Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Pit Simons (Autor)

Liebe Genossinnen & Genossen – liebe Freundinnen & Freunde

Zur Dialektik von Krieg und Revolution

Zur Verständnishilfe, worum es mir in diesem Referat überhaupt geht, seien zwei Kopfzitate vorangestellt:

„Dialektik ist die Lehre, wie die Gegensätze identisch sein können und es sind (wie sie es werden) – unter welchen Bedingungen sie identisch sind, indem sie sich ineinander verwandeln – , warum der menschliche Verstand diese Gegensätze nicht als tote, erstarrte, sondern als lebendige, bedingte, bewegliche, sich ineinander verwandelnde auffassen soll.“ Lenin1

Das ist aus den Hegel-Konspekten.

„Daß die Gewalt aber noch eine andre Rolle in der Geschichte spielt, eine revolutionäre Rolle, daß sie, in Marx’ Worten, die Geburtshelferin jeder alten Gesellschaft ist, die mit einer neuen schwanger geht, daß sie das Werkzeug ist, womit sich die gesellschaftliche Bewegung durchsetzt und erstarrte, abgestorbne politische Formen zerbricht […]“ Engels2

Sicher geläufiger: Anti-Dühring.

Krieg und Moral, Klassengesellschaft und Krieg

Wissend, daß man sich bei einem Thema zur Dialektik von Krieg und Revolution der Gefahr von Mißverständnissen – echten wie simulierten – aussetzt, beginne ich mit dem Zitat des Eingangs von Lenins Schrift „Sozialismus und Krieg“ von 1915:

„Die Sozialisten haben die Kriege unter den Völkern stets als eine barbarische und bestialische Sache verurteilt.“3

Wir können also das Glorifizieren des großen Abschlachtens selbst als zivilisatorische Leistung getrost den derangierten Elementen des Klassenfeinds, Expendables und anderen Psychopathen überlassen. Doch stimmt bedenklich, daß die – völlig richtige – moralische Verurteilung des Krieges so alt ist wie der Krieg selbst und dabei keinen Beitrag zu seiner Abschaffung leisten konnte.

Tatsächlich ist der Krieg ein unvermeidliches Kind der Klassengesellschaft; seine Vermeidbarkeit ist mit deren historischem Ende verknüpft. Ein anderes Kind der Klassengesellschaft ist die Revolution – ohne diese nicht denkbar und und zugleich der Motor ihrer Entwicklung; … und ebenfalls gewalttätig. Lenin schreibt dann auch weiter:

„Aber unsere Stellung zum Krieg ist eine grundsätzlich andere als die der bürgerlichen Pazifisten (der Friedensfreunde und Friedensprediger) und der Anarchisten. Von den ersteren unterscheiden wir uns durch unsere Einsicht in den unabänderlichen Zusammenhang der Kriege mit dem Kampf der Klassen im Innern eines Landes, durch die Erkenntnis der Unmöglichkeit, die Kriege abzuschaffen, ohne die Klassen abzuschaffen und den Sozialismus aufzubauen, ferner auch dadurch, daß wir die Berechtigung, Fortschrittlichkeit und Notwendigkeit von Bürgerkriegen voll und ganz anerkennen, d. h. von Kriegen der unterdrückten Klasse gegen die unterdrückende Klasse, der Sklaven gegen die Sklavenhalter, der leibeigenen Bauern gegen die Gutsbesitzer, der Lohnarbeiter gegen die Bourgeoisie. Von den Pazifisten wie von den Anarchisten unterscheiden wir Marxisten uns weiter dadurch, daß wir es für notwendig halten, einen jeden Krieg in seiner Besonderheit historisch (vom Standpunkt des Marxschen dialektischen Materialismus) zu analysieren. Es hat in der Geschichte manche Kriege gegeben, die trotz aller Greuel, Bestialitäten, Leiden und Qualen, die mit jedem Krieg unvermeidlich verknüpft sind, fortschrittlich waren, d. h. der Entwicklung der Menschheit Nutzen brachten, da sie halfen, besonders schädliche und reaktionäre Einrichtungen (z. B. den Absolutismus oder die Leibeigenschaft) und die barbarischsten Despotien Europas (die türkische und die russische) zu untergraben.“4

Im folgenden soll es mir darum gehen, den aus den konkreten Betrachtungen konkreter Kriege und konkreter Revolutionen abgeleiteten Verallgemeinerungen historisch zu folgen und ggfls. weitere Verallgemeinerungen unternehmen zu können. – Das wird leider gelegentlich sehr abstrakt; das ist aber unvermeidlich wenn wir über „den Krieg“ und „die Revolution“ reden wollen, statt über jeden konkreten Einzelfall. Gestzmäßigkeiten lassen sich aber dialektischerweise nur in der Abstraktion vom Einzelnen und Besonderen finden.

Hierbei zeigt sich, daß sich ab dem Zeitalter der bürgerlichen Massenkriege – eine zur Vergesellschaftung der Produktion analoge Vergesellschaftung des Krieges – ein besonderes Wechselverhältnis zwischen Krieg und Revolution ausbildet, „indem sie sich ineinander verwandeln“. Es handelt sich also ganz wesentlich um eine Dialektik von imperialistischem Krieg und proletarischer Revolution.

Clausewitz: Krieg als Instrument und Fortsetzung der Politik

Eine marxistische theoretische Beschäftigung mit dem Krieg kommt an der theoretischen Vorleistung von ihm hier nicht vorbei – Carl von Clausewitz (1780-1831); und dies aus zwei Gründen: Zum einen ist sein nachgelassenes und unvollendet gebliebenes Werk „Vom Kriege“ der erste und letzte Versuch, nicht nur eine Theorie der aktualen Kriegführung zu entwickeln, sondern eine Art kohärente historische und kritische Theorie des Krieges überhaupt. Zum anderen – wenig überraschend – ist dieser theoretische Versuch von den Klassikern das Marxismus-Leninismus zum Teil in erheblichem Umfang rezipiert und weiterentwickelt worden – praktisch am deutlichsten wird das wahrscheinlich bei Mao.

Historisch zufällig kommt dieser theoretische Zugriff nicht: Clausewitz – im Verlaufe seines Lebens einer Art „linkem Flügel“ des preußischen Armee- und Beamtenadels zuzuordnen –, erlebt in seiner Jugend und militärischen Ausbildungszeit erstmalig auf der Verliererseite den Zusammenstoß der feudal-absolutistischen Kabinettskriegführung Preußens und seiner Verbündeten mit der revolutionären Massenkriegsführung Frankreichs, später die Etablierung eines Volkskriegskonzepts in den anti-napoleonischen Befreiungskriegen und das Scheitern damit verbundener demokratischer Hoffnungen. Die Theorie ist ganz wesentlich Spiegel dieser Erfahrungen.

Clausewitz bestimmt den Krieg begrifflich wie folgt:

„Der Krieg ist also ein Akt der Gewalt, um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen.“5

Und weiter:

„Gewalt, d. h. die physische Gewalt (denn eine moralische gibt es außer dem Begriffe des Staates und Gesetzes nicht), ist also *das Mittel, dem Feinde unseren Willen aufzudringen, der Zweck. Um diesen Zweck sicher zu erreichen, müssen wir den Feind wehrlos machen, und dies ist dem Begriff nach das eigentliche Ziel der kriegerischen Handlung. Es vertritt den Zweck und verdrängt ihn gewissermaßen als etwas nicht zum Kriege selbst Gehöriges.“*6

Dies verweist bereits auf den Instrumentalcharakter und die Abhängigkeit des Krieges von der Politik, **was **die zentrale Erkenntnis in Clausewitz’ Hauptwerk markiert und vielfach ausgeführt und präzisiert wird, so „daß der Krieg **nichts ist als die fortgesetzte Staatspolitik mit anderen Mitteln.“**7

„So sehen wir also, daß der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln. Was dem Kriege nun noch eigentümlich bleibt, bezieht sich bloß auf die eigentümliche Natur seiner Mittel. […] die politische Absicht ist der Zweck, der Krieg ist das Mittel, und niemals kann das Mittel ohne Zweck gedacht werden.“8

„Man weiß freilich, daß der Krieg nur durch den politischen Verkehr der Regierungen und der Völker hervorgerufen wird; aber gewöhnlich denkt man sich die Sache so, daß mit ihm jener Verkehr aufhöre und ein ganz anderer Zustand eintrete, welcher nur seinen eigenen Gesetzen unterworfen sei. / Wir behaupten dagegen, der Krieg ist nichts als eine Fortsetzung des politischen Verkehrs mit Einmischung anderer Mittel. Wir sagen mit Einmischung anderer Mittel, um damit zugleich zu behaupten, daß dieser politische Verkehr durch den Krieg selbst nicht aufhört, nicht in etwas ganz anderes verwandelt wird, sondern daß er in seinem Wesen fortbesteht, wie auch seine Mittel gestaltet sein mögen, deren er sich bedient, und daß die Hauptlinien, an welchen die kriegerischen Ereignisse fortlaufen und gebunden sind, nur seine Lineamente sind, die sich zwischen den Krieg durch bis zum Frieden fortziehen.“9

Dabei gerät er nahe an ein materialistisches Verständnis des Krieges:

„Wir sagen also, der Krieg gehört nicht in das Gebiet der Künste und Wissenschaften, sondern in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens. Er ist ein Konflikt großer Interessen, der sich blutig löst, und nur darin ist er von den anderen verschieden. Besser als mit irgendeiner Kunst ließe er sich mit dem Handel vergleichen, der auch ein Konflikt menschlicher Interessen und Tätigkeiten ist, und *viel näher steht ihm die Politik, die ihrerseits wieder als eine Art Handel in größerem Maßstabe angesehen werden kann. Außerdem ist sie der Schoß, in welchem sich der Krieg entwickelt; in ihr liegen die Lineamente desselben schon verborgen angedeutet wie die Eigenschaften der lebenden Geschöpfe in ihren Keimen.“*10

„Also noch einmal: der Krieg ist ein Instrument der Politik; er muß notwendig ihren Charakter tragen, er muß mit ihrem Maße messen; die Führung des Krieges in seinen Hauptumrissen ist daher die Politik selbst, welche die Feder mit dem Degen vertauscht, aber darum nicht aufgehört hat, nach ihren eigenen Gesetzen zu denken.“11

Aus dieser politischen Prädominanz der Politik ergeben zwei sich in der Strategie bis hinunter in die Taktik grundsätzlich zu unterscheidende mögliche Zwecke eines Krieges: der Krieg um begrenzte Ziele und der zur Niederwerfung des Gegners, in dem Clauswitz – hier ganz deutscher Idealist – eine „absolute Gestalt“ des Krieges ausmacht:

„Diese doppelte Art des Krieges ist nämlich diejenige, wo der Zweck das *Niederwerfen des Gegners ist, sei es, daß man ihn politisch vernichten oder bloß wehrlos machen und also zu jedem beliebigen Frieden zwingen will, und diejenige, wo man bloß an den Grenzen seines Reiches einige Eroberungen machen will, sei es, um sie zu behalten, oder um sie als nützliches Tauschmittel beim Frieden geltend zu machen.“*12

„Je großartiger und stärker die Motive des Krieges sind, je mehr sie das ganze Dasein der Völker umfassen, je gewaltsamer die Spannung ist, die dem Kriege vorhergeht, um so mehr wird der Krieg sich seiner abstrakten Gestalt nähern, um so mehr wird es sich um das Niederwerfen des Feindes handeln, um so mehr fallen das kriegerische Ziel und der politische Zweck zusammen, um so reiner kriegerisch, weniger politisch scheint der Krieg zu sein.“13

„Gehört der Krieg der Politik an, so wird er ihren Charakter annehmen. Sobald sie großartiger und mächtiger wird, so wird es auch der Krieg, und das kann bis zu der Höhe steigen, wo der Krieg zu seiner absoluten Gestalt gelangt.“14

Schon mal im Vorgriff: Was hier Clausewitz als „Krieg in seiner absoluten Gestalt“ charakterisiert, ist hervorragendes Kennzeichen eines langwierigen revolutionären Kriegs.

Zusammenfassend ist also zu sagen, daß Clausewitz eine dialektische Einheit – eine Einheit von Identität und Nicht-Identität: Krieg ist Politik und ist nicht Politik – feststellt, in der die Politik den Primat hat. Der Krieg bleibt notwendig politisch auch dort, wo er eigene Gesetzmäßigkeiten entwickelt. – Wieder im Vorgriff: Der Krieg entwickelt seine eigenen Gesetzmäßigkeiten in dem Maße, in dem er in einem revolutionären Sinne politisch wird.

Ein weiteres bedeutendes dialektisches Wechselverhältis besteht zwischen Verteidigung und Angriff, wobei „die Verteidigung“ aufgefaßt wird als „die stärkere Form mit dem negativen Zweck, der Angriff“ als „die schwächere mit dem positiven Zweck.“15 Die Verteidigung hat als Zweck nur die Negtion des Angriffs des Gegners und keinen darüber hinaus; das macht ihre Durchführung stärker. Der Angriff muß aber einem durch ein politisches Ziel gesetzten und zu begründenden Zweck folgen; das macht ihn politisch wie militärisch schwächer. Die Verteidigung führe ich mit kurzen Wegen auf dem eigenen Territorium, den Angriff mit langen Wegen auf einem fremden, … beides politisch wie militärisch.

Hierbei wird der Verteidigung der Primat der Kriegführung zugesprochen:

„Wenn wir uns die Entstehung des Krieges philosophisch denken, so entsteht der eigentliche Begriff des Krieges nicht mit dem Angriff, weil dieser nicht sowohl den Kampf als die Besitznahme zum absoluten Zweck hat, sondern er entsteht erst mit der Verteidigung, denn diese hat den Kampf zum unmittelbaren Zweck, weil Abwehren und Kämpfen offenbar eins ist. Das Abwehren ist nur auf den Anfall gerichtet, setzt ihn also notwendig voraus, der Anfall aber nicht auf das Abwehren, sondern auf etwas anderes, nämlich die Besitznahme, setzt also das letztere nicht notwendig voraus. Es ist daher in der Natur der Sache, daß derjenige, welcher das Element des Krieges zuerst in die Handlung bringt, von dessen Standpunkt aus zuerst zwei Parteien gedacht werden, auch die ersten Gesetze für den Krieg aufstelle, nämlich der Verteidiger. […] der Verteidiger aber, der seine Kampfmittel nicht bloß sammelt, sondern auch so disponiert, wie er den Kampf führen will, der übt zuerst eine Tätigkeit aus, auf welche der Begriff des Krieges wirklich paßt.“16

Dies schließt die Möglichkeiten eines unmittelbaren Umschlagens der Verteidigung in den Angriff notwendig ein:

„Ist die Verteidigung eine stärkere Form des Kriegführens, die aber einen negativen Zweck hat, so folgt von selbst, daß man sich ihrer nur solange bedienen muß, als man sie der Schwäche wegen bedarf, und sie verlassen muß, sobald man stark genug ist, sich den positiven Zweck vorzusetzen. Da man nun, indem man unter ihrem Beistand Sieger wird, gewöhnlich ein günstigeres Verhältnis der Kräfte herbeiführt, so ist auch der natürliche Gang im Kriege, mit der Verteidigung anzufangen und mit der Offensive zu enden.“17

Es muß ferner dringend angemerkt werden, daß unter der Voraussetzung der dialektischen Einheit von Politik und Krieg und deren politischem Primat eine absolute und abstrakte Entgegensetzung der Begriffe ‘Krieg’ und ‘Frieden’ ausgeschlossen ist; der Frieden ist Ausgangs- wie Zielpunkt des Krieges, beider Gestalt ist bestimmt durch die Zielvorstellung der Politik: „[…] immer muß man mit dem Frieden den Zweck als erreicht und das Geschäft des Krieges als beendigt ansehen.“18

Folgende Thesen sind festzuhalten:

→ Politik und Krieg bilden eine dialektische Einheit unter politischem Primat. D.h. der Krieg ist beschreibbar als ein fortsetzendes Instrument der Politik.

→ Zwischen Verteidigung und Angriff besteht ein dialektisches Wechselverhältnis, in dem die Verteidigung den Primat hat; dies schließt die Möglichkeit und notwendige Folgerichtigkeit des Umschlagens von Verteidigung in Angriff unmittelbar ein.

→ Strategisch wie taktisch muß der Krieg um begrenzte Ziele von dem Krieg zur Niederwerfung des Gegners unbedingt unterschieden werden.

Marxismus-Leninismus: Klassenpolitik // Krieg als Politik und Politik als Krieg

„Die Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist die Geschichte von Klassenkämpfen. / Freier und Sklave, Patrizier und Plebejer, Baron und Leibeigener, Zunftbürger und Gesell, kurz, Unterdrücker und Unterdrückte standen in stetem Gegensatz zueinander, führten einen ununterbrochenen, bald versteckten, bald offenen Kampf, einen Kampf, der jedesmal mit einer revolutionären Umgestaltung der ganzen Gesellschaft endete oder mit dem gemeinsamen Untergang der kämpfenden Klassen.“19

Spätestens also ab dem Kommunistischen Manifest von Marx/Engels 1848 ist Politk – als die sich aktual vollziehende Geschichte – verstanden als Klassenpolitik; im Rückgriff auf Clausewitz ist der Krieg mithin zu verstehen als deren Instrument und Fortsetzung.

→ Der Krieg ist notwendig beschreibbar als Instrument von Klassenpolitik.

Die Epoche, deren Beginn Clausewitz erlebt und deren Kriege er zu verstehen beginnt, ist die der bürgerliche Revolution und der Entstehung der Nation im modernen Sinne. Lenin charakterisiert die Kriege dieser Epoche später wie folgt:

„Die große Französische Revolution eröffnete eine neue Epoche in der Geschichte der Menschheit. Von dieser Zeit bis zur Pariser Kommune, von 1789 bis 1871, stellten die bürgerlich-fortschrittlichen nationalen Befreiungskriege einen besonderen Typus von Kriegen dar. Mit anderen Worten: Der Hauptinhalt und die historische Bedeutung dieser Kriege waren die Beseitigung des Absolutismus und des Feudalismus, ihre Untergrabung, die Abwerfung eines national fremden Jochs. Sie waren daher fortschrittliche Kriege, und alle aufrechten, revolutionären Demokraten, ebenso wie alle Sozialisten, wünschten bei *solchen Kriegen stets den Sieg desjenigen Landes (d. h. derjenigen Bourgeoisie), das zur Beseitigung oder Untergrabung der gefährlichsten Stützpfeiler des Feudalismus, des Absolutismus und der Unterdrückung fremder Völker beitrug.“*20

Diese Beziehung von bürgerlicher Revolution und Krieg läßt sich wie folgt formulieren:

→ Der als Massenkrieg implizit zum Volkskrieg tendierende nationale Krieg ist eine wesentliche Erscheinungsweise der bürgerlichen Revolution.

Beziehen läßt sich der klasseninstrumentelle Charakter des Krieges allerdings nicht nur auf die äußere Staatspolitik, sondern auch auf die innere. Marx/Engels formulieren im Kommunistischen Manifest wie folgt:

„Indem wir die allgemeinsten Phasen der Entwicklung des Proletariats zeichneten, verfolgten wir den mehr oder minder versteckten Bürgerkrieg innerhalb der bestehenden Gesellschaft bis zu dem Punkt, wo er in eine offene Revolution ausbricht und durch den gewaltsamen Sturz der Bourgeoisie das Proletariat seine Herrschaft begründet.“21

Engels bestimmt die Revolution – offenbar unmittelbar an Clausewitz’ Bestimmung des Krieges anlehnend – :

„[…] sie ist der Akt, durch den ein Teil der Bevölkerung dem anderen Teil seinen Willen vermittels Gewehren, Bajonetten und Kanonen […] aufzwingt; und die siegreiche Partei muß, wenn sie nicht umsonst gekämpft haben will, dieser Herrschaft Dauer verleihen durch den Schrecken, den ihre Waffen den Reaktionären einflößen.“22

Die Taktik des bewaffneten Aufstandes ist dabei notwendig offensiv:

*„Erstens darf man nie mit dem Aufstand spielen, wenn man nicht fest entschlossen ist, alle Konsequenzen des Spiels auf sich zu nehmen. Der Aufstand ist eine Rechnung mit höchst unbestimmten Größen, deren Werte sich jeden Tag ändern können; die Kräfte des Gegners haben alle Vorteile der Organisation, der Disziplin und der hergebrachten Autorität auf ihrer Seite; kann man ihnen nicht mit starker Überlegenheit entgegentreten, so ist man geschlagen und vernichtet. Zweitens, hat man einmal den Weg des Aufstands beschritten, so handle man mit der größten Entschlossenheit und ergreife die Offensive. Die Defensive ist der Tod jedes bewaffneten Aufstands; er ist verloren, noch bevor er sich mit dem Feinde gemessen hat. Überrasche deinen Gegner, solange seine Kräfte zerstreut sind, sorge täglich für neue, wenn auch noch so kleine Erfolge; erhalte dir das moralische Übergewicht, das der Anfangserfolg der Erhebung dir verschafft hat; ziehe so die schwankenden Elemente auf deine Seite, die immer dem stärksten Antrieb folgen und sich immer auf die sicherere Seite schlagen; zwinge deine Feinde zum Rückzug, noch ehe sie ihre Kräfte gegen dich sammeln können; um mit den Worten Dantons, des größten bisher bekannten Meisters revolutionärer Taktik, zu sprechen: *de l’audace, de l’audace, encore de l’audace!23

In Thesen läßt sich dieser Erkenntnisfortschritt so zusammenfassen:

→ Politik ist Klassenkampf. Die Revolution ist Eroberung der Macht durch die unterdrückte Klasse und somit Besonderung wie Kulminationspunkt dieser Politik.

→ Der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg ist (als notwendiger militärischer Bestandteil der Revolution) eine Besonderung des Kriegs.

→ Der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg ist notwendiges Instrument der Klassenpolitik mit dem Ziel der Eroberung der Macht.

→ Der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg kann nicht um begrenzte Ziele geführt werden.

→ Der bewaffnete Aufstand selbst muß entschieden offensiv geführt werden.

Eine weitere wichtige Präzisierung ergibt sich aus der Erfahrung des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71, der erstens charakterisiert ist durch das Umschlagen eines nationalen Kriegs in einen proto-imperialistischen Raubkrieg auf Seiten Preußens und seiner Verbündeten, zweitens durch die Verweigerung des nationalen Volkskriegs durch die französische Bourgeoisie, die sein revolutionäres Umschlagen befürchtet. Die proletarische Revolution erblickt dennoch in Gestalt der Pariser Kommune erstmals das Licht der Welt. Die Lehren aus der Kommune und die ihrer Niederschlagung durch den Klassenfeind fassen Marx/Engels im Vorwort der Neuausgabe des Kommunistischen Manifests 1872 in folgenden Satz:

„Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, daß „die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und sie für ihre eignen Zwecke in Bewegung setzen kann“.“24

Der bereits festgestellte notwendig bewaffnete und gewalttätige Charakter der proletarischen Revolution findet seine ebenso notwendige Ergänzung in der Zerschlagung des bürgerlichen Staates und Errichtung der proletarischen Diktatur zur Niederhaltung dieser letzten Ausbeuterklasse.

Der Charakter des bewaffneten Aufstands bzw. des Bürgerkriegs läßt sich also in der Perspektive der proletarischen Revolution wie folgt präzisieren:

→ Der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg ist notwendiges Instrument der proletarischen Klassenpolitik mit dem Ziel der Niederwerfung, Neutralisierung und Eliminierung der letzten Ausbeuterklasse.

Die revolutionäre Situation (I)

Weitere Erkenntnisfortschritte sind mit den beiden russischen Revolutionen von 1905 und 1917 verbunden, die beide im Zusammenhang stehen mit zwei zwischenimperialistischen Kriegen, dem russisch-japanischen Krieg und dem 1. Weltkrieg. Zunächst ergibt sich aus diesen Erfahrungen eine Präzisierung dessen, was als eine ‘revolutionäre Situation’ zu fassen ist, also derjenigen Gesamtlage, die es gestattet, einen bewaffneten Aufstand beginnen und erfolgreich durchführen zu können. Lenin schreibt 1915 hierzu:

„Für den Marxisten unterliegt es keinem Zweifel, daß eine Revolution ohne revolutionäre Situation unmöglich ist, wobei nicht jede revolutionäre Situation zur Revolution führt. Welches sind, allgemein gesprochen, die Merkmale einer revolutionären Situation? Wir gehen sicherlich nicht fehl, wenn wir folgende drei Hauptmerkmale anführen: 1. Für die herrschenden Klassen ist es unmöglich, ihre Herrschaft unverändert aufrechtzuerhalten; die eine oder andere Krise der „oberen Schichten“, eine Krise der Politik der herrschenden Klasse, die einen Riß entstehen läßt, durch den sich die Unzufriedenheit und Empörung der unterdrückten Klassen Bahn bricht. Damit es zur Revolution kommt, genügt es in der Regel nicht, daß die „unteren Schichten“ in der alten Weise „nicht leben wollen“, es ist noch erforderlich, daß die „oberen Schichten“ in der alten Weise „nicht leben können“. 2. Die Not und das Elend der unterdrückten Klassen verschärfen sich über das gewöhnliche Maß hinaus. 3. Infolge der erwähnten Ursachen steigert sich erheblich die Aktivität der Massen, die sich in der „friedlichen“ Epoche ruhig ausplündern lassen, in stürmischen Zeiten dagegen sowohl durch die ganze Krisensituation als auch durch die „oberen Schichten“ selbst zu selbständigem historischem Handeln gedrängt werden.“25

Diese Bestimmungen des Ausgangspunkts des Aufstands sind entscheidend, nicht nur praktisch für dessen erfolgreiche Durchführung, sondern theoretisch zentral für das Verständnis der Dialektik von Krieg und Revolution überhaupt: Der erfolgreiche Aufstand kann nicht beliebig terminiert werden, sondern ist abhängig vom Handeln der Feindseite; er ist eine Reaktion auf einen als solchen empfundenen Angriff der Herrschenden auf die Lebensbedingungen des Volkes; er ist eine Aktivierung der zweiten Partei des Konflikts und somit der Beginn des Auseinandersetzung. In einem Clausewitz’schen Sinne und unter der Prämisse der dialektischen Einheit von Politik und Krieg kann also der Aufstand als Verteidigung betrachtet werden, die ja nichts weiter ist als „eine stärkere Form des Krieges, vermittelst welcher man den Sieg erringen will, um nach dem gewonnenen Übergewicht zum Angriff, d. h. zu dem positiven Zweck des Krieges, überzugehen“.

Hierbei ist für Lenin schon vor dem Hintergrund der Erfahrung der Revolution von 1905 klar, daß der Aufstand langwierig werden und sich zu einem entwickelten Bürgerkrieg transformieren kann:

„Die Kampfformen der russischen Revolution unterscheiden sich von denen der bürgerlichen Revolutionen Europas durch ihre riesige Mannigfaltigkeit. Kautsky hat das zum Teil vorausgesagt, als er im Jahre 1902 davon sprach, daß die kommende Revolution (er fügte hinzu: *vielleicht mit Ausnahme Rußlands) nicht so sehr ein Kampf des Volkes gegen die Regierung als ein Kampf des einen Teils des Volkes gegen den anderen sein wird. In Rußland sehen wir zweifellos eine breitere Entfaltung dieses zweiten Kampfes als in den bürgerlichen Revolutionen des Westens. Im Volk gibt es nur wenig Feinde unserer Revolution, aber sie organisieren sich mit der Verschärfung des Kampfes immer mehr und erhalten die Unterstützung der reaktionären Schichten der Bourgeoisie. Es ist daher durchaus natürlich und unvermeidlich, daß in einer solchen Epoche, in der Epoche der das ganze Volk erfassenden politischen Streiks, der Aufstand nicht die alte Form von Einzelaktionen annehmen kann, die sich auf eine sehr kurze Zeitspanne und auf ein sehr kleines Gebiet beschränken. Es ist ganz natürlich und unvermeidlich, daß der Aufstand die höheren und komplizierteren Formen eines langwierigen, das ganze Land erfassenden Bürgerkriegs, d. h. des bewaffneten Kampfes des einen Teils des Volkes gegen den anderen, annimmt. Einen solchen Krieg kann man sich nur vorstellen als eine Reihe von wenigen, durch verhältnismäßig große Zeitabstände voneinander getrennten großen Schlachten und eine Menge von kleineren Scharmützeln im Verlauf dieser Zwischenzeiten. […] Die Sozialdemokratie muß sich in einer Epoche, in der sich der Klassenkampf zum Bürgerkrieg verschärft hat, die Aufgabe stellen, an diesem Bürgerkrieg nicht nur teilzunehmen, sondern auch die führende Rolle in ihm zu spielen. Die Sozialdemokratie muß ihre Organisationen dazu erziehen und vorbereiten, daß sie wirklich als kriegführender Teil handeln, der keine Gelegenheit unbenutzt läßt, die Kräfte des Gegners zu schwächen.“*26

Der entscheidende Erkenntnisfortschritt läßt sich in folgende Thesen fassen:

→ Der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg ist ein Verteidigungskrieg, der unmittelbar in eine offensive Zielstellung umschlagen und entsprechend geführt werden muß.

→ Der bewaffnete Aufstand kann langwierig werden und sich zu einem das ganze Land erfassenden Bürgerkrieg entwickeln.

Die Erkenntnis vom primären Verteidigungscharakter des bewaffneten Aufstands steht im unmittelbaren Zusammenhang mit der klassenpolitischen Unterscheidung von Angriffs- und Verteidigungskriegen, wie sie Lenin 1915 vornimmt:

„Die Epoche von 1789 bis 1871 hinterließ tiefe Spuren und revolutionäre Erinnerungen. Vor dem Sturz des Feudalismus, des Absolutismus und der Fremdherrschaft konnte von einer Entwicklung des proletarischen Kampfes um den Sozialismus nicht die Rede sein. Sprachen die Sozialisten im Hinblick auf die Kriege einer *solchen Epoche von der Berechtigung des „Verteidigungs“krieges, so hatten sie stets gerade diese Ziele, das heißt die Revolution gegen Mittelalter und Leibeigenschaft im Auge. Die Sozialisten verstanden unter einem „Verteidigungs“krieg stets einen in diesem Sinne „gerechten“ Krieg (wie sich Wilhelm Liebknecht einmal ausdrückte). Nur in diesem Sinne erkannten und erkennen jetzt noch die Sozialisten die Berechtigung, den fortschrittlichen und gerechten Charakter der „Vaterlandsverteidigung“ oder des „Verteidigungs“krieges an. Wenn zum Beispiel morgen Marokko an Frankreich, Indien an England, Persien oder China an Rußland usw. den Krieg erklärten, so wären das „gerechte“ Kriege, „Verteidigungs“kriege, unabhängig davon, wer als erster angegriffen hat, und jeder Sozialist würde mit dem Sieg der unterdrückten, abhängigen, nicht gleichberechtigten Staaten über die Unterdrücker, die Sklavenhalter, die Räuber – über die „Groß“mächte – sympathisieren. / Aber stellen wir uns einmal vor, ein Sklavenhalter, Besitzer von 100 Sklaven, läge im Krieg mit einem anderen Sklavenhalter, Besitzer von 200 Sklaven, um die „gerechtere” Neuaufteilung der Sklaven. Es ist klar, daß die Anwendung der Begriffe „Verteidigungs“krieg oder „Vaterlandsverteidigung“ auf einen solchen Fall historisch verlogen und praktisch ein glatter Betrug wäre, begangen von gerissenen Sklavenhaltern am einfachen Volk, an den Kleinbürgern, an der unaufgeklärten Masse. Ganz genauso werden im gegenwärtigen Krieg, den die Sklavenhalter führen, um die Sklaverei aufrechtzuerhalten und zu verstärken, die Völker von der heutigen imperialistischen Bourgeoisie mittels der „nationalen“ Ideologie und des Begriffs der Vaterlandsverteidigung betrogen.“*27

Hieraus folgen unmittelbar zwei Thesen:

→ Der Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker ist ein gerechter Krieg. Der Krieg der Unterdrücker ist ein ungerechter Krieg.

→ Der gerechte Krieg ist ein Verteidigungskrieg. Der ungerechte Krieg ist ein Angriffskrieg.

Zur Prämisse hat dies folgende These:

→ Die Unterdrückung selbst ist ein Angriff des Unterdrückers auf den Unterdrückten.

Dringend angemerkt sei hier folgendes: Nach dieser politisch-militärischen Bestimmung des Krieges durch Lenin ist der zwischenimperialistische Krieg ein Krieg zwischen Angreifern. Der Begriff der Verteidigung verengt sich auf eine nur-militärische Ebene, das heißt banal auf die Frage, wer denn „angefangen“ hat mit der bewaffeneten Austragung der Gegensätze. Eine klassenpolitische Bedeutung hat diese Frage nicht. Dies gegen eine einfache Gleichsetzung von ‘Politik’ und ‘Krieg’.

Den aktual stattfindenden zwischenimperialistischen Krieg betrachtet Lenin dann auch im expliziten Rückgriff auf Clausewitz wie folgt:

„Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit andern“ (nämlich: gewaltsamen) „Mitteln“_ / Dieser berühmte Ausspruch stammt von Clausewitz, einem der geistvollsten Militärschriftsteller. Die Marxisten haben diesen Satz mit Recht stets als theoretische Grundlage ihrer Auffassungen von der Bedeutung eines jeden konkreten Krieges betrachtet. Marx und Engels haben die verschiedenen Kriege stets von diesem und keinem anderen Standpunkt aus beurteilt. / Man wende diese Auffassung nun auf den gegenwärtigen Krieg an. Man wird sehen, daß die Regierungen und die herrschenden Klassen Englands wie Frankreichs, Deutschlands wie Italiens, Österreichs wie Rußlands jahrzehntelang, nahezu ein halbes Jahrhundert lang, eine Politik des Kolonialraubs, der Unterjochung fremder Nationen, der Unterdrückung der Arbeiterbewegung getrieben haben. Genau diese Politik, und nur diese, wird im gegenwärtigen Krieg fortgesetzt. […] Umgekehrt sehen wir in China, Persien, Indien und in anderen abhängigen Ländern im Laufe der letzten Jahrzehnte eine Politik des Erwachens von Dutzenden und Hunderten Millionen Menschen zum nationalen Leben, ihrer Befreiung vom Joch der reaktionären „Groß“mächte. Auf solchem historischen Boden kann der Krieg auch heute ein bürgerlich-fortschrittlicher, ein nationaler Befreiungskrieg sein.“_28

Der hier sichtbar werdende notwendig interimistische Charakter von ‘Frieden’ im Imperalismus und die Unmöglichkeit seiner absoluten Entgegensetzung zu ‘Krieg’ wird im Frühjahr des Folgejahres von Lenin wie folgt expliziert:

„„Interimperialistische“ oder „ultraimperialistische“ Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen „Marxisten“ Kautsky, *notwendigerweise nur „Atempausen“ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere imperialistische Koalition oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik.“*29

Für den Fall eines zwischenimperialistischen Krieges in Europa hatte bereits der Außerordentliche Internationale Sozialisten-Konreß zu Basel 1912 folgende proletarische Handlungsoption ausgegeben:

Droht der Ausbruch eines Krieges, so sind die arbeitenden Klassen und deren parlamentarische Vertretungen in den beteiligten Ländern verpflichtet, unterstützt durch die zusammenfassende Tätigkeit des Internationalen Bureaus, *alles aufzubieten, um durch die Anwendung der ihnen am wirksamsten erscheinenden Mittel den Ausbruch des Krieges zu verhindern, die sich je nach der Verschärfung des Klassenkampfes und der allgemeinen politischen Situation naturgemäß ändern / Falls der Krieg dennoch ausbrechen sollte, ist es die Pflicht, für dessen rasche Beendigung einzutreten und mit allen Kräften dahin zu streben, die *durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen.30

„Die Furcht der herrschenden Klassen vor einer proletarischen Revolution im Gefolge eines Weltkrieges hat sich als wesentliche Bürgschaft des Friedens erwiesen.“31

Dem imperialistischen Krieg wird hier also nicht irgendwelches allgemeines und klassenloses Friedensgesülze entgegengehalten, sondern die Drohung der proletarischen Klassenmacht, den Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, die die Entfesselung eines imperialistischen Krieges darstellt, mit der Entfesselung der eigenen Klassenkräfte mit dem Ziel der Beseitigung der Klassenherrschaft der Bourgeoisie zu beantworten. Unter der Prämisse der dialektischen Einheit von Politik und Krieg heißt dies, den imperialistischen Krieg mit dem Krieg gegen den imperialistischen Krieg zu beantworten. Wir stünden heute weitaus besser da, wenn die Parteien der II. Internationale 1914 auch tatsächlich entsprechend dieser ihrer Erklärung gehandelt hätten. Dennoch hatte die praktische Umsetzung dieser richtigen Linie den Roten Oktober zur Folge und damit die erste stabile Errichtung eines sozialistischen Staates. Wir können also folgende Thesen aufstellen:

→ Der imperialistische Krieg ist ein Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse. Der Krieg gegen den imperialistischen Krieg ist ein primärer Verteidigungskrieg mit dem notwendigen sekundären offensiven Ziel der Beseitigung der bürgerlichen Klassenherrschaft.

→ Der massenhaft geführte Krieg gegen den imperialistischen Krieg wird zu einer wesentlichen Erscheinungsweise der proletarischen Revolution.

Der Rote Oktober und die revolutionäre Nachkriegsetappe führten zu einer Verallgemeinerung der bisherigen Kampferfahrung der Arbeiterklasse. Hierzu gehört auch die Bestimmung und Etablierung der ursprünglich aus der Kriegführung stammenden Begriffe ‘Strategie’ und ‘Taktik’ in der Theorie und Praxis des Wissenschaftlichen Sozialismus.

Ein weiteres Ergebnis des Erkenntnisprozesses der begonnenen „Epoche des Imperialismus und

der proletarischen Revolution“32 ist der Versuch einer Theorie des bewaffneten Aufstands. Hierzu wurde 1928 von der Kommunistischen Internationale ein mit der Autorenangabe N. Neuberg versehenes Handbuch mit dem Titel „Der bewaffnete Aufstand. Versuch einer theoretischen Darstellung“ 33initiiert, in dem – vermutlich von Ossip Pjatnitzki34 – die proletarische Politik im Hinblick auf den bewaffneten Aufstand wie folgt bestimmt wird:

„Lenin hat selbstverständlich den Aufstand niemals als einen isolierten, mit den anderen Momenten des Klassenkampfes nicht zusammenhängenden Akt betrachtet. Die Vorbereitung des Aufstandes erfolgt durch den ganzen vorhergehenden Kampf der Klassen eines jeweiligen Landes und stellt die die organische Fortsetzung des letzteren dar. Die gesamte Tätigkeit der revolutionären Partei: der Kampf um Frieden, gegen die imperialistische Intervention in Sowjetrußland, in China usw. (gegen die kommenden imperialistischen Kriege Europa–Amerika usw.), gegen die kapitalistische Rationalisierung, um die Erhöhung des Arbeitslohnes, um die Sozialversicherung, um die Hebung des Lebenshaltungsniveaus des Proletariats überhaupt, um die Nationalisierung von Grund und Boden, der parlamentarische Kampf usw. usw. – alles das muß in der Perspektive eingestellt werden auf die Vorbereitung und Mobilisierung der Massen zur höchsten Form des Kampfes im Augenblick des Aufschwungs der Revolution – auf den bewaffneten Aufstand.“35

Hier erzwingt der Umstand, daß der bewaffnete Aufstand des Proletariats nicht um beschränkte Ziele, sondern um die Niederschlagung des Feindes geführt werden muß, eine sekundäre Umkehr der Beschreibungsrichtung der Abhängigkeit des Krieges von der Politik: Diese muß auf ihren kriegshaften strategischen Kern hin entworfen werden, sie wird vorbereitendes Instrument des Aufstands. Politik und Krieg werden in ihrer dialektischen Einheit aus Identität und Nicht-Identität wechselseitig beschreibbar als das jeweilig andere, freilich ohne hier jeweils vollständig aufgehen zu können – dies allerdings entschieden ohne den grundsätzlichen Primat der Politik aufzugeben, denn der Krieg bleibt primär Mittel, die Politik primär Zweck. Dieser wichtige Erkenntnisgewinn läßt sich in folgende These fassen:

→ Die proletarische Politik ist in ihrer Strategie und Taktik beschreibbar als vorbereitendes Instrument des bewaffneten Aufstands / Bürgerkriegs zum Zweck der Niederwerfung, Neutralisierung und Eliminierung der letzten Ausbeuterklasse als ihrem Strategischen Ziel. Der Primat der Politik ist dadurch nicht infrage gestellt, denn der bewaffnete Aufstand / Bürgerkrieg bleibt selbst Instrument des politischen Zwecks.

Diese strukturelle Kriegshaftigkeit proletarischer Politik bestätigt sich als faktische Kriegshaftigkeit in der zweiten großen Revolution des 20. Jahrhunderts, der chinesischen, die aus einer Gemengelage von Bürgerkrieg und antiimperialistischem nationalen Krieg hervorgeht. Bereits 1927 charakterisiert Stalin die chinesische Situation wie folgt:

„In China kämpft die bewaffnete Revolution gegen die bewaffnete Konterrevolution. Das ist eine der Besonderheiten und einer der Vorzüge der chinesischen Revolution.“36

Mao präzisiert dies 1938 als Unterschied in der Erscheinung proletarischer Politik als (Noch-)Nicht-Krieg in den kapitalistischen Ländern und als entwickelter Krieg in China als halbkolonialem und halbfeudalem Land ausführlich wie folgt:

„Die zentrale Aufgabe der Revolution und ihre höchste Form ist die bewaffnete Machtergreifung, ist die Lösung der Frage durch den Krieg. Dieses revolutionäre Prinzip des Marxismus-Leninismus hat allgemeine Gültigkeit, es gilt überall, in China wie im Ausland. / Wenn jedoch das Prinzip auch ein und dasselbe bleibt, so kommt doch seine Verwirklichung durch die Partei des Proletariats gemäß den verschiedenen Bedingungen auf verschiedene Weise zum Ausdruck. In den kapitalistischen Ländern besteht – abgesehen von Perioden, da dort der Faschismus herrscht und Kriege im Gange sind – folgende Situation: Innenpolitisch gibt es keine Feudalordnung mehr, sondern die bürgerliche Demokratie, außenpolitisch werden diese Länder nicht national unterdrückt, sondern unterdrücken selbst andere Nationen. Entsprechend diesen Besonderheiten besteht die Aufgabe der proletarischen Parteien in den kapitalistischen Staaten darin, durch einen legalen Kampf während eines langen Zeitabschnitts die Arbeiter zu erziehen, Kräfte zu sammeln und so zum endgültigen Sturz des Kapitalismus zu rüsten. Dort geht es um einen langwierigen legalen Kampf, um die Ausnutzung des Parlaments als Tribüne, um wirtschaftliche und politische Streiks, die Organisierung der Gewerkschaften und die Schulung der Arbeiter. Die Formen der Organisation sind dort legal, die Formen des Kampfes unblutig (nicht militärisch). Was die Frage des Krieges betrifft, so kämpft die kommunistische Partei eines solchen Landes dagegen, daß ihr Land imperialistische Kriege führt; falls jedoch ein solcher Krieg ausbricht, besteht die Politik der Partei darin, für die Niederlage der reaktionären Regierung des eigenen Landes zu kämpfen. Der einzige Krieg, den die Partei braucht, ist der Bürgerkrieg, auf den sie sich vorbereitet. Aber solange die Bourgeoisie nicht wirklich versagt hat, solange die Mehrheit des Proletariats nicht von der Entschlossenheit durchdrungen ist, den bewaffneten Aufstand zu beginnen und den Bürgerkrieg zu führen, solange die Bauernmassen dem Proletariat nicht freiwillig zu helfen beginnen, soll man den bewaffneten Aufstand und den Bürgerkrieg nicht beginnen. Und wenn die Zeit für Aufstand und Krieg gekommen ist, bemächtigt man sich in erster Linie der Städte und führt dann erst den Angriff gegen die Dörfer und nicht umgekehrt. All das haben die kommunistischen Parteien der kapitalistischen Länder getan, und all das wurde durch die Oktoberrevolution in Rußland bestätigt. / Anders ist es aber in China. Die Besonderheiten Chinas bestehen darin, daß es kein unabhängiger, demokratischer Staat ist, sondern ein halbkoloniales, halbfeudales Land, daß innerhalb des Landes keine Demokratie herrscht, sondern feudale Unterdrückung, während das Land außenpolitisch keine nationale Unabhängigkeit besitzt, sondern unter dem Joch des Imperialismus leidet. Deshalb gibt es in China kein Parlament, das wir ausnutzen könnten, kein legales Recht, die Arbeiter zur Durchführung von Streiks zu organisieren. Die Aufgabe der Kommunistischen Partei besteht hier im wesentlichen nicht darin, über einen langwierigen legalen Kampf zu Aufstand und Krieg zu kommen, und auch nicht darin, zunächst die Städte zu erobern und dann die Dörfer zu gewinnen. Sie muß völlig anders vorgehen. / Für die Kommunistische Partei Chinas steht die Frage so: Wenn der Imperialismus keinen bewaffneten Überfall auf China unternimmt, führt sie entweder zusammen mit der Bourgeoisie einen Bürgerkrieg gegen die Militärmachthaber (die Lakaien des Imperialismus) […] oder einen Bürgerkrieg im Bündnis mit der Bauernschaft und dem städtischen Kleinbürgertum gegen die Grundherrenklasse und die Kompradorenbourgeoisie (ebenfalls Lakaien des Imperialismus) […]. Wenn aber der Imperialismus einen bewaffneten Überfall auf unser Land unternimmt, führt die Partei im Bündnis mit allen Klassen und Schichten des Landes, die den ausländischen Aggressoren entgegentreten, einen nationalen Krieg gegen den äußeren Feind […]. / […] In China ist die Hauptform des Kampfes der Krieg und die Hauptform der Organisation die Armee. Alle übrigen Formen, wie beispielsweise die Organisation der Volksmassen, der Kampf der Volksmassen usw., sind von außerordentlich großer Bedeutung, sind alle unbedingt notwendig, und man darf sie keineswegs übersehen, aber sie sind alle den Interessen des Krieges untergeordnet. Bevor ein Krieg ausbricht, dienen alle Organisationen und alle Kämpfe der Vorbereitung zum Krieg […]. Nach Ausbruch des Krieges sind alle Organisationen und alle Kämpfe direkt oder indirekt mit dem Krieg koordiniert.“37

Dabei steht der Instrumentalcharakter des Krieges außer Frage:

„Mit dem Satz ‘Der Krieg ist eine Fortsetzung der Politik’ wird gesagt, daß der Krieg Politik ist, daß der Krieg selbst eine Aktion von politischem Charakter darstellt; seit alters hat es keinen Krieg gegeben, der nicht politischen Charakter getragen hätte. […] Mit einem Wort, der Krieg ist nicht eine Minute lang von der Politik zu trennen. […] Doch der Krieg hat seine Besonderheiten, und das will sagen, daß er nicht mit der Politik schlechthin gleichgesetzt werden kann. ‘Der Krieg ist eine bloße Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.’ Wenn sich die Politik bis zu einer bestimmten Stufe entwickelt hat, wo sie nicht mehr auf die alte Weise fortgeführt werden kann, dann bricht der Krieg aus, mit dessen Hilfe die der Politik im Wege liegenden Hindernisse hinweggefegt werden. […] Sobald die Hindernisse aus dem Weg geschafft sind und das politische Ziel erreicht ist, geht der Krieg zu Ende. Sind aber die Hindernisse nicht gänzlich beiseite geräumt, dann muß der Krieg fortgesetzt werden, bis das Ziel völlig erreicht ist. […] Man kann deshalb sagen: Die Politik ist Krieg ohne Blutvergießen, der Krieg ist Politik mit Blutvergießen.“38

Die durchgängige Erscheinung der proletarischen Revolution als Krieg begünstigt bei Mao auch die präzise Reflexion der historischen Verbindung des Kriegs mit der Klassengesellschaft und seiner praktischen Abschaffung durch den revolutionären Krieg mit dem Ziel der Beendigung der Klassenherrschaft in globaler Perspektive:

„Kriege, die es seit dem Entstehen des Privateigentums und der Klassen gibt, sind die höchste Kampfform, die bei der Lösung der Widersprüche zwischen Klassen, Nationen, Staaten oder politischen Gruppen angewendet wird, sobald diese Widersprüche eine bestimmte Entwicklungsstufe erreicht haben.“39

„Das Ziel des Krieges ist die Abschaffung des Krieges. / Der Krieg, dieser Moloch, der die Menschen sich gegenseitig abschlachten läßt, wird mit der Entwicklung der menschlichen Gesellschaft letzten Endes aus der Welt geschafft werden, und zwar in nicht allzu ferner Zukunft. Es gibt aber nur ein Mittel zur Abschaffung des Krieges: Man muß den Krieg mit dem Krieg bekämpfen, dem konterrevolutionären Krieg den revolutionären Krieg, dem konterrevolutionären nationalen Krieg den revolutionären nationalen Krieg, dem konterrevolutionären Klassenkrieg den revolutionären Klassenkrieg entgegensetzen. In der Geschichte gibt es nur zwei Arten von Kriegen: gerechte und ungerechte. Wir sind für die gerechten Kriege und gegen die ungerechten. Alle konterrevolutionären Kriege sind ungerecht, alle revolutionären Kriege sind gerecht. […] Von dem Zeitpunkt an, da die menschliche Gesellschaft in ihrer fortschreitenden Entwicklung zur Aufhebung der Klassen und des Staates gelangt, wird es auch keinerlei Kriege mehr geben, weder konterrevolutionäre noch revolutionäre, weder ungerechte noch gerechte, und für die Menschheit wird dann das Zeitalter des ewigen Friedens anbrechen. Wenn wir die Gesetze des revolutionären Krieges studieren, so gehen wir von dem Bestreben aus, alle Kriege abzuschaffen, und das ist die Trennungslinie, die uns Kommunisten von allen Ausbeuterklassen scheidet.“40

Unter den Bedingungen der faktischen Kriegshaftigkeit proletarischer Politik kann der Krieg selbst langwierig werden und läßt sich fortschreitend in defensive bis offensive strategische Etappen gliedern:

„Wenn der Krieg zwischen China und Japan langwierig sein und der Endsieg China gehören wird, kann man mit Recht annehmen, daß dieser langwierige Krieg in seiner konkreten Entwicklung drei Etappen durchlaufen wird. Die erste Etappe wird die Etappe des strategischen Angriffs des Gegners und unserer strategischen Verteidigung sein, die zweite die Etappe der strategischen Konsolidierung des Gegners und unserer Vorbereitung zur Gegenoffensive, die dritte die Etappe unserer strategischen Gegenoffensive und des strategischen Rückzugs des Gegners.“41

Der emanzipative Fortschritt und die erfolgreiche Führung des Krieges sind dabei in der Form des Volkskrieges unmittelbar wechselseitig miteinander verbunden:

„Der innenpolitische Fortschritt und die hartnäckige Führung des Widerstandskriegs sind voneinander nicht zu trennen. Je größer der politische Fortschritt ist, um so mehr sind wir imstande, den Krieg hartnäckig zu führen; und umgekehrt, je hartnäckiger der Krieg geführt wird, desto größer wird der politische Fortschritt sein.“42

Es lassen sich also vor der Erfahrung der chinesischen Revolution folgende Thesen aufstellen:

→ Revolutionäre Politik kann sich unter den Bedingungen imperialistischer Unterdrückung und gesellschaftlicher Unterentwicklung als revolutionärer Krieg verwirklichen.

→ Der revolutionäre Krieg ist ein Verteidigungskrieg mit offensiver strategischer Zielstellung, der langwierig werden kann und dann notwendig alle Etappen von strategischer Verteidigung, strategischem Gleichgewicht und strategischem Gegenangriff durchlaufen muß.

→ Der revolutionäre Krieg ist ein Krieg mit klassenspezifischer Asymmetrie.

Diese Erkenntnisfortschritte lassen sich NB nicht einfach mit dem terminologischen Arsenal des großen Schismas aus dem kumulativen Wissen des Marxismus-Leninismus aussortieren: Sowohl die vietnamesische Revolution als auch Che Guevaras Projekt einer kontinentalen Revolution in Südamerika kommen zu ganz ähnlichen Schlüssen und Lehren.

Die revolutionäre Situation (II)

2013 schreibt Erika Wehling-Pangerl in einer Auseinandersetzung mit den aus einer impliziten Anwendung von „Ultraimperialismus“-Theoremen resultierenden Friedensillusionen innerhalb der Linken in der Kommunistischen Arbeiterzeitung eher beiläufig in Rückschau auf die bisherige Geschichte von Krieg und Revolution:

„Die Angst vor dem Krieg ist verbunden mit der Angst vor der Revolution. Die Revolution verhindert den imperialistischen Krieg oder der imperialistische Krieg bringt die Revolution hervor. Realität geworden ist bisher in der Geschichte nur der zweite Teil dieses Satzes – der Krieg bringt die Revolution hervor (es gibt sehr vereinzelte Ausnahmen, wie z.B. Kuba). Wir müssen zwar für den ersten Teil – die Revolution verhindert den Krieg – kämpfen, aber wir wissen alle, dass die Prognose zur Zeit alles andere als günstig ist. Wir müssen uns also auch und gerade auf Teil zwei – der Krieg bringt die Revolution hervor – ernsthaft einstellen. Das ist die Alternative zur Friedensillusion.“43

Dem Kern der Aussage zur Dialektik von Krieg und Revolution ist unbedingt zuzustimmen: „Die Revolution verhindert den imperialistischen Krieg oder der imperialistische Krieg bringt die Revolution hervor.“ Die historische Rückschau unter der Beachtung der dialektischen Einheit von Politik und Krieg zeigt genau dies: Der rein zwischenimperialistische 1. Weltkrieg bringt eine revolutionäre Nachkriegsphase hervor, zu der ja nicht nur der Rote Oktober, sondern auch die halben und gescheiterten Revolutionen in Westeuropa, die nationalen Befreiungskämpfe wie der irische Osteraufstand und Befreiungskrieg ab 1916 und der revolutionäre Aufbruch Chinas zu zählen sind. Der „gemischte“ – zum Teil zwischenimperialistische, zum Teil bereits antifaschistische (und in Asien auch antiimperialistische) – 2. Weltkrieg ist verbunden mit der Errichtung eines sozialistischen Lagers verbündeter Volksrepubliken, einer antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zuzüglich eines sozialistischen Aufbaus in einem Teil eines imperialistischen Hauptlandes (Deutschland), dem Sieg der chinesischen Revolution und einer langen – hauptsächlich trikontinentalen – revolutionären Etappe, zu deren wichtigsten Elementen ganz sicher die vietnamesische Revolution gehört, und die etwa 1979 mit der nicaraguanischen Revolution endet, die mit der kubanischen die Eigenschaft teilt, aus einer „unkriegerischen“ Situation hervorgegangen zu sein. Dies freilich unter der Voraussetzung, daß der Krieg als Politik auch immer mittelbar wirksam ist.

Die faktische Verhinderung von Krieg durch Revolution ist schwerer zu ermessen, da der nicht stattgefunden habende Krieg ja auch nicht historisch manifest werden kann. Im Hinblick auf Ostasien läßt sich aber kaum von der Hand weisen, daß der Sieg der chinesischen Revolution mit Sicherheit weitere imperialistische Raubzüge auf diesem Territorium verhindert hat und noch verhindert. Weiter hat – wohl kaum zu bestreiten – die Existenz eines sozialistischen Lagers bis zur Konterrevolution von 1989/90 zur Deckelung der zwischenimperialistischen Widersprüche in Westeuropa und zwischen Westeuropa und Nordamerika nicht unwesentlich beigetragen. Was aber in der Tat fehlt, ist der direkte Nachweis eines revolutionären „In-den-Arm-Fallens“ der Arbeiterklasse gegenüber einem unmittelbar kriegsentschlossenen Klassenfeind im eigenen Land.

Betrachten wir Lenins Bestimmungen einer revolutionären Situation, insbesondere auch unter dem Aspekt ihres politisch-militärischen Verteidigungscharakters, so müssen wir konstatieren, daß die Führung eines offenen imperialistischen Krieges – wenn auch nicht exklusiv! – beinahe schon prädestiniert ist für den den Aufstand auslösenden Angriff des Klassenfeinds auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse, d.h. auf ihre Arbeits- wie Reproduktionsbedingungen, da sie ihn nicht nur nicht vermeiden kann, sondern ihn vielmehr mit der Dauer des Krieges forcieren und weitertreiben muß. Lenin schreibt im März 1917 über die materielle Seite:

„Was wir genau wissen, und was wir als Partei den Massen klarmachen müssen, das ist einerseits die Tatsache, daß eine geschichtliche Triebkraft von ungeheurer Stärke vorhanden ist, die in nie gekanntem Ausmaß Krise, Hungersnot und namenloses Elend erzeugt. Diese Triebkraft ist der Krieg, der von den Kapitalisten *beider kriegführenden Seiten um räuberischer Ziele willen geführt wird. Diese „Triebkraft“ hat eine ganze Reihe der reichsten, freiesten und aufgeklärtesten Nationen an den Rand des Abgrunds gebracht. Sie zwingt die Völker, alle Kräfte bis aufs äußerste anzuspannen, sie bringt sie in eine unerträgliche Lage, sie stellt nicht die Verwirklichung irgendwelcher „Theorien“ auf die Tagesordnung (davon ist gar keine Rede, und Marx hat die Sozialisten vor dieser Illusion stets gewarnt), sondern die Durchführung der radikalsten praktisch möglichen Maßnahmen, denn ohne radikale Maßnahmen kann der Untergang, der baldige und unaufhaltsame Untergang von Millionen Menschen infolge der Hungersnot, nicht vermieden werden.“*44

Und zur ideologischen Seite bereits 1915 in einem Referatskonzept:

Der Krieg erscheint als gemeinsame nationale Angelegenheit einerseits, anderseits als Anomalie, Unterbrechung des „friedlichen“ Kapitalismus etc. / Beide Illusionen sind schädlich. Und beide Illusionen macht der Krieg zunichte.“45

Der hinzukommende dialektische, der Revolution zugute kommende Faktor ist der der Militarisierung des Proletariats und der weiteren werktätigen Schichten. Lenin schreibt hierzu im September 1916:

Eine unterdrückte Klasse, die nicht danach strebt, Waffenkenntnis zu gewinnen, in Waffen geübt zu werden, Waffen zu besitzen, eine solche unterdrückte Klasse ist nur wert, unterdrückt, mißhandelt und als Sklave behandelt zu werden. Wir dürfen, ohne uns zu bürgerlichen Pazifisten und Opportunisten zu degradieren, nicht vergessen, daß wir in einer Klassengesellschaft leben und daß außer dem Klassenkampfe keine Rettung daraus möglich und denkbar ist. […] Wir sagen: Bewaffnung des Proletariats zum Zwecke, die Bourgeoisie zu besiegen, zu expropriieren *und zu entwaffnen – das ist die einzig mögliche Taktik der revolutionären Klasse, eine Taktik, die durch die ganze objektive Entwicklung des kapitalistischen Militarismus vorbereitet, fundiert und gelehrt wird. Nur nachdem das Proletariat die Bourgeoisie entwaffnet hat, kann es, ohne an seiner weltgeschichtlichen Aufgabe Verrat zu üben, die Waffen zum alten Eisen werfen, was es auch ganz sicher dannaber nicht früher – tun wird. […] Heute militarisiert die imperialistische – und andere – Bourgeoisie nicht nur das ganze Volk, sondern auch die Jugend. Morgen wird sie meinetwegen die Frauen militarisieren. Wir antworten darauf: Desto besser! Nur immer schneller voran – je schneller, desto näher ist der bewaffnete Aufstand gegen den Kapitalismus. Wie können sich die Sozialdemokraten durch die Militarisierung der Jugend usw. einschüchtern oder entmutigen lassen, wenn sie das Beispiel der Kommune nicht vergessen. Es ist doch keine „Theorie“, kein Traum, sondern Tatsache. Und es wäre wirklich zum Verzweifeln, wenn die Sozialdemokraten allen ökonomischen und politischen Tatsachen zum Trotz daran zu zweifeln begännen, daß die imperialistische Epoche und die imperialistischen Kriege naturnotwendig, unvermeidlich zur Wiederholung dieser Tatsachen führen müssen.“*46

Spätestens nach den Erfahrungen des 1. Weltkriegs und seiner revolutionären Konsequenzen ist allerdings auch dem Klassenfeind die Funktionsweise des Umschlagens von Krieg in Revolution bekannt. Er versucht, diese also zu umgehen. Ein erster Weg ist die Hochtechnologisierung und Spezialisierung des Krieges und damit das Kleinhalten des zu seiner unmittelbaren Durchführung erforderlichen Personals., ein Verfahren, daß bereits in der Reichwehrpolitik des deutschen Imperialismus zwischen den beiden Weltkriegen nachweisbar ist. Die revolutionäre Sorge ist somit für den Klassenfeind zwar partiell von den Gewehren wegverlagert, aber doch nur hin in die Fabriken als den Orten der materiellen Produktion und gesellschaftlichen Reproduktion; das Problem, im imperialistischen Krieg unter Verschärfung der Ausbeutungsbedingungen eine „Anspannung aller Kräfte“ erreichen zu müssen, bleibt.

Ein zusätzlicher Lösungsweg – nicht zuletzt möglich geworden durch die Niederlagen des Proletariats in revolutionären Nachphasen imperialistischer Kriege – liegt also in der Vorverlagerung des politischen Angriffs auf die Arbeiterklasse in Form der Errichtung einer faschistischen Diktatur, die also sowohl die Organisationen der Arbeiterklasse liquidiert als auch – unter demagogischem „Einfangen“ oppositioneller Stimmungen – eine Volksgemeinschaftsideologie zur Verfügung stellt. Dimitroff charakterisiert die Funktion des Faschismus bereits im Juni 1934 schon sehr bald nach den Niederlagen der Arbeiterklasse in Deuschland und in Österreich in diesem Sinne:

„Der Faschismus als Versuch, einen Ausweg aus der allgemeinen Krise des Kapitalismus zu finden, als Werkzeug des Kampfes gegen die proletarische Revolution und der Vorbereitung imperialistischer Kriege. […] Die nationale und soziale Demagogie des Faschismus. Nationalismus „Einheit der Nation“, Apologie des Krieges, antikapitalistische Losungen, Korporatismus, „nationale Revolution“, „Nationalsozialismus“, Antisemitismus“47

Im Hinblick auf unsere Frage kann also formuliert werden:

→ Der Faschismus ist Politik des Klassenfeindes zum Zweck des imperialistischen Krieges.

In der praktischen Konsequenz heißt dies, daß die Arbeiterklasse in die Lage kommen kann, den bewaffneten Aufstand, bzw. Bürgerkrieg mit antifaschistischer Stoßrichtung vorzuverlegen. Dies ist nicht unmöglich und auch bereits geschehen. Und die positiven Erfahrungen nach der Pariser Kommune lehren, daß auch Niederlagen nicht die grundsätzliche Ungehbarkeit eines Weges anzeigen. So ist der österreichische Februaraufstand von 1934 ist nicht an seiner defensiven taktischen Ausgangslage gescheitert, sondern an seiner defensiven strategischen politisch-militärischen Durchführung. Der antifaschistische Krieg in Spanien 1936-1939 verzögerte die vollständige faschistische Machtübernahme fast drei Jahre und damit auch die Entfesselung des 2. Weltkriegs in Europa. Die damit verbundene internationale Schwächung des Faschismus und seiner Kriegspolitik durch den antifaschistischen Krieg in Spanien reicht auch über das Ende der 2. Republik hinaus. Die offizielle Neutralität Spaniens im 2. Weltkrieg und die nur alibimäßige Beteiligung mittels einer Freiwilligen-Division am faschistischen Überfall auf die Sowjetunion 1941, was man sich in Deutschland anders gedacht hatte, ist mit Sicherheit auch dem großen Kräfteverlust der Franco-Bande im Krieg gegen das eigene Volk zuzuschreiben. Insgesamt war die Niederlage der spanischen Republik im antifaschistischen Krieg eher ein Ergebnis der internationale Situation – also insbesondere der westlichen „Appeasement“-Politik – als von Fehlern in seiner politisch-militärischen Führung.

Die grundsätzliche Aussicht für die Arbeiterklasse, antifaschistische Aufstände führen und gewinnen zu können, steigt mit der historischen Erfahrung, die den Charakter des Faschismus als politisch-militärischen Angriff auf die Lebensbedingungen der Arbeiterklasse und aller werktätigen Schichten evident sein läßt. Wir können den antifaschistischen Aufstand im Kontext der Dialektik von Krieg und Revolution wie folgt charakterisieren:

→ Der antifaschistische Aufstand ist Instrument proletarischer Klassenpolitik mit dem defensiven Ausgangspunkt der Zerschlagung der politisch-militärischen Kriegsvorbereitung des Klassenfeinds und hat als offensives Ziel die Niederwerfung, Neutralisierung und Eliminierung des Klassenfeinds zum Zweck der grundsätzlichen Beseitigung der Unterdrückung überhaupt und des Kriegs als Instrument dieser Politik.

Wie die Beispiele der Niederschlagung des Kapp-Putsches in Deutschland 1920 oder der französischen Volksfrontregierung 1936 zeigen, ermöglicht die grundsätzliche Dialektik von Politik und Krieg auch die „unkriegerische“ und lediglich defensive antifaschistische Variante, die allerdings die Voraussetzung für die Offensive der Machtergreifung des Proletariats bleibt. Sie unterscheidet sich lediglich durch den taktischen Zeitpunkt des Einsatzes der bewaffneten Option. Die obige These läßt sich also wie folgt hierfür modifizieren:

→ Die politische antifaschistische Volksfront ist als Taktik Teil proletarischer Klassenpolitik mit dem defensiven Ausgangspunkt der Zerschlagung der politisch-militärischen Kriegsvorbereitung des Klassenfeinds und hat als offensives Ziel die Offenhaltung des Aufstands zur Niederwerfung, Neutralisierung und Eliminierung des Klassenfeinds zum Zweck der grundsätzlichen Beseitigung der Unterdrückung überhaupt und des Kriegs als Instrument dieser Politik.

In weitester Abstraktion und unter der Prämisse der dialektischen Einheit von Politik und Krieg, die in der Verallgemeinerung offen lassen muß, ob ‘Angriff’ und ‘Verteidigung’ jeweils politischer oder militärischer Natur sind, läßt sich die Dialektik von imperialistischem Krieg und proletarischer Revolution schließlich so fassen:

→ Der Krieg der Unterdrücker ist immer ein Angriff. Der Krieg der Unterdrückten gegen die Unterdrücker ist immer eine Verteidigung.

→ Die Verteidigung setzt den Angriff voraus.

→ Der gerechte Krieg setzt den ungerechten Krieg voraus.

Wenn dieses richtig ist, dann auch das:

→ Die proletarische Revolution setzt den Imperialismus in seiner dialektischen Einheit von Politik und Krieg voraus.

Eigentlich ist dies nichts, was wir nicht längst wüßten: Die proletarische Revolution kann erst siegen, wenn die kapitalistischen Verhältnisse in ihrer vollen Ausbildung ihres kannibalischen Wesens angekommen sind, im Imperialismus. Und zum Gesicht des Imperialismus gehört notwendig der imperialistische Krieg. Imperialistischer Krieg und proletarische Revolution sind Epochengeschwister. Es mag erschreckend sein, aber kämpfen um das Ende von Krieg und Unterdrückung können wir nur auf dem Terrain unserer Epoche! Lenin schreibt 1920, also mitten im antiimperialistischen Verteidigungskrieg des Roten Oktober: „Der Imperialismus ist der Vorabend der sozialen Revolution des Proletariats. Das hat sich seit 1917 im Weltmaßstab bestätigt.“48 Den imperialistischen Krieg als notwendiges Instrument imperialistischer Politik wird er dabei schwerlich vergessen haben!

Was kann die Dialektik von imperialistischem Krieg und proletarischer Revolution aufheben?

Die Dialektik von imperialistischem Krieg und proletarischer Revolution enthält mit dem Sieg der letzteren den Mechanismus ihrer Aufhebung: Das Proletariat an der Macht leitet das Ende der Klassengesellschaften ein und beendet damit die Notwendigkeit und Unvermeidbarkeit des Krieges. Dies ist also – in Anlehnung an Mao –, die „Lösung der Frage (des Krieges) durch den Krieg“.

Daß es einen „ultraimperialistischen“ ökonomischen Mechanismus geben könnte, der den Habicht dazu bringt ,Taubeneier zu legen wird, auf dieser Konferenz niemand ernstlich glauben. Bleibt die Frage, ob die Existenz einer neuen und außerordentlich destruktiven Waffe die Dialektik von Krieg und Revolution aufheben kann. – Dies wird häufig implizit und offenbar bezogen auf die Nuklearwaffe – oft auf diffuse Weise, aber gleichzeitig wie eine feststehende Tatsache – in den Raum gestellt. Ich zitiere exemplarisch das Sekretariat des Parteivorstands der DKP in einer Replik auf Erika Wehling-Pangerls oben zitierten Text zu „Ultraimperialismus“ und Friedensillusionen:

„Ein heutiger großer weltweiter Krieg würde die Menschheit in die Barbarei führen – oder sie sofort auslöschen. […] Heute gilt es zudem nicht, wie im Artikel behauptet, vor allem „Friedensillusionen“ zu bekämpfen, sondern die Friedenshoffnung der Mehrheit der Menschen aufzugreifen und mit der Aufklärung über die Ursachen von Kriegen und dem Kampf um die Verhinderung von Kriegen zu verbinden.“49

Abgesehen davon, daß aus dieser Äußerung nicht erkennbar ist, ob aus dem hier festgestellten ultimativen Charakter eines künftigen Weltkriegs nun eine größere oder geringere „Friedenshoffnung der Mehrheit der Menschen“ abgeleitet werden soll, fehlt hier auch eine daraus resultierende strategische Option für die Arbeiterklasse: Wäre das destruktive Potential der Nuklearwaffe so offensichtlich, könnte es keinen Krieg mehr geben und jede Friedenspolitik wäre mithin überflüssig; wäre die Erkenntnis der Fürchterlichkeit der Nuklearwaffe eine exklusive Erkenntnis von Friedensfreunden, wie wäre diese dann den Verursachern der Kriege zu vermitteln? – Oder wird stiekum doch darauf gesetzt, daß der Habicht plötzlich anfangen könnte, Tauben auzubrüten?

Die Setzung eines solchen ultimativen Charakters eines nicht stattgefunden habenden Krieges ist sachlich wie strategisch evident falsch. Zunächst sachlich: Das Szenario des Untergangs der Welt in Feuer und Eis ist ganz offensichtlich ein Mythologem, das erheblich älter ist als die Möglichkeit seiner technischen Realisierung. Auch wenn hieraus kein Gegenbeweis abgeleitet werden kann, so doch ein starker Zweifel: Es scheint so zu sein, daß sich in der ultimativistischen Vorstellung eines großen Kriegs lediglich ein überbaulich tradiertes Mythologem einen aktual möglichen materiellen Auslöser „sucht“; für einen Überlebenden schon einer ganzen Reihe angekündigter Weltuntergänge wäre dies kein singulärer Fall!

Ein weiteres Gegenargument beruht m. E. darauf, daß auch dem Klassenfeind das außerordentliche destruktive Potential und die daraus resultierende militärstrategische „Sperrigkeit“ der Nuklearwaffe nicht entgangen ist und diese vermeidend durch einen konventionellen oder nur begrenzt-nuklearen Rahmen in Rechnung gezogen wird. Die Vorstellung, ein begonnener Einsatz von Nuklearwaffen müsse zwangsläufig enden wie ein Streit zwischen Vierjährigen, die sich ohne Rücksicht auf die Folgen innerhalb weniger Stunden alles um die Ohren hauen, was sie haben, ignoriert mehr als ein halbes Jahrhundert imperialistischer Nuklearkriegsstrategie, denn der Imperialismus hat sein eigenes Interesse daran, seine Kriege führbar zu halten, dies freilich unbeschadet der Frage, ob ihm dies im praktischen Fall auch gelingt. Krieg ist lediglich fortsetzendes Instrument der Politik. Diese zielt im Imperialismus auf die Eroberung und Sicherung von Einflußräumen. Einen entprechenden Krieg will man, wenn man ihn führt, nicht nur – wie alle Kriege – gewinnen, sondern muß ihn möglicherweise nicht einmal als Vernichtungskrieg, sondern kann ihn als Krieg um begrenzte Ziele führen, wenn dies auch in einer bereits vollständig aufgeteilten Welt naturgemäß schwierig ist. Ein entwickelter Nuklearkrieg ist hierbei als Mittel bestenfalls bedingt tauglich.

Selbst in der für die Sowjetunion nicht ungefährlichen Situation eines US-amerikanischen Nuklearwaffen-Monopols urteilt Stalin 1949 über die strategische Bedeutung dieser Waffe wie folgt:

Ich glaube nicht, daß die Atombombe eine so schwerwiegende Macht ist, wie gewisse Politiker sie hinzustellen geneigt sind. Die Atombomben sind zur Einschüchterung von Leuten mit schwachen Nerven bestimmt, sie können aber nicht über die Geschicke eines Krieges entscheiden, da sie für diesen Zweck keineswegs genügen.“50

Dieser begrenzte militärische Einsatzwert der Nuklearwaffe hat sich durch ihr thermonukleares Upgrade und ihre massenhafte Aufstellung keineswegs erhöht; ihr absurder strategischer Zweck besteht de facto in ihrem Nicht-Einsatz, der nur durch die Glaubwürdigmachung eines potentiellen tatsächlichen Einsatzes aufrechtzuerhalten ist. Die Entwicklung hin zu einer stärker elektronischen Kriegführung – ich mag sie nicht „konventionell“ nennen! – setzt die Nuklearwaffe mittelfristig technisch geradezu aufs Altenteil: Ein exzessiver Einsatz von Nuklearwaffen gefährdet umgekehrt regelrecht eine „ordentliche“ zielorientierte elektronische Kriegführung. Es ist m. E. nicht unwahrscheinlich, daß die Nuklearwaffe mittelfristig zu einem weitgehend toten Ende der Waffenentwicklung führt; ein Analogon wäre die im 1. Weltkrieg entwickelte Gaswaffe, die im 2. Weltkrieg keineswegs die erwartete große Rolle als Massenvernichtungsmittel in großen Schlagabtauschen spielte, sondern weitgehend auf Asymmetrie-Situationen beschränkt blieb, bei denen das Risiko für den Einsetzenden gering ist. Es ist mithin von vornherein nicht wahrscheinlich – und schon gar nicht als sicher anzunehmen! –, daß ein 3. Weltkrieg zwingend die Gestalt eines großen flächendeckenden Nuklearkriegs annehmen wird und muß.

Wesentlicher als der sachliche ist der strategische Einwand: Die Fixierung auf ein nukleares Weltenbrand-Szenario ist deshalb als strategischer Fehler zu betrachten, da aus ihm keine proletarische Handlungsoption erfolgen kann. Die erste Begründung dafür ergibt sich direkt aus dem sachlichen Hinweis auf die „Sperrigkeit“ der Nuklearwaffe: Der einseitige Blick auf einen für den Kriegsfall als sicher gesetzten nuklearen Untergang der Welt in Feuer und Eis entwaffnet die Arbeiterklasse für den Fall aller anderen möglichen – m. E. zu erwartenden – Szenarien, in denen der Klassenfeind einen großen Krieg vorbereitet und zu führen gedenkt, der aber eben nicht so verläuft wie Hänschen Springinsfeld sich dies vorstellt. Weiter führt die Nuklear-Fixiertheit eben auch zu einer Fixierung des Blickes auf Nuklear-Mächte, und dies auch noch losgelöst von ihrem Klassencharakter. Der deutsche Imperialismus, der tatsächliche Hauptfeind der deutschen Arbeiterklasse, gerät als Nicht-Nuklearmacht in einer solchen Betrachtung von selbst ins Abseits.

Zuletzt ist die Frage der Gefährlichkeit der Nuklearwaffe für die Arbeiterklasse auch und gerade für ihren Kampf für Frieden strategisch bedeutungslos: Außer in China und Korea verfügt sie nicht über ihre Einsatzmöglichkeit; in imperialistischen Ländern ist ihr strategisches Ziel vor, während und nach einem Krieg immer dasselbe – die Niederwerfung, Neutralisierung und Eliminierung der letzten Ausbeuter- und Kriegstreiberklasse. Natürlich hat die Arbeiterklasse kein Interesse, die Schrecken kommender, nicht von ihr, sondern vom Klassenfeind angezettelter Kriege zu ignorieren oder kleinzureden. Sie hat aber auch kein Interesse, sie anders zu behandeln als als materielle Grundlage ihres eigenen strategischen Klassenhandelns. Engels führt dies gerade anhand der zu erwartenden Schrecken des zu erwartenden Krieges 1887 vor:

„Und endlich ist kein andrer Krieg für Preußen-Deutschland mehr möglich, als ein Weltkrieg, und zwar ein Weltkrieg von einer bisher nie geahnten Ausdehnung und Heftigkeit. Acht bis zehn Millionen Soldaten werden sich untereinander abwürgen und dabei ganz Europa so kahlfressen,wie noch nie ein Heuschreckenschwarm. Die Verwüstungen des Dreißigjährigen Kriegs zusammengedrängt in drei bis vier Jahren und über den ganzen Kontinent verbreitet; Hungersnot, Seuchen, allgemeine, durch akute Not hervorgerufene Verwilderung der Heere wie der Volksmassen; rettungslose Verwirrung unsres künstlichen Getriebs in Handel, Industrie und Kredit, endend im allgemeinen Bankerott; Zusammenbruch der alten Staaten und ihrer traditionellen Staatsweisheit, derart, daß die Kronen zu Dutzenden über das Straßenpflaster rollen und niemand sich findet, der sie aufhebt; absolute Unmöglichkeit, vorherzusehn, wie das alles enden und wer als Sieger aus dem Kampf hervorgehen wird; nur ein Resultat absolut sicher: die allgemeine Erschöpfung und die Herstellung der Bedingungen des schließlichen Siegs der Arbeiterklasse.“51

Lenin greift 1918, also knapp nach dem großen Abschlachten eines zwischenimperialistischen Kriegs und schon wieder in dem eines revolutionären Verteidigungskriegs, diesen Text Engels’ auf und schreibt:

„Es gibt leichte und es gibt schwere Geburten. Marx und Engels, die Begründer des wissenschaftlichen Sozialismus, sprachen stets von *langen Geburtswehen, die unvermeidlich mit dem Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus verbunden sind. Und in seiner Analyse der Folgen eines Weltkriegs schildert Engels einfach und klar die unstrittige und unverkennbare Tatsache, daß eine Revolution, die einem Kriege folgt, die mit dem Krieg verbunden ist (und noch dazu – fügen wir hinzu – während eines Krieges ausgebrochen ist, die gezwungen ist, zu wachsen und sich zu behaupten, während sie vom Weltkrieg umbrandet ist), daß eine solche Revolution ein besonders schwerer Geburtsfall ist.“*52

Sie bleibt aber ein Geburtsfall!

1952, einen Weltkrieg und einen revolutionären Zyklus weiter, schreibt Stalin, jenseits des US-amerikanischen Nuklearwaffen-Monopols und bereits im „Kalten Krieg“, über Krieg und Revolution und Strategie und Taktik der Proletarischen Revolution:

„Man sagt, Lenins These, daß der Imperialismus unvermeidlich Kriege hervorbringt, müsse als veraltet angesehen werden, da gegenwärtig mächtige Volkskräfte herangewachsen sind, die zur Verteidigung des Friedens, gegen einen neuen Weltkrieg auftreten. Das ist falsch. / Die gegenwärtige Friedensbewegung verfolgt das Ziel, die Volksmassen zum Kampf für die Erhaltung des Friedens, zur Verhütung eines neuen Weltkrieges zu mobilisieren. Folglich setzt sie sich nicht das Ziel, den Kapitalismus zu stürzen und den Sozialismus zu errichten – sie beschränkt sich auf die demokratischen Ziele des Kampfes für die Erhaltung des Friedens. In dieser Beziehung unterscheidet sich die gegenwärtige Bewegung für die Erhaltung des Friedens von der Bewegung während des ersten Weltkrieges für die Umwandlung des imperialistischen Krieges in den Bürgerkrieg, da diese Bewegung weiterging und sozialistische Ziele verfolgte. […] Am wahrscheinlichsten ist, daß die gegenwärtige Friedensbewegung, als Bewegung für die Erhaltung des Friedens, im Falle des Erfolges zur Verhütung eines *bestimmten Krieges, zu seinem zeitweiligen Aufschub, zur zeitweiligen Erhaltung des gegebenen Friedens, zum Rücktritt einer kriegslüsternen Regierung und zu ihrer Ablösung durch eine andere Regierung führt, die bereit ist, zeitweilig den Frieden zu erhalten. Das ist natürlich gut. Das ist sogar sehr gut. Aber dennoch genügt das nicht, um die Unvermeidlichkeit von Kriegen zwischen den kapitalistischen Ländern überhaupt zu beseitigen. Es genügt nicht, da bei allen diesen Erfolgen der Friedensbewegung der Imperialismus dennoch erhalten bleibt, bestehen bleibt und folglich auch die Unvermeidlichkeit der Kriege bestehen bleibt. / Um die Unvermeidlichkeit der Kriege zu beseitigen, muß der Imperialismus vernichtet werden.“*53

Eine waffentechnische Innovation, mag sie noch so destruktiv und schreckeneinflößend sein, kann schlicht nicht die Dialektik von imperialistischem Krieg und proletarischer Revolution extern zu einem vorzeitigen Ende ihrer Bewegung führen, denn „der Krieg gehört“ – wie gleichfalls die Revolution – „in das Gebiet des gesellschaftlichen Lebens“, wie wir spätestens seit Clausewitz wissen, und dies solange ein solches gesellschaftliches Leben Kriege erzeugt und beendet. Selbst wenn ein großer Krieg tatsächlich die Beendigung dieses gesellschaftlichen Lebens bedeuten sollte, könnte dieser doch nur in diesem gesellschaftlichen Leben selbst verhindert oder beendet werden. Und nach welchen Gesetzen das gesellschaftliche Leben funktioniert, wissen wir spätestens seit dem Manifest der Kommunistischen Partei.

→ Proletarische Friedenspolitik ist im Imperialismus nur möglich als Politik zum Zweck des revolutionären Krieges gegen den imperialistischen Krieg mit dem Ziel der Abschaffung des Krieges überhaupt.

Und:

→ Faschismus ist imperialistische Politik zum Zweck des Krieges. Proletarische Friedenspolitik ist nur möglich als antifaschistische Politik.

Das gilt zu allen Jahreszeiten!


  1. LW, Bd. 38, S. 99 (in: Konspekt zu Hegels „Wissenschaft der Logik“). 

  2. MEW, Bd. 20, S. 171 (in: „Anti-Dühring“). 

  3. LW, Bd. 21, S. 299 (in: Sozialismus und Krieg). 

  4. Ebd. 

  5. Carl von Clausewitz: Vom Kriege. Ungekürzter Text. München 2000, S. 27. 

  6. Ebd.,, S. 27f. 

  7. Ebd., S. 19. 

  8. Ebd., S. 44. 

  9. Ebd., S. 683. 

  10. Ebd., S. 121f. 

  11. Ebd., S. 690. 

  12. Ebd., S. 19. 

  13. Ebd., S. 44. 

  14. Ebd., S. 684. 

  15. Ebd., S. 22. 

  16. Ebd., S. 393f. 

  17. Ebd., S. 371. 

  18. Ebd., S. 48. 

  19. MEW, Bd. 4, S. 462 (in: Manifest der Kommunistischen Partei). 

  20. LW, Bs. 21, S. 300 (in: Sozialismus und Krieg). 

  21. MEW, Bd. 4, S. 473 (in: Manifest der Kommunistischen Partei). 

  22. MEW, Bd. 18, S. 308 (in: Von der Autorität). 

  23. MEW, Bd. 8, S. 95 (in: Revolution und Konterrevolution in Deutschland). 

  24. MEW, Bd. 4, S. 574 (in: Manifest der Kommunistischen Partei, Vorwort zur deutschen Ausgabe von 1872). 

  25. LW, Bd. 21, S. 206f. (in: Der Zusammenbruch der II. Internationale). 

  26. LW, Bd. 11, S. 212f. (in: Der Partisanenkrieg). 

  27. LW, Bd. 21, S. 300f. (in: Sozialismus und Krieg). 

  28. Ebd., S. 304f. 

  29. LW, Bd. 22, S. 301 (in: Der Imperialismus). 

  30. Außerordentlicher Internationaler Sozialistenkongreß zu Basel am 24. und 25. November 1912. Berlin 1912, S. 23. (Zit. nach Wladimir Iljitsch Lenin: Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus. Kritische Neuausgabe hg. und komm. von Wladislw Hedeler und Volker Külow. Berlin 2016, S. 187-192. 

  31. Ebd., S. 24. 

  32. Vgl. ebd. S. 63. 

  33. (A. Neuberg): Der bewaffnete Aufstand. Versuch einer theoretischen Darstellung. Von Erich Wollenberg eingeleiteter Nachdruck der Ausgabe Zürich 1928. Frankfurt a. M. 1971. 

  34. So Erich Wollenberg in ebd. S. IV. 

  35. Ebd. S. 22. 

  36. StW, Bd. 8, S. 324 (in: Über die Perspektiven der Revolution in China). 

  37. MaoW, Bd. 2, S. 255-257 (in: Probleme des Krieges und der Strategie). 

  38. Ebd., S. 177-179 (in: Über den langwierigen Krieg). 

  39. MaoW, Bd. 1, S. 210 (in: Strategische Probleme des revolutionären Krieges in China). 

  40. Ebd., S. 213f. 

  41. Ebd., S. 157 (in: Über den langwierigen Krieg). 

  42. Ebd., S. 149. 

  43. https://kaz-online.de/artikel/die-friedensillusion-vom-ultraimperialismus-zum-globalen-kapitalismus 

  44. LW, Bd. 23, S. 345 (in: Briefe aus der Ferne). 

  45. LW, Bd. 36, S. 306 (in: Der Erste Mai und der Krieg). 

  46. LW, Bd. 23, S. 75-77 (in: Das Militärprogramm der proletarischen Revolution). 

  47. Georgi Dimitroff: Ausgewählte Schriften 1933 – 1945. Köln 1976, S. 505 (in: Disposition Georgi Dimitroffs zum Referat „Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus“). 

  48. LW, Bd. 22, S. 198 (in: Der Imperialismus, Vorwort zur französischen und deutschen Ausgabe). 

  49. http://news.dkp.suhail.uberspace.de/2014/10/dkp-erklaerung-des-sekretariats-des-parteivorstands/ – Dokumentiert auch: https://www.secarts.org/index.php?site=home&id=1427. 

  50. StW, Bd. 15, S. 88 (in: Antworten auf die Fragen des Moskauer Korrespondenten der „Sunday Times”, Mr. Alexander Werth, in einem Schreiben vom 17. September 1946). 

  51. MEW, Bd. 21, S. 340f. (in: Einleitung zu Borkheims „Zur Erinnerung für die deutschen Mordspatrioten“). 

  52. LW, Bd. 27, S. 498 (in: Prophetische Worte). 

  53. StW, Bd. 15, S. 327f. (in: Ökonomische Probleme des Sozialismus in der UdSSR).