßstellt und relativ entmachtet.

12/1970 “Warschauer Vertrag” mit der Volksrepublik Polen, in dem die Anerkennung der Unverletzlichkeit der gegenseitigen Grenzen mit allerlei Hintertüren garniert ist, die es deutschen Juristen erlauben, etwa unter Berufung darauf, dass es noch keinen Friedensvertrag gebe, die polnische Westgrenze als nicht endgültig anerkannt zu behandeln.

Am Tag der Unterzeichnung des Vertrages inszeniert Brandt den “Kniefall von Warschau”, eine Demutsgeste vor den polnischen und jüdischen Opfern des deutschen Faschismus, die an Verlogenheit und Kalkül kaum zu überbieten ist, weil sie einen abstrakten Mythos aller möglichen Opfer des Nationalsozialismus fortschreibt, während in den konkreten Verhandlungen die bundesdeutschen Anmaßungen knallhart gegen die international allernotwendigsten Zugeständnisse abgezirkelt werden.

9/1971 Westberlin-Abkommen, wonach Westberlin kein Bestandteil der BRD ist und nicht von ihr regiert werden darf.

12/1972 Grundlagenvertrag mit der DDR: Gleichheit DDR/BRD, Unverletzlichkeit (! nicht etwa endgültige Anerkennung) der Grenzen (was z.B. die Kultusministerkonferenz von noch 1983 nicht hinderte, die deutschen Grenzen von 1937 in politische Karten zu dekretieren).

Der Grundlagenvertrag gilt nur als Voraussetzung für normale völkerrechtliche Beziehungen und beinhaltet eine Absage an die Hallstein-Doktrin. Eine Klage der CSU gegen den Vertrag führt 1973 zu einem Grundsatzurteil, das weitgehend revanchistische Positionen festschrieb, sie aber in Einklang mit der neuen Ostpolitik bringt.

12/1973: Prager Vertrag mit der CSSR, der das Münchner Abkommen als “nichtig” bezeichnet und Voraussetzungen für normale Beziehungen BRD/CSSR schafft.

Pikant und auslegungsbedürftig ist die Formulierung des Artikels 1, der auch in der Tat von verschiedenen Kreisen verschieden ausgelegt wurde:

Die Bundesrepublik Deutschland und die Tschechoslowakische Sozialistische Republik betrachten das Münchener Abkommen vom 29. September 1938 im Hinblick auf ihre gegenseitigen Beziehungen nach Maßgabe dieses Vertrages als nichtig.

Hieraus lässt sich durchaus lesen, dass im Falle des Bruches des Vertrages oder im Falle einer Änderung der Staatsform der CSSR die Frage der Gültigkeit des Münchner Abkommens neu gestellt werden kann – wie überhaupt alle sogenannten Ostverträge peinlich genau darauf bedacht sind, den revanchistischen Positionen alle möglichen Schlupflöcher zu lassen und jegliche Entschädigungs- und Reparationsforderungen abzuwehren.

All diese Verträge sind auch eine Voraussetzung für den Beitritt der DDR und der BRD in die UNO im Jahr 1973.

Schließlich unterschreibt die dritte sozialliberale Koalition unter Schmidt (SPD) 1975 die Schlussakte der Helsinki-“Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa” (seit 1995: OSZE). Das ist eine völkerrechtlich nicht bindende politische Absichtserklärung, die die Nachkriegsgrenzen für unverletzlich erklärt und eine Art friedliche Koexistenz fixiert, aber auch einen Menschenrechtskanon einflicht, auf den sich seither insbesondere antisowjetische Dissidenten beriefen. Insofern war die Schlussakte ein waschechtes Kompromisspapier zwischen Imperialismus und Sozialismus. Und bekanntlich wusste der Imperialismus mit dem Kompromiss geschickter umzugehen als der Sozialismus.

Die Bedeutung der KSZE sank dann auch nach 1990 rapide, und die heutige OSZE ist nurmehr ein untergeordnetes Instrument des Imperialismus zur Abwägung von Konfrontation und Interessenausgleich mit Russland.

Derweil ist die Bundeswehr seit etwa 1965 bei ihrer Sollstärke von knapp 500.000 Mann (nur Streitkräfte, Verwaltung nicht eingeschlossen) angelangt, die bis 1990 aufrechterhalten bleibt, und beteiligt sich im Zeitraum 1971-1989 an mindestens 70 Auslandseinsätzen.

4.3. Zur Außenpolitik der schwarzen Reaktion in den 70er Jahren

Es folgen einige Stichpunkte zu der interessanten Frage, was über massive Bundeswehreinsätze im Ausland hinaus außen- und “sicherheits”-politisch unter einer sozial-liberalen Koalitionsregierung in der BRD alles möglich ist.

Zuerst zu nennen ist hier die Haltung der BRD zum Putsch gegen die Volksfrontregierung in Chile 1973, der mit allen nur erdenklichen ökonomischen und geheimdienstlichen Mitteln unterstützt wurde, was zu den sonnigsten Beziehungen mit dem Faschisten Pinochet führte.

Aus der Niederlage der USA in Vietnam ziehen vor allem sozialdemokratische Politiker kaum internationalistisch zu nennende Schlussfolgerungen, wenn sie, auf den sozialen Inhalt des Vietnamkriegs gehörig pfeifend, zusehends den offenen Antiamerikanismus für sich und ihren Hauptfreund, die eigene Bourgeoisie, entdecken.

Neben der Bundesregierung entfaltet das Land Bayern verstärkt seit 1970 eine Außenpolitik der eigenen Art.

1976 trifft Strauß in München mit dem ehemaligen portugiesischen Präsidenten António de Spínola (“Demokratische Befreiungsbewegung Portugals” – MDLP) zusammen. Strauß bestätigt hinterher, dass dabei über ein Asyl für Spínola in Bayern verhandelt worden sei. Spínola selbst behauptete, er habe mit Strauß über seine Putsch-Pläne in Portugal geredet. 1977 trifft Strauß in Madrid mit Vertretern der faschistischen “Volksallianz” (AP) zusammen. 1977 trifft Strauß in Rom mit Senator Mario Tedeschi von der faschistischen “Nationalen Demokratie” (DN) zusammen. 1978 versucht Strauß auf einer Reise nach Syrien und Jordanien, Kontakt zu Vertretern von al-Fatah herzustellen, um ein Treffen mit Yassir Arafat zu arrangieren. 1978 trifft Strauß mit Alparslan Türkeş, dem Führer der türkischen “Partei der nationalistischen Bewegung” (MHP), zusammen.8

Beste Beziehungen unterhält die CSU unter Strauß zur griechischen Militärjunta (Strauß im Spiegel: “Die griechische Drachme ist heute die stabilste Währung der Welt.”)

Dem BND gelingt seit 1979 der Aufbau einer 5. Kolonne in Jugoslawien.

Die deutsche Rüstungsindustrie spielt seit Ende der 1970er Jahre eine wesentliche Rolle bei der Belieferung Libyens und Iraks mit Giftwaffen.

Die BRD ist seit 1980 5.-größter und seit den 90er Jahren 3.-größter Waffenexporteur der Welt.

Schließlich gibt es bereits seit 1980 eine bundesdeutsche Unterstützung der Konterrevolutionäre in Afghanistan.

Die meisten islamistischen Gruppierungen Afghanistans unterhielten in Bonn Büros, und ihre politisch-propagandistischen Aktivitäten wurden großzügig finanziert.9

Die weltpolitische Positionierung der BRD in den 70er Jahren zeigt somit vor allem, dass eine sozialdemokratische Regierung die besondere Aggressivität des deutschen Imperialismus keineswegs lindert, sondern sie nur einerseits mit einem scheinbar menschlicheren Antlitz zu tarnen und jedenfalls mit stilleren Filzlatschen auszustatten weiß, andererseits der völkischen, profaschistischen Wühlarbeit der schwarz-braunen Rotten des deutschen Imperialismus keinen Riegel vorschiebt.

5. Ausblick

Für die 1980er Jahre wird eine Geschichte des deutschen Militarismus die annexionistische Offensive der Regierung Kohl seit 1982 hervorzuheben haben. Kohl poltert ziemlich sofort los und gibt neue Wiedervereinigungsplanspiele in Auftrag und Erklärungen zur Überwindung der deutschen Teilung am laufenden Band von sich, während die SPD nur in Antiamerikanismus zu machen weiß und sich eine Friedensbewegung gegen Großmacht-Raketen zusammenschiebt, die ihren Antisowjetismus durch Antiamerikanismus würdig zu ergänzen weiß (“Gegen NATO-Doppelbeschluss” etc.)

Zu vergleichen wären die sogenannten Traditionserlasse 1965 und 1982. Das “Infoportal (1982)” macht hierauf mit folgender Notiz neugierig:

Die neuen “Traditionsrichtlinien” der westdeutschen Bundeswehr treten in Kraft. Der Abgeordnete Manfred Wörner (CDU) erklärt, der Erlass beschmutze den “Ehrenschild der Wehrmacht”.

Der Erlass hindert das “Verteidigungs”-Ministerium nicht, in einer Broschüre „Wegweiser durch die Bundeswehr“ von 1983 zu schreiben:

Im Frieden hat die Bundeswehr den Auftrag, […] einen Gegner abzuschrecken, militärische Gewalt anzudrohen oder anzuwenden.

1985 trifft Kohl Reagan auf dem Soldatenfriedhof in Bitburg, auf dem auch SS-Leute begraben sind.

Seit 1986 arbeitet der deutsche Imperialismus zusehends erfolgreich an der Militarisierung der EG.

Mit der Annexion der DDR ab 1989 tritt der deutsche Imperialismus in eine neue Etappe, die gesondert zu betrachten wäre. Die Annexion der DDR bringt etwa die Überstülpung des westdeutschen Beamtenapparates, die widerspruchsvolle Annexion der NVA und die Ausweidung und Verscherbelung ihrer Bestände an bedürftige Reaktionäre aller Länder mit sich.

6. Vorschau: Europa- und EU-Strategien. Rechtliches zur EU-Militärpolitik

Insgesamt dienen ungefähr 1,825 Mio. Soldaten in den Armeen der EU-Mitgliedsländer. Theoretisch ist das nach der chinesischen Armee die größte Armee der Welt. Das sind 0,36 % der Bevölkerung, in China hingegen nur 0,17%.10

Das EU-BIP ist das größte der Welt. Die EU-Staaten haben die USA in Rüstungsexporten überholt. Die EU finanziert zu 40% die UNO, entsendet aber nur 5% der Truppen. (Ökonomischer Riese als politischer Zwerg.)

Neben der Eingebundenheit in die NATO und UNO bastelt die BRD seit spätestens 1986 an einer militärischen Konkurrenz-Bündnisorganisation im Rahmen der EG/EU.

Vorher schon hatten vor allem solche “weichen” Instrumente wie der “Euroregionalismus” zur Aufweichung der Grenzen ihre Rolle gespielt. So entstanden bis 1978 drei sogenannte “Europaregionen”, die Teile der Niederlande einschließen.

1986 erfolgt mit der “Einheitlichen Europäischen Akte” eine erste vorsichtige Absichtserklärung zur Schaffung einer EG-Außenpolitik inklusive Sicherheitsaspekten, der jedoch nur bilaterale Kungeleien BRD/Frankreich folgen. Eine Deutsch-Französische Brigade wird 1988-89 gegründet, die noch vor 1992 zur Bildung eines “Eurokorps” führt.

1992 ist das Jahr des Vertrags von Maastricht, an dem deutsche Juristen schon feilten, als die DDR noch nicht via Annexion auch der EG zwangs-einverleibt wurde (was in der gloriosen EG-/EU-Erweiterungsgeschichte nicht eigens erwähnt wird). Im Vertrag von Maastricht ist als eine von drei tragenden Säulen der EU die “Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik” (GASP) festgeschrieben.

Über den Umweg der Reaktivierung der 1954 gegründeten und weitgehend bedeutungslosen Westeuropäischen Union (WEU) – eines militärischen Beistandspaktes der europäischen NATO-Mitglieder und der BRD, um die BRD an Frankreich vorbei in die NATO hieven zu können – wurden im Laufe der 1990er Jahre nach den rechtlichen auch die institutionellen Bedingungen für eine EU-Militärpolitik geschaffen.

In der Petersberg-Erklärung der Minister der WEU-Länder vom Juni 1992 erklären sich jene bereit, militärische Funktionen für die EU auszuüben, wobei die Erklärung auch von “Kampfeinsätzen” spricht und damit weiter geht als die bisherigen Dokumente der NATO und WEU.

Sanktioniert wurde die Verkoppelung von EU und WEU im Vertrag von Amsterdam 1997, der auch rüstungspolitische Zusammenarbeit von den EU-Staaten fordert.

Der Jugoslawienkrieg lässt die Schröder-Regierung auf eine raschere Militarisierung der EU drängen. Im Europäischen Rat wird 12/1999 ein Papier verabschiedet, in dem es heißt:

Spätestens 2003 müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen der freiwilligen Zusammenarbeit bei EU-geführten Operationen in der Lage sein, binnen 60 Tagen Streitkräfte von 50-60.000 Personen, die imstande sind, den Petersberger Aufgaben [siehe: Kampfhandlungen] in ihrer ganzen Bandbreite gerecht zu werden, zu verlegen und dafür zu sorgen, dass diese Kräfte für mindestens ein Jahr im Einsatz gehalten werden können.11

Außerdem wird die Führungsstruktur der EU-Militärunion – Militärstab, Militärausschuss und Sicherheitspolitisches Kommitee – bis 2000 geschaffen.

Im Vertrag von Nizza wird dann die Rechtshülse WEU abgelegt. Als einige Länder darüber maulten und den Vertrag nicht ratifizieren wollten, sammelte die BRD “Erklärungen zur Einsatzbereitschaft” von den einzelnen Ländern und erhöhte so den Druck auf die Maulenden.

2003: EU-Sicherheitsstrategie vom Europäischen Rat.

2004: EU-Verteidigungsminister konzipieren battle groups. 2003-2007: EU-Verfassung (gescheitert).

2007: Vertrag von Lissabon, schreibt Ländern Rüstungskontingente vor etc. Battle groups und deutsch-französische Kriegseinsätze unter anderem im Kongo und in Ex-Jugoslawien.


  1. P. Köhler u.a.: Polizei der BRD – Polizei der Monopole, Militärverlag der DDR, Berlin 1971, S.334. In einer Reihe beim Militärverlag der DDR erschienen. Einen guten Überblick über die Bundeswehr gibt aus der nämlichen Reihe Siegfried Zeimer/Albrecht Charisius u.a.: “Bundeswehr – Armee für den Krieg”, ebenda, 1969 

  2. Infoportal Deutscher Imperialismus, 1989. http://deutscher-imperialismus.fdj.de/ 

  3. Polizei der BRD – Polizei der Monopole, S.338 

  4. Polizei der BRD – Polizei der Monopole, S.345 

  5. Polizei der BRD – Polizei der Monopole, S.350 

  6. Polizei der BRD – Polizei der Monopole, S.351 

  7. Wilhelm Ersil: Außenpolitik der BRD 1949-1969, Staatsverlag der DDR, Berlin 1986, S.264 

  8. Infoportal Deutscher Imperialismus, 1976-78. http://deutscher-imperialismus.fdj.de/ 

  9. Infoportal Deutscher Imperialismus, 1984. http://deutscher-imperialismus.fdj.de/ 

  10. Gregor Schirmer: Der Aufstieg der EU zur Militärmacht, spotless Verlag, Berlin 2012, S.3 

  11. Schirmer, S.80