Liebe Genossinnen und Genossen, reden wir über die Revolution. So weit waren wir in diesen Tagen ja bereits. Genossin** **J. hat uns am Donnerstag sehr eindringlich auf die Notwendigkeit zum Sturz des deutschen Imperialismus hingewiesen, um entweder seinem Krieg zuvorzukommen oder ihn in den Bürgerkrieg gegen die Kapitalherrschaft umzuwandeln. Aber ich habe mich umgesehen, wir sind noch etwas wenig, um es zu riskieren.
Deswegen lasst uns zunächst darüber reden, was sind die Reserven der Bourgeoisie, wer stabilisiert ihr wie, womit und wodurch die Heimatfront, das kapitalistische Ausbeutungssystem?
Aus der Geschichte der Arbeiterbewegung, aber auch von den Hauptfeindkonferenzen kennen wir den von Marx und Engels erforschten Begriff der Arbeiteraristokratie. Sie haben ihn der zu ihrer Zeit in England besser als der Masse des Proletariats verdienenden und politisch auf die Seite der liberalen Bourgeoisie gewechselten Schicht von Facharbeitern verpasst.
Das nur einleitend zur Erinnerung, weil der Name Arbeiteraristokratie und vor allem, was sich im Zusammenhang mit Revisionismus und Opportunismus damit für bzw. gegen den Klassenkampf verbindet und bis heute entwickelt hat. Die Diskussion und ebenso die Untersuchungen und Forschungen darüber – soweit sie denn überhaupt stattfinden – sind äußerst rar geworden.
Was Marx und Engels bereits festgestellt haben, ist, wie sich die Bourgeoisie die Zufriedenheit gleich einer ganzen Schicht von Facharbeitern mit dem System über hohe und höhere Löhne einkauft und damit sozusagen aus dem Klassenkampf herausgekauft hat.
Zu dieser Form des Klassenkampfs von oben gehören unbedingt die Aussagen von Lenin. Im Vorwort seiner berühmten Schrift „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus” erklärt er:
„Es sind eben der Parasitismus und die Fäulnis des Kapitalismus, die seinem höchsten geschichtlichen Stadium, d.h. dem Imperialismus, eigen sind. Wie in der vorliegenden Schrift nachgewiesen ist, hat der Kapitalismus jetzt eine Handvoll (weniger als ein Zehntel der Erdbevölkerung, ganz ‚freigebig’ und übertrieben gerechnet, weniger als ein Fünftel) besonders reicher und mächtiger Staaten hervorgebracht, die durch einfaches ‚Kuponschneiden’ die ganze Welt ausplündern. Der Kapitalexport ergibt Einkünfte von 8-10 Milliarden Francs jährlich, und zwar nach den Vorkriegspreisen und der bürgerlichen Vorkriegsstatistik. Gegenwärtig ist es natürlich viel mehr.
Es ist klar, daß man aus solchem gigantischen Extraprofit (denn diesen Profit streichen die Kapitalisten über den Profit hinaus ein, den sie aus den Arbeitern ihres ‚eigenen’ Landes herauspressen) die Arbeiterführer und die Oberschicht der Arbeiteraristokratie bestechen kann. Sie wird denn auch von den Kapitalisten der ‚fortgeschrittenen’ Länder bestochen – durch tausenderlei Methoden, direkte und indirekte, offene und versteckte.
Diese Schicht der verbürgerten Arbeiter oder der ‚Arbeiteraristokratie’, in ihrer Lebensweise, nach ihrem Einkommen, durch ihre ganze Weltanschauung vollkommen verspießert, ist die Hauptstütze der II. Internationale und in unseren Tagen die soziale (nicht militärische) Hauptstütze der Bourgeoisie. Denn sie sind wirkliche Agenten der Bourgeoisie innerhalb der Arbeiterbewegung, Arbeiterkommis der Kapitalistenklasse (labor lieutenants of the capitalist class), wirkliche Schrittmacher des Reformismus und Chauvinismus. Im Bürgerkrieg zwischen Proletariat und Bourgeoisie stellen sie sich in nicht geringer Zahl unweigerlich auf die Seite der Bourgeoisie, auf die Seite der ‚Versailler’ gegen die ‚Kommunarden’.
Ohne die ökonomischen Wurzeln dieser Erscheinung begriffen zu haben, ohne ihre politische und soziale Bedeutung abgewogen zu haben, ist es unmöglich, auch nur einen Schritt zur Lösung der praktischen Aufgaben der kommunistischen Bewegung und der kommenden sozialen Revolution zu machen. 1
Es ist wohl so, dass die Kapitalisten, die Bourgeoisie, auch in unseren Tagen eine soziale Hauptstütze benötigt. Hierbei stützt sie sich momentan noch immer auf die Sozialdemokratie, auf die Ideologie des Sozialdemokratismus. Dabei insbesondere auf die von ihr korrumpierte Arbeiteraristokratie, hauptsächlich auf die sozialdemokratischen opportunistischen Gewerkschaftsführer, die das Predigen der Klassenversöhnung als eine ihrer Hauptaufgaben betrachten. Hierbei gehört es längst zur Erkenntnis der Bourgeoisie, dass es die größte Sicherheit für ihr Ausbeutungssystem bedeutet, unter den Massen der Ausgebeuteten die Verteidiger des Ausbeutungssystems zu finden. Was aus Sicht der Ausbeuter wie der Aufruf klingt: Lasst Ausgebeutete, lasst die Minderheit der Arbeiteraristokraten ideologisch gegen die ausgebeutete Mehrheit, gegen die Masse der Lohnarbeiterinnen und Lohnarbeiter kämpfen. Und hierbei nicht für, sondern gegen die in den Gewerkschaften zumindest teilweise noch zu hörende Forderung nach Abschaffung der „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen”.
Der ungarische Kommunist Fogarasi hat in einer Untersuchung zur Arbeiteraristokratie nach dem 2. Weltkrieg Mitte der 1960er Jahre festgestellt: „Die Arbeiteraristokratie bildet eine Schicht innerhalb einer gewissermaßen hierarchisch aufgebauten Gliederung der Arbeiterschaft in verschiedene Schichten, je nach dem Lebensniveau und der sozialen Lage. Schematisch dargestellt, nimmt die oberste Stelle in dieser Gliederung die Arbeiteraristokratie ein, die aber selbst in zwei Schichten geteilt wird. Aus der Arbeiteraristokratie ist nämlich die Arbeiterbürokratie hervorgegangen. Auch innerhalb der Arbeiterbürokratie gibt es verschiedene ‚Rangstufen’, von den ‚großen’ bis zu den kleinen ‚Bonzen’. Die Arbeiteraristokratie in ihrer Gesamtheit, vom Parteiangestellten bis zum Gewerkschafts- und Genossenschaftsbürokraten – Krankenkassenbeamten etc., die alle aus der Arbeiterschaft hervorgingen und mit ihrer Hilfe ihre einträglichen und vor allem in der Regel ‚sicheren’ Stellen bekamen – das sind die Bürokraten, die der deutsche Arbeiter als ,den Mann hinter dem Schalter’ bezeichnet hat. Der Schalter war das sichtbare Kriterium einer Entfremdung von der Arbeiterschaft, einer beamtenmäßigen Verbürgerlichung.” 2
Erinnert sei in diesem Zusammenhang an die gewerkschaftseigenen gemeinwirtschaftlichen Unternehmen „Neue Heimat”, BFG Bank für Gemeinwirtschaft, Versicherungen, Automobilclub ACE u. a. Sie waren ursprünglich als Konkurrenz zu den privaten kapitalistischen Betrieben gedacht und sollten nachweisen, dass es mit der Basis „Gemeinwirtschaft” möglich ist, der kapitalistischen Konkurrenz- und Profitwirtschaft Schläge zu versetzen bzw. ihr das Wasser abzugraben.
Diese Idee wurde teilweise auch sehr aggressiv vom innerhalb der Arbeiterklasse und in der Betriebshierarchie verbleibenden – nach Fogorasi – „korrumpierten, opportunistischen und kleinbürgerlichen Teil der Arbeiteraristokratie”3 vertreten. Sie waren die Anlaufstellen, die Personen, die man kennen musste, um Arbeitsstellen, teilweise die sogenannten Pöstchen im Verwaltungsapparat oder auch Wohnungen o. a. bekommen zu können – Wohlverhalten und keine Kritik am System und des ihn vertretenden und verteidigenden Personenkreises vorausgesetzt. Zu diesen Opportunisten hat Lenin vor über 100 Jahren festgestellt: „Die Politiker innerhalb der Arbeiterbewegung, die zur opportunistischen Richtung gehören, sind bessere Verteidiger der Bourgeoisie als die Bourgeoisie selbst. Ohne ihre führende Rolle bei den Arbeitern könnte sich die Bourgeoisie nicht halten.”4
Zum politischen Inhalt des Opportunismus erklärt er: „Der politische Inhalt des Opportunismus und des Sozialchauvinismus ist derselbe: Zusammenarbeit der Klassen, Verzicht auf die Diktatur des Proletariats, Verzicht auf die revolutionäre Aktion, rücksichtslose Anerkennung der bürgerlichen Legalität, Mißtrauen dem Proletariat, Vertrauen der Bourgeoisie. gegenüber.” 5
Bei der Arbeiteraristokratie handelt es sich nicht um eine isolierte oder unbewegliche Schicht. Sie verbindet sich nach „oben” hin mit der Arbeiterbürokratie, der sie die in ihrem Sinne vertrauenswürdigen Nachschub-Kader liefert. Nach „unten” ist sie mit den breiten Schichten der gelernten und/oder angelernten qualifizierteren Arbeiter und Arbeiterinnen, heute in der Regel auch mit dem als Leiharbeiter und anderem prekär beschäftigten Teil verbunden. Ihr Verbleib innerhalb der Arbeiterklasse erklärt damit ihren möglichen und nachhaltigen Einfluss auf die übrigen größeren Schichten des Proletariats. Mit dem von Lenin beschriebenen Verzicht auf die „Diktatur des Proletariats” und der „rücksichtslosen Anerkennung bürgerlicher Legalität” verbindet sich dabei in der BRD die Beschränkung des offiziellen Streiks auf die Durchsetzung ökonomischer Forderungen und Ziele, die uns bekannten Tarifforderungen, wie Lohnerhöhungen, Zulagen usw. Wie hier auch schon erwähnt wurde, hat es bei den letzten Tarifbewegungen eine offensichtlich der hohen Inflation geschuldete größere Streikbereitschaft in den Betrieben wie bei der Metall- und Elektroindustrie, im öffentlichen Dienst, in den Krankenhäusern, bei der Bahn, den Lokomotivführern, bei den Piloten und dem übrigen Personal an den Flughäfen usw. gegeben. Wobei die große Mehrheit nach meiner Meinung mit den Steuerfreibeträgen bis zu 3000 Euro geködert wurde, um die Streiks auch so schnell wie möglich wieder zu beenden. Die Freibeträge sind dabei – wie allgemein unterstellt – nicht die Erfindung von Scholz in der sogenannten konzertierten Aktion, sondern bereits vor einigen Jahren als Forderung an die Regierung auf dem Mist der IGM-Führung für tarifvertraglich vereinbarte und jährlich wiederkehrende Einmal-Zahlungen gewachsen.
Aber das ist jetzt weniger wichtig. Das Wichtigste ist die Streikfrage, der politische Streik, der Massen- oder Generalstreik – bzw. generell Streiks. Das gerade in der jetzigen Situation unverzichtbare und notwendige Kampfmittel der Arbeiterklasse, das einzige Mittel, um der von der Ampel-Regierung inszenierten Aufrüstungs-, Kriegs-, Hass- und Hetz-Reden-Politik eine Antwort aus der dabei wie gehabt als Kanonenfutter eingeplanten Arbeiterklasse entgegenzusetzen. Dass es nicht dazu kommt, geht auf das Konto der Arbeiteraristokraten.
Der politische Streik wird von den opportunistischen Gewerkschaftsführern abgelehnt und verhindert. Forderungen danach werden seit Jahren mit Aussagen wie „das ist nicht Sache des DGB oder der IGM” oder mit der Aussage – „Gegen eine demokratisch vom Volk gewählte Regierung streiken wir nicht!” bekämpft. Im Sinne der von Lenin genannten „rücksichtslosen Anerkennung der bürgerlichen Legalität” werden hierbei Urteile, einstweilige Verfügungen der Klassenjustiz, ausgesprochen von einem, drei oder fünf Richtern gegen angekündigte und geplante Streiks akzeptiert. Mit dem Ergebnis, dass je nach betroffenem Teil der Arbeiterklasse, Zigtausende durch das von einer Handvoll Arbeitsrichter ausgesprochene Streikverbot zur Durchsetzung von Forderungen sozusagen entwaffnet werden. Das kennzeichnet die gesellschaftliche Realität in diesem Lande: Es gibt kein als ganz normales bürgerliches, für die Arbeiterklasse geltendes gesetzlich garantiertes Streikrecht in der BRD. Dabei machen wir uns nach meiner Meinung auf der Linken und vor allem in den Gewerkschaften viel zu wenig klar, welche Folgen Verzicht auf und Ablehnung des politischen Streiks durch die Arbeiteraristokratie für die Klasse und Durchsetzung des Ziels Sozialismus haben.
Ohne das zeitmäßig vergleichen zu können oder zu wollen, können wir in den Ausführungen Lenins zu den revolutionären Kämpfen der russischen Arbeiterklasse in den Jahren 1905, 1907 und bei der Revolution 1917 nachlesen, welche Bedeutung der und die Streiks hierbei gespielt haben. Bezogen auf die heutige Situation in der BRD vergleichen linke und ein klassenbewussterer Teil von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern das Verhalten der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer gegenüber der Kriegspolitik der Ampel-Regierung mit dem Verhalten der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführung, der Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands (damaliger Dachverband der Gewerkschaften) im 1. Weltkrieg. Wobei deren Ja und Stillhalten zum Krieg als Burgfriedenspolitik gegenüber den Eroberungsplänen des deutschen Imperialismus, zum unverzichtbaren Teil der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung und des Verhaltens der opportunistischen Gewerkschaftsführer gegenüber der Arbeiterklasse geworden ist. Was hierbei passiert ist, müssen wir uns auch mit Blick auf die heutige Situation in aller Schärfe vor Augen führen. Lenin verweist 1915 in dem Zusammenhang auf ein Dokument von mit der Burgfriedenspolitik nicht einverstandenen Sozialdemokraten aus dem Kreis Niederbarnim, das liegt hier bei Berlin. „Die revolutionären Sozialdemokraten, heißt es in diesem Dokument, haben einen Faktor nicht vorausgesehen und nicht voraussehen können, nämlich: ‚Die Einsetzung der ganzen organisierten Macht der deutschen sozialdemokratischen Partei und der Gewerkschaften für die kriegführende Regierung, die Aufwendung dieser Macht zum Zwecke der Dämpfung der revolutionären Energie der Massen.’” 6
Es ist ja wohl leider so, dass die Arbeiteraristokraten heute keine „revolutionäre Energie” der Massen zu bremsen brauchen, sondern wir dafür sorgen müssen, dass die Arbeiterklasse von der Sozialdemokratie und insbesondere vor allem nicht von den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern fortlaufend in die falsche Richtung zur Zusammenarbeit mit dem Kapital und dabei auch noch in die Hände von Faschisten und zur Wahl der faschistischen AfD getrieben werden. Denn die Arbeiteraristokraten haben ihre „ganze organisatorische Macht” – soweit davon überhaupt noch etwas vorhanden und nicht verspielt ist – schon längst wieder an die Seite der mit Kriegsvorbereitungen beschäftigten Ampel gestellt. Dabei haben bereits drei Gewerkschaftskongresse, im Mai 2022 der DGB-Bundeskongress und im September und Oktober 2023 der ver.di- und IGM-Kongress der Scholz-Regierung und der EU ihr mit einigen Warnungen garniertes Einverständnis mit allen dazu geplanten und beabsichtigten Sanktions- und Waffenlieferungs-Maßnahmen erklärt. Wie gehabt stehen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer dabei wieder mit an der Spitze, um der Bourgeoisie – dem Hauptfeind im eigenen Land – die Heimatfront als sozialer Hauptstütze zu sichern und zu stärken und das kapitalistische Ausbeutungssystem funktionsfähig zu erhalten und zu verteidigen. Die Klassenzusammenarbeit mit dem Kapital heißt dabei gleichzeitig Klassenspaltung, Kampf gegen die Diktatur des Proletariats und Antikommunismus. Für die Klassenspaltung ist hierbei aus meiner Sicht noch immer der Kampf gegen die DDR das Beispiel. Wir haben dazu bereits heute Vormittag von Genossen Hans Bauer einiges gehört. Die Arbeiteraristokraten haben dabei noch immer Arbeit damit, die Geschichte der DDR reaktionär „aufzuarbeiten”, statt die schändliche Rolle zu untersuchen und aufzuarbeiten, die sie gegen die DDR gespielt haben und in anderer Form immer noch spielen. Dazu habe ich Donnerstag zum relativ aktuellen Beispiel mit der 35-Stunden-Woche etwas erläutert 7. Aber dazu gehört ja viel mehr. Nämlich nach wie vor das geltende gemeinschaftliche Projekt der Arbeiteraristokratie mit Kapital und Regierung, die in der DDR vollzogene Enteignung der kapitalistischen Kriegstreiber als gegen die Arbeiterklasse und Bevölkerung gerichtete SED-Diktatur und die DDR als Unrechtsstaat zu bezeichnen und zu verleumden. Das gilt dann auch ebenso fürs gemeinschaftliche Beifallklatschen mit Kapitalisten und Regierung, als sich der deutsche Imperialismus die DDR und die enteigneten Betriebe wieder einverleibt und unter die Nägel gerissen und die abgeschaffte „Ausbeutung des Menschen durch den Menschen”, das kapitalistische Ausbeutungssystem und die Kapitalherrschaft in der DDR wieder eingeführt hat. Hierbei haben die Arbeiteraristokraten aus der DGB-Führung es vor einigen Jahren mit Unterstützung der IGM-Delegierten trotz größerem Protest auf einem Bundeskongress geschafft, im DGB-Programm die Formulierung unterzubringen, dass die faschistische Hitler-Diktatur in einem Teil Deutschlands erneut durch eine Diktatur, nämlich durch die SED-Diktatur ersetzt bzw. abgelöst wurde.
Zum Schluss ein Zitat des ungarischen Wirtschaftswissenschaftlers Genossen Eugen Varga:
„Die rechten Sozialdemokraten, die Träger des Reformismus in der Arbeiterbewegung, sind die getreuen Diener der Bourgeoisie, die zuverlässige Stütze ihrer Herrschaft in vielen Ländern nach dem zweiten Weltkrieg.
Unzählig sind die Verbrechen der rechten Sozialdemokraten gegen die Arbeiterklasse.
Die rechten Sozialdemokraten verteidigen vor den Arbeitern den Kapitalismus, indem sie behaupten, daß im Rahmen des kapitalistischen Systems eine Verbesserung der Lage der Arbeiter möglich sei, und sie suchen damit die Arbeiter vom revolutionären Wege abzubringen.
Sie wollen den Arbeitern einreden, der kapitalistische Staat, insbesondere in den Ländern, in denen die Reformisten an der Spitze der Regierung stehen, sei nicht ein Werkzeug der monopolistischen Bourgeoisie zur brutalsten Ausbeutung der Arbeiter und zur Unterdrückung ihres Widerstandes, sondern ein Organ, das den Wohlstand der Arbeiter gewährleistet.” 8
(Das Referat wurde leicht überarbeitet.)
Ludwig hat am Anfang seines Referats zur Bestechung der Arbeiterführer und der Oberschicht der Arbeiteraristokratie gesprochen, die durch die imperialistischen Extraprofite möglich geworden ist, wie es Lenin schon beschrieben hat. Vor dem Imperialismus war das nicht möglich, da haben sich die Kapitalisten hauptsächlich auf das Kleinbürgertum gestützt. Sie müssen sich immer auf Teile des Volkes stützen, weil sie nur so wenige sind, damals hatten sie aber kaum solche Möglichkeiten der Bestechung in der Ermangelung der riesigen Extraprofite, wie sie dann ab Ende des 19. Jahrhunderts die Monopolbourgeoisie zur Verfügung hatte und sich in der Arbeiterklasse diese Reserve der Arbeiteraristokratie sichern konnte.
Die SPD als politische Heimat der Arbeiteraristokratie hat sich in zweierlei Hinsicht gegenüber der Bourgeoisie bewährt: Erstens bei der Herstellung des Burgfriedens, um auf dieser Grundlage die Arbeiter in den Krieg zu schicken – das war 1914. Zweitens bei der Niederschlagung der Revolution 1918/19. In einer Hinsicht aber hat sich die SPD in den Augen der Monopolbourgeoisie nicht bewährt: Sie hat die Revolution nicht im Keim erstickt. Der 1914 geschlossene Burgfrieden hielt nicht. Die deutsche Kapitalistenklasse war am Ende des 1. Weltkriegs in höchster Gefahr, und dazu kam noch die in Russland errichtete „Schreckensherrschaft” der Arbeiterklasse – so haben sie es jedenfalls empfunden.
Die Bourgeoisie musste lernen, dass die Arbeiteraristokratie, in ihrer politischen Ausprägung die Sozialdemokratie, ein unsicherer Kantonist ist. Den Grund dafür hat Ernst Thälmann so dargelegt: „Darin besteht der Grundwiderspruch in der Politik der Sozialdemokratischen Partei. Einerseits darf sie, um die Politik der Bourgeoisie zu unterstützen, ihren Einfluß auf die Massen nicht verlieren, und andererseits, um den Einfluß auf die Massen nicht zu verlieren, darf sie nicht offen unter der Flagge der Bourgeoisie auftreten. Je schärfer die Klassengegensätze in Deutschland werden, desto tiefer wird sich auch dieser Grundwiderspruch in der sozialdemokratischen Politik zeigen, und die Entscheidung wird davon abhängen, wieweit es uns gelingt, die sozialdemokratischen Arbeiter von der Führung der Sozialdemokratie loszulösen.”9
Und die Bourgeoisie hat gelernt – sie begann, sich eine zweite Reserve zu leisten außerhalb der Arbeiterklasse, beim Kleinbürgertum, bei kleinbürgerlich-lumpenproletarischen faschistischen Bewegungen (was nicht heißt, dass nicht auch kleinbürgerlich verderbte Arbeiter sich dieser zweiten Reserve zuwenden – je mehr die Sozialdemokratie das Bewusstsein der Arbeiter verdorben hat, umso mehr rückständige Arbeiter stolpern in die demagogische Falle von Faschisten). Diese zweite Reserve rekrutierte sich anfangs aus an den Strand des 1. Weltkriegs gespülten gescheiterten Existenzen, Freikorps, demobilisierten Soldaten. Diese zweite Reserve hat die Aufgabe, ein terroristisches Regime gegen die Arbeiterklasse und gegen alle Werktätigen zu errichten, und schon als terroristische Bewegung, die noch nicht an der Macht ist, für die Kriegstüchtigkeit – sprich Einschüchterung – des Volkes zu sorgen.
Zwei wesentliche Eigenschaften kennzeichnen den Faschismus: Sein Klassencharakter und seine soziale Basis. Der Klassencharakter offenbart sich beim Faschismus an der Macht. Das ist „die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals” 10, so Georgi Dimitroff. Die soziale Basis ist hauptsächlich kleinbürgerlich und lumpenproletarisch.
Der Sozialdemokratie entspricht die bürgerliche Demokratie, der
faschistischen Bewegung entspricht die faschistische
Terrorherrschaft.
Beide Reserven können abwechselnd zur sozialen Hauptstütze werden.
Sie sind aber unter monopolkapitalistischen Verhältnissen immer beide
vorhanden. Zeitweise kann auch die Sozialdemokratie soziale Hauptstütze
der Bourgeoisie unter einer faschistischen Herrschaft sein – so
geschehen in den ersten Jahren des Mussolini-Faschismus in Italien. Und
zeitweise kann die faschistische Bewegung soziale Hauptstütze der
Bourgeoisie in der bürgerlichen Demokratie sein – so geschehen Anfang
der dreißiger Jahre in Deutschland. Zwei Beispiele, wie die
Sozialdemokratie noch als Reserve der Monopolbourgeoisie dienen kann,
wenn schon die faschistische Bewegung die Hauptstütze ist: 30. Januar
1933, als die SPD-Führung und die Führung des ADGB (Allgemeiner
Deutscher Gewerkschaftsbund) den Generalstreik gegen die Errichtung der
faschistischen Diktatur ablehnten. Und der 1. Mai 1933, als die Führung
des ADGB die Arbeiter zur Teilnahme an der Kundgebung der Faschisten
aufrief – einen Tag später, am 2. Mai, stürmten dann die Faschisten die
Gewerkschaftshäuser, Gewerkschaftsfunktionäre wurden verhaftet, die
Gewerkschaften aufgelöst.
Unter welchen Bedingungen stützt sich nun das Monopolkapital hauptsächlich auf die Sozialdemokratie? Das sind zwei Bedingungen:
– In akut revolutionären Zeiten. Eine faschistische Bewegung könnte in solchen Zeiten gar nichts ausrichten, sie würde von der Arbeiterklasse hinweggefegt werden und würde dem Monopolkapital gar nichts nützen. In revolutionären Zeiten kann die Monopolbourgeoisie nur hoffen, dass die Festung von innen genommen wird, durch die Arbeiteraristokratie, durch die Sozialdemokratie. Das ist in der revolutionären Nachkriegskrise (1918 bis 1923) auch gelungen. Die Revolution wurde verhindert.
– In „friedlichen”, „ruhigen” Zeiten. In solchen Zeiten – z. B. die relative Stabilisierung des Kapitalismus in der Weimarer Republik 1924 bis 1929, oder die Nachkriegsentwicklung in Westdeutschland/ BRD bis heute (wobei wohl jeder einigermaßen wache Kommunist oder Antifaschist spürt, dass diese „friedlichen”, „ruhigen” Zeiten auf ihr Ende zugehen – derzeit leider nicht in revolutionärer, sondern in konterrevolutionärer Weise). Es ist in den „friedlichen”, ruhigen Zeiten die für die Monopolbourgeoisie bequemste Art zu herrschen, deshalb ist die Sozialdemokratie in solchen Zeiten die sicherste Stütze.
Unter welchen Bedingungen aber stützt sich das Monopolkapital hauptsächlich auf die kleinbürgerlich-lumpenproletarische faschistische Bewegung?
– Wenn es darum geht, den Krieg gegen die imperialistischen Konkurrenten systematisch vorzubereiten, wenn zu diesem Zweck die bürgerliche Demokratie zu beseitigen und durch die faschistische Terrorherrschaft zu ersetzen ist, weil die Arbeiter, das Volk den Krieg nicht unbedingt mitmachen wollen. ... Systematische Kriegsvorbereitung – das klingt ja direkt nach dem heutigen Kriegsminister Pistorius, der verordnet hat, dass Deutschland in 5 Jahren kriegstüchtig sein muss. Das erinnert auch an den sogenannten Vierjahresplan der Hitlerfaschisten (1936), der auch keine andere Aufgabe hatte. Aber ganz stimmt die Parallele eben noch nicht. 1936 war nicht nur die faschistische Herrschaft fest installiert, die SPD war aus dem offiziellen politischen Leben ausgeschaltet, die Gewerkschaften zerschlagen. Pistorius als SPD-Mann bereitet dies vor – natürlich ohne es zu wollen, aber danach fragt am Ende keiner. Die faschistische Reserve ist noch nicht genug aufgebaut, noch nicht stabil genug, als dass die Bourgeoisie es schon riskieren könnte, die faschistische Reserve gegenüber der sozialdemokratischen (hauptsächlich in den Gewerkschaften) zu bevorzugen.
Soweit die Frage, unter welchen Umständen welche Reserve der Bourgeoisie wann in der Regel die Hauptrolle spielt. Ein Sonderfall ist hier die einverleibte DDR. Ein sozialistisches Land wurde zerstört, in dem es naturgemäß keine Arbeiteraristokratie so wie in den imperialistischen Ländern gab. Die faschistische Reserve dagegen war nach der Einverleibung schnell zur Hand. Die westdeutschen Emissäre auf der faschistischen Seite konnten sehr viel schneller Fuß fassen als die Emissäre der westdeutschen Gewerkschaftsbürokratie, die sich in dem einverleibten Gebiet unter der Bedingung der Zerschlagung des FDGB (Freier Deutscher Gewerkschaftsbund) zugunsten der DGB-Gewerkschaften schlecht zurechtfanden (Bodo Ramelow ist in dieser Hinsicht eine Ausnahme) und keine Basis in den Betrieben hatten. Es blieb der Bourgeoisie gar nichts Anderes übrig, als in dem dazu gewonnenen Territorium hauptsächlich auf die faschistische Sammlungsbewegung zu setzen (die eben nicht, wie bis zum heutigen Tag herumgelogen wird, aus den Strukturen der DDR kam). Ein prominenter Antifaschist schrieb in den neunziger Jahren in seinen Memoiren: „Die neue rechtsextremistische Subkultur breitet sich gerade unter erheblichen Teilen der ostdeutschen Jugend nicht zufällig und ohne Zielstellung aus. Mir scheint, es wachsen hier, gewissermaßen ,in Reserve’, neue SA-Horden für den Fall eines Versagens der übrigen Mittel zur Sicherung der fortschreitenden Umverteilung von Macht und Reichtum heran.” 11 Bis heute hat sich an diesen Verhältnissen in der annektierten DDR nicht viel geändert. Nach wie vor ist die Arbeiteraristokratie im Osten schwach oder westlich beherrscht. Die größte Industriegewerkschaft IG Metall wird aus dem Westen geleitet. Großen Einfluss haben die Betriebsräte aus den Monopolbetrieben in Westdeutschland. Symptomatisch ist z. B., dass alle Mitglieder des aktuellen geschäftsführenden Vorstands aus Westdeutschland sind.
Ein verbreiteter Irrtum besteht darin, dass erst dann die faschistische Gefahr akut wird, wenn die Arbeiter, die Volksmassen beginnen aufzubegehren. Dem widersprechen alle historischen Erfahrungen. Mit dem Faschismus versucht die Bourgeoisie, dem Widerstand gegen Krise und Krieg zuvorzukommen. Clara Zetkin dazu: Der Faschismus „ist keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, daß das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch, objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Rußland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat.”12
Warum wird die AfD gewählt? Weil es den Leuten schlecht geht, sie verunsichert sind, den anderen Parteien nicht mehr trauen? So dass man nur eine vernünftige Politik machen müsste, dann wäre das Problem erledigt? Das ist eine Illusion. Die Wirklichkeit sieht so aus: Die wachsenden Verwertungsschwierigkeiten des Kapitals, die sich verschärfenden zwischenimperialistischen Widersprüche sind der Nährboden sowohl für faschistische Bewegungen als auch für die Verelendung der Massen und Unsicherheit und Frust beim Kleinbürgertum. Faschistische Bewegungen werden in dieser Situation zur Kriegsvorbereitung gebraucht, und die Not der Massen wird dabei ausgenutzt. Von der Pflicht, gegen Faschismus und Krieg zu kämpfen, können uns also noch so vernünftige Wahlversprechen nicht befreien.
Es herrscht oft die Vorstellung vor, dass der Faschismus nur durch eine Art Militärputsch an die Macht kommen kann und dann sofort das Parlament und Wahlen abschafft. In den beiden imperialistischen Ländern Europas, in denen Faschismus herrschte, war das ganz anders. In beiden Ländern wurde den Faschisten auf parlamentarische Weise die Macht übertragen, auf Grundlage dessen, was in den Jahren davor durch reaktionäre Maßnahmen vorbereitet wurde. In Italien geschah die Machtübertragung nur zum Schein durch den legendären Marsch auf Rom. Mussolini wurde erst durch Erlaubnis der konservativen Parteien im Parlament vom König zum Ministerpräsidenten ernannt. Jahrelang führte er eine scheinparlamentarische Inszenierung vor, bis auch das ebenso abgeschafft wurde, wie die Duldung von Arbeiterparteien und Gewerkschaften. In Deutschland wurde Hitler auf parlamentarischem Weg eingesetzt – er hatte keine Mehrheit und regierte mit mehreren konservativen Ministern. Im März 1933 fanden zum letzten Mal Wahlen statt, die unter Bedingungen faschistischen Terrors abgehalten wurden. Ende März wurde das Ermächtigungsgesetz verabschiedet. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit wurde dadurch möglich, dass die KPD-Mandate durch die Faschisten annulliert wurden, und gleichzeitig viele kommunistische Abgeordnete verhaftet wurden.
Heute wächst die Bereitschaft zum parlamentarischen Putsch. 2020 wählten in Thüringen CDU und AfD gemeinsam eine FDP-Marionette zum Ministerpräsidenten, um die Linkspartei zu entmachten. Das Ganze hielt nur ein paar Tage, aber es war eben eine Probe auf den Putsch.
In Berlin wurde auf Grundlage eines nachrangigen Verwaltungsfehlers der Senat aus SPD, Grünen und Linkspartei gestürzt, und der rassistische Denunziant Kai Wegner nach drei Wahlgängen mithilfe der Stimmen der AfD in das Amt des „Regierenden Bürgermeisters” gehievt. Man sieht, die Möglichkeiten, parlamentarische Verhältnisse reaktionär zu verbiegen, und das ganz legal, sind da, und erfreuen sich wachsender Beliebtheit.
„Zerstörung der bürgerlichen Demokratie von rechts, Sammlung der zur Reaktion neigenden kleinbürgerlichen und lumpenproletarischen Massen, Ziel der Herstellung der ‚Volksgemeinschaft’ gegen innere und äußere ‚Feinde’” – so haben Genossen der Gruppe KAZ die Kriterien benannt, an denen zu erkennen ist, dass Parteien faschistisch sind. Das war im Jahr 2017. AfD und CSU wurden zu der Zeit von uns zu den wichtigsten gezählt.13
Wenig später, bei den bayerischen Landtagswahlen im Herbst 2018, verlor die CSU die absolute Mehrheit. Das verursachte zunächst großen Jubel, vor allem bei bayerischen Antifaschisten. Aber wer hatte der CSU die Stimmen weggenommen?
Das war hauptsächlich die AfD, aber auch die „Freien Wähler” – faktisch Blutsverwandte der CSU – hatten zugelegt. Das rechte Lager hat bei diesen Landtagswahlen bei gestiegener Wahlbeteiligung 682.000 Stimmen dazu gewonnen, und nur 190.000 Stimmen mehr gab es für SPD, Grüne und Linkspartei zusammen. Die Kämpfe innerhalb der faschistischen Bewegung hatten sich verschärft, – sie konkurrieren darum, wer am besten dieses Volk kriegstüchtig machen kann – im Sinne der oben genannten Kriterien. Das hat in Wirklichkeit diese Landtagswahl sichtbar gemacht.
Diese Kämpfe gehen weiter. Wir müssen heute mit einigen Unbekannten rechnen. Die Freien Wähler positionieren sich auch woanders als in Bayern, niemand weiß derzeit, welche Konstellationen sich da ergeben. Die Werteunion hat sich als Partei gegründet, was zurzeit nicht sehr erfolgreich aussieht, da sie mit dieser Gründung ihren organisierten Einfluss in der CDU nicht mehr hat. Diese Parteien also nehmen womöglich diesmal der AfD Stimmen ab, was keinen Antifaschisten erleichtern kann. Sollte die Wahlrechtsreform zur Verkleinerung des Bundestages vor dem Bundesverfassungsgericht Bestand haben, wird die CSU sicherlich Zweitstimmen verlieren – zugunsten von AfD, Freien Wählern usw. Es wird dadurch auch nichts besser – die Bourgeoisie kann sich seelenruhig das sich verändernde Angebot ansehen, kann sich die innerfaschistischen Kämpfe ansehen und auswählen – derweil machen die anderen Parteien – und an vorderster Front die SPD – die Drecksarbeit, indem sie rassistische Forderungen der AfD erfüllt.
Großen Einfluss auf die Parteienlandschaft wird nun auch das BSW nehmen. Das ist die zurzeit unklarste Variable in den Kämpfen um Einfluss und Macht. Laufend wird kolportiert, das BSW werde der AfD Stimmen wegnehmen. Das BSW wird hochgeschrieben, Sahra Wagenknecht ist ständig in den Medien. Dagegen wird die Linkspartei großenteils wie nicht vorhanden, wie nicht mehr am Leben behandelt.
Wem das BSW tatsächlich Stimmen wegnehmen wird, das wird sicherlich die Linkspartei sein. Frühere Wähler der Linkspartei würden wegen der Frage des Friedens mit Russland das BSW wählen, und wegen aller damit verbundenen Forderungen, wie Schluss mit der Kriegshetze gegen Russland, Schluss mit den Sanktionen, Schluss mit den Waffenlieferungen an die Ukraine.
Die Frage ist, ob mit dem Ruf nach Frieden mit Russland alle dasselbe meinen. Nehmen wir mal uns, die Teilnehmer dieser Konferenz. Wenn hier von Frieden mit Russland die Rede ist, dann gehe ich mal davon aus, ist das gemeint als Teilforderung, als aktuelle Forderung im Rahmen des Kampfes um Frieden mit allen Völkern der Welt. Die Forderung nach Frieden mit Russland kann aber auch eine Option des deutschen Imperialismus bedienen, von der gestern schon Renate und Stephan gesprochen haben. 14 Die Forderung Frieden mit Russland bedeutet dann: Frieden mit Russland gegen alle möglichen anderen. Und so muss es uns nicht wundern, wenn z. B. von Jürgen Elsässer eine Zeitlang tausende Aufkleber zu sehen waren (jedenfalls da, wo ich wohne) mit der Aufschrift: Frieden mit Russland!
Wirkliche Klarheit ist beim BSW über diese Frage nicht zu haben – so wie man auch weder links noch rechts sein will.
Nun hören wir vom BSW auch sehr unfriedliche Töne. Die Forderungen zur Migrationspolitik, die vom BSW und insbesondere von Sahra Wagenknecht kommen, unterscheiden sich in nichts von der menschenfeindlichen Abschiebepolitik der Bundesregierung. Teilweise versucht Frau Wagenknecht, die Regierung vor sich herzutreiben, zum Beispiel zum Thema Kriminalitätsstatistik, also so genannte „Ausländerkriminalität”. Auffällig sind auch die Angriffe gegen Bürgergeld-Empfänger, gern verbunden mit Kritik an Jugendlichen, an Minijobbern, an Flüchtlingen. Was wir hier sehen, ist eine Law-and-Order-Politik mit rassistischen Inhalten.
Es ist nicht klar, was aus dem BSW wird. Aber die reaktionäre Asylpolitik, die direkt von der Regierung härteres Vorgehen fordert und ständig mit Verdächtigungen gegen Flüchtlinge und arme Bevölkerungsteile nachlegt, ist mordsgefährlich. Und die Bourgeoisie schaut mit großem Interesse auf das BSW, es wird mit allen möglichen Umfragen hochgeschrieben, wird als zivilisierte Konkurrenz gegen die AfD hingestellt. Die AfD hat für einige Kapitalisten eine äußerst störende Eigenschaft: Sie ist international in Verruf geraten. Das stört die Geschäfte. Die bei der Faschistensitzung in Potsdam diskutierte „Remigration” bedeutet Deportation eigener Staatsbürger. Das hat Entsetzen sogar bei den französischen Faschisten ausgelöst, die am liebsten nichts mehr mit der AfD zu tun haben wollen. Es zeigt sich hier die besondere Aggressivität des zu spät und zu kurz gekommen deutschen Imperialismus, die sich in dem Knatsch zwischen den deutschen und den französischen Faschisten widerspiegelt. Nun wird offenbar in manchen bürgerlichen Kreisen eine unverfänglichere faschistische Variante herbeigesehnt, etwa so eine, wie sie die italienischen Faschisten unter Mussolini verkörpert hatten. So zumindest ist zu erklären, dass in der großbürgerlichen FAZ sich ein zaghafter Mussolini-Vergleich findet.
Das sollten alle, die sich dem BSW anschließen, bedenken, insbesondere diejenigen, die von der Linkspartei kommen. Die Anti-Asyl- und Abschiebepolitik ist auch Kriegsvorbereitung, ist Kriegsertüchtigung des Volkes an der Heimatfront. Frieden ist ohne Kampf gegen diese Politik nicht zu haben. Frieden ist ohne Internationalismus nicht zu haben. Das möchte ich den Anhängern des BSW sagen, soweit sie hier anwesend sind oder soweit hier Anwesende Kontakt zu Anhängern des BSW haben: Kämpft gegen die verheerende Migrationspolitik des BSW, insbesondere vertreten durch Sahra Wagenknecht. Sorgt dafür, dass aus dem BSW nicht eine neue Mussolini-Partei gemacht werden kann (sozusagen Faschismus light), dass dieses Angebot im Markt der Möglichkeiten für die Bourgeoisie nicht verfügbar wird.
Ist es denn wirklich so ein Opfer, die besonders Mühseligen und Beladenen aus anderen Ländern bei uns aufzunehmen? Ich meine, genau das Gegenteil ist der Fall. Die verstärkte Migration und die Solidarität mit den Flüchtlingen stärken die Arbeiterklasse, und eine Stärkung kann die Arbeiterklasse hierzulande wirklich vertragen! Dazu möchte ich euch eine Stellungnahme von Lenin vorlesen:
„Es besteht kein Zweifel, dass nur äußerstes Elend die Menschen veranlasst, die Heimat zu verlassen und dass die Kapitalisten die eingewanderten Arbeiter in gewissenlosester Weise ausbeuten. Doch nur Reaktionäre können vor der fortschrittlichen Bedeutung dieser modernen Völkerwanderung die Augen verschließen. Eine Erlösung vom Joch des Kapitals ohne weitere Entwicklung des Kapitalismus, ohne den auf dieser Basis geführten Klassenkampf gibt es nicht und kann es nicht geben. Und gerade in diesen Kampf zieht der Kapitalismus die werktätigen Massen der ganzen Welt hinein, indem er die Muffigkeit und Zurückgebliebenheit des lokalen Lebens durchbricht, die nationalen Schranken und Vorurteile zerstört und Arbeiter aller Länder in den großen Fabriken und Gruben Amerikas, Deutschlands usw. miteinander vereinigt.
(...)
Die Bourgeoisie hetzt die Arbeiter der einen Nation gegen die der andern auf und sucht sie zu trennen. Die klassenbewussten Arbeiter, die begreifen, dass die Zerstörung aller nationalen Schranken durch den Kapitalismus unumgänglich und fortschrittlich ist, bemühen sich, die Aufklärung und Organisierung ihrer Genossen aus den zurückgebliebenen Ländern zu unterstützen.” 15
Zum Schluss möchte ich noch was zur Bündnispolitik sagen. Die derzeitige reaktionäre Migrationspolitik der SPD als Führungspartei der Bundesregierung ist Selbstmord aus Angst vor dem Tod, ist die mordsgefährliche Illusion, man könnte den Faschismus abwenden dadurch, dass man sich seinen demagogischen, mörderischen Forderungen anpasst. Es hat sich in der Geschichte erwiesen, dass diese Illusion immer tödlich für die Sozialdemokratie ausgegangen ist. Es gibt eine Gemeinsamkeit mit der Sozialdemokratie gegen den Faschismus. Die kann aber nicht so lauten wie derzeit ihre riesigen Wahlplakate: Wählt SPD – gegen Rechts. Nein, gegen Rechts, das geht nur gegen die reaktionären Gesetze und Maßnahmen, die von der SPD mit verantwortet werden. Da ist es notwendig, Überzeugungsarbeit zu leisten. Geht zu den Infotischen der SPD zur EU-Wahl, lasst bitte keinen Sozialdemokraten ungeschoren. Man bekommt viele dumme Antworten, aber nicht nur.
Man kann mit Sozialdemokraten oder auch mit Grünen gemeinsam gegen die AfD, gegen den Faschismus kämpfen, selbst wenn die z. B. für Waffenlieferungen an die Ukraine und Sanktionen gegen Russland sind. Voraussetzung für solch einen gemeinsamen Kampf ist allerdings, dass es um konkrete antifaschistische Forderungen geht, wie z. B. Schluss mit den Abschiebungen, oder: keine Bezahlkarten, oder: Schutz vor Nazis und Polizei in den Flüchtlingsunterkünften! (zum Beispiel) Und natürlich darf es bei solchen Aktionen keine Forderungen nach Waffenlieferungen oder Ähnlichem geben, das muss dann draußen bleiben.
Man kann nicht mit Faschisten gemeinsam gegen den Krieg kämpfen.
Alles in allem: Wenn die faschistische Bewegung in diesem Land heute noch nicht als zuverlässige Stütze des Monopolkapitals taugt, dann sollten wir zunächst mal dafür sorgen, dass das so bleibt.
Und hier noch ein paar Vorschläge für Transparente und Losungen auf den nächsten Demonstrationen:
– Wiederherstellung des Asylrechts im Grundgesetz in der Fassung von 1949!
– Asylrecht für alle Flüchtlinge!
– Schluss mit den Abschiebungen!
Und es gibt noch weitere Kämpfe, die in diesem Sinne zu führen sind, so das Wahlrecht für alle ab 18, die in diesem Land wohnen, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit, und die auf Lenin zurückgehende Forderung: Automatische Einbürgerung nach 3 Monaten Aufenthalt in der BRD!
(Das Referat wurde leicht überarbeitet. Teile eines Referats der Autorin auf der IX. Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land” (2017) wurden in diesem Referat verwendet. Siehe: www.gegen-den-hauptfeind.de/texte/2017/faschistische_gefahr/ oder www.kaz-online.de/artikel/strategische-fragen-der-proletarischen-revolution-unter-der-bedingung-der-wachsenden-gefahr-des-faschismus)
Diskussionsbeitrag von Ludwig Jost zur aktuellen ökonomischen Lage**
Tarifbindung für 35-Stunden-Woche im Osten ausgehebelt
Der DGB hat erst vor ein paar Wochen eine Kampagne zur Tarifbindung gestartet, wobei auf die bei über 80 Prozent liegende Tarifbindung in der EU, vor allem in den skandinavischen Staaten hingewiesen wird. Dabei liegt sie im Westen der BRD gerade noch einmal bei 50 Prozent und im Osten bereits dicke darunter. Eine Situation, die auch schon länger von der IGM-Führung kritisiert wird. Was dabei den Osten angeht, hat der IGM-Vorstand allerdings kräftig nachgeholfen und per Tarifvertrag mit den von Gesamtmetall angeführten Kapitalisten die Tarifbindung für die Durchsetzung der 35-Stunden-Woche in den M und E, den Metall- und Elektrobetrieben im Osten ausgehebelt. Die 35-Stunden-Woche ist nach den hierbei vereinbarten tariflichen Bestimmungen nur noch auf der Grundlage einer sogenannten „freiwilligen Betriebsvereinbarung” nach dem Betriebsverfassungsgesetz möglich. Was heißt, das geht nur, wenn die Kapitalisten damit einverstanden sind. Hierbei wurde die IGM-Forderung „bei vollem Lohnausgleich” in ihr Gegenteil verkehrt. Die 35 gibt es nur mit der vereinbarten Kompensation, was heißt, die Arbeiterklasse in den dafür in Frage kommenden Betrieben muss die 35 mit Verzicht auf andere tarifvertraglich vereinbarte Leistungen oder mit zugesagten Produktivitätssteigerungen bis an die 20 Prozent herangehend bezahlen. Damit wird die 35-Stunden-Woche bis 2027/2028 je nach Vereinbarung und von Betrieb zu Betrieb unterschiedlich eingeführt.
Lenin Werke Bd. 22, S. 198 ↩
A. Fogarasi: „Lenins Lehre von der Arbeiteraristokratie: Und ihre Anwendung auf Fragen der Gegenwart.” ↩
Ebenda ↩
Lenin, zitiert nach E.S. Varga: Der Sozialdemokratismus als Verteidiger des kapitalistischen Systems und seine Krise (Kapitel IX aus: Grundfragen der Ökonomik und Politik des Imperialismus, Berlin (DDR) 1955, S. 560-607.) ↩
Lenin, zitiert nach E.S. Varga: Die Arbeiteraristokratie nach dem zweiten Weltkrieg (aus: Beiträge zu Problemen der politischen Ökonomie des Kapitalismus, 1964, in: E.S. Varga, Ausgewählte Schriften 1918 – 1964, Dritter Band: Der Kapitalismus nach dem zweiten Weltkrieg, Zweite, überarbeitete Auflage, Pahl-Rugenstein Verlag Köln 1982, Lizenzausgabe des Akademie-Vlg Berlin (DDR) 1979, S. 189 – 200) ↩
Lenin, Der Zusammenbruch der II. Internationale, Lenin Werke Bd. 21, S. 247 ↩
Siehe Kasten zur 35-Stunden-Woche ↩
E.S. Varga, Der Sozialdemokratismus als Verteidiger.… (siehe Fußnote 4) ↩
Ernst Thälmann, Die politische Lage und die Aufgaben der Partei, Referat auf dem XI.Parteitag der KPD 1927, in: Ernst Thälmann, Reden und Aufsätze 1919-1928, Nachdruck Frankfurt/Main 1972, 1.Auflage Berlin 1955 ↩
Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, Frankfurt/Main 1971, S. 75 ↩
Karl Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben – Erinnerungen und Visionen, Berlin 1998, S. 303 ↩
http://www.marxists.org/deutsch/archiv/zetkin/1923/06/faschism.htm ↩
https://www.kaz-online.de/artikel/was-sind-die-merkmale-faschistischer-parteien ↩
Renate Schiefer und Stephan Schindlbeck, Das Geheimnis des Krieges – Der deutsche Imperialismus und der Ukraine-Krieg – Referat, gehalten auf der XV. Konferenz „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!”. Siehe www.gegen-den-hauptfeind.de/ ↩
Lenin, Kapitalismus und Arbeiterimmigration, LW Bd. 19, S. 447. ↩