Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Spaltung der Kämpfe gegen Faschismus und Krieg

Beginn einer trivialideologischen Fährtensuche

Unter imperialistischen Bedingungen sind Faschismus und Krieg Mittel und Zweck. Sie sind mithin Brüder. Wer nur einen von beiden draußen halten will, dem treten sie beide die Tür ein. Und so bekommt jeder auch das, was er abwägend vermeiden wollte, der bürgerliche Demokrat den Faschismus und der Friedensfreund den Krieg.

Die Erkenntnis dieses notwendigen Zusammenhangs war für die kommunistische Weltbewegung in ihrer antifaschistischen Etappe so selbstverständlich und zentral, daß Georgi Dimitroff 1935 in seinem Bericht auf dem VII. Weltkongreß der Kommunistischen Internationale als Bedingung für die proletarische Einheitsfront als Grundlage des antifaschistischen Kampfes folgendes formuliert hat: „Die Kommunistische Internationale stellt für die Aktionseinheit keinerlei Bedingungen, mit Ausnahme einer einzigen, elementaren, für alle Arbeiter annehmbaren Bedingung, und zwar, daß die Aktionseinheit sich gegen den Faschismus, gegen die Offensive des Kapitals, gegen die Kriegsgefahr, gegen den Klassenfeind richtet.“1

Wer das häufig zweifelhafte Vergnügen hat, insbesondere seit Februar 2022 in praktischer politischer Arbeit gegen Faschismus und Krieg zu stehen, kann täglich sehen, wie wenig das Bewußtsein dieses Zusammenhangs von Faschismus und imperialistischem Krieg selbstverständlich ist, ja, wie exponiert jede Position ist, die von dieser Verbindung als Selbstverständlichkeit ausgeht. Krieg und Faschismus werden geradezu Gegenthemen: wer gegen den imperialistischen Stellvertreterkrieg gegen Rußland in der Ukraine auftritt, ist plötzlich „rechts“; umgekehrt erscheint eine faschistische Partei plötzlich als bündnisfähig im „Friedenskampf“. Hinzu kommt, daß identifizierbare Bestandteile einer sich als „links“ verstehenden Szene in merklichem Umfang als vorauseilender alternativer Vollstrecker der Staatsräson auftreten. Dies mag für große Städte wie Berlin oder Hamburg geringere Bedeutung haben; in Städten einer „politischen Mittelgröße“ wie Göttingen können 15-20 Leute, die sich von A nach B bewegen, für die Durchführbarkeit – oder besser Nicht-Durchführbarkeit – einer politischen Veranstaltung ausschlaggebend sein und dabei objektive „Verbote“ bewirken können, zu denen der Klassenfeind selbst sich die Mittel noch nicht geschaffen hat. In gesunderen Zeiten haben wir dies umgekehrt durchaus positiv im demokratisch-antifaschistischen Sinne anwenden können.

Nun ist im Org.-Kollektiv bei der Vorbereitung dieser Konferenz die Frage aufgetaucht, ob es sich bei der Spaltung und Gegeneinanderstellung der Kämpfe gegen Faschismus und Krieg um ein entwickeltes Komplott des Klassenfeinds handelt, oder ob dies aus der Schwäche der kommunistischen Bewegung gewissermaßen von selbst passiert. Vermutlich stimmt beides nicht oder besser, beides stimmt gleichzeitig. Die Frage ist insofern praktisch müßig, als daß wir nur éine Stellschraube haben, diesen Zustand zu unseren Gunsten zu verbessern, und diese Stellschraube liegt auf unserer Seite; die strategische Option des Klassenfeinds zielt statisch lediglich auf die Verlängerung des Zustands der Unaufgeklärtheit. Marx drückt das in einem Brief an Kugelmann 1868 so aus: „Mit der Einsicht in den Zusammenhang stürzt, vor dem praktischen Zusammensturz, aller theoretische Glauben in die permanente Notwendigkeit der bestehenden Zustände. Es ist also hier absolutes Interesse der herrschenden Klassen, die gedankenlose Konfusion zu verewigen.“2

Es bleibt aber dabei, daß die Konfusion seit Dimitroffs KI-Referat zugenommen hat, sich mithin der Klassenfeind in einer Offensive befindet. So strategisch statisch also der Klassenfeind auch nur zu handeln hat, taktisch setzt die Verewigung der gedankenlosen Konfusion allerdings einige Beweglichkeit voraus. Und so ist das diesem Referat zugrundelegende Problem durchaus komplex, indem sich verschiedene Ursachen und Wirkungen überkreuzen und folgerichtig verknäulen. Es würde den Umfang und die Möglichkeiten dieses Referats erheblich überschreiten, hier in größerem Umfang etwa konkreten personellen Strippenziehereien nachzugehen. Ich werde ausgänglich von Beispielen vornehmlich aus dem eigenen Erleben zurückgreifen, wobei einstweilen offenbleiben muß, wer in welchem Umfang gezogen wird oder hinsinkt. Die Gewichtung ist dabei notwendig subjektiv, die Reihenfolge nicht chronologisch, die Reflexion abhängig von der gegebenen aktualen politischen Situation: Im Einzelfall bezog dies auch eine personenbezogene Recherche ein, die sich für das Thema des Referats als sehr erhellend erwies; sie wird hier nicht verschwiegen werden. Die Schlußfolgerungen des Referats bleiben notwendig hypothetisch.

Beispiel 1), ein Vorgriff in der Nußschale: Göttingen während des Corona-Regimes. Zu den Protesten der sich selbst so nennenden „Querdenker“ – vulgo „Schwurbler“ – rufen bekannte faschistische Regional-Größen auf. An den Gegenprotesten beteiligt sich mein Marxistischer Lesekreis mit einem Redebeitrag, der das Thema als Klassenfrage auffaßt.3 Dies wird erkennbar eine marginalisierte Position: Man hört die skandierte Parole „Wir impfen euch alle!“; die lokale Presse berichtet über eine Konfrontation von „Maßnahmengegnern“ und „Maßnahmenbefürwortern“, eine Zuschreibung, die offenbar nur uns stört, denn diese Konstellationen wiederholen sich unter „linker“ Beteiligung auf der Seite der herrschenden Ordnung in unregelmäßigen Abständen. Was hängen bleibt: Die aufgeklärte Vernunft und der Antifaschismus sind auf der Seite der Macht, die politische „Linke“ als ihr Deputy.

Drei Beispiele, die nahe beieinander liegen:

2) Eine DKP-Gruppensitzung zum Thema „BSW“. Eine von einem älteren Genossen – nach ausführlicher Erörterung der repressiven BSW-Migrationspolitik – geäußerte Position: Eine Unterstützung des BSW sei schon gerechtfertigt durch die Friedensfrage; der Erhalt des Friedens sei Bedingung für alles andere, denn ein Krieg setze den Fortbestand der zivilisierten Menschheit aufs Spiel (mit Verweis auf einen Marburger Emeritus).

3) Auf dem 2. Kommunismus-Kongreß der KO (Frankfurt) sortiert der Vorsitzende des Freidenkerverbandes die politischen Parteien von rechts nach links nach ihrer Haltung zum Frieden im Ukrainekonflikt ein: Die Grünen landen folglich ganz rechts, die AfD schon fast links.

4) Im Bundestagsvorwahlkampf erreicht mich über den Mailverteiler einer Chemnitzer Friedensaktivistin und langjährigem PdL-Mitglied (ob noch, weiß ich nicht) ein Aufruf, die AfD zu wählen, als die Partei, die die Bedeutung Rußlands für Frieden und Wohlstand in Deutschland am besten verstanden habe. Den Sozialismus habe die Arbeiterklasse 1989 nicht mehr haben wollen, das seien dann also die logischen Konsequenzen.

Andersherum 5): Eine Veranstaltung der KPF in Göttingen, tatsächlich zufällig am 1. Jahrestag der russischen militärischen Spezialoperation, die den Faschismus in der Ukraine und den Charakter des Kiewer Regimes thematisierte, sollte gestört werden durch Angehörige aus dem autonom-antifaschistischen Spektrum. Dies unterblieb nur deshalb, weil sich herumgesprochen hatte, daß die Veranstalter auf dergleichen und Schlimmeres vorbereitet sein würden, die Störung also für die Störer selbst ein tränenreiches Unterfangen werden würde.

In einer ähnliche Konstellation 6): Eine Veranstaltung in Göttingen, auf der ehemalige Mitglieder der vom nordrheinwestfälischen Innenministerium verbotenen Palästina-Solidarität Duisburg über ihre Repression berichteten, wurde durch einen kleinen, aber wortreichen Protest begleitet, aus dem u.a. geäußert wurde: „Gleich gehen eure Pager hoch!“ sowie „1933 trugen die Nazis Hakenkreuzbinden, heute tragen sie Kufiyah.“ Wichtiger fand ich die ausdrückliche positive Würdigung der repressiven Maßnahmen der rechten Düsseldorfer Regierung sowie den damit verbundenen Vorstoß, mit dieser Veranstaltung würde gegen das Fortführungsverbot einer illegalen Organisation verstoßen. Entsprechendes Vorstelligwerden beim niedersächsischen Innenministerium und beim Landtag wurde angekündigt. Für unseren Gegenstand ist noch von Belang, daß der Palästina-Solidarität bezüglich der Ereignisse vom 7. Oktober 2023 pauschal der Vorwurf der ‘Kontextualisierung’ gemacht wird, die unzulässig sei. Großer Wortführer dieser Gegenveranstaltung war im übrigen ein früherer Teilnehmer dieser Konferenzen: der deutsche Imperialismus wird vom Hauptfeind zum Herrchen!

7) das Antifagedenken in Buchenwald: Am ersten Befreiungstag nach dem Beginn des Ukrainekriegs erlebten wir neben der Beschallung mit imperialistischer Kriegspropaganda durch Herrn Prof. Dr. Jens-Christian Wagner das beispiellose Nicht-Zeigen der russischen Flagge sowie den willkürlichen Austausch der belarussischen Flagge durch eine historisch obsolete. Dieser Bruch mit den gewachsenen Beflaggungsmodalitäten – gezeigt wurden traditionell die aktuellen Flaggen der Herkunftsländer der ehemaligen Lagerhäftlinge –, wurde in der Folge insofern beseitigt, daß in der Hausordnung durch Wagner & Co. auf dem gesamten Gelände der Gedenkstätte ein generelles Verbot aller Flaggen und Transparente jenseits der „Traditionsfahnen der Überlebendenverbände“ festgeschrieben wurde.4 Dies stellt die gesamte Erinnerung an den politischen Charakter dieses Nazilagers und an den hauptsächlich kommunistischen Widerstand und die Selbstbefreiung ins Unsichtbare. Antikommunismus wird Bedingung für das erlaubte Antifagedenken unter der Fuchtel des deutschen Imperialismus im Krieg. Bedenklich ist das teilweise Sekundieren hierbei durch die Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora; falsch ist, daß von den Kommunisten insbesondere am Befreiungstag nicht die gemeinsame offene Konfrontation mit diesem Regime gesucht wird, sondern eine Gewohnheit des Abbettelns von Ausnahmen etabliert wird. In diesem Jahr des 80. Jahrestags der Befreiung wird dieses kapitulatorische Verhalten die Möglichkeiten selbständigen Auftretens für lange Zeit verschlossen haben.

Das für mich aufschlußreichste Beispiel 8) sind die Vorgänge, die zur imperialistischen Domestizierung des Göttinger Bündnisses gegen Rechts geführt haben, allein schon weil ich hier unmittelbar Beteiligter und Zeuge des zugrundeliegenden ideologischen Zusammenstoßes war. Dies ist auch das Beispiel, in dem eine personenbezogene Recherche unmittelbar geboten und erhellend war. Göttingen ist ein regelmäßig intendierter Aufmarschort der bundesweiten „Querdenker“-Szene geworden; bei den ebenso regelmäßigen Gegendemos und Blockaden ist mehr oder minder das gesamte mobile, sich als antifaschistisch-demokratisch verstehende Volk auf der Straße. Zentrale Funktion hat hierbei das DGB-initiierte Bündnis gegen Rechts. Im Frühjahr 2023 (die „Querdenker“ hatten mit einem „Friedens“-Thema mobilisiert) wurde von der Leitung des Bündnisses eingefordert, daß auf den Gegenprotesten nur noch Parolen sichtbar sein sollten, die konsensfähig wären; konkret, daß solche gegen die Kriegstreiberpolitik der Ampelregierung sich richtende zu unterbleiben hätten. Die Diskussion darüber wurde sehr schnell nicht zur Sache und ihrer möglichen Berechtigung, sondern emotional mit wirklich bühnenreifen Leistungen geführt. Da Göttingen ein nicht unbedeutender Übungsflugplatz für bundespolitisch Ambitionierte ist, muß die den Grünen-Stadtverband vertretende non-binäre Person Ezra Rudolph erwähnt werden, die hier wirklich auf hohem und karrieristisch vielversprechendem Niveau, wenn nicht alle, doch sehr viele Register gezogen hat, bis hin zu Schluchzen und Tränen: Wie traurig sie sei, daß „selbst hier“ „Verschwörungs-Narrative“ geglaubt würden, und wie man denn dann zusammen, und sie würde doch so gern mit allen usw. Es ging also nicht ein einziges Mal etwa darum, ob das Kiewer Regime faschistisch oder etwas anderes sein könnte oder ob der Krieg vom Westen provoziert sein könnte oder nicht – nein, nein! – sondern lediglich darum, in welchen – und wessen! – argumentativen Kontext bestimmte Forderungen und Parolen gehören: und dies schön dichotom: in den von „uns“ oder in den von „denen“. Die Folgeereignisse waren absehbar: schön entpolitisierte professionelle Mediation für schlappe 720 Mücken + Fahrtkosten und gut sozialdemokratisches Säubern des Bündnis-Mailverteilers auch von Gründungsmitgliedern des Bündnisses, das jetzt nicht nur ohne etwa KPF oder Leserini junge Welt, sondern auch ohne Friedensforum oder VVN läuft – wohlgemerkt ein „Bündnis gegen Rechts“! Und Ezra Rudolph tritt in den regionalen Medien nun als dessen Sprecher auf. Nach dieser Säuberung ist NB nicht nur die Thematisierung des Krieges aus der Agitation und Propaganda des sich als antifaschistisch verstehenden Bündnisses entfernt, sondern auch die der rassistischen Repressions- und Abschiebepolitik des Klassenfeinds in der lokalen Praxis der Stadt Göttingen. – Daß wir diese Spaltung nicht als Vorlage für ein alternatives Bündnis benutzt haben, ist sträflich, steht aber auf einem anderen Blatt.

Erhellend war allerdings die aus strategischem Planungsinteresse durchgeführte Recherche zu der hier aufschlagenden Person Ezra Rudolph: als Master of Education Lehrende am Seminar für Mittlere und Neue Geschichte der Uni Göttingen und 2023 f. Visiting Doctoral Research Fellow am German Historical Institute in Washington DC;5 auf LinkedIn gab sie seinerzeit als Profession „Evidence-based storyteller“ an, was mir zunächst kryptisch war. Bei der Recherche bezüglich dieser Profession stieß ich u. a. auf die Seite eines an der Indiana University Indianapolis beheimateten „National Institute for Learning Outcomes Assessment“, die als Produkt hier in schwer adäquat zu übersetzendem modischen Formel-Englisch folgendes in Aussicht stellt: „Evidence-based storytelling, informed by the NILOA Transparency Framework, offers an innovative strategy to help institutions meet current accountability and transparency demands.“6 Ein hier ebenfalls zu findendes Toolkit wird in der Sache konkreter: „Building a Narrative via Evidence-Based Storytelling“,7 es geht also um die gezielte und professionelle Herstellung von glaubwürdigen und institutionell nützlichen „Narrativen“, wie auch immer dies in der konkreten schulischen Verknüpfung in der Praxis von Ezra Rudolph aussehen mag. Auf die theoretischen Implikationen werde ich in der Diskussion der allen Beispielen zugrundeliegenden theoretischen Fehler zurückkommen.

Zunächst ist das Verständnis der theoretischen Fehler, die den Beispielen 2-4 zugrundeliegen – die Vorrang- und somit letztlich Alleinstellung der Friedensfrage –, m.E. relativ banal. Pit Simons hat diesen Gegenstand unter dem Titel „Zur Dialektik von Krieg und Revolution“ auf der digitalen HFK 2021 ausführlich behandelt.8 Für uns ist in diesem Zusammenhang bedeutsam, daß in einer theoretischen Linie Clausewitz-Lenin-Mao der Krieg nur in einem dialektischen Abhängigkeitsverhältnis zu der ihn hervorbringenden Politik zu verstehen ist; wenn Clausewitz konstatiert, „daß der Krieg nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln“9, so formuliert Mao das gesamte Gewaltverhältnis von Politik und Krieg wie folgt: „Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“10 Krieg ist also nur zu bekämpfen als Kampf gegen die ihm zugrundeliegende Politik des Klassenfeinds.

Die Fetischisierung der Friedensfrage beruht hingegen auf einer Ersetzung der Dialektik von Politik und Krieg durch eine einfache wechselseitig negierende Abfolge der Begriffe ‘Krieg’ und ‘Frieden’, die – mit oder ohne Berufung auf einen sozialdemokratischen ehem. Bundeskanzler und Friedensnobelpreisträger11 – wie eine antriebslose Fahrradkette von nichts kommt und zu nichts führt. Engels charakterisiert diese Art undialektischer Negationsketten im Anti-Dühring treffend so: „Es ist aber klar, daß bei einer Negationsnegierung, die in der kindischen Beschäftigung besteht, a abwechselnd zu setzen und wieder auszustreichen, oder von einer Rose abwechselnd zu behaupten, sie sei eine Rose und sie sei keine Rose, nichts herauskommt als die Albernheit dessen, der solche langweilige Prozeduren vornimmt. Und doch möchten die Metaphysiker uns weismachen, wenn wir einmal die Negation der Negation vollziehn wollten, dann sei das die richtige Art.“12

Materiell angestoßen ist diese Aufgabe eines Klassenstandpunkts nach Art eines religiösen Pazifismus sicher auch durch die Wahrnehmung des unbestritten hohen Destruktionspotentials von Nuklearwaffen und der Oktoberkrise 1962; ideologisch gehört sie aber genauso sicher in den Bestand des Chruschtschow-Revisionismus mit seiner Interpretation der Formel der „friedlichen Koexistenz“ und die Gorbatschow-Konterrevolution, die diese Tendenz zum kapitulatorischen Abschluß brachte.13

Diffiziler, da vielschichtiger, ist die Fährtensuche hinsichtlich der Beispiele 5-8 – die der Liquidierung von Antikriegs- und weiteren linken Essentials unter dem Siegel eines staatstragenden „Antifaschismus.“ Wenn sie auch ihren Zenit überschritten hat, muß hier eine diffuse Strömung berücksichtigt werden, die sich ab der Konterrevolution von Westdeutschland aus ausbreitete, die sich selbst als „Antideutsche“ titulierte,14 und die bei den Beispielen 5 und 6 (Ukraine und Palästina-Solidarität) deutlich durchscheint. Auch wenn die Argumentationen früher herausragender Vertreter als nicht mehr zu bewerten sind als Ideologisierungen ihres individuellen Kapitulantentums (siehe auch das Beispiel unserer Göttinger Ex-Genossen), lassen sich dennoch allgemeine Muster erkennen, die auf einfachen Gleichsetzungen und einfachen Negationen beruhen: Ausgangspunkt ist die korrekte Wahrnehmung des Erstarken des deutschen Imperialismus’ im Zuge der großen Konterrevolution (1989-90) und die falsche der breiten, aber imperialistisch geführten Kriegskonstellation im 2. Golfkrieg / 1. Irak-Krieg (1990-91). Dies führte in der „antideutschen“ Argumentation zu folgenden Gleichsetzungen – ich fasse es polemisch kurz, denn eine bessere Behandlung verdient es nicht: Deutschland = ehem. indirekter Waffenhelfer des irakischen Regimes und nicht aktiver Teilnehmer des Krieges (was beides stimmt, aber nicht ursächlich zusammenhängt); Saddam Hussein = 2. Hitler; antiirakische Kriegskoalition = (West-)Alliierte des 2. Weltkriegs; Israel = Judenheit, daraus folgend in einfacher Negation: Gegnerschaft zum Zionismus = Antisemitismus; Palästinenser = Nazis; Antikriegspolitik = Pro-Saddam = prodeutsch = Nazitum; Antiimperialismus = Antiamerikanismus = Nazitum; und mit leichter Hand auch – bis in die Gegenwart hoch virulent –: Ossi = Nazi.

Damit ist bei einer Gegnerschaft zum deutschen Imperialismus der Imperialismus bereits nicht mehr Thema der Auseinandersetzung, sondern lediglich das nach Belieben zu bestimmende Etikett „deutsch“. Auch der deutsche Faschismus ist hier nicht mehr Produkt von rational beschreibbarem Klassenverhalten, sondern er ist ein auf dunkle Weise dem Sauerkraut Entstiegenes. Ich habe bereits damals argumentiert: Dies ist eine Wiederherstellung der Idee der Volksgemeinschaft unter umgekehrten Vorzeichen. Weder aus der Perspektive der Arbeiterklasse noch aus der unterdrückter Minderheiten oder gar abhängiger Länder ist mit dergleichen Theoretikasterei produktiv zu arbeiten. Ein solch krudes Weltbild kann vor einer kohärenten Wirklichkeit zudem nicht konsistent bleiben, die Vorzeichen der Zuschreibungen müssen also notwendig flimmern. – Es ist also weder überraschend, daß diese Strömung mit Jürgen Elsässer einen späteren rassistischen Hetzer gegen Migration und „Islamisierung“ hervorbringen konnte, noch daß aktuelle Vertreter – unter einem antifaschistischen Label – die vehementesten Verteidiger und Propagandisten der Staatsraison des deutschen Imperialismus in der Ukraine und in Palästina stellen. Dies ist also letztlich noch nicht einmal mehr „anti“ in Bezug auf „deutsch“ – wie auch immer dieses zu bestimmen wäre – , sondern nur noch „anti“ in Bezug auf logische Stringenz, Aufklärung und gesellschaftlichen Fortschritt. Gleichwohl ist dieser militante Mumpitz gesellschaftlich immer noch reproduktionsfähig und wirksam. Warum?

Hier kommt ein zentraler – ich meine: der zentrale – ideologische Großangriff des Klassenfeinds zum Tragen – der Postmodernismus –,15 der ab Ende der 1970er Jahre formuliert und im Zusammenhang mit der großen Konterrevolution durchgesetzt16 und trivialideologisch verallgemeinert werden konnte. Zunächst tritt diese Strömung als eine Reaktion auf ein mechanisches und undialektisches Fortschrittsverständnis auf, das aber ebenso undialektisch negiert wird: nämlich als Negation eines ganzheitlichen Begriffs von ‘Wirklichkeit’ hin zu seiner pluralistischen Auflösung; zwar ist wie im dialektischen Denken der Widerspruch ebenso grundlegend, aber er bleibt unauflöslich; er ist nicht Element der Bewegung wie bei Hegel oder im Marxismus, denn Bewegung kann es unter den Bedingungen der beliebigen Erzeugbarkeit von selbstbezüglichen Zusammenschauen letztlich nicht mehr geben. Die Vorstellung vom „Ende der Geschichte“ in der großen Konterrevolution kam nicht von ungefähr.

Der französische Philosoph und wichtige Vertreter dieser Strömung Jean-François Lyotard formuliert in seiner Programmschrift „Das postmoderne Wissen“ die Ablösung eines Begriffs ‘Wissen’ von einem wissenschaftlichen, ja selbst empirischen Bezug zu einer materiellen Wirklichkeit ganz explizit selbst so: „Wissen im allgemeinen reduziert sich nicht auf Wissenschaft, nicht einmal auf Erkenntnis.“17 In diesem Zusammenhang, der auf den erzählenden Charakter „traditionellen Wissens“ rekurriert, hat auch der Begriff des ‘Narrativs’ seinen Ausgangspunkt, der in den letzten Jahrzehnten geradezu zu einem postmodernistischen trivialideologischen Seezeichen geworden ist: Wir reden nicht mehr über eine ganzheitlich-zusammenhängende Wirklichkeit – dies gilt als totalitär –, sondern darüber, was man sich über „Wirklichkeiten“ „erzählt“.

Werner Seppmann charakterisiert die gesellschaftspolitischen Implikationen so: „Nicht der soziale Zusammenhang ist nach den Maximen des Postmodernismus der relevante Bezugspunkt zum Verständnis von Wissensformen, Handlungsmustern oder Lebensentwürfen, sondern die Kenntnisnahme ihrer „Unmittelbarkeit“ und ihres realen oder vermeintlichen „Eigensinns“. Im Zentrum der „postmodernen“ Kritik stehen deshalb die „großen Erzählungen“, d.h. das Denken in Zusammenhängen und Kausalitätsbeziehungen, weil sie angeblich das Existenzrecht des einzelnen Moments negieren und „dezentrierte Erfahrungen“ verhindern.“18 Und weiter: „Die affirmative Grundtendenz des Postmodernismus ist die Konsequenz seiner methodischen Positionierung: Die Konzentration auf die „Diskontinuität“ und die Überbewertung des „Besonderen“ sowie die Verabsolutierung von „Wahrnehmung“ und Beschreibung führt zu einer Denkhaltung, die sich mit dem Augenschein zufrieden gibt, nicht nach soziokulturellen Zusammenhängen und den Ursachen der Fremdbestimmung fragt.“19

Wer in den 1990er Jahren eine deutsche Universität besucht hat, wird sich erinnern, daß man eigentlich in keinem humanwissenschaftlichen Fach an der massiven Durchsetzung dieses ideologischen Komplexes vorbeikam. Ich sage extra „Durchsetzung“, denn um eine theoretische Diskussion darüber ging es schon längst nicht mehr, sondern um das Erlernen der fachspezifischen Anwendung. Bereits die materiellen Bedingungen des bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs sind nicht dazu angetan, der immer willkührlich auftretenden Einführung neuer methodischer oder theoretischer Schrullen Widerstand entgegenzusetzen.20 Darüber hinaus muß hier konstatiert werden, daß die explizite Parteinahme des Postmodernismus für Heterogenes, Unterdrücktes und Verleugnetes eine große Anziehungskraft auf sich selbst als „undogmatisch“ verstehende linke Intellektuelle ausgeübt hat21 und auch noch ausübt. Umso gefährlicher ist, daß dieser konterrevolutionäre ideologische Angriff auf die politische Linke – ganz jenseits ihres subjektiven Verständnisses – auch eine Schwächung ihrer antifaschistischen Widerstandskraft beinhaltet, dies allein schon durch die mit dem Faschismus gemeinsamen inhaltlichen Anknüpfungen. Werner Seppmann illustriert dies in der jW vom 4. Januar 2020: „Die Gemeinsamkeiten von postmodernem und faschistoidem Denken bestehen neben der Apologie des Irrationalismus, in der Denunziation von Gleichheitsvorstellungen und der Absage an die Gestaltung gesellschaftlicher Verhältnisse. Wenn im postmodernen Denken davon die Rede ist, dass ein traditionell-kritisches Bestreben, gesellschaftliche und historische Zusammenhänge zu erfassen, eine totalitäre Anmaßung sei, weil es „zu einer gigantischen Implosion allen Sinns, zu einem Überhang an universeller Indifferenz“ gekommen sei *[Wolfgang Welsch: Unsere postmoderne Moderne, Berlin 1993, S. 149], wird daraus die Maxime abgeleitet, statt Strukturanalyse zu betreiben, den Blick auf das isolierte Einzelne und Fragmentarische zu konzentrieren. Genau in diesem Sinne, hat auch Armin Mohler von der Notwendigkeit der Akzeptanz einer unreflektierten Unmittelbarkeit gesprochen, weil durch die Konzentration auf das Singuläre und „Unvermittelte“ angeblich ideologische Vorentscheidungen verhindert würden und es deshalb möglich sei, „sich aus dem Debakel der Allgemeinheiten und der Systeme auf die Existenz zurückzubeziehen“ [Armin Mohler]. / Sowohl das „neurechte“ Denken als auch der Postmodernismus entziehen sich mit dieser Unmittelbarkeit der Notwendigkeit, den gesellschaftlichen Krisenprozessen und Widerspruchsentwicklungen auf ihren Grund zu gehen. In Kombination mit dem Verzicht auf inhaltliche Festlegungen bedeutet diese Disposition vor allem eins: Die Vermeidung einer fundamentalen Kritik am realen Kapitalismus. / Durch die Negationshaltung gegenüber einer methodisch-kritisch reflektierten Gesellschaftstheorie ist es möglich, Widersprüche beliebigen „Ursachen“ zuzurechnen. Innerhalb der rechtspopulistischen Propagandareden werden dann für die Ergebnisse des „Klassenkampfes von oben“ – die sich in einer gravierenden Verringerung des Anteils der Lohnabhängigen am Sozialprodukt, in der Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen mit Löhnen, die nicht zum Leben reichen, oder einer Verfestigung von Armuts- und Ausgrenzungszonen manifestieren – die „Ausländer“ als Arbeitsmarktkonkurrenten verantwortlich gemacht. Beim postmodernistischen Ansatz können in vergleichbarer Weise soziale „Pathologien“ (Gewaltexzesse beispielsweise) und Widerspruchskomplexe wie die Vergrößerung der sozialen Gräben, ohne Berücksichtigung ihrer strukturellen Dimension thematisiert werden. / Die theoretische Destruktionsarbeit wird vom Postmodernismus und dessen „Unterabteilungen“ Poststrukturalismus, Dekonstruktivismus etc. in „mustergültiger“ Weise geleistet, was daran zu erkennen ist, dass auch in linken Kontexten zunehmend von einer Notwendigkeit gesprochen wurde, auf eine Gesamtanalyse gesellschaftlicher Zustandsformen zu verzichten.“*22 – Diese Schwäche des intellektuellen Kleinbürgertums haben wir zu berücksichtigen, wenn wir es taktisch als Verbündeten im antifaschistischen Kampf einplanen wollen, es ist mehr ein ‘postmodernes’ als ein ‘demokratisches’ Kleinbürgertum. Dies ist praktisch weniger bedeutsam in Hinblick auf seine Überläufer nach rechts, wie den Fernseh-Kasper Peter Sloterdijk, als auf solche Beispiele wie das Göttinger Bündnis gegen Rechts.

Weiter zeigt sich aber konkret in der Person Ezra Rudolph eine weitere ideologische Verknüpfung, nämlich die zum – mit dem Postmodernismus ideologisch durchaus verbandelten23 – Pragmatismus, wenn auch nicht explizit der Theorie, so doch ganz sicher der Methode nach: Wenn man unter der Aufgabe materieller Kohärenz alle Sinnzusammenhänge – seien es nun „Narrative“ oder „Kontextualisierungen“ – dekonstruieren kann, kann man auch beliebige neue nach Maßgabe der Zweckdienlichkeit – denn eine andere ist nicht mehr möglich – konstruieren. Die hier wirksam werdende philosophische Schule des Pragmatismus, die bereits in Lenins Schrift „Materialismus und Empiriokritizismus“ kursorisch behandelt wird,24 ist in den 1950er Jahren von dem amerikanischen Philosophen Harry K. Wells einer gründlichen marxistischen Kritik unterzogen worden.25 Die Methode des zweckdienlichen Opportunismus charakterisiert Wells wie folgt: „Als Alternative für die wissenschaftliche Methode bietet der Pragmatismus zweckdienlichen Opportunismus. […] Er ist die Verwendung jeder nur möglichen Mittel, sofern sie zur Erreichung des gewünschten Ziels verhelfen. Ein Mittel ist „gut“, wenn es zum Erfolg verhilft, wenn es „wirkt“; es ist schlecht, wenn es versagt, wenn es nicht „wirkt“. Im Gegensatz zur Wissenschaft, die erklärt, daß eine Idee wirksam ist, wenn sie wahr ist, bringt die pragmatische Methode die Vorstellung, eine Idee sei wahr, wenn sie wirkt. In dem einen Falle bedeutet Wahrheit Übereinstimmung mit der objektiven Realität; nach Auffassung der Wissenschaft ist also eine Idee in dem Maße wirksam, in dem sie die Dinge so widerspiegelt wie sie wirklich sind. Im anderen Falle bedeutet „Wahrheit“ Erfolg; sie ist demnach ein Etikett, das jeder Idee angehängt wird, die im Augenblick zu einem erstrebten Ziel zu führen verspricht. [..] Eine solche Methode eignet sich hervorragend zur Befriedigung der ideologischen Bedürfnisse einer Klasse, die tatsächlich alle nur möglichen Mittel verwendet, die zur Erhaltung und Ausdehnung der Ausbeutung und Unterdrückung erfolgreich zu sein scheinen: […] Der zweckdienliche Opportunismus ist ein wahrheitsgetreues Abbild des Charakters der sterbenden, hoffnungslosen kapitalistischen Klasse. Erkenntnis, Wissenschaft, Prinzipien der Wahrheit und Unwahrheit, der Richtigkeit und Unrichtigkeit können dieser Klasse nicht mehr nützen.“26 Weiter konstatiert Wells, daß der Pragmatismus, wiewohl er politisch zunächst in der Nähe der Sozialdemokratie verortet,27 „eine theoretische Rechtfertigung für die bürgerliche Demokratie wie für den Faschismus liefert“28: „Hier wird deutlich, daß das, was der Pragmatismus als „Wahrheit“ bezeichnet, nur ein anderer Name für das Werturteil gut oder schlecht ist. Die weitere Frage: gut für wen? wird nicht erwähnt, aber wenn der Faschismus für das Finanzkapital gut ist, dann ist er „wahr“, wenn die Theorie von der Rettung der „freien Welt“ vor der „roten Aggression“ für die Wallstreet und die Rüstungsproduzenten gut ist, dann ist sie „wahr“. Charles E. Wilson vertrat diese Lehre: „Was für General Motors gut ist, ist auch fürs Land gut“ und deshalb „wahr““.29

Für trivialideologische Anknüpfungen gilt, daß sie den Anknüpfern keineswegs bewußt sein müssen, um wirksam zu sein. Für den Pragmatismus gilt das umso mehr, als daß er nicht wie der Postmodernismus mit großem medialen Tamtam in den theoretischen Betrieb eingeführt wurde, sondern vielmehr im Zuge der „Westbindung“ der deutschen imperialistischen Philosophie gewissermaßen „eingesickert“ ist. In meinem fachlichen Rahmen – ich bin Philologe einer dialektisierten germanischen Einzelsprache – bestehen die Verbindungen zum Pragmatismus etwa in der Diskursanalyse, in der Semiotik und in der Sprechakttheorie. Der gemeine Studiosus beliebeigen natürlichen wie gesellschaftlichen Geschlechts wird aber über diese theoretischen Zusammenhänge in der Regel nicht aufgeklärt, da er an den Universitäten des Klassenfeinds nicht das Denken, sondern das Anwenden von Vorgedachtem lernen soll.

Georg Lukács konstatiert 1953 im Nachwort seines Werks „Die Zerstörung der Vernunft“, einen auf das Ende des 2. Weltkriegs und die Herstellung eines internationalen fortschrittlichen Lagers datierten Übergang der imperialistischen Ideologie von der indirekten Apologetik des Kapitalismus in der Tradition des deutschen Irrationalismus mit dem Faschismus als Kulminations- und Zusammenbruchspunkt zu einer amerikanischen Linie der direkten Apologetik der kapitalistischen „Freiheit“.30 Wenn diese Beschreibung richtig ist, dann hat die Eröffnung des postmodernen Rummelplatzes ab der großen Konterrevolution einen gewissen dialektischen „Sinn“ als ideologischer Reflex der Wiederherstellung einer imperialistischen Dominanz in der Wiedereinführung der deutschen Tradition31 – über einen „links“-strukturalisischen französischen Rezeptionsweg – als Negation der Negation;32 d.h. die Ideologie des Imperialismus verfügt nun über die Möglichkeit eines schnellen Wechselns bzw. der wechselseitigen Durchdringung von indirekter33 und direkter Apologetik,34 denn wie der Faschismus ist der Postmodernismus lediglich simulierte Opposition. Wenn auch diese Beschreibung richtig sein sollte, so ermöglicht dies dem Klassenfeind die Kontrolle über die öffentlichen Meinung nicht mehr nur durch eine einheitliche, sondern durch eine pluralistische Propaganda gezielt gegeneinander abgesetzter Positionen. Die Strukturierung der öffentlichen „Diskurse“ mittels einfacher Dichotomien, wie sie allen meine Beispielen zugrundeliegen, wäre hier für den Klassenfeind das Mittel der Wahl: Wenn es linksrum nicht geht, geht es rechtsrum, wahlweise auch andersrum; entscheidend ist, daß beide Positionen komplementär wirken ohne den Kern des Problems – die Eigentumsfrage – zu berühren.

Wenn dieses ideologisch-propagandistische Szenario seinerseits richtig sein sollte – ich äußere hier alles nur hypothetisch –, dann kann auch der Weg in den Faschismus als der Bedingung für die Kriegsfähigkeit aktuell sehr anders aussehen, als wir dies an den historischen Beispielen zu lernen gewohnt sind; er läßt sich nun nicht mehr nur von einem Lager erterrorisieren, sondern auch über gebaute Dichotomien schaukeln. Die Tür zum Faschismus muß dann nicht mehr eingetreten werden, sondern sie wird durch zwei Horror-Clowns offengehalten, der eine mit einem grimmigen Spartaner-Lambda, der andere mit einem fröhlichen A im Kreis. Die deutsche Asylpolitik zeigt das wohl am besten: Was die AfD (noch) nicht durchsetzt, machen dann die „Demokraten“ als deren „Gegner“. Diese Möglichkeit besteht für den ganzen großen Bereich der den Faschismus vorbereitenden repressiven Maßnahmen. Wie am Ende tatsächlich ein „erschaukelter“ Faschismus an der Macht konkret aussehen kann, läßt sich schwer imaginieren; eine Unterdrückergesellschaft im großen ungerechten Krieg im marxistisch-leninistischen Sinne kommt aber an der Notwendigkeit der Kontrolle seines Hinterlandes in Gestalt einer Zustimmungs- und Beteiligungsdiktatur einer formierten Gesellschaft nicht vorbei.35

Hier zeigt aber auch bereits eine strategische Schwäche des Herrschens mit ideologischen Dichotomien: Diese können nicht vollständig komplementär sein; der Kern des vom Klassenfeind Durchzusetzenden muß in beiden „Narrativen“ / „Diskursen“ enthalten sein. ‘Krieg’ und ‘Faschismus’ kann der Klassenfeind risikolos rhetorisch trennen, denn sie hängen sachlich untrennbar zusammen, man kan sie also sorum oder sorum durchsetzen. Eine repressive Asylpolitik kann aber nicht pro oder kontra gesetzt werden, wenn man sie durchsetzen will. Hier entsteht also eine Lücke für selbständiges Klassenhandeln, wie unbewußt dies auch immer sein mag. Ich schätze, daß gut ein Fünftel der Wählerstimmen für die Linkspartei in der Bundestagswahl vom 23. Februar auf die die vermeintliche Lager-Dichotomie aufhebenden Abstimmungsangebote der „demokratischen“ Merz-CDU an die AfD zurückzuführen sind.

Eine weitere – und entscheidende – strategische Schwäche liegt darin, daß die ideologischen Dichotomien des Klassenfeinds eines niemals abbilden dürfen: die materiellen Bedingungen, unter denen sie erzeugt werden. Dimitroff charakterisiert die „gegen den Klassenfeind“ gerichtete proletarische Aktionseinheit denn auch richtig über drei Frontstellungen, nämlich „gegen den Faschimus“, „gegen die Kriegsgefahr“ und „gegen die Offensive des Kapitals“.36 Die traumwandlerische Intuition, mit der die Linkspartei einen erfolgreichen Sozialwahlkampf geführt hat, setzt unbewußt ebenfalls auf dieser strategischen Schwäche des Klassenfeindes auf.37

Sollen diese Umgehungen der ideologischen Fallen des Klassenfeinds nicht zufällig und sporadisch bleiben, werden wir aber als Marxisten um eine Schulungs-, und vor allem Selbst-Schulungsaufgabe nicht herumkommen, nämlich um die Wiedereroberung philosophischer Kompetenzen. Ohne diese wird uns der Klassenfeind weiter am trivialideologischen Nasenring durch die Arena ziehen können, wohin immer er will. Dagegen nützt noch so gute polit-ökonomische Schulung allein nichts. Es macht einen großen praktischen Unterschied, ob etwa das Wertgesetz nur als Element eines gut geschulten „Diskurses“ oder „Narrativs“ namens „Marxismus“ gesehen wird oder als das, was es ist: als Element einer Beschreibung einer kohärenten materiellen Wirklichkeit, die auf der Basis ihrer immer praktischen Erkenntnis veränderbar ist, denn darauf kömmt es an. Die Verteidigung des Materialismus und der Kampf um die Wirklichkeit ist für das Lager der Aufklärung und der Demokratie nach wie vor nicht entschieden und offen! Anderenfalls wäre das Referatsthema „Spaltung der Kämpfe gegen Faschismus und Krieg“ überhaupt gar nicht erst aufgekommen.


  1. Georgi Dimitroff, AgwS, Bd. 2, S. 551. 

  2. MEW, Bd. 32, S. 554. 

  3. Dokumentiert: https://www.die-linke-goettingen.de/zusammenschluesse/kpf/detail/dokumentiert-gegen-selbsternannte-querdenker-und-die-profitmaximierung-im-gesundheitswesen/ 

  4. https://www.buchenwald.de/dam/jcr:1c97e82a-8854-4363-9e99-5f6ded8f046b/Hausordnung_Buwa_23_2.pdf 

  5. https://www.uni-goettingen.de/de/ezra+rudolph/692240.html 

  6. https://www.learningoutcomesassessment.org/evidence-based-storytelling/ 

  7. https://www.learningoutcomesassessment.org/wp-content/uploads/2019/10/EBST-Toolkit.pdf 

  8. http://www.gegen-den-hauptfeind.de/texte/2021/dialektik_krieg_revolution/; s. auch KAZ 378: https://kaz-online.de/artikel/zur-dialektik-von-krieg-und-revolution. Eine erweiterte Fassung erschien als offen-siv 5-2023: https://offen-siv.net/wp-content/uploads/2023/04/offensiv-5-2023-Zur-Dialektik-von-Krieg-und-Revolution.pdf. 

  9. Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ungekürzter Text. München 2000, S. 19. 

  10. MaoAgwW, Bd. 2, S. 179 (in: Über den langwierigen Krieg). 

  11. „Der Frieden ist nicht alles, aber alles ist ohne den Frieden nichts.“ Willy Brandt, Berliner Ausgabe, Bd. 5, S. 369 (in: Rede zum 100-jährigen Bestehen des Verlages J.H.W. Dietz Nachf., 3. Nov. 1981). 

  12. MEW, Bd. 20, S. 132. 

  13. Vgl. Kurt Gossweiler: Wider den Revisionismus. München 1997, S.327-331 (in: Thesen zur Rolle des modernen Revisionismus bei der Niederlage des Sozialismus). 

  14. Zur Geschichte: Gerhard Hanloser: Die andere Querfront. Skizzen des ‘antideutschen’ Betrugs. Münster 2019. 

  15. Zur marxistischen Kritik: Werner Seppmann: Das Ende der Gesellschaftskritik? Die ‘Postmoderne’ als Ideologie und Realität. Köln 2000; sowie: Hermann Kopp / Werner Seppmann (Hg.): Gescheiterte Moderne? Zur Ideologiekritik des Postmodernismus. Essen 2002. 

  16. Über die Durchsetzung des Postmodernismus mit der großen Konterrevolution schreibt Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 200: „Der Anpassungsprozeß [der Intelligenz] war schon weit vorangeschritten, als durch den Zerfall des sozialistischen Blocks die Hinfälligkeit und die Vergeblichkeit post-kapitalistischer Optionen scheinbar augenfällig wurden. Der zum Zeitpunkt des „Epochenbruchs“ schon dahinsiechende Postmodernismus erhielt einen unerwarteten Auftrieb. Entstanden war durch fundamentale sozio-ökonomisches Veränderungen, die Verschiebung der Machtkoordinaten zugunsten des Kapitals und die globale Durchsetzung des neo-liberalen Dogmas eine intellektuelle „Großwetterlage“, in der die Orientierungen und Stimmungen des Postmodernismus bereitwillig akzeptiert wurden. Weil er grundsätzliche Stellungnahmen tabuisiert, keine karriereschädlichen Entscheidungen verlangt und darüber hinaus auch noch voraussetzungslose „Selbstbefreiung“ verspricht, war er einer fundamental verunsicherten und zur ideologischen Assimilation an die neuen Gegebenheiten (deren hervorstechendstes Merkmal das Fehlen einer institutionalisierten Systemalternative ist) bereiten Intelligenz höchst willkommen.“ Bei Ellen Meiksins Wood heißt es bereits 1995 in Democracy against Capitalism (siehe Ellen Meiksins Wood: Demokratie contra Kapitalismus. Beiträge zur Erneuerung des historischen Materialismus. Aus dem Englischen von Ingrid Scherf und Christoph Jünke. Köln 2010, S. 264): „Der neue Pluralismus kann tatsächlich zu einer Akzeptanz des Kapitalismus führen, sozusagen als der besten sozialen Ordnung, die wir bekommen können. Der Zusammenbruch des Kommunismus hat zweifellos mehr als alles andere dazu beigetragen, diese Ansicht zu verbreitern.“ 

  17. Jean-François Lyotard: Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Hg. von Peter Engelmann. Graz, Wien 1986, S. 63. 

  18. Werner Seppmann: „Gescheiterte Moderne“? Das „Postmoderne Denken“ als Krisenideologie, in: Hermann Kopp / Werner Seppmann (2002), a.a.O., S. 176-190, hier S. 177f. 

  19. Ebd., S. 180. 

  20. „Die systematische Realitätsignoranz ist jedoch mehr als nur eine „Freistil“-Übung innerhalb des philosophischen Seminars. Die Unverzichtbarkeit des Erkenntnisnihilismus wird nicht nur für jede Form theoretischer Reflexion reklamiert, sondern sie ist die Basis für Weltfluchtbewegungen einer verunsicherten Intelligenz: Denn will der strebsame Privatdozent nicht alle Chancen auf eine Karriere verspielen, ist es für ihn ratsam, in der Defensive zu bleiben. „Man lässt die Dinge lieber kommen, als sich zu schnell auf etwas festzulegen, was sich im nachhinein als Sperre oder Bremse entpuppt.“[H. Bude: Das Gefühl der Welt. Die Macht von Stimmungen. München 2016, S. 86] Mit der Flucht in die Unverbindlichkeit, lassen sich karriereschädliche Fehler vermeiden. / Die Verfestigung der Haltung, sich nach Möglichkeit auf nichts „einzulassen“, ist, wenn es nicht die gewöhnliche Manifestation eines „autoritären Charakters“ ist, unmittelbarer Ausdruck einer veränderten Soziallage der Intellektuellen, einer wachsenden Unkalkulierbarkeit ihrer beruflichen Laufbahn, besonders an den Universitäten. Zwar ist es für Mittelschichtkinder leichter geworden, akademische Abschlüsse zu erlangen, aber einen sicheren Arbeitsplatz zu finden, erweist sich durch verschärfte Konkurrenz als immer schwieriger. Dass 90 Prozent aller akademischen Stellen befristet sind, fördert nicht das Selbstdenken und noch weniger intellektuelle Widerständigkeit. / Überraschend ist es deshalb nicht, dass jene „Wendigkeit“ und Anpassungsfähigkeit weit verbreitet ist, die dem Postmodernismus als Aktivposten einer zeitgenössischen Geisteshaltung gilt: Mit der Vermeidung von Festlegungen und Parteinahmen reagiert der Intellektuelle auf die vielschichtigen Unübersichtlichkeiten und Ungewissheiten, mit denen das Berufsleben durchsetzt ist; zu oft dreht sich der Wind, und zu kurzlebig sind die Konjunkturen modischer Kulturtrends und Theoriepräferenzen. Da kann es nur von Vorteil sein, wenn eine ambivalente Grundhaltung eingenommen wird.“ Werner Seppmann: Der große Verrat. Desorientierung und Erkenntnisnihilismus. Die »Neue Rechte« und die Sprachlosigkeit der postmodernen Intelligenz. (Teil II und Schluss). In: junge Welt 6. 1. 2020: https://www.jungewelt.de/artikel/369979.postmodernes-denken-und-faschismus-der-gro%C3%9Fe-verrat.html. 

  21. Exemplarisch für die Autonomen-Bewegung im weitesten Sinne: Projektgruppe: Metropolen(Gedanken) und Revolution? Texte zu Patriarchat, Rassismus und Internationalismus. Berlin 1991; für die PDS: Richard Schwarz: Aspekte einer neuen Machttheorie. Michel Foucault. (Podium Progressiv 3). Mainz 1991. – Als bisher wenig beachteten Vorläufer des Postmodernismus betrachte ich Peter Heintz: Anarchismus und Gegenwart. Versuch einer anarchistischen Deutung der modernen Welt. Zürich 1951. – Die Sackgasse linker Identitätspolitik hat nicht zuletzt in dieser Rezeptions-Tradition ihren Eingang. Hierzu bereits 1995 Ellen Meiksins Wood (2010), a.a.O., S. 259-288. Zur marxistischen Kritk der Identitätspolitik siehe aktuell Margit Glasow: Identität oder Klasse? Probleme und Alternativen der Identitätspolitik, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der Partei Die Linke, Heft 3/2025, S. 14-17. 

  22. Werner Seppmann: Gefährliche Nähe. Verteidiger des Irrationalismus. Die »Neue Rechte« und die Sprachlosigkeit der postmodernen Intelligenz. (Teil I). In: junge Welt 4.1. 2020: https://www.jungewelt.de/artikel/369910.postmodernes-denken-und-faschismus-gef%C3%A4hrliche-n%C3%A4he.html 

  23. Also mindestens „anschlußfähig“ über die Schule des ‘Radikalen Konstriktivismus’. 

  24. LW, Bd. 14, S. 346, Fußnote. 

  25. Harry K. Wells: Der Pragmatismus. Eine Philosophie des Imperialismus. Berlin 31975. 

  26. Ebd., S. 253f. 

  27. Ebd., S. 98-126. 

  28. Ebd., S. 73. – Vgl. auch S. 35: „Im Pragmatismus liegen seit seinem Entstehen die potentiellen Möglichkeiten, die Philosophie des Faschismus zu werden.“ 

  29. Ebd., S. 152. 

  30. Georg Lukács: Die Zerstörung der Vernunft. Bd. III: Irrationalismus und Soziologie. Darmstadt 1974, S. 201f.: „So muß aus den ökonomischen, sozialen und politischen Bedingungen der Vereinigten Staaten notwendig eine Ideologie entstehen, in deren Mittel­punkt die offene Verteidigung des Kapitalismus, der kapitalistischen „Freiheit”“gerückt wird. Philosophisch-methodologisch bedeutet also die nunmehr aktuell gewordene führende Rolle der amerikanischen Ideologie im Lager der Reaktion den Bruch mit jener Methode, die wir in ihrer deutschen Entfaltung als indirekte Apologetik des Kapitalismus bezeichnet haben. Diese ist mit Hitlers Zusammenbruch als führende Ideologie der Reaktion ebenfalls zusammengebrochen; sie muß wieder der direkten Apologetik des Kapitalismus weichen.“ – Passim S. 196-271. 

  31. Vgl. Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 269: „Das „Postmoderne Wissen“ ist konstitutiv mit den aggressivsten Varianten des traditionellen Irrationalismus verbunden, der im Deutschland des frühen 20. Jahrhunderts das geistige Klima geschaffen hat, in dem sich der Faschismus entfalten konnte.“ 

  32. Grundsätzlich ähnlich Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 267-274. * * 

  33. Vgl. Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 54f.:* „Wenn auch mit veränderten Begriffen und „modernisierten“ Begründungen ist der Postmodernismus „organischer“ (Gramsci) Bestandteil jener Weltanschuungsysteme, deren theoriegeschichtlicher Beitrag im wesentlichen in der Verschleierung der historischen Perspektivlosigkeit der bürgerlichen Gesellschaft besteht. Denn mit einer Sonntagsphilosophie ist der katastrophale kapitalistische Zustand nicht mehr zu überdecken. Da eine direkte Parteinahme kaum möglich ist und alles Schönreden vergeblich wäre, muß die philosophische Rede „grundsätzlich“ werden: Der Begriff des Fortschritts muß „dekonstruiert“ werden, weil jeder Entwicklungsgedanke über das Bestehende hinaus, dessen Existenz in Frage stellt!“* 

  34. Vgl. Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 274: „Der Postmodernismus ist zwar inhaltlich nicht deckungsgleich mit der neoliberalen Dogmatik, aber beide Positionen beruhen auf ähnlichen Denkvoraussetzungen, sie sind „anschlußfähig“ (wie es im heutigen Wissenschaftjargon heißt) und „bestätigen“ sich wechselseitig. Ihre ideologischen Funktionen sind nicht identisch, aber der Postmodernismus flankiert als „Juniorpartner“ die Überzeugungsarbeit des Neoliberalismus auf einer anderen weltanschaulichen Ebene.“ 

  35. Keiner dürfte das je offenherziger ausformuliert haben als der faschistische Putschgeneral Ludendorff. Erich Ludendorff: Der Totale Krieg. München 1935. 

  36. Georgi Dimitroff, a.a.O. 

  37. Vgl. Werner Seppmann (2000), a.a.O., S. 259: „Wenn sich eine kritische Gesellschaftstheorie den Provokationen stellt, die aus den vorwärtsweisenden Aspekten der krisenförmigen Sozialentwicklung resultieren, befindet sie sich sehr schnell in einem Gegensatz zur verschleiernden Rhetorik des Postmodernismus.“