Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Schwerpunkt-Thema:

Zwischenimperialistische Widersprüche und Kriegsgefahr heute

Wo steht der deutsche Imperialismus militärisch?

Gespräch mit Jörg Kronauer

befragt von Gretl Aden und Thomas Tischler

21. Mai 2020

Corona hat alles überdeckt. Als gäbe es keinen Militarismus mehr, als gäbe es keine Aufrüstung mehr. Vergessen und in den Hintergrund gerückt alles, was im halben Jahr davor gelaufen ist. Zur Erinnerung nur: Frau von der Leyen hat im November erklärt: Europa muss auch die Sprache der Macht lernen, es muss seine eigenen Muskeln aufbauen, wir können uns nicht mehr auf andere stützen, zum Beispiel in der Sicherheitspolitik. Wir sind in einer Phase, in der aufgerüstet wird. Wirkt Corona auf diese Pläne ein?

Im Wesentlichen machen die einfach so weiter wie bisher. Es gibt einen Fall, wo es konkrete Auswirkungen gegeben hat. Das ist das Großmanöver Defender Europe 2020, dieses Aufmarschmanöver in Richtung russische Grenze, zu dem 20.000 US-Soldaten nach Deutschland und Europa, dann über Deutschland nach Polen und andere Länder in Ost- und Südosteuropa fahren sollten. Das ist tatsächlich im März auf halbem Weg auf Eis gelegt worden und konnte nicht in vollem Umfang durchgeführt werden. Das ist tatsächlich durch die Pandemie verändert worden. Aber die Rüstungsplanungen, die Bundeswehreinsätze, das läuft alles mehr oder weniger weiter wie gehabt. Es ist so, dass Soldaten, die in Einsätze gehen, zwei Wochen vorher – im Moment jedenfalls noch – in einem Hotel in der Nähe des Abflugflughafens in Quarantäne müssen, aber das ist eine vernachlässigbare Einschränkung. Ansonsten wird mit den Rüstungsprojekten, beispielsweise mit den Planungen zur Anschaffung neuer Kampfjets und neuer Kriegsschiffe, auch neuer Kampfdrohnen, so weitergemacht wie bisher.

Kommen wir dazu, welche militärischen Fähigkeiten der deutsche Imperialismus hat beziehungsweise auch, wo er gegenüber dem US-Imperialismus im Rückstand ist. Kannst du dazu kurz einen Überblick geben?

Es ist sicherlich so, dass die Bundeswehr auch im Vergleich zu etwa den Streitkräften Frankreichs oder Großbritanniens und vor allem im Vergleich zu den Streitkräften der Vereinigten Staaten deutlich im Rückstand ist. Das betrifft zum einen – was gerne übersehen wird – die tatsächliche Kampferfahrung. Natürlich haben inzwischen auch deutsche Soldaten in gewissem Maß Kampferfahrungen gesammelt, vor allem aus Aghanistan. Aber im Vergleich zu den Vereinigten Staaten mit ihren gewaltigen Kriegen, die sie in den letzten Jahrzehnten geführt haben, auch im Vergleich zu den Streitkräften Frankreichs und Großbritanniens ist da wirklich ein echter Rückstand und es fehlt auf jeden Fall noch an praktischer Erfahrung. Allerdings arbeiten sie daran, dass sich dieses Verhältnis mehr und mehr nivelliert.

Auch auf Rüstungsebene gibt es noch etliche Rückstände. Ein aktuelles Beispiel sind die Kampfdrohnen, auch als Killerdrohnen bezeichnet – also Drohnen, die nicht nur zur Aufklärung, sondern auch bewaffnet verwendet werden können. Im Moment ist es so, dass die Bundeswehr in Afghanistan und in Mali Herondrohnen nutzt. Das sind geleaste Drohnen aus israelischer Produktion. Das ist ein Übergangsmodell. Die Planungen sagen klar, dass die Bundeswehr in absehbarer Zeit auch über Kampfdrohnen verfügt. Ebenfalls klar ist, dass übergangsweise die nächste Generation der Herondrohnen erst mal übernommen werden sollen. Es sollen einige weitere beschafft werden für die nächsten sieben bis acht Jahre. In der zweiten Hälfte der 2020er soll laut Plänen des deutschen Verteidigungsministeriums die Eurodrohne einsatzfähig sein.

Die Regierungskoalition hat zugesagt, dass vor der Anschaffung von Kampfdrohnen eine ausführliche Diskussion stattfinden soll und zwar auch in der Öffentlichkeit, unter Berücksichtigung ethischer Standpunkte. So wird es behauptet. Es gibt ja massive Bedenken gegenüber der Nutzung von Kampfdrohnen, zum einen, weil das Töten per Maschine die Hemmschwelle verringert. Weil eben bei Kampfeinsätzen mit Drohnen nicht das Leben eigener Soldaten aufs Spiel gesetzt wird, sinkt die Hemmschwelle zum Kriegführen. Und zum anderen droht eine schrittweise Automatisierung von Kriegen. Irgendwann fliegen die Drohnen wirklich nur noch aus eigenem Antrieb und unter eigenem Kommando, ohne menschliches Zutun. Das ist durchaus denkbar. Wegen dieser massiven Bedenken hat die Regierung zugesagt, vor der Anschaffung von Kampfdrohnen in Deutschland eine breite öffentliche Debatte zu führen. Und diese breite öffentliche Debatte findet gerade statt, auch wenn man sie wegen der Krise kaum bemerkt. Das ist geschickt angesetzt zum jetzigen Zeitpunkt. Aber sie hat vor ungefähr zehn Tagen mit einer Diskussion im Verteidigungsministerium begonnen. Diese Debatte wird irgendwann früher oder später – eher früher, wie es im Moment ausschaut – auch abgeschlossen sein. Und dann, so vermute ich jedenfalls, wird zur Anschaffung von Kampfdrohnen übergegangen.

Der deutsche Imperialismus ist gegenüber Frankreich und Großbritannien in puncto atomare Bewaffnung im Rückstand. Sie hat schon früh eine Rolle gespielt, unter Strauß in den 50er und 60er Jahren, der eine eigene Atombombe wollte beziehungsweise dann eine zusammen mit Frankreich. Frankreich wollte aber nicht, und die USA schon gar nicht. Von daher ist es nach wie vor so, dass der deutsche Imperialismus nicht über irgendeine atomare Bewaffnung verfügt. Was sagst du zu den jetzt wieder hässlich aufflammenden Diskussionen?

Es gibt im Großen und Ganzen zwei Stränge. Die politischen und militärischen Eliten haben es durchaus als Mangel wahrgenommen, dass man nicht nur über keine eigenen Atomwaffen verfügt, sondern auch keinen Zugriff hat. Des wäre ja auch ein Modell, sich sozusagen den Zugriff zu teilen. Das wäre ein Schritt, die eigene Position zu verbessern. Da gibt es eine Variante, die im Moment immer wieder mal diskutiert wird: die Vergemeinschaftung französischer Atomwaffen. Das heißt, die französischen Atomwaffen sollen unter EU-Kommando gestellt werden oder zumindest durch eine Teilfinanzierung durch andere Staaten, vorzugsweise Deutschland, eben deutschem Einfluss geöffnet werden. Wenn man etwas finanziert, dann hat man auch Einfluss darauf. Es gibt unterschiedliche Ansätze, wie der Zugriff auf französische Atomwaffen oder zumindest eine Mitbestimmung zu erreichen wäre. Frankreich hat das bislang durchweg abgelehnt, und es bestehen derzeit keine Aussichten, dass die französische Politik oder die französischen Militärs sich das Heft aus der Hand nehmen lassen. Die historischen Erfahrungen mit deutschen Aggressoren spielen dabei keine geringe Rolle, aber auch eigene, französische Weltmachtpläne.

Es gibt gewisse Bewegungen in Frankreich, die in der deutschen Öffentlichkeit zuweilen als Zugeständnisse dargestellt werden. Macron hat im Februar in einer Rede an der École de guerre gesagt, er könne sich durchaus vorstellen, einen strategischen Dialog über Atomwaffen in der EU zu führen, könne sich auch vorstellen, dass Frankreich eine nukleare Schutzgarantie für EU-Staaten abgibt, und sogar, dass Soldaten anderer europäischer Streitkräfte an Manövern teilnehmen. Aber das sind Nebelkerzen, denn es ändert nichts daran, dass Frankreich sich die Kontrolle über seine eigenen Atomwaffen vorbehält. Dass andere in einem Manöver „mitspielen" dürfen, nimmt der Debatte um die deutschen Forderungen nach mehr Mitbestimmung ein wenig den Wind aus den Segeln, aber es ist kein reales Zugeständnis.

Es wird – inzwischen seltener, vor zwei Jahren war es noch stärker, kann aber auch wieder auftauchen – die Forderung erhoben, das Tabu zu brechen und eben doch deutsche Atomwaffen zu beschaffen. Diese Forderung ist vor zwei Jahren von jemandem gestellt worden, der nicht wirklich in der Politik, aber im Beraterumfeld eine Rolle spielt, dem emeritierten Bonner Politikprofessor Christian Hacke. Er sagte, wenn es nichts wird mit dem Zugriff auf französische Atomwaffen, dann, Zitat: „Wie halten wir es mit einer potenziellen Atommacht Deutschland?"

Die Diskussion flackert immer mal wieder auf. Diese Option hat einen gewaltigen Nachteil, denn man müsste dann aus dem Atomwaffensperrvertrag aussteigen. Wenn Deutschland das macht, ist es etwas anderes, als wenn Nordkorea es macht beziehungsweise 2003 getan hat. Das hätte Symbolcharakter, und der Atomwaffensperrvertrag geriete ins Wanken, der ja auch das Ziel hat, Länder wie zum Beispiel Iran an der atomaren Aufrüstung zu hindern.

Natürlich gibt es die nukleare Teilhabe. In Büchel in der Eifel sind nach wie vor um die zwanzig US-Atomwaffen stationiert, die im Ernstfall von deutschen Tornados an den Einsatzort geflogen werden. Dann steigen die Tornados mit US-Atomwaffen auf. Aber das ist natürlich keine eigene Verfügung, nur eine gewisse Sicherheit dafür, dass die in Deutschland stationierten Atomwaffen nicht ohne deutsches Zutun – also nicht gegen deutschen Willen – eingesetzt werden können. Mehr ist mit dieser nuklearen Teilhabe nicht verbunden. Und es widerspricht auch nicht der Tatsache, dass es eben Atomwaffen auf deutschem Territorium gibt.

Es wäre ja auch äußerst seltsam, wenn Frankreich zustimmen würde, seine Hoheit über die eigenen Atomwaffen aus der Hand zu geben. Es ist doch ein Trumpf, den man gegenüber dem sowieso schon dominanten Deutschland hat. Was die eigene Atomwaffenproduktion angeht, wäre Deutschland in der Lage dazu? In Garching wird immer noch atomwaffenfähiges Uran hergestellt beziehungsweise kann angereichert werden …

Man muss davon ausgehen, dass es für ein Hochtechnologieland wie Deutschland kein Problem darstellt. Allein wenn man in Rechnung stellt, dass eine wichtige Figur für die Produktion der pakistanischen Atomwaffen das Know-how im Kernforschungszentrum Karlsruhe erworben hat. Das Know-how ist zweifelsohne vorhanden, und an den technologischen und materiellen Kapazitäten hapert es in Deutschland nicht.

Es gibt alle möglichen Pläne oder auch schon konkrete Vorhaben, gerade jetzt hochmoderne Waffensysteme anzuschaffen, und diesmal im Bündnis mit Frankreich. Man hat sich offensichtlich schon so weit geeinigt, wer welche Mehrheiten hat, welche Monopole beteiligt sind oder wo das Zeug fabriziert wird. Was kannst du dazu sagen?

Da nenne ich drei große, aktuelle Beispiele, die auch öffentlich diskutiert werden: Das erste ist der neue Kampfpanzer, der Kampfpanzer der nächsten Generation, der perspektivisch den Leopard 2 ablösen soll. Der Leopard 2 ist ein großer Exporterfolg für die deutsche Rüstungsindustrie, für Krauss-Maffei Wegmann und Rheinmetall, die mit dem Panzer eine Menge Geld verdient haben. Der wird irgendwann durch ein neues Modell abgelöst werden, das einerseits die Panzerfunktionen weiterentwickelt, andererseits in ein ganzes System eingebunden wird, weswegen auch häufig von einem „Kampfsystem der Zukunft" die Rede ist. Das bedeutet, dass so ein Panzer eben nicht mehr allein und isoliert durch die Gegend fährt, sondern vollständig elektronisch mit Aufklärungsinstrumenten und Satelliten vernetzt ist, dass er über beigefügte Drohnen oder Drohnenschwärme verfügen kann und vielleicht auch über andere, sich auf dem Boden bewegende Kampfroboter. Das ist alles noch in Arbeit, aber außer Frage steht, dass es sich dabei um ein komplexes Kampfsystem handelt. Das zu konstruieren ist unglaublich aufwendig und sehr teuer, was auch der Grund ist, warum sich deutsche und französische Rüstungskonzerne zusammengetan haben; zunächst KMW und Nexter, auch Rheinmetall treibt seine Beteiligung voran. Das ist ein großes deutsch-französisches Rüstungsprojekt, dessen Entwicklung langsam, aber bislang relativ sicher voranrollt.

Während bei diesem Projekt Deutschland die Führung innehat, steht Frankreich bei einem anderen, vielleicht noch bekannterem Vorhaben an der Spitze: dem Kampfjet der nächsten Generation. Aktuell sind die Spitzenkampfjets die F-35, der amerikanische Tarnkappenbomber, sehr schnell, sehr wendig und sehr teuer auch. Auf dieser Ebene, also der fünften Generation, gibt es in der Bundeswehr nichts. Die hat nach wie vor die Eurofighter, die von den meisten als vierte Generation gezählt werden. Die deutsche Industrie versucht im Moment praktisch den Sprung zur sechsten Generation. Das wird ein satellitengesteuerter Kampfjet sein, der im Verbund mit anderen Waffensystemen, etwa mit Drohnen, fliegt, auch mit Drohnenschwärmen, also mit hunderten, vielleicht tausenden Mini-Drohnen, die zur Aufklärung oder zur Ausschaltung des gegnerischen Radars eingesetzt werden, bei Bedarf aber auch als Mini-Killerdrohnen genutzt werden können und sich mit Sprengsätzen auf irgendwelche Ziele stürzen. Das ist hocheffizient. Auch dieses Projekt ist so teuer, dass es schwierig wäre, es im deutschen Rahmen allein zu stemmen. Deswegen gibt es die Kooperation mit Frankreich, und da arbeiten Airbus und die Dassault zusammen, die hierbei die Führung innehat. Es gibt nur ein Problem: ist ja gut und schön, wenn man dieses Ding anschafft, aber der Kampfjet wird frühestens Mitte der 2030er Jahre einsatzreif sein. Bis dahin muss man irgendwie klarkommen. Also sollen zunächst weitere neue Eurofighter angeschafft werden. Aber es gab zuletzt eine große Debatte darum, was mit der vorhin erwähnten nuklearen Teilhabe sei. Denn für die zwanzig US-Atombomben in Büchel muss man ja sicherstellen, dass sie bei Bedarf auch transportiert werden können. Nun sagen die Vereinigten Staaten, wir wollen jedes Flugzeug, das die Bomben in den Einsatz transportieren kann, zertifizieren. Wenn irgendwann der Eurofighter diese Atomwaffen an den Einsatzort transportiert, muss das zertifiziert werden. Die Vereinigten Staaten, die eigene Verkaufsinteressen haben, sagen, das Zertifizieren kann drei, vier Jahre oder mehr in Anspruch nehmen und sehr, sehr teuer werden. Also hat sich das Verteidigungsministerium dafür ausgesprochen, US-Kampfjets für diese atomare Teilhabe und einige weitere kleinere Funktionen anzuschaffen. Es werden demzufolge sowohl neue Eurofighter als auch wahrscheinlich etwa vierzig US-amerikanische F 18 angeschafft.

Das dritte Projekt ist das neue Mehrzweckkampfschiff, das ebenfalls ein multinationales werden könnte. Bis etwa 2014 war die Marine vor allem für Einsätze vorgesehen wie etwa am Horn von Afrika Piraten zu jagen, im Mittelmeer gegen Schmuggel und gegen Flüchtlinge vorzugehen oder vielleicht irgendwo in weit entfernten Ländern Operationen an Küstengebieten zu unterstützen – alles nicht auf der Ebene wirklich großer Kriege, sondern Kriege gegen kleinere, schwächere Staaten. Auf solche Einsätze hat sich die Marine vorbereitet, darauf ist auch die neue Fregatte F 125 optimiert, von der inzwischen immerhin ein Modell in Betrieb ist. Seit allerdings 2014 der Ukraine-Konflikt eskalierte, orientiert sich die Bundeswehr auch ganz offiziell um. Es heißt, wir werden auch weiterhin Piraten und Schmuggler bekämpfen und vielleicht Kriege in schwächeren Staaten irgendwo auf der Welt führen, aber wir werden uns auch auf einen etwaigen Krieg gegen große Mächte vorbereiten.

Die einschlägige Nummer eins ist dabei Russland, es gerät aber auch immer mehr China ins Blickfeld. Gegen Russland und China kann man keinen Krieg führen, wenn man auf nichts anderes vorbereitet ist, als irgendwelche kleinen Boote mit spezialisierten Boarding Teams zu entern … Da muss man die klassischen Instrumente der Marinekriegführung wieder zur Verfügung haben, muss in der Lage sein, heiße Schlachten zu führen, U-Boote zu jagen … So etwa sind die Kategorien. Daher ist 2015 beschlossen worden, ein sogenanntes Mehrzweckkampfschiff zu bauen, das alles beherrscht – von Einsätzen gegen Piraten bis hin zu einem Krieg gegen eine Großmacht, von Einsätzen im Nordmeer an der Arktis bis hin zu Einsätzen am Äquator. Aktuell, noch vor der Sommerpause, soll der Bundestag der ersten Rate dafür zustimmen. Grundsätzlich ist die Finanzierung über fünf Milliarden genehmigt, das teuerste Projekt der deutschen Marine.

Nun gibt es ja große deutsche Marinewerften, ThyssenKrupp Marine Systems, Lürssen oder auch die German Naval Yards in Kiel, Nachfolger der Howaldtswerke Deutsche Werft. Eigentlich sollte man denken, dass die Bundesregierung einen solchen Auftrag an die deutsche Kriegsschiffindustrie vergibt. Hat sie aber nicht. Sie hat den Auftrag an eine niederländische Werft vergeben. Das löste Anfang des Jahres einen großen Aufschrei in der Bundesrepublik aus. Ruhiger wurde es, nachdem man ins Kleingedruckte geschaut und festgestellt hat, dass die Damen-Werft in den Niederlanden zugesagt hat, 80 Prozent des gesamten Auftragsvolumens, vor allem die konkrete Bauarbeit, deutschen Werften zu übertragen. Gebaut wird dieses Mehrzweckkampfschiff, MKS 180 abgekürzt, vor allem bei Lürssen, also in Deutschland. Es stellt sich heraus, dass zwischen Berlin und Den Haag tatsächlich eine engere Marine-Kooperationen im Gespräch ist, die sich nun auch auf eine Kooperation beim Kriegsschiffbau erstreckt. Das wird auch deswegen in Angriff genommen, weil sich inzwischen andeutet, dass sich die französische Naval Group, das große staatliche Kriegsschiffbauunternehmen, und die Financtieri – das ist dasselbe in Italien – zusammentun, um den europäischen Kriegsschiffbau voranzutreiben und ihn vielleicht zu dominieren. Beide zusammen sind sehr stark, manche sprechen schon von einer Art „Airbus der Meere". Die Idee, mit der niederländischen Damen-Group im Kriegsschiffbau zusammenzuarbeiten, um praktisch ein deutsch-niederländisches Gegengewicht gegen diese französisch-italienische Kriegsschiffbau-Allianz zu haben, taucht derzeit immer wieder in der Debatte auf. Das wird noch verstärkt dadurch, dass kürzlich bestätigt worden ist, dass sich Lürssen und German Naval Yards zusammentun und für ihren Kriegsschiffbau jeweils ein Joint Venture gründen werden. ThyssenKrupp Marine Systems überlegt noch, sich zu beteiligen. Das MKS 180, auf dieser niederländisch-deutschen Allianz aufbauend, ermöglichte der Marine dann zumindest die Beteiligung an Kriegen gegen große Mächte.

Das heißt, dass der Werftenverbund zwischen französischen und deutschen Kriegsschiffsproduzenten, der schon seit vielen Jahren immer wieder im Gespräch ist, aufgrund der Konkurrenz und der Frage, wer da die Dominanz hat, bisher nicht funktioniert?

Genau, es ist nach wie vor das Problem, dass sie sich nie geeinigt haben. In den Rangeleien, wer das Sagen hat, wer letztlich den stärkeren Anteil an dem Projekt hat, konnte sich die deutsche Seite nie gegen Frankreich durchsetzen und ließ sich demzufolge nicht darauf ein. Jetzt hat die französische Regierung gesagt: Okay, wenn ihr nicht wollt … Wir wollen vorankommen mit diesem Projekt, dann machen wir es mit Italien! Wenn man sich die politische Gesamtkonfliktlage in der EU anschaut, ist eine französisch-italienische Allianz in vielfacher Hinsicht hoch brisant. Die Konfliktlagen kann man ja auch aktuell bei der Frage sehen, wie man die Corona-Krise ökonomisch bewältigt. Es sind dieselben Bruchlinien, die da aufscheinen.

Die Konkurrenz zwischen den imperialistischen Staaten vor allem in Europa ist trotz aller Bündnisse und Zusammenarbeit immer wieder konkret im militärischen Bereich und in der Produktion von Militärgütern zu sehen. Eine Frage noch: Welche Rolle spielt denn Großbritannien im Rüstungssektor? Es ist zwar ausgetreten, aber ja noch da! Der Eurofighter ist ein Projekt, das gemeinsam mit Großbritannien gebaut wird. Wie schaut es jetzt aus?

Das ist alles gerade noch sehr umkämpft. Aufgrund des Austritts hat es Brüche gegeben, insbesondere zwei: Einer ist der, dass Großbritannien bei Galileo – dem Satellitennavigationssystem, gewissermaßen dem EU-GPS – heraus komplimentiert wurde, vor allem aus dem militärischen Teil.

Der andere ist, dass Großbritannien die Kampfjets der nächsten Generation zusammen mit Frankreich bauen wollte. So war ursprünglich der Plan, es gab schon erste Entwürfe. Bei diesem französisch-britischen Projekt wurde dann die britische BAE Systems von Airbus ausgebootet, und im Zusammenhang mit dem Brexit haben Airbus und Dassault schließlich gesagt, wir bauen jetzt diesen Kampfjet der nächsten Generation miteinander und Großbritannien ist raus. Obwohl das gewissermaßen immer noch ein EU-Projekt ist, war Großbritannien seitdem tatsächlich nicht mehr beteiligt.

Das ist in doppelter Hinsicht ein Problem, zum einen auf militärpolitischer Ebene, denn es ist in den militärischen Planungen – nicht in den rüstungsindustriellen – völlig klar, dass die Bundesregierung und auch die EU weiterhin anstreben, für ihre Militäreinsätze britische Streitkräfte mit zu nutzen. Ohne sie wäre die EU, jedenfalls auf Feldebene, deutlich schwächer. Es ist auch längst nicht mehr von einer EU-Armee, sondern von einer Armee der Europäer die Rede, was bekanntermaßen mehr als die EU umfasst. Das ist die eine Seite. Da ist es natürlich schwierig, so einen harten Konflikt mit Großbritannien auf rüstungspolitischer Ebene durchzuhalten, obwohl es den weiterhin gibt. Großbritannien hat inzwischen diesen, wenn man so will, rüstungsindustriellen Fehdehandschuh aufgenommen. London sagt nämlich, wenn ihr euren Kampfjet der nächsten Generation baut, könnten wir uns einfach an die USA dranhängen. Aber wir wollen unsere industriellen und technologischen Fähigkeiten selbst behalten. Deswegen werden wir einen eigenen Kampfjet der nächsten Generation entwickeln. Das Projekt heißt Tempest.

Interessanterweise hat Großbritannien bereits Italien dafür gewinnen können, das heißt, es gibt inzwischen ein britisch-italienisches Gegenmodell zum deutsch-französischen Kampfjet, und es ist im Gespräch, dass die schwedische Saab mit reingeht, also ein recht starker Rüstungskonzern. Auch das sind wieder innereuropäische Bruchlinien – in diesem Fall stellt sich Italien gegen Deutschland und Frankreich –, an denen man gut sehen kann, dass die EU kein Bündnis, sondern so etwas wie ein Kartell ist, in dem die einzelnen Beteiligten punktuell zusammenarbeiten, sich aber gerne auch wieder bekämpfen, wenn es ihren Interessen dient.

Es ist wahrscheinlich auch immer ein Ausdruck von Stärke, wie lange so etwas hält oder nicht, ob einzelne Staaten davon profitieren beziehungsweise die einzelnen Monopole … Das waren nun wechselnde Bündnisse zu speziellen, hochgefährlichen Militärprojekten. Aber wir sehen, es geht jetzt nicht mehr nur um irgendwelche Einsätze irgendwo, sondern letztlich um große Kriege, sprich um Weltkriege. Damit wird geplant. In welchen Militärbündnissen agiert der deutsche Imperialismus? Mit welchen Interessen und mit welchen Widersprüchen? Was ist zu den verschiedenen Bündnissen und zu ihrem unterschiedlichen Charakter innerhalb NATO, aber auch innerhalb von Europa zu sagen? Etwa zu PESCO, der Permanent Structured Cooperation, in der 25 von 28 EU-Staaten Mitglied sind und verschiedene Verpflichtungen übernehmen?

Aus Sicht der herrschenden Kreise in Deutschland ist die NATO das Bündnis, das auf Weltebene nützlich ist. Wenn es gegen große Mächte geht, vor allem Russland. Eine wichtige Facette im Russland-Konflikt – Stichwort Ukraine – ist der Kampf darum, wer in Osteuropa das Sagen hat: eher die deutsche Seite oder eher die russische. Daran ist aus deutscher Sicht letztlich der Ukraine-Konflikt eskaliert. Da es nicht gelungen ist, den Konflikt eindeutig für die deutsche und für die europäische, westliche Seite zu entscheiden, resultiert daraus ein Interesse starker Kräfte in deutschen Eliten, den Druck auf Russland auch militärisch zu erhöhen. Das begründet die führende Rolle der Bundeswehr beim Aufbau der NATO-Speerspitze und der Stationierung von NATO-Truppen in Osteuropa. Im Konflikt mit Russland ist die NATO für das deutsche Establishment ideal und ein sehr, sehr nützliches Kriegsbündnis, denn man hat das militärische Gewicht der Vereinigten Staaten, der größten Kriegsmacht überhaupt, auf seiner Seite. Daher ist Deutschland interessiert, die NATO für solche Konflikte wie den mit Russland zumindest auf absehbare Zeit am Laufen zu halten. Die andere Seite ist, dass in der NATO die stärkste Militärmacht auch die stärkste politische Macht darstellt. Völlig klar, das sind die Vereinigten Staaten, was wiederum bedeutet, dass die deutschen Eliten auf die NATO keinen führenden Einfluss haben und gegenüber den Vereinigten Staaten auch mal zurückstecken müssen. Die sitzen nun mal am längeren Hebel. Das ist ein Nachteil und so gesehen eine Schwäche der NATO, was dazu führte, nach Alternativen auf europäischer Ebene zu suchen.

Noch einmal kurz zu den Brüchen in der NATO, die in letzter Zeit vor allem dadurch deutlich werden, dass Trump sagt, ihr müsst aufrüsten, sonst gehen wir raus aus der NATO oder beteiligen uns nicht mehr und ihr seid dann alleine. Das würde nun jede US-Regierung sagen, manche etwas dezenter, manche etwas diplomatischer, aber jede im Inhalt gleich, wenn es denn so ist, dass die NATO mit ihren Operationen in Osteuropa dazu beiträgt, deutsche Interessen gegen Russland zu bedienen. Dann soll doch Deutschland auch ein bisschen mehr in die NATO investieren und nicht mit einem vergleichsweise geringen Militäranteil davonkommen. So sehen es die herrschenden Kreise in den USA und sagen auf jeden Fall, dass Deutschland mehr aufbringen soll. Das wiederum steht keineswegs den Interessen der deutschen Eliten entgegen, die ja ihrerseits aufrüsten wollen und jetzt sogar sagen können: Wir müssen aufrüsten, Trump fordert es, wir können gar nicht anders, also beschaffen wir dieses ganze Kriegsgerät. Nicht mehr in ihrem Interesse liegt allerdings, dass dann praktisch die Vereinigten Staaten den Gang der Dinge bestimmen, das Tempo, die Stoßrichtung … Darüber gibt es eine Menge Streit in der NATO.

Und es gibt auch immer wieder Streit, wie es mit konkreten Einsätzen ausschaut. Zum Beispiel, soll der Irak-Einsatz ein NATO-Einsatz sein oder nicht? Dieser Ausbildungseinsatz dort war lange umstritten. Solange er im Rahmen dieser großen Koalition erfolgte, hatte die Bundesregierung einen größeren Spielraum. Jetzt, im Rahmen der NATO, heißt das also, die NATO dominiert, und da ist der konkrete Spielraum der Bundesregierung eventuell geringer. Es sind lauter solche Hakeleien, die da stattfinden und die durchaus aus widersprüchliche Interessen innerhalb der NATO resultieren.

Zurück zur EU-Ebene: Wenn man ein Militärbündnis hat, ist es nicht einleuchtend, noch ein zweites aufziehen zu wollen. Warum Doppelarbeit? Der Grund ist schlicht und einfach der, dass die herrschenden Kreise in Deutschland – und das ist schon in der alten Bundesrepublik so gewesen, es war letztlich Franz Josef Strauß, der diese Position formulierte – sagen, wir haben unsere eigenen militärpolitischen Interessen und wollen gegebenenfalls auch selbst Einsätze führen können, wenn sie nicht dem Interesse der Vereinigten Staaten entsprechen. Also nicht einen Krieg gegen die Vereinigten Staaten, aber einen Krieg gegen die Interessen der Vereinigten Staaten. In solchem Fall wollen wir auch was machen können, und dazu braucht man eigene Streitkräfte. Kann man immer mit der Bundeswehr machen, auch wenn es da im Moment noch rechtliche Hindernisse gibt, aber die lassen sich ja beseitigen. Allerdings wäre es viel besser, wenn man ein breiteres Bündnis zur Verfügung hätte. Das ist aus deutscher Sicht der Hintergrund der Idee, eine EU-Armee aufzubauen. Die EU-Armee ist vor fünfzehn, zwanzig Jahren immer wieder gefordert worden. Man hat kleine Schritte in diese Richtung gemacht, zum Beispiel die EU-Battle-Groups, die Schlachtgruppen der EU, aufgebaut. Die sind bislang wegen der Interessensstreitigkeiten zwischen den EU-Mächten noch nie eingesetzt worden, aber inzwischen sagt man, man will eine Armee der Europäer aufbauen, um auch Nicht-EU-Staaten – Großbritannien und nicht zu vergessen das militärisch nicht schwache Norwegen – einzubeziehen. In der Perspektive auf diese Armee der Europäer gibt es diverse Schritte, einer davon ist PESCO. Die Strategie ist, dass man sich nicht daran macht, große EU-Strukturen aufzubauen, die man dann mit Soldaten „befüllt". Das funktioniert nicht, weil sich letztlich sowohl Deutschland als auch Frankreich und selbst die kleineren Staaten die Kontrolle über ihre eigenen Streitkräfte nicht völlig aus der Hand nehmen lassen werden. Als Resultat daraus sagt man eben, okay man baut diese Armee der Europäer schrittweise von unten mit kleinen Projekten auf. Da werden beispielsweise Sanitätszüge oder gemeinsame Projekte im Logistikbereich aufgebaut oder man treibt bestimmte Rüstungsprojekte voran. All dies findet schrittweise im Rahmen von PESCO statt, und es ist recht unspektakulär. Wer berichtet schon über einen deutsch-ungarischen Sanitätszug? Damit ist die Schwelle nicht überschritten, die es braucht, um in eine große Tageszeitung oder in die Fernsehnachrichten zu kommen. Aber es findet statt! Und wenn es noch fünfzehn Jahre so weitergeht, dann wird in den 2030er Jahren diese Armee die Europäer auch wirklich weltweit und führend mitmischen können.

Es bedarf bestimmter Voraussetzungen für PESCO. Zum Beispiel, dass die Länder ihre Verteidigungsfähigkeit weiterentwickeln, insbesondere auch durch Teilnahme an multinationalen Ausrüstungs- und Aufrüstungsprogrammen, oder dass man im Bedarfsfall innerhalb eines bestimmten Zeitraums bewaffnete Kräfte bereitzustellen hat. Es sind ja auch Länder drin wie beispielsweise Österreich, das laut Staatsvertrag offiziell neutral ist, was aber keine Rolle zu spielen scheint. Es ist eigentlich eine verdeckte, dauerhafte Aufrüstung für ganz Europa, und letztendlich ist Deutschland der Nutznießer beziehungsweise versucht, die Führungsrolle zu behalten oder zu kriegen.

Diese sogenannte Neutralität von Österreich oder der nordischen Länder ist nicht mal mehr ein Papiertiger, die ist nur noch Papier und gar nichts mehr wert. Das betrifft auch Irland oder Finnland und Schweden, aber das ist Vergangenheit. Länder, die sich an PESCO beteiligen, und das sind de facto alle, müssen auch bereit sein, die Kriege mitzuführen, die irgendwann kommen werden – so zumindest die Vorstellung, die man bei diesem Projekt gewinnt. Und sie müssen auch immer weiter aufrüsten. Dass bei PESCO Deutschland tatsächlich die führende Rolle innehat, ist ein interessanter Punkt, an dem man wieder die Streitigkeiten zwischen Deutschland und Frankreich, den beiden stärksten Mächte in der EU, sieht. Frankreich ist zwar bei PESCO dabei, lässt es aber eher am Rande liegen. Denn Frankreich ist in einer völlig anderen Situation. Aus Sicht der herrschenden Kreise in Frankreich kommen nicht irgendwelche Kriege in der Zukunft, es gibt sie längst. Stichwort Mali. Dort gibt es unterschiedliche Ebenen, aber die militärischen Kämpfe, also die tatsächlich heißen Kämpfe in der gesamten Sahelzone, werden von den französischen Streitkräften geführt. Frankreich sagt nun, das ist ja schön, wenn wir so in zehn Jahren eine Armee der Europäer haben, aber bis dahin sind unsere Streitkräfte völlig ausgedörrt oder wir müssen unendlich viel Geld reinstecken. Das können wir uns gar nicht leisten. Wir brauchen etwas Schnelleres, am besten noch in Mali, ansonsten aber beim nächsten Einsatz in Afrika, der aus Sicht der französischen Eliten bestimmt kommen wird. Das ist der Grund, warum es neben PESCO noch eine zweite Initiative auf EU-Ebene gibt. In Deutschland wird relativ wenig darüber berichtet, während PESCO als das deutsche Projekt eine gewisse Aufmerksamkeit erfährt. Die European Intervention Initiative, also die Europäische Interventionsinitiative, ist neben PESCO ein zweites, im Kern französisches Projekt und in gewisser Weise das Gegenmodell. Es funktioniert völlig anders.

Ziel dieses Projekts, an dem sich inzwischen ein Dutzend europäische Länder beteiligen, ist es nicht, diesen ganzen Kleinkram von Ausbildung, Sanitätszügen und gemeinsamen Rüstungsprojekten zu machen, sondern die existierenden Streitkräfte auf gemeinsame Einsätze zu orientieren. Was da heute schon stattfindet – etwa gemeinsame Lage-Analysen zu erstellen und auch gemeinsam Einsatzszenarien zumindest zu durchdenken –, orientiert also auf einen schnellen gemeinsamen Einsatz. Modell dafür ist der Libyen-Krieg von 2011, der mit Unterstützung der USA und Beteiligung anderer Streitkräfte letztlich maßgeblich von Frankreich und Großbritannien geführt worden ist. Und die haben dazu nicht jahrelang ein bilaterales Bündnis gegründet, sondern wirklich schnell ihre Sachen zusammengeschmissen und sozusagen in der Praxis das gemeinsame Kriegführen gelernt.

Könntest du uns noch etwas über die Einsatzgebiete der Bundeswehr sagen, zum Beispiel Mali oder auch Libyen oder wo momentan überhaupt deutsche Kräfte in der Welt stehen?

Es gibt eine ganze Reihe von Einsatzorten; immer noch in Afghanistan, immer noch ein paar Soldaten im Kosovo, immer noch Aktivitäten vor Somalia, natürlich die Beobachteraktivitäten in Sudan und Südsudan, auf dem afrikanischen Kontinent überhaupt. Für die maßgeblichen Einsätze halte ich Libyen, der ja gerade beginnt, und den in der Sahelzone.

Zu Libyen: Es gibt eigentlich von 2011 an Krieg in Libyen, den Großbritannien und Frankreich und dann auch die NATO-Staaten dort geführt haben, um Muammar al Gaddafi zu stürzen. Das ist ihnen gelungen, und es ist auch gelungen, den Mord an Gaddafi zu veranlassen der dann im Oktober 2011 umgebracht wurde. Mit einigen Unterbrechungen herrschte seither in Libyen immer Bürgerkrieg, der mit brutalen Mitteln ausgetragen wurde und inzwischen stark von äußeren Kräften unterstützt wird.

Libyen ist aus Sicht der deutschen Eliten und der deutschen Strategen in zweierlei Hinsicht ganz wichtig. Einmal geht es klassischerweise um Öl, wovon es in Libyen eine Menge gibt. Libyen war eine Zeitlang sogar Deutschlands zweit-, drittwichtigster Lieferant. Seit 2011 ist das immer mal sehr schwierig. Teile der Wintershall-Förderstellen sind offshore, also vor der Küste, und funktionieren relativ glatt, aber andere Teile befinden sich auch im Land. So gibt es eine große Förderstelle in Ostlibyen, und die wird vor allem von bestimmten clanähnlichen Strukturen kontrolliert. Je nachdem, ob es Wintershall gelingt, sich mit diesem Clan und dem Umfeld zu einigen oder ob diese Einigung wieder zerbricht, funktioniert diese Förderung und das Öl kann abgezogen werden, oder muss eben auch wieder eingestellt werden. Also ein sehr labiles Verhältnis. Das ist der eine Punkt. Der zweite ist medienbekannt, nämlich die Tatsache, dass aus Libyen immer wieder Flüchtlinge nach Europa übersetzen. Das hat die Bundesregierung veranlasst, in Tripolis die sogenannte Einheitsregierung einzusetzen. Sogenannt, weil die Kräfte, die die dort 2016 ans Ruder gebracht haben, letztlich nur auf einen Premierminister zurückgreifen, der faktisch keine Machtbasis hat, von Milizen geschützt residiert und eine Zeitlang nur ein paar Gebäude in Hafen kontrolliert hat, sonst nichts. Er konnte aber sagen: Ich bin der Ministerpräsident Libyens, ich bitte jetzt die EU um Unterstützung bei der Flüchtlingsbekämpfung. Damit gab er der EU eine Legitimation für ihre Maßnahmen zur Flüchtlingsabwehr vor Libyen. Dafür hat die Bundesregierung geholfen, ihn in sein Amt zu bringen, und es lief eine ganze Weile auch halbwegs. Nur hat sich im vergangenen Jahr dort eine Entwicklung abgespielt, die nicht allein aus Sicht der Bundesregierung bedrohlich geworden ist, denn bei den Kräften, die die sogenannte Regierung in Tripolis unterstützen, hat sich die Türkei explizit hervorgetan. Die Türkei hat angefangen, die Regierung in Tripolis und einige Milizen, mit denen sie sich inzwischen einigen konnte, massiv aufzurüsten und auch Söldner nach Tripolis zu schicken, um dort ihre Bürgerkriegsfraktionen zu unterstützen.

Auf der anderen Seite ist zu jener Zeit die ostlibysche Bürgerkriegsfraktionen – das ist vor allem der General Chalifa Haftar, relativ stark von Russland unterstützt worden. Nun gab es Ende letzten Jahres vonseiten der Türkei und Russland Überlegungen, in Libyen ähnliches zu machen wie in Syrien. Die Türkei und Russland unterstützen zwar in Syrien völlig unterschiedliche Kräfte, trotzdem ist es so, dass wenn sich jemand auf einen wirksamen Waffenstillstand geeinigt hat, dann waren das Russland und die Türkei, das heißt, beide sind in Syrien wirklich maßgebliche äußere Kräfte geworden. Wenn es dazu gekommen wäre, in Libyen eben genau das zu tun, wäre nicht nur in Syrien, sondern nun auch in Libyen die EU und damit Deutschland praktisch völlig außen vor gewesen wären, was hieße, noch ein zweites, strategisch wichtiges Mittelmeerland wäre der Kontrolle der deutschen Eliten völlig entzogen worden. Um das zu verhindern, hat die Bundesregierung dann eine große Libyen-Konferenz geplant, die nach langem Hängen und Würgen – zweimal wurde sie abgesagt, dreimal verschoben – im Januar dann doch noch stattgefunden hat. In Berlin wurde dann großartig und mit wichtigtuerischen Habitus verkündet, man habe jetzt eine Lösung für Libyen gefunden. Es würde einen Waffenstillstand geben und alle hätten sich verpflichtet, keine Waffen mehr an die Kriegsparteien zu liefern. Somit werde man praktisch den Krieg austrocknen. Wie völlig illusionär dieses Sicht von Anfang an war, das haben einschlägige Experten ganz offiziell gesagt. Und selbstverständlich liefert die Türkei weiterhin Waffen und Söldner nach Libyen, selbstverständlich unterstützen die Vereinigten Arabischen Emirate weiterhin General Chalifa Haftar in Ostlibyen mit Waffen, die die Türkei mit Schiffen über das Mittelmeer liefrt, und die Vereinigten Arabischen Emirate liefern die entweder von Land über Ägypten oder auf dem Luftweg.

Wenn die Bundesregierung mit ihrer gescheiterten Libyen-Konferenz nicht völlig das Gesicht verlieren und wenn sie noch Einfluss auf Libyen behalten will, muss sie erst einmal den Waffenstillstand durchsetzen. Das ist der Grund, warum sich die Bundesregierung für einen EU-Einsatz stark gemacht hat. Die EU hat die sogenannte Operation „IRINI" beschlossen – das ist ein griechisches Wort und heißt Frieden – und plant jetzt einen Militäreinsatz, um das Waffenembargo gegen über Libyen durchzusetzen und dort wieder die Kontrolle zu bekommen. Man weiß inzwischen, dass die Bundesregierung nach einigem Widerstreben zugesagt hat, dafür auch ein deutsches Kriegsschiff ins Mittelmeer zu entsenden. Wenn politisch nicht ein Wunder geschieht, wird es in naher Zukunft Aufgabe dieses deutschen Kriegsschiffes sein, türkische Waffenlieferungen übers Mittelmeer an Tripolis zu verhindern, was also heißt, deutsche Kriegsschiffe stehen dann gegen Kriegsschiffe des NATO-Verbündeten Türkei, sofern nicht Deutschland und Türkei oder die EU und die Türkei vorher eine politische Lösung finden. Also wirklich eine heikle Lage, der gerade begonnene Einsatz beinhaltet und durchaus ein Eskalationspotenzial hat.

Ein zweiter großer Einsatz ist der in Mali. Die Sahelzone, die praktisch das nördliche Afrika südlich der Sahara durchzieht, ist eine sehr trockene Zone, und man kann die Auswirkungen der Klimaveränderung deutlich sehen. Dort findet der Bundeswehreinsatz statt. Dieser Einsatz hat begonnen, als in Nord-Mali ein großer Konflikt offen ausgebrochen ist. Dieser Konflikt hat politisch-ökonomische Hintergründe, nämlich dass der Norden Malis von der Hauptstadt Bamako lange vernachlässigt worden ist. Die herrschenden Kreise in Mali sind eher am Süden orientiert, haben den Norden ausgegrenzt, und vor allem die Tuareg dort kriegen wenig ab von den Fleischtöpfen, sofern man in diesem armen Land überhaupt davon sprechen kann. 2012, als Libyen im Krieg versank und die Waffenlager geplündert werden konnten, sind in großen Massen Waffen nach Nordmali gelangt. Die vernachlässigten Kreise dort, vor allem die Tuareg, haben dann zu den Waffen gegriffen, sich für unabhängig erklärt und einen Krieg gegen die malischen Streitkräfte gestartet. Dabei ist sehr rasch ein islamistischer, ein salafistischer und dschihadistischer, Faktor erstarkt. Es ist bis heute so, dass vor allem in Nord-Mali einerseits noch separatistische Tuaregkreise, andererseits auch Schmuggler, die es in der Sahara und im Sahel immer gegeben hat, eine Rolle spielen, aber auch dschihadistische Gruppen. Das sind keine klar abgrenzbaren Gruppen, alles geht fließend ineinander über und es gibt wechselnde Bündnisse. Das bedeutet, dass es in Mali weiterhin einen Aufstand gibt, der dort vor allem von französischen Streitkräften in der Opération Barkhane bekämpft wird, die inzwischen auf 4.000 Soldaten aufgestockt worden sind, weil es anders gar nicht mehr in den Griff zu kriegen ist. Man muss auch dazu sagen, dass dieser Konflikt auf andere Länder übergegriffen hat, vor allem auf der einen Seite auf den Niger und ganz besonders in letzter Zeit auf Burkina Faso südlich von Mali. Burkina Faso ist inzwischen völlig von diesem Krieg erfasst worden. Wenn es mal einen Suizidanschlag mit Dutzenden Todesopfern gegeben hat, bringt das dann sogar in der europäischen Presse ein paar Schlagzeilen, aber ansonsten zieht sich dieser Krieg beinahe unbeachtet und mit tausenden zivilen Todesopfern hin.

In diesen Krieg ist die Bundeswehr in zweierlei Weise involviert. Sie sitzt nach wie vor im Süden von Mali im Rahmen von EUTM Mali, der Ausbildungsoperation European Union Training Mission Mali, bei der malische Soldaten ausgebildet werden sowie punktuell auch Soldaten aus anderen Staaten der Sahelzone.

Das zweite Einsatzgebiet der Bundeswehr liegt im Norden, wo im Rahmen der Beteiligung an der UN-Mission MINUSMA über 1000 Bundeswehrsoldaten stationiert sind, die dort eine Art Waffenstillstand durchsetzen sollen, alles in Anführungszeichen, denn es gibt keinen funktionierenden Waffenstillstand und man konnte bisher nicht viel erreichen. Dieser Einsatz wird – Coronakrise hin und her – dahingehend ausgeweitet, dass die Ausbildungsgruppe nicht mehr nur im Süden sitzt, sondern dass die deutschen Militärausbilder die gerade ausgebildeten malischen Soldaten in die Einsatzgebiete im Norden, vielleicht sogar ins angrenzende Ausland begleiten. Sie werden nicht direkt in die Kämpfe hineingehen, werden sich also, bildlich gesprochen, am Rande des Schlachtfeldes aufhalten, aber sie wären doch in deutlich größerer Nähe zum Einsatzgebiet und damit auch Ziel potenzieller Gegenangriffe. Die Gefährdung für deutsche Soldaten steigt und ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass Zinksärge aus Mali zurückkommen oder vielleicht auch aus Burkina Faso und dem Niger. Die aktuelle Entwicklung zeigt also eine Entgrenzung des Krieges und auch eine Entgrenzung des deutschen Einsatzes, der da an der Seite von Frankreich stattfindet.

Als dritten Bereich, an dem insbesondere zu sehen ist, dass es um langfristige Perspektiven geht, möchte ich den Indischen Ozean erwähnen. Es gibt keinen wirklichen Bundeswehreinsatz dort, wenn man einmal davon absieht, dass man immer mal wieder gegen Piraten im Rahmen des EU-Einsatzes am Horn von Afrika vorgeht. Deutsche Soldaten sind dort im Einsatz mit anderen Schiffen, aber auch als Seefernaufklärer mit Flugzeugen und somit in gewissem Maß schon im Indischen Ozean präsent. Das wird zunehmen. Aktuell ist geplant, dass sich die Fregatte Hamburg, also ein deutsches Kriegsschiff, auf Kurs Indischer Ozean begibt, um dort zunächst an einem Treffen von Anrainerstaaten teilzunehmen, die über Sicherheitsbelange im Indischen Ozean, Piraterie und anderes diskutieren werden. Es ist wegen der Pandemie unklar, ob und wie das Treffen stattfinden wird. Vorgesehen war die französische Insel La Réunion, etwas östlich von Madagaskar gelegen. Das ist ein französisches Überseegebiet, also Stichwort Kolonialismus, was man ja gerne China vorwirft. China hat keine Kolonien, Frankreich hat welche, auch wenn sie offiziell Überseegebiet genannt werden. An diesem Treffen von Anrainern des Indischen Ozeans sollten nun deutsche Militärs teilnehmen, anschließend sollte die Fregatte Hamburg weiterfahren nach Indien, weiter nach Malaysia und dann nach Australien und zwischendurch immer wieder kleinere Übungen durchführen und auch wieder Gespräche führen. Nun fragt man sich, was machen die da, was haben deutsche Militärs im Indischen Ozean zu suchen? Nichts, meiner Ansicht nach, aber was sie dort suchen ist tatsächlich eine Baustelle in einem ganz anderen Großkonflikt. Wir gucken ständig auf den großen Konflikt mit Russland, auf die Stationierung von deutschen Soldaten in NATO-Rahmen in Osteuropa, in Litauen konkret. Der zweite, vielleicht noch massivere Großkonflikt wird aber immer deutlicher, und das wäre der zwischen den Vereinigten Staaten und China. Die Frage ist, wie wird sich Deutschland, wie wird sich die EU und wie werden sich die anderen europäischen Mächte in diesem Konflikt positionieren. Man kann beobachten, dass sich hier schon eine militärische Positionierung abzeichnet. Der Indische Ozean ist für diesen künftigen Konflikt ein ganz wichtiges Gewässer, denn durch ihn hindurch geht der gesamte Seehandel zwischen China auf der einen Seite, Afrika und den Mittleren Osten auf der anderen und Europa auf der dritten Seite. Für den chinesischen Handel ist die Kontrolle des Indischen Ozeans oder zumindest die Verhinderung seiner totalen feindlichen Kontrolle strategisch wichtig. Offensichtlich beginnt sich die Bundeswehr gerade einzumischen in die Kontrolle dieses Gebiets durch westliche Streitkräfte. Man kann es beispielsweise daran sehen, dass ein deutscher Soldat, ein Marineoffizier, dauerhaft in Singapur in einem Verbindungsbüro stationiert sein soll, um Beobachtungen an der Straße von Malakka durchzuführen. Es gibt verschiedene weitere Hinweise darauf, dass die Bundesregierung auf dieser Konfliktebene Fuß zu fassen versucht und diese Regionen militärpolitisch immer stärker ins Visier nimmt. Damit wäre dann die Bundesrepublik Teil eines potenziellen militärischen Konfliktes zwischen dem Westen und China.

Eine wichtige Rolle in diesem Konflikt, wird – wenn es denn zu ihm auch militärisch kommt – Australien spielen. Australien wäre nicht nur Endpunkt dieser Fahrt der Fregatte Hamburg gewesen, von der man noch nicht weiß, ob sie trotz Corona zustande kommt, es ist auch so, dass die Bundesregierung längst die Rüstungszusammenarbeit mit Australien ausbaut, zum Beispiel Boxer Transportpanzer in großer Zahl dorthin liefert. Die Bundesregierung hat auch begonnen, die militärpolitische Zusammenarbeit auszubauen. Man muss sehen, was in nächster Zeit geschieht. Aber die ersten Anfänge sind gemacht. Nun sollte man sich wirklich fragen, was sollen deutsche Soldaten Down Under? Und natürlich ist die Antwort: Sie sollen eine Rolle im Konflikt mit China spielen. Da wären wir bei einem Thema, das uns – möglicherweise, wahrscheinlich, tatsächlich – in den nächsten Jahren zunehmend beschäftigen wird.