Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Deutschland raus aus der NATO?

Gretl Aden (Kommunistische Arbeiterzeitung)

Ich halte diese Losung für falsch und zwar aus folgenden Gründen:

Unabhängig von der subjektiven Absicht derjenigen Freunde und Genossen, die sie aufstellen, greift sie nicht unmittelbar den deutschen Imperialismus an, sondern die NATO, und damit den US-Imperialismus.

Sie schürt die Illusion, der deutsche Imperialismus wäre friedlicher, weniger gefährlich ohne die NATO und verharmlost damit den deutschen Imperialismus.

Sie beinhaltet eine Option der deutschen Monopolbourgeoisie und ihres Staates in ihrem Kampf um die Beherrschung möglichst großer Teile der Welt: das Streben, ohne und gegen die USA antreten zu können.

Sie lenkt also vom deutschen Imperialismus ab, statt auf den Kampf gegen ihn zu orientieren – und das ist doch unsere Aufgabe in diesem Land als Teil des internationalen Kampfes der Arbeiterklasse und unterdrückten Völker gegen den Imperialismus.

Warum ist das so?

Um diese Frage zu beantworten, ist es notwendig, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen, um den Charakter der NATO zu verstehen.

Jeder hier im Raum kennt wahrscheinlich den Ausspruch ihres ersten Generalsekretärs Lord Ismay, der als Ziel der NATO zusammenfasste: „To keep the Russions out, the Americans in and the Germans down”, also die Sowjets aus Europa draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten. Die 1949 auf Initiative und unter Führung des US-Imperialismus, der als stärkster imperialistischer Staat aus dem Zweiten Weltkrieg hervorging, gegründete Nato, hatte von Seiten der USA den Zweck, die eigene hegemoniale Stellung auch in Europa gegenüber den imperialistischen Mächten dort (Frankreich, Großbritannien, Italien) zu festigen und auszubauen, den deutschen Imperialismus dabei unter Kontrolle zu halten und so den Kampf gegen den Kommunismus anzutreten. Das hieß damals konkret, die Sowjetunion zu schwächen, wo es ging, und eine weitere Errichtung volksdemokratischer und sozialistischer Staaten in Europa und weltweit zu verhindern. Für diesen Kampf brauchten sie aber den deutschen Imperialismus, der sich als Frontstaat anbot. Unter Bruch wesentlicher Bestimmungen des Potsdamer Abkommens wurde nicht nur die Bildung des westdeutschen Separatstaates gebilligt, sondern auch eine Remilitarisierung Westdeutschlands geplant – allerdings unter Kontrolle des US-Imperialismus, eingedämmt durch ein europäisches und transatlantisches Bündnis. Es war damals die einzige Möglichkeit für die deutsche Monopolbourgeoisie und ihr politisches und militärisches Personal, ein erneutes Mal wieder auf die Füße zu kommen. Ursprünglich sollte die Militarisierung Westdeutschlands innerhalb einer Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) erfolgen, in die westdeutsches Militär eingegliedert werden sollte. 1 Doch dieser Plan scheiterte an der französischen Nationalversammlung, die 1954 dagegen stimmte. Und so wurde Westdeutschland 1955 in die NATO aufgenommen, wie auch gleichzeitig in die Westeuropäische Union (WEU). Anders als vor allem der französische Imperialismus für die EVG ursprünglich vorgesehen hatte, bedeutete die Aufnahme in die NATO den eigenständigen Aufbau einer westdeutschen Armee mit bis zu 500.000 Soldaten in den 70er Jahren und einer Stärke, die ungefähr die Hälfte der konventionellen Kampfkraft der NATO in Europa ausmachte. Verboten waren Herstellung und Besitz von ABC-Waffen, also atomarer, biologischer und chemischer Waffen und weiterer schwerer Waffen. Letzteres dürfte auch der Grund dafür sein, dass die Bundeswehr bis heute keine Flugzeugträger besitzt.

Das heißt, die NATO und damit das Bündnis mit den USA hatte für den deutschen Imperialismus von Anfang an einen widersprüchlichen Charakter: Zum einen bedeutete es die zwangsläufige Duldung der Kontrolle durch den US-Imperialismus und damit bestimmte Einschränkungen; zum anderen aber nutzte dieses Bündnis ihm und benutzte er dieses Bündnis auch, um wieder erstarken zu können – auch gegen die Bündnispartner. Das aber bedeutet, dass die Forderung „Deutschland raus aus der NATO” von Seiten des deutschen Imperialismus aus gesehen immer auch den Aspekt beinhaltet, die lästige Kontrolle, die Einschränkungen los zu werden, selbst wenn man sie in der Absicht stellt, den deutschen Imperialismus und die Nato schwächen zu wollen.

Doch spielt dieser Aspekt heute noch eine Rolle?

Er spielte immer eine Rolle, verstärkt wieder dann, als das imperialistische Lager gegen den Kommunismus erst einmal einen für die Arbeiterklasse und Völker weltweit bitteren Sieg erringen konnte.

Doch zuvor gelang die deutsche Monopolbourgeoisie im Windschatten des Bündnispartners wieder zu alter Stärke. Während die führende imperialistische Weltmacht USA die Drecksarbeit übernahm und so weltweit zum verhassten Sinnbild des aggressiven Imperialismus wurde, wühlte der deutsche Imperialismus im Hintergrund. Er hatte Beziehungen zu allen faschistischen Regimes, beteiligte sich verdeckt an den Kriegen, tat alles, um die DDR zu destabilisieren. Er nutzte jeden Krieg, jeden Konflikt, den die USA anzettelte, um ökonomisch an Terrain zu gewinnen, Absatzmärkte an sich zu reißen, Kapital zu exportieren. Westdeutschland wurde schnell zum ökonomisch stärksten Staat in Europa und forderte eine entsprechende politische Rolle ein. Es ist an dieser Stelle kein Platz, um all die Stationen der Entwicklung aufzuzeigen die schließlich zu 1989 führten und danach zu den verstärkten Bemühungen, die führende, hegemoniale Macht innerhalb der EU zu werden. Stets aber war der Stachel der Eindämmung durch den US-Imperialismus vorhanden und spiegelte sich in den Haltungen und Auseinandersetzungen hier wie auch innerhalb des Bündnisses entsprechend wider. So in der Auseinandersetzung um die Atombombe, die der damalige Kriegsminister Strauß einforderte, aber nicht bekam; so in der Auseinandersetzung um die Reaktion auf den Bau des antifaschistischen Schutzwalles durch die DDR, die von Seiten des US-Imperialismus nicht so aussah, wie es sich Bonn wünschte – nämlich eine militärische Antwort. Ich möchte an all die Pläne der Bourgeoisie erinnern, die darauf hinausliefen, mit Hilfe einer Zusammenarbeit mit Frankreich wieder zu einer Großmacht zu werden, die gegen die USA antreten kann, wie z. B. Franz Josef Strauß in seinem Buch „Der Entwurf für Europa” darlegte. Oder aber auch an das Schlagwort der „Bananenrepublik”, das in den 80er Jahren innerhalb der Friedensbewegung immer wieder benutzt wurde, so, als wäre die BRD ein vom US-Imperialismus abhängiger Staat, dessen Kompradorenbourgeoisie man dazu bringen müsse, sich vom US-Imperialismus zu befreien, obwohl doch Westdeutschland längst wieder zu einem der stärksten, aggressiv seine Interessen durchsetzenden imperialistischen Staat geworden ist.

Aus dem Schatten der Nachkriegsgeschichte heraustreten

Mit der Wahl Gorbatschows zum Staatspräsidenten der Sowjetunion und schließlich der endgültigen Zerstörung der sozialistischen Staaten in Europa durch die beginnenden Konterrevolutionen, also noch vor der Einverleibung der DDR, spielte dieser Aspekt, die „Deutschen unten zu halten” von Seiten des US-Imperialismus bzw. diese Kontrolle los zu werden von Seiten des deutschen Imperialismus logischerweise wieder eine heftige Rolle, machte sich der letztere doch daran, die Nachkriegsordnung gründlich umzukrempeln. Als Beispiel ein Zitat aus einem Artikel des westdeutschen Admirals Elmar Schmähling im Spiegel vom Mai 1989 (22/89): „Bis heute ist vielen Deutschen noch gar nicht klar, daß die Nato-Mitgliedschaft der Bundesrepublik aus der Sicht der siegreichen Westmächte zwei entscheidenden Zielen diente: Zunächst sollte Westdeutschland unter enge Kontrolle gebracht werden; dies – und nur dies – war das Interesse der westlichen Nachbarn (...)

Später war es dann ganz im Sinne der Sieger, die wachsende Wirtschaftskraft der Bundesrepublik für die militärische Verteidigung des ganzen Westens zu nützen. (...)

Es mag dahingestellt bleiben, ob die Westdeutschen nun wirklich, wie einige ausländische Beobachter meinen, aus dem Schatten der Nachkriegszeit heraustreten. Es kann auch offenbleiben, ob diese Normalisierung unseren Alliierten verständlich sein wird. Es ist einfach so. Und darauf müssen sich Amerikaner, Briten und Franzosen einstellen.”

Auch wenn Schmähling sich in diesem Artikel gegen eine weitere atomare Hochrüstung wandte, bleibt doch die Haltung, sich aus der Umklammerung lösen wieder aus dem Schatten der Nachkriegszeit heraustreten zu wollen. Es fragt sich doch, in welche Zeit man wieder eintreten wollte.

Einbindung in die NATO zur „Kontrolle des deutschen Machtpotentials”

Diese Debatte wurde fortgesetzt im Zuge der 2+4-Verträge. Ein „wiedervereinigtes” Deutschland rief bei den imperialistischen Konkurrenten des deutschen Imperialismus und einstigen Siegermächten die größten Befürchtungen hervor. Vor allem die britische Regierung, aber auch die französische hatten heftige Widerstände, wie der damalige Bundeskanzler Kohl in seinen Memoiren beschreibt. Im April 1989 zitierte die Welt am Sonntag den nordamerikanischen Politiker Kissinger folgendermaßen: „Soll der innere Zusammenhang des Westens gesichert werden, muß er eine eigene Vision für ein vereinigtes Europa entwickeln. Geschieht dies nicht, wird die wirtschaftlich und militärisch stärkste Nation Europas – die Bundesrepublik Deutschland – mit Sicherheit ihren eigenen Weg gehen.” 2 Der Weg, wie die Herrschaften in Washington, aber auch in Paris oder London einen möglichen Alleingang des deutschen Imperialismus verhindern wollten, war wiederum die „Eindämmung”: durch die verstärkte Einbindung in eine Zusammenarbeit mit den europäischen Imperialisten, also die Europäische Gemeinschaft (EG) und später die Europäische Union (EU) und durch die NATO. Letztere sollte von Seiten der USA und Großbritanniens auch dazu dienen, eine etwaige zu enge „Zusammenarbeit” vor allem von Frankreich und Deutschland gegen die USA zu verhindern. Wieder ein Zitat einer deutschen Denkfabrik: „Daß Deutschland militärisch und sicherheitspolitisch in die NATO eingebunden bleibt, war eine zentrale westliche Bedingung für die Wiedervereinigung. Der atlantische Rahmen wird insbesondere von denjenigen politischen Eliten in den westeuropäischen Ländern (vor allem von den britischen Konservativen) als unabdingbar angesehen, die die europäische Integration als nicht geeignet bzw. als nicht hinreichend für die Kontrolle des deutschen Machtpotentials bewerten oder darin sogar die Gefahr eines deutschen Europas wittern.”, so beschrieb das 1999 im Rückblick ein Professor für Politische Wissenschaft für die Bertelsmann-Stiftung. 3

Die Bedingungen für die Einverleibung der DDR von Seiten der Westmächte waren denn auch die weitere Eingliederung in die europäischen Verträge, der Verbleib in der Nato, die Reduzierung des Militärs auf höchstens 370.000 Soldaten, das Verbot von ABC-Waffen.

Dieser Vertrag gilt bis heute und man muss wohl sagen „noch”, wenn man sich an die Diskussionen vor dem Einmarsch russischen Militärs in die Ukraine über Möglichkeiten einer atomaren Bewaffnung der BRD erinnert. Und ich frage nun: Ist es denn die Aufgabe von Kommunisten unter imperialistischen Bedingungen diesen Vertrag in Frage zu stellen, also unter Bedingungen, die doch leider dadurch gekennzeichnet sind, dass wir weit davon entfernt sind, die Machtfrage in diesem Land zu Gunsten der Arbeiterklasse lösen zu können? Wenn wir das können, dann stellt sich die Frage ganz anders. Dann gibt es keinen Grund mehr für die Teilnahme in einem imperialistischen Kriegsblock.

Nutzung der Bündnisse zur Erweiterung des deutschen Machtpotentials

Der deutsche Imperialismus machte sich auf jeden Fall daran, diese Bündnisse, die doch zur Eindämmung gedacht sind, in seinem Interesse zu nutzen, und, wie es der damalige Außenminister und vorheriger BND-Chef Kinkel 1993 als Ziel vorgab, „... nach außen etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potential entspricht (...) Wir sind auf Grund unserer Mittellage, unserer Größe und unserer traditionellen Beziehungen zu Mittel- und Osteuropa dazu prädestiniert, den Hauptvorteil aus der Rückkehr dieser Staaten nach Europa zu ziehen.”. 4 Gemeint waren damals Polen, Ungarn, die Tschechische und die Slowakische Republik. Dieser „Heimatmarkt”, wie diese Länder ein Vertreter der Deutschen Bank damals nannte, wurde in Windeseile mit Waren made in germany überflutet, Schaltstellen der Wirtschaft wie Banken, Telekommunikation, Energieversorger, Presse, aufgekauft. Deutschland wurde innerhalb kürzester Zeit der weitaus größte Handelspartner und Direktinvestor in diesen Staaten. Mit viel Druck und Angeboten an den Konkurrenten und Bündnispartner Frankreich wurde die EU-Osterweiterung auf den Weg gebracht und noch bevor diese vollzogen war, auch die erste Runde der NATO-Osterweiterung um diese Staaten, die entgegen der landläufigen Meinung eben nicht vom US- sondern vom deutschen Imperialismus vorangetrieben worden war 5 – und wie wir wissen, gegen alle Zusagen an Gorbatschow. Jegliche eventuelle Bestrebungen der aus den Konterrevolutionen und den Wirren der Übergangszeit hervorgegangenen Bourgeoisien, sich eigenständig oder gar wieder im Bündnis mit der Russischen Föderation zu organisieren, sollten frühzeitig unterbunden werden. Als altbekanntes Argument diente, für Stabilität und Ordnung sorgen zu wollen.

Nach erfolgter Osterweiterung sowohl der NATO wie auch der EU und davor schon der vom deutschen Imperialismus vorangetriebenen, erfolgreichen Zerschlagung Jugoslawiens – Kinkel 1992: Serbien muss in die Knie gezwungen werden! – ging es vor allem um die sog. Vertiefung der Europäischen Union und die Durchsetzung der hegemonialen Bestrebungen des deutschen Imperialismus innerhalb dieses Bündnisses. Das Ziel einer strategischen Autonomie einer EU gegenüber den USA wurde nun immer offener benannt. Was soll in diesem Zusammenhang eines stärker werdenden deutschen Imperialismus, der seine Weltmachtansprüche wieder mehr oder weniger offen anmeldet, eine Forderung nach Austritt aus der NATO, also nach Bruch des transatlantischen Bündnisses?

Auch mal offene Aufkündigung der Gefolgschaft

Ich möchte in diesem Zusammenhang erinnern an die schweren Zerwürfnisse mit den USA 2003, als die Bundesrepublik unter der Schröder-Regierung offen den USA die Gefolgschaft aufkündigte und zusammen mit Frankreich und der Russischen Föderation gegen eine Militärintervention in den Irak stimmte. Was in Verkennung des deutschen Imperialismus für viele Friedensfreunde begrüßenswert erschien, war nichts anderes als der Schutz deutscher und französischer Interessen im Irak bzw. insgesamt im mittleren Osten gegen den US-Imperialismus. Nur 6 Jahre zuvor, 1997, hatte der US-Stratege Brzezinski festgestellt es sei zur Zeit nicht zu befürchten, dass „ein politisch so stark integriertes Europa entstehe, dass es die Vereinigten Staaten in absehbarer Zeit in geopolitischen Angelegenheiten herausfordern könne, die anderswo von hoher Bedeutung für Amerika sind, insbesondere im Nahen Osten.” 6 Gerade da aber waren die französische Ölfirma Total, waren Siemens und Konsorten vor Ort, war die BRD wieder mit Abstand größter Handelspartner des Irak, wie auch übrigens des Irans. Ein Krieg der US-geführten NATO gegen den Irak war also durchaus nicht im Interesse Deutschlands und Frankreichs, sondern auch, selbst wenn es ein Nebenschauplatz war, gegen deren Einfluss und Absatz gerichtet. Dieses Brzezinski-Zitat zeigt aber auch, dass die Herrschenden in den USA sehr wohl ein Auge darauf haben, wie sich die zunächst doch durchaus geförderte Einbindung des deutschen Konkurrenten in ein „vereinigtes Europa” (Kissinger) entwickelt und, worum es Brzezinski v.a. auch geht, wie eine enge Zusammenarbeit Deutschlands bzw. der EU mit der Russischen Föderation möglichst verhindert bzw. unter und zugunsten US-amerikanischer Vorherrschaft kontrolliert werden kann. „Schlössen die eurasischen Mächte sich gegen die Vereinigten Staaten zusammen, dann könnte Washington die weltweite Vorherrschaft vermutlich nicht behalten” fasst Jörg Kronauer Brzezinski in dieser Sache zusammen und zitiert ihn dann: „Eurasien ist mithin das Schachbrett, auf dem der Kampf um globale Vorherrschaft ... in Zukunft ausgetragen wird”. 7 Und damit sind wir in der Gegenwart angekommen und dem Krieg, der auf dem Rücken des ukrainischen Volkes ausgetragen wird.

Schärfste Rivalität und Beteuerung der Bündnistreue – zwei Seiten einer Medaille {#schärfste-rivalität-und-beteuerung-der-bündnistreue-zwei-seiten-einer-medaille}

Diesem Krieg sind vor allem in den ersten beiden Jahrzehnten dieses Jahrhunderts folgende Entwicklungen vorausgegangen: eine Ausdehnung der Machtposition des deutschen Imperialismus innerhalb der EU auf Kosten aller anderen EU-Staaten vor allem während der sog. Finanz- und anschließend Eurokrise; permanente deutsche Handelsüberschüsse gegenüber den anderen EU-Staaten, aber auch gegenüber den USA. Eine, bis zur Ukraine-Krise 2014, für den deutschen Imperialismus äußerst gedeihliche Zusammenarbeit mit der Russischen Föderation, die nicht nur steten und relativ billigen Gaszufluss sicherte, sondern auch Beteiligungen von BASF und e.on an der Exploration russischer Gasquellen, wie überhaupt einträgliche Profite für die in Russland tätigen deutschen Monopole – Siemens, Daimler, Deutsche Bank und wie sie alle heißen. Doch – die Monopolbourgeoisie kann den Hals ja nicht voll genug kriegen –, auch Ausdehnung des Einflusses der EU und damit vor allem Deutschlands weit über die EU hinaus über allerlei EU-Assoziierungsabkommen – eben auch mit der Ukraine. Gleichzeitig torpedierten seit 2008 die Regierungen Frankreichs und Deutschlands die von der US-amerikanischen Regierung geforderte Aufnahme der Ukraine in die NATO. Die vorantreibende Rolle des US-Imperialismus gemeinsam mit Großbritannien in der Zuspitzung der Widersprüche zur Russischen Föderation, die kategorische Ablehnung jeglicher Verhandlungen, was schließlich den Einmarsch russischen Militärs in die Ukraine zur Folge hatte, ist also auch eine Antwort auf diese Entwicklungen.

Die Herrschenden hierzulande hatten sich nun zu entscheiden: weiter mit Russland zusammenzuarbeiten zumindest auf dem Energiesektor und den Bruch mit den USA zu riskieren, mit allen Folgen auch innerhalb der EU oder aber im Bündnis mit den USA Russland zu bekriegen. Letztere Strömung setzte sich durch. Dass diese Durchsetzung auch innerhalb der herrschenden Klasse nicht ganz so einfach war und ist zeigt sich m.E. schon alleine an der Aggressivität, mit der nun jeder Politiker, ob nun Merkel oder Schröder, bekämpft wird, der seine Zusammenarbeit mit Russland nicht zum größten Fehler erklärt.

Auf der anderen Seite macht nun der Vorwurf des Vasallentums die Runde. Es gibt ihn quer durch die politischen Lager, aber auch in den europäischen Auseinandersetzungen. So informierte vor kurzem german-foreign-policy über das Papier einer europäischen Denkfabrik mit Sitz in Berlin, das vor der Vasallisierung gleich ganz Europas warnt, eine Warnung, die auch der verärgerte französische Staatspräsident Macron gen Deutschland schickt. Macron misstraut der neu erwachten Liebe des deutschen Imperialismus zu seinem US-amerikanischen Bündnispartner zu Ungunsten des deutsch-französischen Bündnisses zutiefst. Schließlich hat der französische Imperialismus Erfahrungen mit einer deutsch-US-amerikanischen Kungelei auf seine Kosten bereits seit den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts. Im letzten Jahr wurde Frankreich von der Scholz-Regierung denn auch permanent vor den Kopf gestoßen und zwar auf allen Ebenen. Es ist an dieser Stelle nicht das Thema, auf die Widersprüche innerhalb der EU näher einzugehen. Wichtig ist, dass es innerhalb der herrschenden Kreise hier, wie auf europäischer Ebene eine Strömung gibt, die der Scholz-Regierung Vasallentum vorwirft; wie Macron auf das Ziel der strategischen Autonomie der EU drängt, während Scholz plötzlich erklärt: „Wer nostalgisch dem Traum europäischer Weltmacht nachhängt, wer nationale Großmachtphantasien bedient, der steckt in der Vergangenheit.8 Stattdessen müsse man eng an der Seite der Vereinigten Staaten stehen.

... und unsere Aufgaben

Täuschen lassen sollten wir uns davon nicht. Trotz des offensichtlichen wirtschaftlichen Schadens, den der Bruch mit Russland bedeutet – und über den die USA durchaus nicht traurig ist – nutzt der deutsche Imperialismus die Situation in seinem Interesse: zur rasanten Militarisierung und Aufrüstung des Landes; dazu, das Volk wieder kriegsfähig zu machen und auch dazu – das gehört zusammen –, die eigene Geschichte nun endgültig zu entsorgen. Hitler verschwindet hinter Putin; Deutsche Panzer kämpfen für die Freiheit in der Ukraine, Rheinmetall kündigt die Herstellung eines supermodernen Kampfpanzers mit dem traditionsreichen Namen Panther gleich direkt in der Ukraine an. Man kann das auch Rache nennen. Während Waffen in den USA besorgt werden, wird gleichzeitig verstärkt auf nationale Produktion gesetzt. Diese Bestrebungen sind nicht neu, haben nun aber an Fahrt aufgenommen. So schrieb bereits 2019 der General a.D. Erich Vad, lange Zeit engster militärpolitischer Berater Merkels und heute Mitunterzeichner des Aufrufes von Wagenknecht und Schwarzer: „Auch wenn der Einsatz von Militär und Gewalt eine Ultima Ratio des politischen Handelns bleibt, scheint das Vorhalten modern ausgerüsteter Streitkräfte ... unumgänglich zu sein, um als politischer Akteur auf der internationalen Bühne ernst genommen zu werden. (...) Aber braucht es dazu unbedingt eine nationale Rüstungsindustrie?” – Vad geht nun auf das Argument ein, dass es doch viel billiger wäre, Rüstungsmaterial einzukaufen und fährt fort: „Im Falle des Falles ist nicht sichergestellt, dass ausländische Produzenten liefern, nicht zuletzt auch aus politischen Gründen, die sich ändern können (...) Der eigene sicherheitspolitische Handlungsspielraum ist ohne eine nationale Rüstungsindustrie mit Kernkompetenzen und nationalen Schlüsseltechnologien stark eingeengt. (...) 9

Auf internationaler Bühne auch militärisch wieder ernst genommen zu werden, notfalls auch gegen die Bündnispartner losschlagen zu können, darauf bereitet sich der deutsche Imperialismus jetzt vor. Sollen wir da fordern „Deutschland raus aus der NATO”, wo die Herrschenden doch gerade alles tun, um dieses Bündnis notfalls sprengen zu können?

Gerade weil es doch so schwierig zu durchschauen ist, was der deutsche Imperialismus und sein geschäftsführender Ausschuss, also die Regierung, da treiben; gerade weil doch innerhalb der Arbeiter- und Friedensbewegung mehrheitlich entweder „Putin” oder aber die USA in diesem Krieg als Hauptfeind verstanden werden, müssen wir den deutschen Imperialismus entlarven. Es muss uns klar sein, dass es eine absolute Minderheit in diesem Land ist, die versteht, was der deutsche Imperialismus mit diesem Krieg zu tun hat und diejenigen, die die Aufgabe sehen, genau diesen deutschen Imperialismus trotz all dieser Verwirrungen zu bekämpfen, sind eine noch kleinere Minderheit.

Aus diesen Gründen müssen wir den deutschen Imperialismus entlarven, müssen gegen ihn agitieren und mobilisieren, gegen seine Kriegstreiberei und Militarisierung, gegen die weitere Zerschlagung der demokratischen Rechte, gegen die Abwälzung der Kosten auf die Arbeiterklasse. Das sind die unmittelbaren Aufgaben, die wir haben. Eine Losung „Deutschland raus aus der NATO” widerspricht dem.


  1. In einer Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik, einer deutschen Denkfabrik, von 2019 heißt es dazu: „Das Streben nach Selbstbehauptung und Selbstbestimmung der (West-) Europäer unten den Strukturbedingungen der Bipolarität (Ost-/Westkonflikt) war eine wichtige Triebkraft der Gemeinschaftsgründungen. Dafür steht nicht zuletzt das Vorhaben, eine(r) europäische(n) Verteidigungsgemeinschaft ...” (zit. nach: Jürgen Wagner „Im Rüstungswahn – Deutschlands Zeitenwende zu Aufrüstung und Militarisierung”, Köln 2022, S.17), 

  2. zit. nach „Welt am Sonntag”, 23.4.1989 

  3. Werner Link: „Deutschland als europäische Macht” in: Werner Weidenfeld (Hg.), Europa-Handbuch, Verlag Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 1999, S.560 

  4. FAZ, 19.3.1993 

  5. So schreibt der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe in seinem Buch „Deutschlands Verantwortung – Perspektiven für das neue Europa” (1994), dass er insbesondere bei dem US-Verteidigungsminister auf große „Zurückhaltung” mit seinem Verlangen einer Osterweiterung der NATO gestoßen sei. Siehe zu diesem Buch und den damaligen Auseinandersetzungen auch innerhalb der deutschen Bourgeoisie den Artikel „Die Lava fließt noch”, KAZ 259, 14.10.1994 

  6. Brzezinski 1997, The grand Chessboard, zit. nach Jörg Kronauer „Meinst du die Russen wollen Krieg?” S. 101 

  7. Jörg Kronauer: „Ukraine über alles!”, Hamburg 2014, S. 59 

  8. gfp „Die Vasallisierung Europas” vom 11.5.2023 

  9. NZZ 18.3.2019 „Warum es eine nationale Rüstungsindustrie braucht”, zit nach Jürgen Wagner, a.a.O. S. 48/49