Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Episoden und Fakten zur Grenzsicherung der DDR

Udo Helmbold (Zeitzeuge der Grenzsicherung der DDR)

Ich danke Euch herzlich dafür, als ehemaliger Grenzer der NVA – der Nationalen Volksarmee - einige Fragen des Klassenkampfes an der Staatsgrenze zu Westberlin aufzuwerfen.

Grenzdienst war Klassenkampf, um das mit aller Deutlichkeit zu sagen.

Die heutige Propagandamaschine kennt nur die 8 Worte Walter Ulbrichts „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten“ die auf einer internationalen Pressekonferenz im großen Festsaal im Haus der Ministerien mit etwa 350 Journalisten aus aller Welt am 15.06.1961 gesprochen wurden. Im Zentrum dieser Konferenz stand die Forderung nach einem Friedensvertrag für Deutschland, verbunden mit der international erörterten Idee der Schaffung einer entmilitarisierten Freien Stadt Westberlin.

Sie ging über Stunden. Die Korrespondentin der Frankfurter Rundschau Frau Doherr, stellte darin an Ulbricht die Frage: „Bedeutet die Bildung einer Freien Stadt Westberlin Ihrer Meinung nach, dass die Staatsgrenze am Brandenburger Tor errichtet wird? Und sind Sie entschlossen, dieser Tatsache mit allen Konsequenzen Rechnung zu tragen?“

Ulbrichts Antwort: „Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten. Ich habe vorhin schon gesagt: Wir sind für vertragliche Beziehungen zwischen Westberlin und der Regierung der DDR. Das ist der einfachste und normalste Weg zur Regelung dieser Fragen.“ Herbert Graf, Interessen und Intrigen, Wer spaltete Deutschland? S. 272 ff

Nun wird dieses Zitat völlig aus dem Kontext gerissen, dessen Kausalität missachtet und Ulbricht als Lügner dargestellt.

Aber damit favorisierte Ulbricht wohl für jedermann erkennbar, eine Verhandlungsregelung.

Bereits im September 1959 tauschten sich der amerikanische Präsident Eisenhower mit dem sowjetischen Ministerpräsidenten Chruschtschow in Camp David über den gleichen Problemkreis aus und erörterten die Berlin-Frage eingehend. Es ging um „die legitimen Interessen der Sowjets, der Ostdeutschen, der Westdeutschen und vor allem, wie man die Interessen der westlichen Länder schützt…Wir stimmen darin überein, dass dies eine anormale Situation ist, die ganze Welt sagt dies“. Dwight Eisenhower: Erklärung auf der Pressekonferenz in Washington am 28.09.1958

Es gab eine EAC – Vereinbarung vom September 1944 im Lanchaster House in London, worin die Planung von Besatzungszonen in Deutschland, die Gebiete und besatzungsrechtlichen Fragen beraten wurden, die nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands in Kraft treten sollten. Die Beschlüsse von Jalta und dem Potsdamer Abkommen präzisierten die 1944 vereinbarten Protokolle.

Was man dabei vergessen hatte, das war die Festlegung von Zugangswegen nach Westberlin für die Alliierten. Das wurde operativ und schnell von Shukow entschieden, damit die drei westlichen Alliierten problemlos ihre Aufgaben erfüllen können.

Westberlin mit seinen Zugangswegen hatte mit der Separaten Währungsreform in der BRD am 20.Juni 1948 und nur einen Tag später in Westberlin, der Gründung der BRD am 23. Mai 1949 und der Gründung der Bundeswehr am 12.November 1955 und dem Beitritt zur NATO bereits am 23. Oktober 1954 in der Systemauseinandersetzung einen völlig neuen Stellenwert bekommen. Die westlichen Alliierten sprachen vom „Pfahl im Fleisch des Gegners“ und sie wollten Westberlin zu einer unverzichtbaren strategischen Position im kalten Krieg behalten und ausbauen.

Hinzu kommt, dass die USA in der angestrebten Verhandlungsperiode zur Pariser Gipfelkonferenz des Jahres 1960 eine militärische Provokation gegenüber der Sowjetunion auslösten. Es war am 01.Mai 1960, als ein amerikanisches Spionageflugzeug vom Typ U2 in einer Höhe von über 20 km mit dem Piloten Powers in der Nähe von Swerdlowsk durch sowjetische Raketen abgeschossen wurde. Der amerikanische Präsident Eisenhower war nicht bereit, sich dafür zu entschuldigen. Das politische Klima war dadurch sehr aufgeheizt.

Am 03. und 04. Juni 1961 traf sich Chruschtschow jedoch mit dem neuen amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy in Wien. Als Kennedy aus Wien nach Washington zurück gekehrt war, erteilte er den Auftrag, für eine Einschätzung darüber, wie viele Amerikaner bei einer nuklearen Auseinandersetzung sterben würden. Die Antwort lautete: „siebzig Millionen“.

William. E. Leuchtenberg „Kennedy in der Mauerkrise“ S. 132

Seit der 2. Hälfte des Monats Juli 1961 hielt sich John McCloy als persönlicher Beauftragter Kennedys in der SowjetUnion auf. Kennedy habe sich gestützt auf die McCloy Aussage an seinen Sicherheitsberater gewandt : „Chruschtschow sieht sich in einer unerträglichen Lage gegenüber. Die DDR blutet sich zu Tode, und als Folge ist der ganze Ostblock in Gefahr. Er muss was unternehmen, um das aufzuhalten. Vielleicht eine Mauer.“

So Walt Rostow im Interview mit dem NDR am 12. August 1976.

Am 30.Juli 1961 erklärte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des US-Senats J.W. Fulbright öffentlich: „Ich verstehe nicht, weshalb die DDR- Behörden ihre Grenze nicht schließen, denn ich meine, sie haben alles Recht, sie zu schließen.“

In: The New York Times“ vom 3. August 1961. Zwar hat der Zeitpunkt des Mauerbaus die Alliierten überrascht, aber nicht die Mauer.

Mit ihr wurde eine thermonukleare Katastrophe abgewendet.

Auch das gehört zur Wahrheit über die Berlin-Krise 1961

Einige wenige Erlebnisse als Grenzer ab Juni 1964 in Berlin:

Da einzelne Kompanien zu Ausbildungs- und Urlaubszeiten aus dem Grenzdienst ausgelöst werden mussten, übernahm die 5. Kompanie, der ich angehörte, deren Grenz-Abschnitt.

Das war insofern interessant, dass ich nach und nach den gesamten Grenzabschnitt des Grenzregiments-35, damals in Rummelsburg stationiert, kennen lernen konnte. Ich kannte die Besonderheiten der Postentürme und Ereignisse von der Oberbaumbrücke bis zum Brandenburger Tor.

Ich weiß auch nicht warum, aber ich war vom ersten Tag an auch S- und U-Bahn bestätigt. Das heißt, ich wurde auf den letzten Bahnhöfen auf DDR-Gebiet zur unterirdischen Grenzsicherung eingesezt. Ich stand am Bahnhof Heinrich-Heine-Straße, dem sogenannten „Walfisch“ benannt nach der gleichnamigen Eckkneipe am Eingangstor, am U-Bahnhof Mitte sowie am Leipziger und Potsdamer Platz. Mit dem Zugführer oder anderen Vorgesetzten ging ich mehrfach bis „ zum weißen Strich.“ Das war eine auf dem Boden den Seitenwänden und der Decke befindliche weiße Grenzmarkierung.

Die Bahngleise und die Weichenstellungen wurden auch von Westberlinern kontrolliert. Dazu bekamen wir als Grenzer eine Information, dass zwischen 2 Uhr und 4 Uhr „Weichenschmierer“ aus dem Westteil kommen würden. Einmal staunten wir am S-Bahnhof Potsdamer Platz nicht schlecht, als ein solcher Mann unangemeldet plötzlich vor uns stand. Aber diesen Burschen kannten wir bereits und ließen ihn gewähren.

Zum Schusswaffen-Gebrauch

Ich beginne einmal an der Oberbaumbrücke. Dort kamen u.a. Weihnachten 1964 viele Westberliner nach einer von Walter Ulbricht initiierten zweiten „Geste des Guten Willens“. per Fuß „in den demokratischen Sektor Berlins“ mit einem Passierschein. Andere fuhren per Auto über die Heinrich-Heine-Straße, Chaussee-Straße oder über die Bornholmer-Straße ein. Der Übergang an der Friedrichstraße „Checkpoint Charlie“ war nur den alliierten Besatzungsmächten vorbehalten. Auch der U-Bahnhof Fiedrichstraße wurde als Übergang eingerichtet.

Und was die alles mitbrachten: Brot, Nudeln, Kartoffeln – das gab es zur Genüge in der DDR, aber diese Menschen waren durch die Medien schon so manipuliert worden, dass sie glaubten, wir würden in der DDR am Hungertuch nagen. Die gemachten guten Erfahrungen ließen offensichtlich auf ein gemeinsames Miteinander mit dem West- Berliner Senat hoffen. „ Die SED vertrat (nach dem VI. Parteitag 1963) die Ansicht, dass eine Form der friedlichen Koexistenz zwischen DDR, BRD und Westberlin eine Konföderation sein könnte. Sie sollte auf der Souveränität und Gleichberechtigung beider deutscher Staaten und einer freien Stadt Westberlin beruhen und keine über ihn stehende Staatsgewalt schaffen.

Das heißt doch nichts anderes, als dass jeder Schuss der an der Staatsgrenze abgegeben wurde, einer zu viel war. Oft erlebte ich, wie leitende Mitarbeiter der SED oder unterschiedlicher Ministerien in großen Foren immer wieder darauf aufmerksam machten, dass jeder Grenzer auch ein „Außenminister“ sei. Es käme darauf an, ohne Einsatz der Schusswaffe, im Vorfeld der rückwärtigen Grenzsicherungsanlagen Grenzverletzer oder ihre Absichten rechtzeitig zu erkennen und im organisierten Zusammenwirken Grenzverletzungen zu verhindern.

Ein guter Bekannter von mir, Klaus Huhn, schrieb ein kleines Buch: „Die Todesschüsse an der Westgrenze“, SpotLess- Verlag, 2011 über ein Kapitel in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, das man am liebsten verschweigt. Er weist. anhand des Studiums im Archiv der „Aachener Nachrichten“ nach, dass an der Westgrenze zu den BeNeLux- Staaten Deutsche durch BRD- Zöllner erschossen wurden. Darüber hinaus gab es zahlreiche Verletzte. Wer wurde für diese Taten jemals zur Rechenschaft gezogen? Und weshalb wurde dort geschossen?

Auf der Seite 4 ist dort zu lesen:

„Der Staat hat unter keinen Umständen das Recht auf einen Menschen nur deshalb schießen zu lassen und ihn eventuell sogar zu töten, weil er dem Staat einige Zölle oder Abgaben hinterzieht. Hier stehen das Rechtsgut der staatlichen fiskalischen Interessen(…) und das Rechtsgut des menschlichen Lebens gegenüber: Bei der Wahl zwischen diesen beiden Rechtsgütern dürfen wir nicht deshalb rücksichtslos über Menschenleben verfügen, weil wir hoffen, ein paar Mark mehr in die Finanzkasse zu kriegen.

MdB Bernhard Günther CSU, (1906-1981) machte das in der Bundestagsdebatte vom 01.10.1952 zu der Tatsache, dass seit 1946 allein an der BRD-Staatsgrenze bei Aachen 31 Menschen, zumeist Deutsche, von Zöllnern erschossen wurden. Dabei konnten sie sich auf einen offiziellen „Schießbefehl“ berufen.“

Nachfragen, die Klaus Huhn an das Archiv des Bundestages richtete, ergaben, dass man davon nichts wisse. Wo sind die Protokolle dieser Sitzungen geblieben?

Gegen Klaus Huhn wurde wegen Landesverrat ein Gerichtsverfahren eröffnet. Mit seinen lückenlosen Beweisen musste es eingestellt werden. Warum schweigt man das alles tot?

Ich wende mich deshalb noch einmal gegen den Medienrummel, der in Begleitung des Falls der Mauer geschürt wurde und die Grenzer als schießwütige Monster dargestellt wurden.

Kurz: Es gab keinen Schießbefehl ind der DDR, aber es gab einen an der Westgrenze zu den BeNeLux-Staaten.

Apropos: wenn die Grenzer, wie in den Medien behauptet, „schießwütig“ waren, so frage ich mich, warum haben sie nicht von ihrer Schusswaffe in einer der kompliziertesten Situationen Gebrauch gemacht?

Die Irritation von Schabowski, der kleine Zettel, soll die Grenze geöffnet haben? Die „Aktuelle Kamera“, die damalige offizielle Nachrichtensendung der DDR-Regierung, verbreitete um 19.30 Uhr, dass am Morgen des nächsten Tages bedeutende Reiseerleichterungen für die DDR- Bürger in Richtung BRD in Kraft treten würden.

Das war den Massenmedien in der BRD und Westberlin nicht genug. Die ARD verkündete um 20 Uhr, dass die Grenzen zur BRD ab sofort offen stehen. Erst diese Meldung veranlasste die DDR-Bürger, sich vom Wahrheitsgehalt dieser Nachricht zu überzeugen. Sie gingen zu Tausenden zunächst an die Bornholmer Straße und verlangten das Öffnen der Grenze. Die Frage ist doch: Nahmen die BRD- Medien bewusst in Kauf, dass die „schießwütigen DDR-Grenzer“ ihre Grenzen mit Waffengewalt verteidigen? Haben sie den Tod von Hunderten oder Tausenden DDR-Bürgern einkalkuliert? Darin liegt an und für sich die gesamte Perversität dieser Nacht, als sich die Grenzen öffneten.

„Diensthabender Offizier der Grenztruppen und Stellvertreter des Kommandanten der GÜST (Grenz-Übergangs-Stelle) Bornholmer Straße war am Abend des 9. November Major Manfred Sens… Soweit es Major Sens am Grenzübergang Bornholmer Straße betraf, hatte er die die vier wachhabenden Grenzposten seines Sicherungszuges wie an jedem Tag auch am 9. November dazu vergattert, Grenzdurchbrüche nicht zuzulassen, die Ruhe und Ordnung im Grenzgebiet aufrechtzuerhalten, die Ausdehnung von Provokationen auf das Hoheitsgebiet der DDR zu unterbinden, Grenzverletzer festzunehmen bzw. zu vernichten. Schabowski, kannst du das überhaupt verantworten, was du angerichtet hast? Er hatte die Pressekonferenz verfolgte. ,Er trug als Major, die Verantwortung für diese Brücke. Bei ihm lagen die Nerven blank. Bis er ohne Befehl von oben zu haben und niemand seine Fragen beantwortete, sich entschloss, die Waffen in die Waffenkammer einzuschließen und die Grenze zu öffnen. Er hatte zu seinen Soldaten gesagt, „Wenn hier auch nur ein Schuss fällt, hängen wir morgen hier an den Laternenpfählen.“

Hertle, Chronik des Mauerfalls, Ch. Links Verlag, Berlin, 1996 S. 157 ff.

Etwa drei Wochen nach diesem Ereignis habe ich telefonisch mit ihm gesprochen, weil wir beide in der 2. Hälfte der 60-er Jahre im Regimentsstab tätig waren und uns schätzen gelernt hatten. Ich habe ihn zu seinem Verhalten gratuliert und gesagt, dass ich in dieser Ausnahmesituation nicht anders gehandelt hätte als er. Über ihn aber, war anlässlich des 20. und 30. Jahrestages des Mauerfalls nicht ein Wort in den Zeitungen zu lesen.

Ich kannte auch noch andere Genossen, die im Widerstreit der Pflichten handelten. Am Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße stand in jener Nacht mein ehemaliger Artillerie-Kommandeur Oberstleutnant Karl Löbel, am sogenannten Tränenpalast am U-Bahnhof Friedrichstraße, dessen Nachfolger, Oberstleutnant Lutz Kühl. Ich hatte Gelegenheit danach mit beiden zu sprechen. Es waren hervorragende Kommandeure und wissende Menschen, die nun beklagten, in entscheidenden Momenten allein gelassen worden zu sein, ausgerechnet vom Staat DDR, der sie ihr ganzes Herzblut gewidmet hatten und nun besonders niedergeschlagen und enttäuscht waren.

Grenzer - Erlebnisse

Zurück zu meinen Erlebnissen an der Staatsgrenze der DDR nach Berlin-West. Einmal hatte ich Grenzdienst auf dem Postenturm in der Köpenicker Straße in Berlin-Mitte.

Etwa einhundert Meter entfernt, stand auf Westberliner Territorium in Höhe der dort gelegenen Sankt-Michael-Kirche am Bethaniendamm ein Kreuz für Paul Schultz. Es wurde für ihn errichtet weil er am 25. Dezember 1963 versucht hatte, in diesem Bereich nach Überwindung der rückwärtigen Grenzsicherungsanlagen den vorderen Teil der 1961 gebauten Mauer zu erreichen. Nach Warnschüssen und danach an den unteren Gliedmaßen getroffen, verhedderte er sich im darüber liegenden Stacheldraht der Mauer. Nun hing er dort und konnte weder zurück noch nach vorn.

Als die Grenzposten als Verstärkung sich näherten, um ihn aus dieser Situation zu befreien, drohte die Westberliner Polizei, Feuerschutz zu geben oder sofort auf sie zu schießen, falls man sich der Person nähern würde. Auch die nach etwa einer halben Stunde mit einem Sankra aus Rummelsburg eintreffenden Sanitäter wurden so in Schach gehalten. Man konnte sich von DDR-Seite den Grenzverletzer nicht nähern, ohne das eigene Leben aufs Spiel zu setzen.

Letztendlich hatte er nach einer Stunde zu viel Blut verloren. Er wurde von der Westberliner Polizei mit Gewalt über die Mauer gezogen und starb in einem Westberliner Krankenhaus.

Dann begann in Westberlin ein sagenhafter Presserummel. Bis zum heutigen Tag wird er als Held gefeiert und der Anteil der Westberliner Polizei am Tod von Schultz bleibt ungesühnt.

Ein weiteres Beispiel: Ich stand am 13. September auf einem Postenturm an der Dresdner Straße, links von der Heinrich-Heine-Straße.

Gegen fünf Uhr vernahm ich Schüsse aus Maschinenpistolen. Das war der Posten rechts von der Heinrich-Heine-Straße, in der Sebastianstraße. Dort befand sich 1964 der am besten ausgebaute Grenzabschnitt Berlins, mit hohem Hinterlandzaun und großer übersehbarer Freifläche mit etwa 80 Meter von der hinteren zur vorderen Grenzbefestigung. Der Grenzverletzer hatte sich ganz in der Nähe einer Schule postiert und seit Stunden seine Chance gesucht. Dann rannte er los und hatte die hinteren Sperrzäune bereits überwunden und lag am Bein verletzt, etwa zehn Meter vor der Grenzmauer im Stacheldrahtzaun. Er hatte noch die Kraft, sich unter dem Stacheldraht hindurch zu wühlen und lag nun im Sandbett zwischen Stacheldraht und Mauer. Als nach fünf Minuten die Reservegruppe eingeführt wurde, gaben die Amerikaner aus dem Bereich Stallschreiberstraße Feuerschutz. Sie verhinderten dadurch die Festnahme.

Für die Grenzer galt ein generelles Verbot, auf Alliierte zu schießen. Letztendlich sprang ein amerikanischer Uniformierter, das wissend, über die Mauer und holte den Verletzten auf das Westberliner Territorium.

Letzterer wurde mit den höchsten militärischen Orden der USA ausgezeichnet. Seine plötzlich in allen Medien veröffentlichte Geschichte mit den üblichen Fotos brachte es mit sich, dass er von mehreren Westberliner Frauen als gesuchter Vergewaltiger identifiziert und später gerichtlich belangt wurde.

Ein Postenturm auf Höhe Springer-Hochhaus

Unweit von diesem Posten, nur ein paar hundert Meter entfernt, am Springer-Hochhaus, gab es ein weiteres denkwürdiges Ereignis.

Damals, 1964, befand sich das Springer-Hochhaus noch im Bau. Es war jener Posten, den wir freiwillig mit Stahlhelm bezogen. Der Neubau befand sich nur wenige Meter von der Grenzmauer entfernt und die Erbauer ließen es nicht nehmen, uns aus der Höhe mit kleinen Betonteilen oder Schrauben zu bewerfen.

Dort wurde am 18.Juni 1962 Reinhold Huhn, als Gefreiter der Grenztruppen in der Zimmerstraße 56, durch den Fluchthelfer Rudolf Müller ermordet. Reinhold hatte ihn als einen Unbekannten wahrgenommen, der jedoch schnell im Hinterland verschwand.

Man muss wissen, dass es einen etwa zwei Meter breiten Gang gab, über den Mitarbeiter des Verlages „Tägliche Rundschau“ zu ihrer Arbeitsstätte gelangten. Da die Grenzer diese Personen vom Angesicht her kannten, wurden sie nicht mehr nach ihren Passierschein zum Betreten des Grenzgebietes befragt.

Bei Rückkehr dieses unbekannten Mannes in Richtung Westberlin wollte ihn Reinhold auf gültige Dokumente überprüfen. Der aber zog statt des Ausweises plötzlich eine Pistole und erschoss Reinhold Huhn kaltblütig aus nächster Nähe. Müller wurde, nachdem er den Tunnel wieder passiert hatte, in der Springer-Druckerei empfangen, von der Bildzeitung sensationell fotografiert und der Mörder fortan als Held gefeiert. Das passierte in den Morgenstunden des 18.Juni 1962.

Nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch verjähren zwei Dinge nicht: Mord und Steuerschulden.

Heute steht dort eine Tafel folgenden Inhalts:

„In der Zimmerstraße 1,2,4 wurde im Sommer 1962 von einem unbebauten Grundstück unter der Mauer hindurch ein Tunnel zum Ostberliner Haus Nr. 56 gegraben. Ein aus der DDR geflüchteter Mann wollte seine Familie in den Westen holen. Auf dem Weg zum Tunneleingang hielt der 20- jährige Unteroffizier Reinhold Huhn die Flüchtlinge an. Von Schüssen tödlich getroffen, brach der Grenzpolizist unmittelbar darauf zusammen. Die Flüchtlinge gelangten durch den Tunnel nach West- Berlin. Die Grenzposten hätten Feuer eröffnet und den eigenen Kameraden getroffen, behauptete der Fluchthelfer in dem folgenden Ermittlungsverfahren 1962 in West-Berlin. In einem zweiten Verfahren gestand er 1998, dass er geschossen hatte, um sich und seine Familie zu schützen. Der Bundesgerichtshof erkannte jedoch keine Rechtfertigung durch Notwehr und verurteilte den Fluchthelfer im Sommer 2.000 in letzter Instanz wegen Mordes zu einem Jahr Haft auf Bewährung. In Ost- Berlin erinnerte Jerusalemer /Ecke Schützenstraße eine Gedenkstätte an Reinhold Huhn, die 1994 abgetragen wurde.“

Von jenem Ort möchte ich noch über eine andere Episode berichten. Auf der westlichen Seite der Mauer zeigten sich oft die Amerikaner, die lässig auf ihrem Jeep sitzend patrouillierten. So auch an einem Nachmittag, offensichtlich mit dem Ansinnen, uns zu fotografieren. Aus welchem Grund auch immer. Ein solches Fahrzeug fuhr für uns sichtbar, links vom Springer-Hochhaus, mit drei Militärangehörigen besetzt und mit aufgebauten MG vor. Sie richteten letzteres gegen mich und meinen Posten. Wahrscheinlich wollte einer von ihnen über seine „Heldentaten“ aus Deutschland berichten. Diese Zeremonien kannten wir bereits und waren davon nicht sonderlich beeindruckt.

Ich sagte zu meinem Partner: „Stell Dich hinter den Holzmasten und sieh mich an.“ Ein Ami hüpfte auf seinen Jeep hin und her und es gelang kein Foto, weil unsere Gesichter nicht erkennbar waren. Er hatte ja nur den Masten und den Rücken meines Partners als Motiv. Ich schaute wenige cm an ihn, einmal rechts oder links an meinem Posten vorbei und gerade das missfiel unserem Gegenüber. Plötzlich rief ein GI: „Warum lasst ihr Euch nicht fotografieren, habt ihr Angst vor uns?“ Ich reagierte nicht und sah mich lediglich ein wenig um.

Ich bemerkte, dass uns eine junge Frau aus dem 4. Stock eines Hauses in der Alexandrinenstraße zuwinkte. Eine solche Geste durften wir nicht erwidern. Ich lächelte, ob meines Erfolges und die Amis verschwanden unverrichteter Dinge in Richtung dieser Straße, um die Weiterfahrt Richtung Heinrich-Heine-Straße fortzusetzen. Als sie am besagten Haus entlang fuhren, kam plötzlich ein Eimer Wasser herunter, der sich über sie ergoss.

Wir konnten uns das Lachen nicht verkneifen und nahmen noch zur Kenntnis, dass die pudelnassen Amis in das Haus eindringen wollten. Sie scheiterten jedoch an einem Wachmann, der im ebenerdigen Betrieb seine Dienstpflichten erfüllte und sie nicht einließ. Nun lächelten wir doch nach oben und machten Gesten des Wohlwollens für diese Aktion. Daumen hoch!

Die erste Festnahme

Einmal war ich als Krad-Streife eingesetzt und befuhr während eines Nachtdienstes das Gebiet zwischen Heinrich-Heine-Straße und Ministergarten, der damals links vor dem Brandenburger Tor endete. Auf dem Potsdamer Platz befand sich ein etwa sechsstöckiges Haus, auf dessen Dach sich ein Grenzposten befand mit Sicht in Richtung Friedrich–Zimmerstraße auf das ehemalige Luftfahrtministerium, zu DDR-Zeiten das „Haus der Ministerien“, und heute Finanzministerium. In der anderen Richtung konnte man das Brandenburger Tor, das Hotel Adlon, den Hügel von der abgetragenen Reichskanzlei und den Ministergarten einsehen. Der Wachposten auf dem Haus wurde „VDK“ genannt, weil es dem „Verband der Konsum - Genossenschaften“ gehörte und diesem als Bürohaus diente.

Ich stand gerade mit Sicht Richtung Brandenburger Tor, als gegen ein Uhr ein Signalgerät*) auslöste, dann ein zweites und dann ein drittes. Ich hatte den Kradfahrer bereits gerufen, als das Telefon vom Zugstützpunkt in der Mohrenstraße klingelte mit der Mitteilung, mich sofort zum Ministergarten zu begeben, dort gäbe es einen versuchten Grenzdurchbruch. Wir rannten so schnell wir konnten die Treppen hinunter und begaben uns in wenigen Minuten per Krad in die Nähe des dortigen Postenturms. Im Gegensatz zu den anderen aus Beton gebauten Postentürmen war das ein etwa zehn Meter hoher Turm aus Holz.

Als wir dort ankamen rief ich verhalten: „Was ist los?“ „Im Scheinwerfer liegt einer“, antwortete man mir. Ich sah eine Person, etwa fünfzig Meter vor mir und etwa noch zehn Meter vom Contrescarpe liegend. Ich befahl den Kradfahrer sich der Person bis auf gleiche Höhe zu nähern und ich sichere ihn aus dem Kfz.- Graben.

Wir gingen gemeinsam vor und der Posten, ein etwa 26 Jahre alter Gefreiter, näherte sich dieser Person von hinten und forderte den dort Liegenden auf, in dieser Position zu bleiben. Ich sicherte das Handeln mit durchgeladener MPi. Er legte ihn, wie in der Ausbildung gelernt, auf die Seite und machte die erste körperliche Durchsuchung. Plötzlich stockte er. Der ungebetene Gast besaß eine geladene Pistole.

Der Posten nahm ihm die Waffe ab und befragte ihn: „Was wollten Sie denn hiermit machen?“ „Auf einen mehr oder weniger von Euch sollte es mir auch nicht ankommen.“

Plötzlich drehte der Gefreite durch und schenkte ihm ein paar ordentliche Hiebe ein, begleitet mit den Worten: „und das für meine Frau, für meine Tochter und für meinen Sohn“. Ich hatte Angst, um dessen Leben und rief „Schluss! Du schlägst ihn noch tot!“ Wir führten die Person zum Zugstützpunkt in der Mohrenstraße. Als ich einen Blick in Richtung Mauer wagte, sah ich, dass auch die Amerikaner mit einem Jeep im Tiergarten aufgefahren waren und unser Handeln verfolgten. Es war ungewöhnlich, dass sich letztere auch nachts auf Patrouille begaben.

Nach der Zuführung, die gewaltlos und ohne Handschellen oder andere Hilfsmittel erfolgte, begaben wir uns zurück zu unserem Krad über die Leipziger Straße zum Postenturm. Dieser Postenturm sollte in meiner Erlebniswelt noch einmal eine besondere Rolle spielen. Doch dazu später.

*Signalgerät:: Das war ein an einem Pfahl befestigtes Gerät, das ein nach oben gerichtetes kurzes Rohr hatte, worin sich eine Leuchtpatrone befand, die ähnliches Licht abgab, wie eine Silvesterrakete. Bei einbrechender Dunkelheit wurden diese Geräte, die mit Perlonschnüren verbunden waren, durch Entnahme des Sicherungsstiftes „scharf“ gemacht. Nach Berühren des Perlon-Fadens, der sich in einer Höhe zwischen 10 und 30 Zentimetern befand und erdseitig befestigt war, gab das Gerät einen Stern gelb frei, um das Territorium zu beleuchten. Oft spielten uns auch die Kaninchen einen Streich, die in diesen Gebieten reichhaltig vorhanden waren.

„Studio am Stacheldraht“

Ich möchte jetzt einmal auf etwas zu sprechen kommen, was heute niemand mehr wissen will. Das ist das „Studio am Stacheldraht“, welches seit 1961 existierte und in den folgenden Jahren die ideologische Beeinflussung der Grenzsoldaten und der grenznahen Bevölkerung in Berlin zum Ziel hatte. Dazu gab es unterschiedliche Methoden.

Auf dem Springer-Hochhaus gab es, wie wir sagten, einen „Lügenbalken“. Das war eine mit Laufschrift funktionierende Anlage, die über die neuesten Nachrichten des „Axel-Springer“-Verlages informierte, aber auch genügend „Enten“ verbreitete. Ein zweiter „Lügenbalken“ befand sich am Potsdamer Platz. Die Sendung begann mit Einbruch der Dämmerung und ging bis 23Uhr.

Eine andere Methode war, dass VW-Busse mit einem aufgebauten Bildwerfer entlang der Grenze fuhren und an dafür eigens ausgewählten Häusern, die zuvor weiß getüncht wurden, ihre Dias an die Wand projizierten.

Eine dritte Variante war die Aufstellung von großen Schildern, die in unmittelbarer Grenznähe aufgestellt wurden und für Westberliner weniger sichtbar waren. Ein paar wenige Aufschriften sind mir noch in Erinnerung geblieben: „Politoffiziere, reden sie wie sie denken oder denken sie wie sie reden?“Das zielte natürlich darauf ab, das Vertrauen zu den Vorgesetzten infrage zu stellen.

Oder: „Warum habt ihr Euch eingemauert?“ Hatten sie noch nicht gemerkt, dass sie eingemauert waren?

(Siehe Anlage Studio am Stacheldraht . Erst als die Sowjets mit sogenannten Schallkanonen die Sendungen störten und in Westberlin die Fenster der Häuser zerstörten, lenkte man ein, denn so viel Krach wollte man auch wieder nicht. Bei der Darstellung in Wikipedia ist natürlich sehr einseitig, wie sollte es auch anders sein!.) Eine dritte Version war die Aufstellung von etwa 4 x 6 m großen Schildern, die unmittelbar in Grenznähe für die Westberliner weniger sichtbar, aufgestellt und nahezu täglich gewechselt wurden. Ein paar wenige Aufschriften sind in meiner Erinnerung geblieben: „Polit-Offiziere - reden sie wie sie denken, oder denken sie wie sie reden?“ Hier sollte das Vertrauen zu den Vorgesetzten untergraben werden. Oder: „Warum habt ihr Euch eingemauert?“ Hatten die noch nicht bemerkt, dass wir sie eingemauert hatten?

Natürlich gab es auch bei den Grenztruppen eine sogenannte „EK-Bewegung“. Diese Tendenz wollte die „psychologische Kriegsführung“ in Westberlin ausnutzen und sie zählten die Tage bis zur Entlassung des dritten Diensthalbjahres. Eigentümlicherweise waren sie immer schneller als der von allen bekannte Entlassungstermin. Worum ging es?

Den zur Entlassung stehenden Grenzern sollte noch einmal verdeutlicht werden, wie viel Zeit ihnen noch verbleibt, um fahnenflüchtig werden zu können. Diese Aktion nährte auch den Gesprächsstoff über vorzeitige Entlassung des Diensthalbjahres. In den Grenzabschnitten, die ich vorhin erwähnte, standen etwa zwanzig solcher Schilder, deren Inhalte zum Teil täglich gewechselt wurden, um eine hohe, wenn auch verlogene Aktualität zu sichern. Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, wer hat das bezahlt?

Wir wurden natürlich darüber informiert, dass es seit 1948 in Westberlin eine Organisation gibt, die sich KgU (Kampfgruppe gegen ,Unmenschlichkeit e.V.) nennt und von einem Rainer Hildebrandt in seiner Wohnung Berlin-Grunewald, Höhmannstraße 4, gegründet wurde. Hildebrandt hatte eine Suchaktion gestartet, um ehemalige Nazis, die rechtmäßig verurteilt wurden, wieder zusammenzuführen und gegen die sich neu formierende Entwicklung in der späteren DDR Spionage- und Sabotageakte zu organisieren. Sie wurden vorwiegend durch die Amerikaner in Westberlin gefördert, mit Geldmitteln ausgestattet und hatten einen amerikanischen Captain (Hauptmann) namens Ullrich Biel an ihrer Seite.

Alle ehemaligen DDR-Bürger, die ihr Heil in einer Flucht nach Westberlin suchten, gingen durch das „Auffanglager“ Marienfelde und wurden dort mit geheimdienstlichen Mitteln verhört und zur Mitarbeit in diesem Dienst animiert.

*Literatur: „Unmenschlichkeit als System“ 1957, Kongress- Verlag Berlin.

Mark Alten: „Mister Biel und der Westberliner Sumpf“ SpotLess-Verlag das neue Berlin, 2008

Den kalten Krieg erlebt

Eine andere Episode „Kalter Krieg“, (eine Formulierung, die aus der westlichen Hemisphäre kommt) erlebte ich auf dem vorhin genannten Holzturm im Ministergarten. Was war der Hintergrund? Die BRD lehnte nach wie vor alle Vorschläge der DDR- Regierung ab, die die Einheit Deutschlands betraf. Walter Ulbricht hatte bis zu seinem Tode den Gedanken von der Einheit Deutschlands nie aufgegeben. Heute wird er als Buhmann dargestellt. Die BRD gab weiterhin vor, im Namen aller Deutschen zu sprechen. Sie isolierte, boykottierte, und diskriminierte die DDR und beanspruchte für sich, der einzig legitime deutsche Staat zu sein. Dazu gehörte auch, dass sich die BRD über die Vereinbarungen von Jalta und Potsdam hinwegsetzte und sich anmaßte, Westberlin einzuverleiben. Am 8. April 1965 wollte das westdeutsche Parlament demonstrativ in der Kongresshalle in Westberlin eine Bundestagssitzung abhalten. Seitens der Regierung der DDR gab es eine Regierungserklärung, dass man nicht zulassen würde, Bundestagsabgeordnete über die Transitstraßen reisen zu lassen. Einzelne Parlamentarier fuhren dennoch an die Übergangsstellen und wurden nach der Ankündigung zurückgewiesen. Nun wurden die Damen und Herren durch die Alliierten nach Westberlin geflogen. Das Parlament kam in der Westberliner Kongresshalle zusammen. Damit sollten die DDR und die Sowjetunion vorgeführt werden, weil sie diese Provokation nicht verhindern konnten. Einen Tag zuvor erklärte Walter Ulbricht über die Medien, dass diese Bundestagssitzung nicht stattfinden würde. Ich stand also auf dem o.g. Postenturm im Ministergarten und sagte noch zu meinem Begleiter: „Das haben wir wohl nicht verhindern können.“ Kurz nach 15.00 Uhr preschten plötzlich 2 MiG im Tiefflug mit einer kurz unterhalb der Schallgrenze liegenden Geschwindigkeit in Höhen von 250 bis 400 m Höhe heran und stießen über der Kongresshalle mit Nachbrenner in die Luft. Wie ich später erfuhr, wurden die Luftkorridore über Westberlin eingeschränkt. Kaum war die eine Kette (2 Flugzeuge) verschwunden, kamen die nächsten! Der Postenturm vibrierte und ich entschied die Grenzsicherung von der Erde her zu führen. Wer einmal so etwas miterlebt hat, sollte sich dessen nicht schämen in die Hose gemacht zu haben. Gut, das habe ich nicht, aber es war eine zweistündige psychische Belastungsprobe ohne gleichen. Die Herren der Bundesregierung konnten in der Halle ihr eigenes Wort nicht mehr verstehen. So sollte Walter Ulbricht doch noch Recht behalten, dass diese Sitzung in Westberlin nicht stattfinden würde. Der Oberkommandierende der Vereinten Streitkräfte hatte bereits am 5. April für die GSSD, NVA und Grenztruppen die erhöhte Gefechtsbereitschaft ausgelöst. Drei Divisionen der GSSD und der NVA führten westlich Berlins eine Übung durch. Für diese Übung wurde die Autobahn Helmstedt-Berlin zeitweilig für den grenzüberschreitenden Verkehr zwischen der BRD und Westberlin sechsmal für 24 Stunden gesperrt. Etwa 30 km vor der Grenze wurden Luftlandetruppen der Sowjetarmee abgesetzt. Die zeitweilige Sperrung der Autobahn Drewitz-Marienborn und der Fernverkehrsstraße Staaken-Horst führte zu erheblichen Rückstaus. Es gab Fahrzeugschlangen bis zu 40 km und Wartezeiten bis zu 33 Stunden. Sicher hielten viele diese Maßnahmen für überzogen, aber sie erfüllten ihren Zweck. Der politische Status quo im Herzen Europas wurde erhalten. Das war „Kalter Krieg“ pur und ich hatte ihn selbst erlebt.

Zusammenarbeit mit der Bevölkerung

Ich möchte noch auf eine andere Frage eingehen die ich in all meinen Dienstjahren nur positiv zu beurteilen weiß. Das ist die Zusammenarbeit zwischen den Grenztruppen, den Betrieben und der Bevölkerung Berlins. Jedes Jahr, kurz vor Weihnachten mussten wir mit einem oder mehreren LKW’s zur Kreisleitung der SED oder zum Rathaus Lichtenberg fahren, um Pakete für die Grenzer abzuholen. Inliegend Briefe des Dankes und der besten Wünsche, gefüllt mit Schokolade, Süßigkeiten, Stollen, Büchern, Früchten und Obst. Und diese Briefe und Päckchen wurden von niemandem geschickt, der unter Zwang stand. Das war eine normale Geste für die zu Weihnachten nicht zu Hause sein könnenden Grenzer, denen man auf diese Art und Weise gedachte. Es beförderte das Verhältnis zwischen Grenztruppen und der Zivilbevölkerung ungemein. Jedes Regiment, jede Kompanie hatte einen Patenbetrieb, eine Paten-Schule oder einen Kindergarten, in denen regelmäßig Treffen und gesellige Veranstaltungen stattfanden.

Epilog

Die Sicherung der Staatsgrenzen des Warschauer Vertrages, eingeschlossen auch nach Westberlin, war Teil des Klassenkampfes nicht schlechthin zwischen Ost und West, sondern zwischen Sozialismus und Imperialismus.

Die Profiteure an Kriegen kennen keine Grenzen. Mitgewirkt und dabei gewesen zu sein, ihren Machenschaften Einhalt zu gebieten, erfüllt mich mit Stolz.

Es gab eine Zeit, in der sich in der DDR niemand mehr vorstellen konnte, dass er noch einmal einen Krieg erleben würde, weil wir für ihre Sicherheit in vorderster Front standen.

Heute kämpfen imperiale Mächte um ihre Vorherrschaft auf dieser Welt. Die Leidtragenden sind die Völker und die Ärmsten der Armen! Und der militärisch Industrielle Komplex füllt sich die Taschen in noch nie dagewesener Geschwindigkeit und stellt das Leben der gesamten Zivilisation in Frage. Die NATO war noch nie eine Organisation zum Schutz der Völker. Wenn sie das wäre, warum hat sie 1998 die Mitgliedschaft Russlands in diesem „Verteidigungsbündnis“ abgelehnt? Warum will sie seit ihrer Existenz keinen Friedensvertrag mit diesem Land, sondern lässt seit mehreren Jahren seine Panzer an den Grenzen Russlands umher rasseln?

Die Profiteure an Kriegen kennen keine Grenzen.

„Das Kapital hat einen Horror vor Abwesenheit von Profit, wie die Natur vor der Leere. Für 100 Prozent stampft es alle menschlichen Gesetze unter seinen Fuß; 300 Prozent und es existiert kein Verbrechen, das es nicht riskiert, selbst auf die Gefahr des Galgens. Wenn Tumult und Streit Profit bringen, wird es sie beide encouragieren. (ermutigen)! (Thomas Dunning 1799-1873)

Wo sind die Betbrüder geblieben, die einmal „Frieden schaffen ohne Waffen“ und „Schwerter zu Pflugscharen“ machen wollten? Warum hört man nichts mehr von denen?

Ich würde mich an ihrer Stelle auch schämen!

Die über Nacht sich umgestellt, die sich zu jedem Staat bekennen,

das sind die Praktiker der Welt, man könnte sie auch Lumpen nennen.

(Wilhelm Busch 1832-1908)