Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Faschismus in Ostdeutschland – trotz oder wegen der DDR?

Johannes Oehme (Unentdecktes Land e.V.)

Mai 2018

1. Faschismus in Ostdeutschland – wegen der Nicht-DDR

Vielen Dank für die Einladung, zu diesem reizvollen Thema sprechen zu dürfen, zu dieser sticheligen Frage.

Die erste, schlagendste, flotteste, aber auch hastige Antwort auf die Frage “Faschismus in Ostdeutschland – trotz oder wegen der DDR?” ist ein brüskes und entrüstetet Von-uns-Weisen der dumm-dreisten Rhetorik in dieser Frage, nach der die Deutsche Demokratische Republik (die man schon mal bei ihrem vollen Namen nennen darf, DDR ist im folgenden nur die Abkürzung) für Faschismus in Ostdeutschland verantwortlich sein soll. Wie gut oder schlecht mit Leuten wie Walter Ulbricht oder Erich Honecker ein Sozialismus machbar war, oder wie revisionistisch oder antirevisionistisch sie gewesen sein mochten, ist gewiss auch unter DDR-Freunden umstritten. Aber an der zuletzt biographisch bedingten Aufrichtigkeit des Antifaschismus dieser Personage und zahlreichen Leitungsfiguren in der DDR herrschen nur die sehr herrschenden Zweifel. Den meisten Linken ist schon klar: Die DDR war kein faschistisches oder auch nur profaschistisches Projekt.

Unter Leuten, die die DDR nicht für den Ausbund an schlimmer Diktatur halten, lässt sich höchstens eine abstrakt-welthistorische Verantwortung der DDR für die heutigen Blüten faschistischer Organisierung in Ostdeutschland ausmachen: Das Projekt DDR vermochte nicht, zu einem gesamtdeutschen Projekt entwickelt zu werden – und wurde stattdessen gar der BRD zum Fraß vorgeworfen. Vom Throne der Rückschau, der immer hinterher schlaueren Gegenwart können wir diese Preisgabe der DDR natürlich als eine höchst unverantwortliche Schandtat nicht nur gegenüber den DDR-Bürgern und den Westdeutschen, sondern auch gegenüber der Welt und allen Opfern des Faschismus erkennen.

Das führt dann dazu, dass wir die dumme Eingangsfrage so beantworten können: “Faschismus in Ostdeutschland kommt auf – ‘wegen’ der DDR: wegen der Selbstaufgabe der DDR, weil die DDR sich abgeschafft hat.” Das klingt nun sehr kunstvoll und ist vielleicht sogar ein notwendiges Moment der Antwort, aber vielleicht doch eine etwas abstrakt-umwegige Formel und offensichtlich nicht die ganze, ganz befriedigende Antwort.

Auf der zweiten Konferenz “Der Hauptfeind steht im eigenen Land” im Jahr 2010 hatten wir schon mal einen Vortrag, in dem ich die politische Publizistik und Propaganda der DDR in einer Art Literaturrevue zusammengefasst hatte.

http://www.gegen-den-hauptfeind.de/texte/2010/ddr-vs-brd/

Das müsste noch bedeutend genauer dargestellt werden, wie da in allen Publikationen von offizieller staatlicher Seite und von den ganzen Massenorganisationen zum Ausdruck kommt, wie sie sich um ein antifaschistisches Grundverständnis und um eine lebendige antifaschistische Politik und Kultur bemüht haben. Jedes Grabschaufelschippen auf diese Zeugnisse und Erzeugnisse durch den westdeutschen Antikommunismus grub und gräbt gerade heute den frischen “anti-antifaschistischen” Acker nur immer tiefer um und auf, für immer üppiger blühende Landschaften auch für Nazis.

Jedenfalls möchte ich hiermit in einem ersten Schritt diese Frage, “Faschismus in Ostdeutschland – wegen der DDR?” als quatschig, fischig, suggestiv-rhetorisch zurückweisen. Faschismus in Ostdeutschland gibt es aktuell reichlich. Diese ganzen, prächtig vielfältigen faschistischen Phänomene in Ostdeutschland gibt es in der Tat – weil es die DDR nicht mehr gibt, indem es sie nicht mehr gibt, in dem Ausmaß, in dem es sie nicht mehr gibt und nie gegeben haben soll und sie wunder was verteufelt wird. In genau diesem Ausmaß gibt es heute Faschismus in Ostdeutschland heute – also trotz der DDR, entgegen der DDR und umgedreht, wegen ihres Verschwindens und der ganzen Art ihres “Verschwindenmachens”: des rigidestmöglichen Zerstörens und Verdammens durch den deutschen Imperialismus und seinen Staat BRD.

Man stelle sich mal vor, nur mal so als rosig demokratisches Gedankenspiel für uns: Wenn wir uns alle 1990 mit Modrow und Gysi und ihren Leuten und den Bürgerrechtlern an den ganz großen, gesamtdeutschen runden Tisch gesetzt und Händchen gehalten hätten! Was hätte es die Kohl und Teltschik und Konsorten gekostet, ein paar Stichpunkte aus der DDR-Verfassung zu klauben und in ein gelind reformiertes und notdürftigst gelüftetes schönes Einheits-Takatuka-Deutschland aufzunehmen? Ein bisschen was für die Antifa-Opis, hier noch ein Lippenbekenntnis für die Friedensfredis, da noch eins für die Frauentümler – es wären ja für alle ein paar Konzessionskrümel zu finden gewesen.

Hieran zeigen sich überdeutlich die staatlichen Verantwortlichkeiten für die Entwicklung des Faschismus in Ostdeutschland. Es ist ja das knochenbrecherisch radikale Gegenteil exekutiert worden: Die ganzen SEDler und “Stasis”, und wie die Brüder und Schwestern von gestern alle heißen mögen, sind erst mal nach Moabit in den Karzer geschickt und mit Prozessen überzogen worden. Verfassungsdiskussionspapierchen wurden von Bierseligkeitswellen weggespült. Und institutionell ist zum Beispiel das westdeutsche Parteienmodell dem Osten übergestülpt worden. Außer der PDS ist nichts Eigenständiges in der DDR auf die Füße gekommen. Wir können noch sagen, die KPD ist noch 1990 zu DDR-Zeiten angemeldet worden, wobei wir wissen, wie problematisch es mit der Präsenz dieser KPD ist.

Dieses Überstülpen hieß beileibe nicht nur “Allianz für Deutschland” – als wäre das nicht genug des Übels. Jeder abgerissene NPD-Glücksritter mit 1,50 in der Tasche, mit denen im Westen kein Stich zu machen ging, konnte sich jetzt im Osten besser und leichter aufbauen als irgendeine Ostinitiative, die sich von selbst hätte entwickeln müssen und die vielleicht eine antifaschistische Politik oder Kultur fortsetzen wollte. In Bayern München wird auch nicht an sich besser Fußball gespielt als in Hansa Rostock – das sind und bleiben alles in hohem Maße Geldsack-Fragen. In diesem Sinne konnte und sollte im Osten nichts Eigenständiges hochkommen. Und um so schöner flutschte und florierte auch der Faschismus-Export. Das fiel wie die Staubsaugervertreterhorden in die DDR ein.

Diese West-Importe sind nun so ein Faktor, bei dem viele gewohnheitsmäßig abwinken, das könne ja nun nicht die ganze Erklärung sein – als ob der bloße Hinweis auf diese Importe gleich die heile Welt der DDR und die bösen anderen unterstellen würde. Millionengelder und Funktionärsscharen von West nach Ost können dann keinen Gegenbeweis liefern und werden ganz egal, denn irgendein fruchtbarer Boden müsse in der DDR vorhanden gewesen sein, und der sei eben der “Skandal”.

So viel ist klar: Nicht einfach, weil Faschismus x-beliebig exportiert wird, kann er gedeihen. Den kann man jetzt nicht eben leicht auf den Mond exportieren. Aber es gibt diesen Faktor eines Exports von bestehenden faschistischen Strukturen in Westdeutschland nach Ostdeutschland. Der wird nicht abstrakt gewichtig. So laufen solche politischen Prozesse nicht ab. Aber weil die Situation in der DDR und in der BRD so war, wie sie konkret war, mit allem Plattmachen und Währungsunions-Schock und Wirtschaftsentwicklung versus Einheits-Nationalismus und Co, funktionierte dieser Export eben doch ganz gut. Es ist in jeder Hinsicht ein Billigwaren-Export, “deutsches Ideologen-Blech”, hätte Friedrich Engels gesagt. Diese NPD zum Beispiel hatte im Westen ziemlich abgewirtschaftet und konnte im Osten doch ziemlich schnell etwas aufbauen.

Soweit dieser erste Schritt. Aber ein bisschen mehr Begriffsarbeit braucht es doch noch, wo wir hier schon so einverständig damit sind, jedenfalls nicht die DDR für den Faschismus in Ostdeutschland verantwortlich zu halten.

2. Antiautoritäre Bündnispartner

Persönlich herrscht mir eine große Unlust, genauer zu differenzieren zwischen den Diffamierungen durch ein hauptamtlich staatlich bestalltes Institut wie die “Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur”, die größte bundeseigene Stiftung, und kofinanzierten Wanderpredigern wie zum Beispiel dem Herrn Harry Weibel, der, ganz am Puls der Zeit und mitten in den brennenden Fragen der Bewegung, das weite Feld der kritischen Aufarbeitung des “staatlichen Antisemitismus in der DDR” berieselt. Den Genossen Weibel hätten wir fast gern hierher eingeladen, dass er uns hier auf dem Podium mal den staatlichen Antisemitismus in der DDR entlarvt. Von örtlichen Antifagruppen wird er immerhin eingeladen, ungeachtet Publikationen von ihm von der “Stiftung Aufarbeitung SED-Diktatur” finanziert werden.

Es tut jedoch Not, hier genauer zu werden und jene Kreise des demokratischen Kleinbürgertums vor allem in Westdeutschland zumindest zu beschauen, die wahlweise als Antirassisten, als Antifakids, als Antideutsche, als “Konkret”-lesende Studentenschaft, als Kritische Theoretiker, als Neue Marx-Lektüre und so weiter sich tummeln. Da sind viele kleine Splitter: Grüppchen, Zeitschriftchen, Internetblogs – was es heute nicht alles gibt, auch an schillernden Einzelfiguren …

Ob der Psychologe Christian Pfeiffer mit seiner Zwangstopf-These (dass die Kinder in der DDR alle im Kindergarten zwangstopfen mussten und deswegen so einen faschismus-affinen autoritären Charakter ausbildeten) nun zu den kritischen Theoretikern zu rechnen ist oder nicht: In jedem Fall kursiert in solchen Kreisen so ein Argument des Autoritarismus als eines Strukturproblems in der DDR.

In der DDR wurden Naziverbrecher bestraft, zum Teil hart, vielleicht härter oder zu hart, jedenfalls bestraft – anders als in Westdeutschland. Viele kleinere Nazis wurden zu Bauhelfern degradiert und von öffentlichen Posten ferngehalten (Lehrer, Richter, Amtsleute aller Art). Und sämtliche Naziorganisationen wurden zerschlagen. Solche Sachen, wie Jörg Kronauer sie gestern über die Faschisten nach 1945 vorgetragen hat, mit hier der Sozialistischen Reichspartei, dort dem Bund der Heimatlosen und Entrechteten, dazu die ganzen Militaristen- und Revanchistenverbände – für solche Sachen gab es in der DDR überhaupt keine organisatorischen Gefäße.

Dieser Maßnahmenkatalog mag gut und schön klingen, oder wir verlängern den noch seitenweise: Es zählt bei unseren modernen Antiautorianern nicht so recht als klare antifaschistische Sache. Analog dem “West-Importe”-Argument gilt hier: Was sind schon schnöde Beweise? Es bleiben ja die sogenannten “autoritären Strukturen”.

Ich referiere das jetzt mal, ein wenig überspitzt: Die DDR züchtete lauter “autoritäre Charaktere”. Der “autoritäre Charakter”, das ist so eine Breitenstudie von Adorno, die er in den USA mit seinem Forschungsinstitut aufgesetzt hat, schön mit F-Skala für Faschismus-Affinität und A-Skala für Antisemitismus-Affinität, vielen Fragebögen und allem Meinungsforschungs-Drumherum und Reflexionen der Methodologie dazu. Der Fokus geht dort auf die psychologischen Momente, wie der Faschist die Obrigkeitshörigkeit oder Bedientenhaftigkeit entwickelt und ins Gefolgschaftsmodell und Führerprinzip und Volksgemeinschaftstum einsteigt, wie sich das im Einzelnen, in psychologischen Aspekten, im Familienleben und so weiter zeigt, und welche Persönlichkeitsstruktur es erfordert, um ein Faschist zu werden. So weit etwa geht die Forschungsbreite von Adornos Projekt.

Die DDR nun soll, flott appliziert wie bei Christian Pfeiffer, lauter solche Charaktere gezüchtet haben. Diese DDR-Knechtseelen stellten keine dummen Fragen, was Papa denn im Weltkrieg verbrochen habe, sondern setzten sich füglich an den Familientische und aßen ihr gerechtes deutsches Brot. Sie hinterfragten nicht so kritisch-diskursiv die hierarchischen Strukturen in der DDR, wie das so viele Studenten heute so mutig und graduiert können im Land der prätentiös schwitzenden Meinungsfreiheit für noch jedes Nazischwein. Sie ließen sich gern von oben sagen oder wollten noch lieber von sich aus vorauseilend gehorsam bekennen, wer gerade aktueller Führer ist – gestern Hitler, heute Stalin, morgen Honecker. Und, jetzt aber endgültig der handgreifliche Beweis! Sie machten mit Blauhemd statt Braunhemd bei Fackelaufmärschen mit. Und diese Fackelaufmärsche dieser FDJler mit ihren Frisuren und ihren Marschliedern und ihrer Deutschlandpolitik sind in der Tat ein hartes Brot für die historische Analyse. Also statuieren wir erkenntnisgewiss: Hemd gleich Hemd, Fackelaufmarsch gleich Fackelaufmarsch – “Fackelaufmarsch für Frieden und gegen Nazis” gleich “Fackelaufmarsch für Judenmord und gegen Marxistengesocks”. Und so weiter die positivistische Leier.

Statt dagegen zuhause schön privatim und privateigentümlich Einkehr und Andacht zu halten, was man falsch gemacht habe 1933-45, sich ein wenig am persönlichen Glück und ergatterten Judenteppich zu ergötzen und die Jugend zum Elvis-Presley-Konzert hinfahren zu lassen wie früher in den Krieg, wie sich das alles für so einen westdeutschen geläuterten und “re-educateten” Ex-Nazi gehörte, setzten die im Osten mit heiserer Kehle und Gleichschritt so einen Strukturalismus und Hierarchismus und Autoritarismus fort, der wunder wie frappierend dem der Nazis ähnelt. Klare Analyse. Deswegen waren diese DDR-Bürger halt autoritär, und deswegen faschismusaffin, und deswegen kann es heuer so viele Faschisten im Osten geben.

Allerdings machen wieder andere von denen, die ja in sich nicht einheitlich sind, geltend, dass dem Nazismus ein antiautoritäres Moment eignet (da geht es um Fragen des Losschlagens und des Abenteurertums, um das Übergehen von Institutionen und das “System-Sprengen”, und dass ein echter Faschist keine Rücksichten nimmt und so pragmatisch und perfid ist und in der Diplomatie macht, was er will, sich nicht an die Regeln hält und so weiter). Da gibt es einen Repräsentanten, der das an der 1968er Bewegung entdeckt hat, den Götz Aly, der, von diesen Denkschulen inspiriert, aus ihnen heraus verkündet, dass gerade der Antiautoritarismus der 1968er ihre Kontinuität zu den Nazieltern verbürgt. So geht seine These, die in den letzten Jahren ein bisschen umstritten war.

Solche psychologisierenden Charaktermaskenspielchen machen natürlich aus dem Faschismus eine Art Elternhaus-Strenge und pfeifen weitgehend auf die gesellschaftlichen Strukturen und Bedingungen, die faschistische Bewegungen hervorbringen. So wenig aus Arbeitslosigkeit an sich Faschismus entsteht, so wenig aus dem “autoritären Charakter” an sich – selbst wenn wir den jetzt als eine analytische Größe annehmen wollten.

Ich könnte diese ganzen moralinen Spezis eines scheinaufklärerischen bürgerlichen Wissenschaftsbetriebs, mit Peter Hacks zu sprechen, allesamt und unterschiedslos in einem Dahmesee ersäufen, wenn ich könnte. Es ist zumindest mein Bedürfnis und Traum, mich nicht damit auseinandersetzen zu müssen, weil ich das alles blöd und garstig und voreingenommen finde. Aber noch regelmäßig im Gespräch mit “Konkret”-Lesern zum Beispiel, aufgeschlossenen und fortschrittlichen Leuten, komme ich schon mit meinen Verbalinjurien gegen schlichte drecks-antikommunistische Naziverharmloser und DDR-Verhöhner in objektivem BRD-Interesse nicht durch. Der Konflikt bleibt, egal, wie ehrlich und lang man sich da austauscht. Dabei gilt es da um vieler ehrlicher Seelen willen gerade diese Auseinandersetzung! Nämlich mit solchen Leuten, die aus solchem Spektrum kommen, die einen zutiefst moralischen Antifaschismus mit sich tragen, den sie dann nur über-tragen. Sie sind relativ fleißig auf der ideellen Jagd nach Faschismus und wähnen ihn nur im Osten als besonders strukturell verankert und sich daher besonders in der Verantwortung, sich angewidert davon abzukehren.

Hier möchte ich den objektiven Befund präsentieren, dass wir es insbesondere in Westdeutschland mit quantitativ entscheidenden städtischen halbintellektuell-halbproletarisch-kleinbürgerlichen Massen zu tun haben, die auf der Linie eines mehr oder minder aufrechten Antifaschismus stehen und wanken und gehen und vor allem über die Brücke der staatlich geförderten Diktaturforschung an ihre Verwässerung und Käuflichkeit erst geraten. All diese Adornostudenten halten die Hitlerei für einen Barbarismus, der nie wieder geschehen dürfe – auch nicht in seinen milderen Ausprägungen a la Stalin, Mao usw. Dann gab es solche Sticker zur Vereinnahmung der Rosa Luxemburg: “Rosa statt Mao”. Mit Rosa Luxemburg halten wir es dick, aber dieser Mao! Schlimm, dass da zwei, nein, sogar drei Mao-Portraits auf der Luxemburg-Liebknecht-Ehrung gezeigt werden. Einige besonders Gewiefte haben sogar den Sticker gegen Ho Chi Minh herausgegeben und sind damit noch den einen Schritt weiter gegangen, dass jeglicher Vietnam-Bezug auch zu dieser autoritären Pervertierung von Befreiung, Emanzipation und Kommunismus gehöre.

Strategien im Umgang mit solchen stehen zu entwickeln. Aber dieser Befund ist erst mal da, dass ein paar gute Hunderttausende so ticken: Hitler ist ganz schlimm, und die anderen sind auch so ein bisschen schlimm und von dieser Art. Die gehen halb auf die Straße gegen Nazismus, sie sind bereit, sie stehen schon auf dem Balkon und sehen die Antifa-Demo: Ja, das ist gut, dass es etwas gibt, was gegen Nazis gemacht wird. Mit aber einem Verständnis, dass es genauso gegen diesen Linksradikalismus oder autoritären Kommunismus gehen müsste.

Und die möchte ich natürlich im Boote gegen staatlichen und Sammlungsbewegungs-Nazismus in der BRD haben. Mit solchen Leuten haben wir es zu tun, wenn wir auf den Antifa-Demos stehen und gehen, wenn wir gegen staatliche Repression kämpfen. Dieses Boot kann kaum voll genug sein. Also muss man sich mit denen auseinandersetzen – und das von der bekanntlich auch institutionell durchweg schwächeren Position einer Pro-DDR-Haltung aus, wo es in der Linkspartei schon schwierig genug ist und wir auch sonst nicht solche Fleischtöpfe für die Reisekosten von Harry Weibel bieten können wie die “Bundesstiftung Aufarbeitung SED-Diktatur”.

3. Der westdeutsche Exportweltmeister im ideologischen Klassenkampf

Jetzt wird vielleicht noch deutlicher: Wir saßen mit dem ersten Abschnitt noch im Raum mit einer gewissen Aufgeschlossenheit gegenüber der Geschichte der DDR und gingen dann zur Antifa-Demo, zu “Aufstehen gegen rechts”, zur “Konkret”-Leserschaft. Das sind jetzt nicht alles entscheidende Massen, aber doch Leute, Schichten. Diese Leserschaft ist sehr distinkt, hat nicht viele Überschneidungen mit JungeWeltLesern. Es ist weitgehend doch eine andere Klientel von ein paar tausend Leuten, die das da so lesen.

Aber das sind beileibe nicht die Majoritäten im Lande. Und das ist beileibe nicht die letzte Pointe des ideologischen Klassenkampfs von rechts oben. Das ist höchstens ein Haken, an dem man die eine Sorte Kleinbürger ein bisschen hat.

Eigentlich im Schwange ist vielmehr, dass die Ossis mit ihrem Rostock-Lichtenhagen, wo 1993 die Asylheime brannten, und mit den NPD-Wahlerfolgen in Sachsen Demokratiedefizite haben, dass die zwangsbetopfte Demokratieopfer mit einem Sprung in der Schüssel sind – womit die bundesdeutschen Verhältnisse nackt apologetisch als die Demokratie schlechthin gesetzt werden. Diese ideologische Variation kursiert doch auf einem ganz anderen gesellschaftlichen Bewusstseins-Niveau – massenhaft. Das schreiben die Leitmedien und Staatsfreunde. So tickt ein wesentlich aggressiveres Denken.

Um das hier mal an einer geschmackvollen Parallele zu illustrieren, gestattet, das Beispiel der “antisemitischen Einwanderer” zu bemühen. Gerade weil Antisemitismus ein Thema ist, mit dem die politischen Würdenträger der BRD in den letzten 70 Jahren doch gelernt haben, aufs Geschickteste pragmatisch so umzugehen, dass die internationalen Bündnispartner einen nicht zu fassen kriegen. Das tastet sehr bewusst und kalkuliert am Machbaren im Bündnis USA/BRD entlang. Dann rempelt wieder einer, hält eine Paulskirchen-Erweckungsrede. Die anderen sind dann alle ein bisschen entrüstet, ziehen das zurück, denn das darf so ja nun nicht sein. Die Westalliierten haben den Nazis in der BRD deutlich gesagt, gegen die Sowjetunion könnt ihr weitermachen, aber lasst eure Grabbelfinger von den Juden, das entspricht nicht unserer Handelsetikette. Daran hält man sich hierzulande mehr oder weniger – mit Tastereien und Vorstößen, mit manchem Augenzwinkern, mit drohendem “Noch” und “Man muss doch mal sagen dürfen”. Aber man hält sich dran.

Doch wehe, da kommen Einwanderer: Dann entdecken einige wieder, dass man ja und gerade als Deutscher gegen Antisemitismus sein muss. Wie überaus praktisch, dass diesen Antisemitismus die Immer-Anderen mitbringen. Das ist der eigentliche und einzige Skandal: Dass andere sich unterstehen, hier in unser Deutschland Antisemitismus mitzubringen! Empört Euch! J’accuse! Los mög die gerechte Hatz gehen! Wo nur einer zu finden, der vielleicht im Verdacht stehen könnte, antisemitischer zu sein als man selbst, wird der ausgeweidet und reinigt man sich an ihm zum Saubermann. Wir sind sauber, Persilschein blanko und täglich weißgegerbt im Bade der Hatz gegen die da, die den Unrat hier hereinbringen, den es bei uns gar nicht gibt.

Ich will den Vergleich nicht mit irgendwelchen Judenboni überladen, zum Antisemitismus gibt es allerlei heikle Fragen unter den Linken. Im Gegenteil, dieser ideologische Mechanismus greift ziemlich beliebig. Der Schwulenhass in Russland macht uns hier ja auch viel zu schaffen – von diesem Land hier prima Warte und Technik, gegen den mal ein bisschen zu Felde zu ziehen.

Oder die Mängel der anderen in der Aufarbeitung des Nazismus: Was haben diese Polen eigentlich in Sachen Kollaboration mit Nazis alles am Stecken? Das wird man doch wohl noch mal kritisch und fußnotenreich fragen dürfen, zumal und gerade nach all den Jahren mustergründlichsten Aufarbeitertums in Deutschland! Jetzt reden wir mal Tacheles – über die! Und Auschwitz wird bekanntlich im Kosovo verhindert!

Das sind alles Beispiele dafür, dass die Ideologen des deutschen Imperialismus aufs Perfideste vermögen, andere für das anzugreifen, worin sie selber die größten Meister waren und sind, oder was sie sich im tiefsten Herzen selber wünschen.

Unter Psychologen gibt es für derlei Techniken und Tricks Hilfswörter wie “Externalisierung”, “Verdrängung” und “Schuldabwehr”. Die reichen auf ihre metaphorische Art bis zu gewisser Weite hin. Ich habe jetzt das Schlagwort “Export” oder “Problemexport” aufzuwerfen probiert – ich glaube, auch das ist noch nicht genau genug, ist auch nur eine Meatpher aus der Ökonomie. Es müsste hier genauer ideologetheoretische Arbeit an dem Phänomen geleistet werden, in Richtung “Formen indirekter Selbstapologie des Imperialismus”. Da wäre mal mit Georg Lukács zu schauen, der zu solchen Sachen grundständiger gearbeitet hat.

Hierher gehört ein Hinweis auf die scheinhumanistische Camouflage: Um der hehrsten Menschheitsideale willen – man ist gegen Nazis, man ist gegen Schwulenhass, man ist gegen Antisemitismus und so weiter – derart in Anbetung der deutschen Zustände zu verfallen und den Einmarsch bei den immer Anderen als dringend nötige Lösung zu projizieren, ist gewieft gebraut. All die gesellschaftlichen Probleme immer genauer bei den immer Anderen zu verorten und entdecken, diesen Nationalismus in Osteuropa und derlei – stets Prost, wie zivilisiert und kultiviert und modern wir hierzulande sind. Dieser Mechanismus also spielt bei der Frage des “Faschismus in Ostdeutschland” seine Rolle.

Im Kampf gegen den Kommunismus spitzt dieses ganze ideologische Setting sich nun allerdings noch mal zu gegenüber den innerbourgeoisen Konkurrenzkämpfchen um diese oder jene Detailfrage der Ausdeutung des bürgerlichen Rechts. Das Stürzen auf die Ossis in seiner ganzen Absichtlichkeit, das Schieben und Ausschlacken des Selbst, des Faschisten im Westdeutschen selber, die Abschiebung in den Osten, geht an der Figur Hitler so zu veranschaulichen: Die Westdeutschen haben ihre Gegnerschaft zu Hitler über den Umweg der Gegnerschaft gegen Bolschewisten gelernt. Sie haben gelernt, Hitler zu verachten oder nicht so korrekt zu finden, nur weil und insofern sie auch Stalin fürchten und nicht korrekt finden.

Damit ist ihr Antihitlerismus verumwegt, verumständet, bedingt, eingeschränkt, abhängig davon gemacht, dass auch Linke in Sicht sind, dass es eine Auseinandersetzung mit Linken gibt. Sehr zugespitzt: Gäbe es keine Linken, gäbe es keine Abneigung gegen die Hitlerei oder Not dazu, die Abneigung gegen Hitler zu bekunden. Ausschließlich das Auftreten von Linken, die Existenz von Linken evoziert den sozusagen deutsch-imperialistisch gezähmten und instrumentalisierten “Antifaschismus”, der damit zur Waffe der Geläuterten wird, einer weiteren besondern ideologischen Waffe im Arsenal des deutschen Imperialismus, der als Verursacher solcher Leute wie Hitler mit desto größerer Inbrunst sich als daraus gelernt Habender spreizen und gerieren kann, wie wir es sattsam kennen und hier einstweilen nicht weiter zu beschreiben brauchen.

Der ekelhafteste Naziaufmarsch evoziert so bestenfalls ein: “Na, diese Totalitaristen wieder, solche kennen wir ja von damals, der Hitler von Rechts und die KPDler von links” – und die KPD und die NSDAP haben die unschuldige Weimarer Republik zugrundegewirtschaftet. Beide gleich Schuld, beide gleich böse, mein republikanisch Herz schlägt groß für Weimar. Diese Nazis kloppen heute vielleicht hunderte Leute tot und armieren sich schwer bis zum Sprengstoff hinauf, aber Linke beschmieren ja auch hunderte Bushaltestellen und vermummen sich auf Demos! Wo bleiben da Eigentum, Familie, Religion, Ordnung? Links wie rechts nichts als üble Straftäter und Verfassungsfeinde zum Ausliefern an die Staatsmacht.

Nun wird im Osten tatsächlich mehr rechts gewählt, und es wird allerdings auch mehr links gewählt. Das erscheint jedoch sogleich als Beweis dafür, was für gleichermaßen demokratievergessene Leute diese rechten und linken Ossis doch sind. Sie werden dann als wahnsinnige Faschismusfreunde hingestellt – da Pegida, da die AfD-Wähler, schaut nur hin! Immerhin hat die AfD bei den Bundestagswahlen im Osten über 20 Prozent eingefahren. Darauf stürzt sich dann ein Westen, in dem die AfD “nur” über 10 Prozent einfuhr, wobei sie in Bayern noch gegen die sehr spezielle CSU anzutreten hatte.1

Wenn nun einer das Gegenteil der Nazis sagt, erscheint er einem gediegenen Totalitarismusdenken auch wieder als nazihaft. Eben noch hatten die FDJler die gleichen Frisuren wie die Hitlerjugend – jetzt wieder geht es andersherum. So schiebt sich das in der Welt des verängstigten Kleinbürgers im Sack der westdeutschen Staatspropaganda zurecht, dass gegen die Ruhe und Ordnung und das Haus von rechts und vor allem von links Rabatz gemacht wird. Und so exorziert sich an den rechten Ossis das eigene Unvermögen und die eigene faschistische Tendenz – als Schein-Antifaschismus und Stellvertreter-Antifaschismus, der den Ossis Kokolores lehren will oder sie aufgibt, sich selbst aber immer im feinsten Saubermannstum wiegt.

Hier wäre der Ort, Besonderheiten des deutschen Imperialismus in dieser Totalitarismus-Konstellation auszuarbeiten. Wir hatten mal erwogen, eine Konferenz zum Antikommunismus auszurichten, wo wir ihn als allgemeines, weltweites Phänomen betrachten und dann mit seinen Besonderheiten in Deutschland herausarbeiten würden. Man darf nicht vergessen, dass die Gesamt-Reaktion, die Weltbourgeoisie, die Skribenten und Sowjetologen aus den USA, Großbritannien, Frankreich und anderen Ländern nicht schlecht Biss haben in dieser Hinsicht – bei allerdings anderen nationalgeschichtlichen Hintergründen. Aber das gehört vielleicht dann doch in eine gesonderte Konferenz zu Fragen des “Antikommunismus im Lichte der Hauptfeindfrage”.

Der Problemexport ist sozusagen ein ideologisches Problem. Man hat Faschisten in Westdeutschland, man hat gut über 10 Prozent AfD-Wähler bei der Bundestagswahl 2017. Und natürlich gab es auch die dazugehörigen Leitartikel über das gesamtdeutsche AfD-Problem. Aber weil es im Osten dann doch gut über 20 Prozent AfD-Wähler2 zur Bundestagswahl 2017 gab, lasen sich zahlreiche Leitartikel, als ob die AfD eine ostdeutsche Erfindung nur für Ossis wäre – Problembewältigung auf fast hochdeutsch!3

4. Deutschnationale und Ostregionale Nazis

Es folgen ein paar Thesen zu dieser schon schwierigeren Frage. Neben den deutschnationalen Nazis gibt es, teils überlappend, teils diskret gesondert, noch so ein hooligana-artiges Ostnazitum. Beim Berliner Fußballclub Dynamo hängen schon auch mal DDR-Fahnen in der Fan-Kneipe. Ausländer sind da nicht unbedingt beliebt, aber DDR-Fahnen im Sportlokal – das geht schon mal zu vereinbaren.

Für uns ist nun weder von Vorteil, wenn Nazis sich stark vereinheitlichen, wenn sie ihre Sammlungsbewegung zusammengeschmiedet kriegen, noch wenn sie sich streiteln und zersplittern und in lauter Fraktionen aufgehen und in ihrer Vielfalt alles abgreifen, was es gibt, weil das auch ihre Agilität ausmacht.

Wenn die Nazis zerstritten sind, sind sie noch mal stärker, als wenn wir zerstritten sind. Für uns ist es eine Schwächung, bei den Nazis kann es von Vorteil sein. Dann gibt es eben Ostnazis, die sind für Leute mit DDR-Fahnen gut, und dann gibt es deutschnationale Nazis, die sind für Leute mit Reichskriegsflaggen gut – so kann man sich als Nazi dort besser aufstellen.

Wenn die Nazis nur von der AfD leben würden, könnten wir uns ruhig auf diesen Haufen konzentrieren. Aber die ganze Bandbreite, wie sie in Jörg Kronauers Referat vor uns erstand! Von Revanchismus und Landsmannschaften über Militaria, Reservistenverbände und Offiziersoppositionen bis zu Burschenschaftern, Antroposophen und germanischen Subsistenzwirten: Ist das jetzt Nazi oder kann das bleiben? Dann wabern da noch aus alten NSDAP-Tagen waschechte Rivalitäten zwischen Hakenkreuzlern und Strasser-Linksnazis! Michael Kühnen verliebt sich in Ernst Thälmann und Friedrich Engels, für das Deutsche am Sozialismus. Die promovierteren Schlaubis vom Institut für Staatspolitik um Götz Kubytschek liefern derweil kein schlechtes Latein. Und neben der stählernen Glut des Jürgen Elsässer mit seiner Compact kann immer noch und noch irgendein neurechts daherdrapiertes Cato Magazin für betuchtere und bebrilltere und besonnenere Patrioten vielleicht Fuß fassen …

Aufzählungen können ermüden. Das ist alles schön kompliziert und glitschig und überall was abfassend, statt dass die deutschen Faschisten etwa zentralistisch nur auf eine Karte setzten und wir sie besser an einen Haken kriegten. Die Nazibewegung ist vielfältig, die ist fürwahr bunt statt braun. Unsere bunte Vielfalt ist Schwäche, ihre macht auch eine Stärke aus.

Jene Ostnazis aber sind nun so ein Phänomen, wo ich schon sagen würde: Wegen der DDR, wegen der Annexion der DDR ist da eine kleine Besonderheit entstanden, gleichsam als Antipoden-Bestie und kleindeutsche Gegen-Ausgabe zur westdeutschen Traditionsrechten. Wie breit dieses gesellschaftliche Phänomen ist, vermag ich hier nicht zu analysieren, aber es gibt das auf jeden Fall: BFC-Hooligans sind ein Beispiel dafür, dass da eine Bezugnahme auf die DDR möglich ist und man nicht unbedingt großdeutsch fühlt, auch was gegen Ausländer haben kann oder gegen linke Zecken, die man vielleicht gern klatschen geht und so weiter.

Der BFC hatte mal ein Plakat, sehr wild geklebt an Straßenbahnhaltestellen: “Die Arbeiterklasse des Ostens gegen den Club der Millionäre” – das war das Werbeplakat für BFC gegen Tennis Borussia, eine jüdische Clubgründung von Anfang des 20. Jahrhunderts. Das heißt, diese BFC-Gesellen spielen schon mit ganz schön ultra-harten Bandagen: Arbeiterklasse, schwielige Faust, gegen jüdische Geldsäcke. Solche Anleihen gibt es dort.

Es wäre nun interessant, zu schauen, ob die mehr Rabatz machen in nächster Zeit, und ob da nicht doch eine potentielle Schwächung des deutschen Imperialismus in Aussicht steht, die zwar uns Linken im Osten Sauschwierigkeiten bereiten würde, wenn das schlimmer würde, aber auch dem deutschen Imperialismus.

Das ist alles nicht so kontrolliert oder zentral gesteuert, wie es zum Beispiel nach der NSU-Affäre den Anschein haben mag. Natürlich könnte der Staat all diese Nazisachen binnen Minuten abstellen. Das ist klar. Er lässt gewähren. Aber dieses Gewährenlassen und alle rechten Hühneraugen zudrücken hat eben seine Zweischneidigkeiten.

Wenn dann in der internationalen Presse diskutiert wird, ob man in Ostdeutschland noch investieren kann, wird es zum Problem: Was ist denn da los? Kann man da seinen ausländischen Vertreter hinschicken und Inder statt Kinder studieren lassen? Oder werden die gleich von diesen Terrortruppen da zu Brei geschlagen? Hiesige Bourgeois versichern dann gern, das alles so nun auch wieder nicht gewollt und gemeint zu haben.

Gut, der Staat könnte es abstellen – macht er aber nicht, will er nicht. Er lässt gewähren. Die Auslandsreputation ist da die eine Frage, der eine Faktor, wie weit das getrieben werden kann.

Der andere Faktor aber ist das Egal der verrottenden Ostzone. Diese Konzepte blühen ja wie nur die östlichen Landschaften: Solidaritätszuschlag braucht es nicht mehr. Die Ost-Abriss-Baubranche boomt ohne das bombig genug. Wir kümmern uns nicht mehr um diesen obsoleten Grundgesetz-Zinnober von wegen Angleichung der Lebensverhältnisse. Wir basteln lieber ein paar grüne Renaturierungsparks für die Wölfe und die Windräder. Macht doch euren Säxit. Wir lassen den Osten dahinfahren. Dann kann es egal sein, dann kann man es den Nazis zum Fraß vorwerfen und muss sich nicht mehr darum kümmern, dass die Altenpflege oder der Fußballclub vor Ort eben von bekennenden Nazis betrieben wird. Das wird denen noch dankbar sparend überlassen. Ehrenamt fürs Volkswohl, klare Sache.

Zugleich erscheint im Osten immer auch die Linke stärker, alles insgesamt etwas radikaler aufgestellt und aus westdeutsch beruhigter, beruhigterer Sicht wie ein radikalistischer Bürgerkrieg im Wasserglas, über dessen Ausgang und Bedeutung und Funktion der diversen Nazisplitter darin wir sichtlich mehr Klarheit gebrauchen könnten.

5. Unsere Perspektive: Von “Ossis gegen Rechts” bis “Die DDR war anders: Antifa als Staatsdoktrin”

Hier plädiere ich für ein aufklärerisches Aneinanderpappen von “Gegen Nazis sein”, Antinazi sein und – jetzt sehr begrifflich formuliert – historischen Wahrheiten über die deutsche demokratische Republik. Überall und täglich und millionenfach wie so eine Warenproduktion, wie so ein Brötchenkauf, der täglich vor sich geht, ploppt bei diesem zweischneidigen Kleinbürgertum das Bedürfnis auf, gegen Nazis und gegen Rassisten und gegen Nationalisten mal loszulegen, etwas zu starten, spontane Aktion wäre mal schön. Das ist dann naiv, kleinbürgerlich, spontan, dann wird das vereinnahmt und gerinnt in merkwürdige Organisationsformen, dann setzen sich da staatliche Institutionen und was für Parteien rauf und instrumentalisieren es.

Das Kleinbürgertum produziert immer beide Seiten, zu jeder Anschauung ihr Gegenteil, es ist nie einheitlich. Nie wird das Kleinbürgertum geschlossen für eine Klasse oder für eine politische Anschauung marschieren. Wir werden nie das ganze Kleinbürgertum auf die Straße gegen Nazis kriegen.

Und wie die Nazis die einen einsammeln, bleibt uns, von den anderen einzusammeln. Überall, wo es heißt, gegen Nazis muss man sein, muss es aus Sicht meines Vereins, Unentdecktes Land e.V., heißen: Ja, immerhin, ja, dieses, und aber weiter bedacht, in welchem Staat wir hier krauchen, und was es hieß, als Antifaschist den Staat im Rücken und nicht den Stiefel der Polizei (= Staatsapparat) oder der legalisierten Nazischläger (= Sammlungsbewegung) im Gesicht zu haben.

Da rede ich mit Leuten, wo die AfD herkommt, und wo die NPD herkommt. Es ist ja schlagend, dass die NPD ihren größten Wahlerfolg in der Sächsischen Schweiz erzielt hat. Das war der größte Wahlerfolg, den die NPD je hatte. Den hat sie nicht in Baden-Württemberg erzielt. Aber natürlich kommt sie aus Bayern und Baden-Württemberg. Wo kommen diese Sachen her? Wo kommt die CSU her? Wie spielt die CSU da ihre Rolle? Wie war das mit dem Projekt DSU 1990? Und mit Gerhard Freys DVU? Mit diesen Nazistrukturen, wie die gebaut und vom Westen aus gefördert wurden – wenn es denn erlaubt ist, das zu erwähnen, ohne gleich als irrer DDR-Apologet dazustehen.

Von da aus gilt es mit Leuten, die gegen eine Nazidemo sind, in das Gespräch zu kommen, etwa darüber, inwiefern und wie sehr Faschismus im Osten out war und von offizieller Seite bekämpft wurde, wie der Revanchismus verunmöglicht war, das Bundeswehr-Militariatum, das Landser-Schrifttum, der ganze alte und neue deutsche Krieg und Nationalismus. Es gab da einen Internationalismus in der DDR – das sind jetzt sehr grobe Stanzwörter bei mir, man kann auf dieser Anti-Nazi-Demo nicht gut marktschreiern, in der DDR war doch ein schöner Internationalismus, nicht wahr? Wie das Gespräch angehen kann, wird örtlich jeweils zu schauen sein, aber dieses Gespräch muss her.

Die DDR war das Bollwerk gegen Faschismus in Deutschland überhaupt. Als solches möchte ich sie uns allen zur aktiveren und tagesaktuellen Nutzung vorschlagen, nicht um antifaschistische Kämpfe mit DDR-Propaganda zu zersprengen, aber doch, um diese Kämpfe mit Bezugnahme auf die BRD als den Förderer dieser ganzen Nazisachen und entsprechend auf die DDR als den Staat, der das bekämpft hat, aufklärerisch aufzuladen – unabhängig erst mal von der Frage, wie toll sozialistisch dort nun alles war. So lässt sich vielleicht auch von linken Rändern her das Totalitarismusdenken entschärfen und neutralisieren.

Die ganze DDR selbst ist unmittelbar die beste Waffe gegen Nazis. Manche sind nicht so sehr gegen Nazis, sagen aber, in der DDR war manches oder alles besser. Ein bisschen DDR oder ein bisschen Osten mit Trabbifahrt und NVA-Fanclub und FDJ-Singeabend war schön, aber der antifaschistische Charakter der DDR wird in den Skat gedrückt. Hier gälte es das Gespräch: “Ja, Freund am Kneipentische, die antifaschistische Ausrichtung der DDR hast du dabei aber schon im Blick und in der Erinnerung, ja? Inwiefern die so richtig und wichtig war?”

Wenn so jemand dann schon Mauern gegen Flüchtlinge beklatscht, steht es übel: “Mauern gegen Flüchtlinge? Anständige Maßnahme. Im Osten hatten wir schließlich auch eine Mauer, und da gab es auch nicht so viele Fremde.” Dagegen ist unsere politische Arbeit im Osten wichtig, weil da die biographische Bezugnahme reinspielt und aktivierbares Kampfmittel wird. Es ist das Gegenstück zu den Leuten, die gegen Nazis auf die Straße gehen, aber die DDR eklig finden.

Das sind zwei Konstellationen, von denen die eine im Westen wichtiger ist: Wie mit diesen “Konkret”-Lesern zusammenzugehen, ohne in jedem Artikel und auf der Straße über die DDR zu spucken? Auf diesen doppelplus-toten Leichnam einzutreten, finde ich auch pietätlos. Diese “Konkret”-Leser müssen langsam mal ein bisschen was liefern und hier gemeinsam mit uns ein paar Nazis von den Straßen fegen und nicht diese DDR zermaulen. Dieses Verhältnis regt mich wirklich auf, kränkt mein nationales Ehrgefühl, und so weiter. Das blanke Gegenstück dazu sind die Haufen im Osten, die im Damals der Kindergärten schwelgen und sich daran berauschen, dass es damals zum Glück nicht so viele Fremde gab, die womöglich noch von den ach wie reichlich vorhandenen Arbeitsplätzen im Osten stibitzen könnten.

Mit dem Unentdecktes Land e.V. probieren wir da gerade verschiedene Sachen aus, zum Beispiel eine Stickerreihe: “Die DDR war anders – Antifa als Staatsdoktrin”, die mit sechs Motiven versucht, diese Losung umzusetzen. Neuerdings probieren wir mit Buttons und Karten eine Kampagne “Ossis gegen rechts”, noch mal ein bisschen breiter und nicht zu sehr mit der DDR-Flagge vorne. Da gab es nun schon viele westdeutsche Genossen, die das interessant fanden. Wir haben solche Buttons auf dem einen oder anderen Volksfest verteilt. Am 1. Mai gab es in Cottbus ein Stadtteilfest, wo eher Linksparteiwähler hinkamen, die das sehr mochten. Wir sind sehr klein und unbeholfen und probieren mit dieser Kampagne, solche Buttons zu verteilen und Organisationen zu finden, die sich ebenfalls der Losung und Buttonverteilung annehmen wollen.

Mit alledem wollen wir uns auch auf das Jahr 2019 vorbereiten, wo viele Erweckungsreden und Aufmärsche ins Haus stehen, 30 Jahre Mauerfall und Pipapo, wenn diese Ost-West-Auseinandersetzung noch mal weidlich direkt auf die Straße kommt.

Wir hoffen, in der nächsten Zeit berichten zu können, was für Erfahrungen wir mit unseren Losungen sammeln. Unsere Hoffnung ist ein wenig, dass wir damit der blöden Frage, ob der Faschismus in Ostdeutschland wegen der DDR erstarkt sei, und natürlich vor allem den Faschisten in Ostdeutschland selbst praktisch Paroli bieten können.


  1. Im mündlichen Vortrag war an dieser Stelle in verharmlosender Ungenauigkeit von “nur ein paar Prozenten” Unterschied im Ost-West-Vergleich der AfD-Ergebnisse zur Bundestagswahl 2017 die Rede gewesen. Entschuldigung für diese Falschdarstellung. 

  2. Im mündlichen Vortrag waren an dieser Stelle die AfD-Ergebnisse zur Bundestagswahl 2017 mit “16 Prozent gesamtdeutsch” und “schon signifikant mehr” im Osten abermals ungenau beschrieben worden. Entschuldigung abermals für diese Falschdarstellung. 

  3. Beim MDR wurde zuletzt unter dem Titel “‘Probleme’ dominieren Berichterstattung über Ostdeutschland” eine Studie vorgestellt, für die 170 Millionen Pressetexte ausgewertet worden waren. Die Studie gibt einige interessante Hinweise auf Verzerrungen der medialen Darstellung Ostdeutschlands im Zeitraum 1990-2017. Siehe: www.mdr.de/nachrichten/politik/inland/probleme-dominieren-berichterstattung-ueber-ostdeutschland100.html