Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Gewerkschaften und Vaterlandsverteidigung

Ludwig Jost, IG Metall

Mai 2017

Liebe Freundinnen, Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Genossinnen und Genossen.

Eingangs zum Thema Gewerkschaften und Vaterlandsverteidigung ist es mir ein Bedürfnis, euch darauf hinzuweisen, dass es sich nicht vermeiden lässt, über diejenigen zu reden, zu deren Wirken Lenin festgestellt hat: „Die Praxis hat bewiesen, daß die Politiker innerhalb der Arbeiterbewegung, die der opportunistischen Richtung angehören, bessere Verteidiger der Bourgeoisie sind als die Bourgeois selbst. Hätten sie nicht die Führung der Arbeiter in ihrer Hand, so könnte sich die Bourgeoisie nicht behaupten.“ 1 Das sind zwei Sätze, die bis heute nichts von ihrer Bedeutung und Richtigkeit verloren haben. Sie machen deutlich, womit die Arbeiterklasse in der Klassenauseinandersetzung mit dem Kapital rechnen muss und mit wem sie es zu tun hat: mit der rechten sozialdemokratischen Führung, insbesondere mit den opportunistischen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern, mit der Arbeiteraristokratie in den Betrieben und Gewerkschaften. Ein Thema, das wir des Öfteren auf diesen Konferenzen behandelt haben. Und ich muss hinzufügen, dass mich die Wut, die mich beim Lesen von ihren Taten überkommt, beim Schreiben behindert. Dabei wäre es falsch, sie und ihre Taten mit dem gleichzusetzen, was wir generell unter Kämpfen der Arbeiter- und/oder Gewerkschaftsbewegung verstehen. Wir könnten sonst leicht vom Glauben abfallen und zu der Auffassung kommen, Gewerkschaften und Arbeiterklasse, die kannst du in der Pfeife rauchen, von denen kommt sowieso nichts. Diese Auffassung gibt es, wir wissen das aus entsprechenden Diskussionen. Dazu folgende kurze Geschichte. Vor gut einer Woche, nach der NRW-Wahl, hatte ich ein Gespräch mit einem guten Freund und Genossen. Er ist seit Jahren Mitglied in der Partei „Die Linke“ in Dortmund. Er erzählte mir, dass es bei der 1. Maiveranstaltung - sie wird dort offensichtlich immer als Familien-Spaziergang in den Westfalenpark organisiert - an ihrem Stand eine heiße Diskussion gab. Eine Reihe alter Genossen, zig Jahre Gewerkschaftsmitglieder, mehrheitlich wohl Metaller, mein Freund ebenfalls, haben ihren Austritt aus der Gewerkschaft, in dem Fall aus der IGM, überlegt und diskutiert. Anlass der Überlegungen war hierbei die offizielle Politik der IGM-Führung und aktuell das wiederholte Außerkraftsetzen gesetzlicher Mindestbestimmungen durch Tarifverträge. Konkret durch die Tarifabschlüsse der IGM in der Leiharbeit, mit denen die Überlassungsdauer für Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter an den Entleihbetrieb, VW, BMW, Daimler und die vielen anderen auf vier Jahre verlängert wurde. Soweit gewünscht, können wir über Einzelheiten später noch reden. Doch zurück zu den Freunden in Dortmund. Sie haben nach der kontroversen Diskussion die kluge Entscheidung getroffen, Mitglied der IGM zu bleiben und dazu vorher festgestellt: „Wir können denen doch nicht allein das Feld überlassen.“ Damit sind diejenigen gemeint, die ich eben mit dem Lenin Zitat gekennzeichnet habe. Das Problem dabei ist, auch bei der Aussage der Dortmunder Kollegen, diese Gewerkschaftsführer beherrschen das Feld und bestimmen in aller Regel - losgelöst von jeder innergewerkschaftlichen Diskussion - was dort passiert, und das schon viel zu lange.

Doch zurück zur Vaterlandsverteidigung. Wie kommt es in den Gewerkschaften, in der Arbeiterbewegung, bei Arbeiterinnen und Arbeitern zu einer vaterländischen Gesinnung oder Haltung? Diese Frage hat Genossin Erika Wehling-Pangerl eingangs ihres Referates „Wie weiter im antimilitaristischen Kampf“ und „Zur Lage in der Arbeiterklasse“ bei der Hauptfeindkonferenz 2014 bereits angesprochen. Ich will versuchen, die damit angesprochene Problematik nochmals aufzugreifen und anhand von ein paar Beispielen zu vertiefen.

In seiner Schrift „Lohnarbeit und Kapital“ stellt Karl Marx u. a. fest: „Die Interessen des Kapitals und die Interessen der Arbeiter sind dieselben, heißt nur: Kapital und Lohnarbeit sind zwei Seiten eines und desselben Verhältnisses. Die eine bedingt die andere, wie der Wucherer und Verschwender sich wechselseitig bedingen.

Solange der Lohnarbeiter Lohnarbeiter ist, hängt sein Los vom Kapital ab. Das ist die vielgerühmte Gemeinsamkeit des Interesses von Arbeiter und Kapitalist.“2

Soweit die Feststellung von Marx. Die Konsequenz daraus heißt: Ohne Kapital gibt es keine Lohnarbeit, ohne Lohnarbeit kein Kapital. So sind beide, die Lohnarbeit und Kapital, der Lohnarbeiter und Kapitalist untrennbar miteinander verbunden, aneinander gekettet und das scheinbar für immer und ewig. Wird dann die Kapitalistenklasse angegriffen - z.B. die Kapitalistenklasse eines Landes von der Kapitalistenklasse eines anderen Landes - dann entsteht bei der Mehrheit der Lohnarbeiter, die ja ökonomisch an ihre Kapitalisten gekettet sind, spontan das Bedürfnis, sich gegen diese Angriffe zu wehren und das scheinbar gemeinsame Vaterland von Kapitalisten und Arbeitern zu verteidigen. Was in der Praxis heißt, in den Köpfen findet in bestimmter Weise eine Identifikation mit den Zielen des gegen die eigenen Interessen gerichteten Ausbeutungssystems statt. Eine Meinung, die vom Kapital und der Regierung, als geschäftsführendem Ausschuss der Kapitalistenklasse, mit Breitseiten an ideologischer Gehirnwäsche zu ihrer Aufrechterhaltung gefördert und gepflegt wird. Wir kennen diese ganzen Sprüche von „Sozialer Marktwirtschaft“, „Sozialpartnerschaft“, von Zusammengehörigkeit u. a., die uns ständig - und insbesondere von den sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern - kübelweise um die Ohren fliegen. Wie sich das in den Köpfen auswirkt, habe ich in der Vergangenheit bei vielen Seminaren der IGM gehört: Auch nach Schilderung der größten Gemeinheiten, Schikanen, Kampf gegen Entlassungen, Diskussion über den unversöhnlichen Interessengegensatz zwischen Arbeit und Kapital usw. hieß es häufig: Dass ist alles richtig und auch eine große Sauerei von den „Arbeitgebern“ oder „Unternehmern“, wie die Kapitalisten bei solchen Seminaren heißen. „Aber wenn ich ehrlich bin (die Kolleginnen und Kollegen werden bei solchen Seminaren immer ehrlich), ich meine: Wir können die Probleme nur mit denen gemeinsam lösen oder wie willst du das anders machen?“ Oder je nach Situation: „Jetzt müssen wir einfach zusammenhalten.“ Das immer noch ganz aktuelle Beispiel dafür hat die VW-Belegschaft abgeliefert bzw. liefert es noch immer ab. Als das VW-Kapital wegen der Abgasmanipulationen unter Druck geraten ist, hat sie sich - unterstützt mit T-Shirts von der IGM-Führung - spontan auf die Seite des Autokapitalisten geschlagen und auf große Betriebsfamilie VW gemacht, die gemeinsam die Angriffe abwehrt und das Problem löst. Das gilt ebenso für die Unterstützung der milliardenschweren Scheffler-Familie durch ihre Belegschaft, die sich spontan hinter die Frau im Pelzmantel, im Nerz oder was weiß ich, gestellt hat. Was hierbei ganz besonders wirkt, ist die Identifikation mit dem Betrieb, mit der gemeinsamen Produktion, mit dem Produkt, der gemeinsam hergestellten Ware und wie bereits gesagt, mit der großen Betriebsfamilie. Die Liste dieser Beispiele ist lang.

„Unser Patriotismus“

Zu den ökonomisch, politischen Grundlagen dieser auf das Lohnarbeitsverhältnis zurückgehenden Haltung, schreibt Clara Zetkin in ihrer Schrift „Unser Patriotismus“: „Als herrschende Klasse aber setzen die Kapitalisten eines Landes ihre eigenen Klasseninteressen mit denen der gesamten Nation gleich und verkleiden ihre Interessengegensätze zu der Bourgeoisie auswärtiger Länder als nationale Gegensätze. Denn sobald diese Gegensätze sich zu Kämpfen zuspitzen, bedürfen sie der Hilfe des Proletariats, der Volksmassen, die mit Glut und Blut den kapitalistischen Gewinn schirmen sollen. Der säbelrasselnde Patriotismus der Besitzenden und Ausbeutenden dem Ausland gegenüber ist im letzten Grunde die zehrende Sorge um das Absatzgebiet, um die Sicherung des Mehrwerts. Er flammt daher bis zur Weißglühhitze empor, wenn sie sich durch ihre ausländischen Schwesternklassen in ihrer Plusmacherei bedroht fühlen. Die patriotische Phrase soll dann die Massen über die Tatsache hinwegtäuschen, dass sie ihren Ausbeutern und Herren die Kastanien aus dem Feuer holen müssen.“ 3

Was hierbei den Patriotismus angeht, nur nebenbei: In seinem Sermon zur angeblichen Leitkultur hat Innenminister de Maizière auch darauf hingewiesen, dass wir, also alle Deutschen, Patrioten sind. Was dabei auch so zu verstehen ist, dass wir das gemeinsame Vaterland mit der gemeinsamen Leitkultur gegebenenfalls auch verteidigen werden.

In dem Zusammenhang müssen wir um den Punkt „Gewerkschaften und Vaterlandsverteidigung“ nicht lange rumreden. Hierbei steht in der Klassengesellschaft die Frage im Mittelpunkt: Klassenzusammenarbeit mit dem Kapital oder Klassenkampf gegen das Kapital. Über diese Geschichte haben wir auf dieser und vielen anderen Konferenzen geredet. Und das werden wir gezwungenermaßen auch in Zukunft weiter tun müssen. Auch weit über hundert Jahre nach den Worten von Genossin Zetkin und der dazwischen liegenden „Weißglühhitzephasen“ zweier Weltkriege, steht die Mehrheit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer stramm an der Seite des deutschen Imperialismus. Um nur noch einmal kurz in Erinnerung zu rufen, was längst nicht mehr zum in den Gewerkschaften verbreiteten Geschichtswissen gehört. Vor Jahren kam es hierbei in Geschichtsseminaren immer noch vor, dass unter dem Oberbegriff: „Wir wollen aus der Geschichte lernen“ festgestellt wurde, dass die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer am 2. August 1914 den Arbeitern, den Gewerkschaftsmitgliedern erklärt haben, obwohl sie alles dagegen getan hätten, sei der Krieg unvermeidlich geworden. Dabei wechselten sie im August 1914, dem Beginn des 1. imperialistischen Weltkriegs von der Arbeitsgemeinschaft mit den Kapitalisten zum Burgfrieden. Das Abkommen zur Vermeidung von Lohnkämpfen, der Verhinderung und Bekämpfung von Streiks während des Krieges und das Bekenntnis zu einem „vaterländischen Hilfsdienstgesetz“. Das war das Versprechen, beim Ermorden, beim Erschießen der Arbeiter anderer Länder kräftig mitzuhelfen und/oder sich selber fürs Vaterland durch Bomben und Granaten umbringen oder zum Krüppel schießen zu lassen. In einer Resolution der Richtungsgewerkschaften und Angestelltenverbände hieß es am 12. Dezember 1916 dementsprechend: „Die durch die Organisationen der Arbeiter und Angestellten vertretenen Volksschichten sind bereit, einig und geschlossen alle Kraft in den Dienst unseres Landes zu stellen, damit die Vernichtungspläne der Gegner Deutschlands erfolglos bleiben.“ 4 Zu Beginn des ersten Weltkriegs wurde den Arbeitern z. B. erzählt, einer dieser Gegner, gegen den es ging, sei das reaktionäre russische Zarentum, das ganz Europa bedrohe. Es ist bekannt, wie das ausgegangen ist. Dabei zeigt dieses Beispiel, wie sehr das Klassenbewusstsein der Arbeiter durch die Sozialdemokratie verschüttet war, als sie sich entschieden, zur Abwendung angeblicher „Vernichtungspläne“ Deutschlands, für die Durchsetzung von Interessen der Bourgeoisie über andere Völker herzufallen.

Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer haben diese Ereignisse nicht dazu gebracht, ihre selbstmörderische Sehnsucht nach Klassenzusammenarbeit mit dem Kapital aufzugeben. Und es ist so etwas von unglaublich aber ebenso eine geschichtliche Tatsache, die der Mehrheit aller Lohnabhängigen, den Gewerkschaftsmitgliedern kaum bzw. gar nicht bekannt ist: Als die Arbeiter noch mit der Waffe in der Hand kämpften und versuchten, die Ergebnisse ihrer Revolution vom 9. November 1918 abzusichern, saßen die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer nach Vorgesprächen bereits wieder mit den Kriegstreibern und Kriegsverbrechern gemeinsam am Tisch. In der Zeit vom 9. bis 12. November 1918 verabredeten sie unter Führung von Carl Legien - dem damaligen Leiter der „Generalkommission der Gewerkschaften“ (1890 – 1919) - mit den zu dieser Zeit sehr bekannten Vertretern des Monopolkapitals - Hugo Stinnes und Carl Friedrich von Siemens - ein Arbeitsgemeinschaftsabkommen. Es ist als „Zentralarbeitsgemeinschaftsabkommen“, auch abgekürzt als „ZAG“ in die Geschichte der Arbeiterbewegung eingegangen. Die Gewerkschaftsführer sicherten der Monopolbourgeoisie damit zu, ihre Enteignung, die Sozialisierung der Produktionsmittel zu verhindern, einen geordneten Produktionsablauf zu garantieren, „wilde Streiks“ entweder zu beenden oder zu verhindern und insbesondere den Einfluss der von den Arbeitern gebildeten revolutionären Räte zurückzudrängen. In den Folgejahren hat die deutsche Arbeiterklasse, Arbeiterinnen und Arbeiter in vielen Kämpfen, in wahrhaft heroischen und bewaffneten Auseinandersetzungen mit der Bourgeoisie bewiesen, dass sie kämpfen kann.

So viel zu diesen geschichtlichen Ereignissen, die man gar nicht erzählen möchte und zu dem, wie das heute mit der Vaterlandsverteidigung funktionieren soll und - nach meiner Auffassung - auch für den Ernstfall vorbereitet wird. Als Vehikel dafür dienen heute „modern“ ausgedrückt die angeblichen Arbeitsplatz- und Standortsicherungs-Bündnisse. Dabei haften die Belegschaften noch nicht mit ihrem Leben. Sozusagen als Probe fürs „Kastanien aus dem Feuer holen“ bezahlen sie zunächst noch mit Teilen ihrer Löhne, mit flexibilisierten Arbeitszeiten, unentgeltlichen Arbeitsstunden und all’ dem anderen, was hierbei der Standortsicherung geopfert werden muss. Wir kennen das alles. Und mehr oder weniger daraus entwickelt, steht damit - man könnte sagen - die moderne „Zentralarbeitsgemeinschaft“, die neue ZAG, das Gemeinschaftsprojekt „Sicherung des Industriestandorts Deutschlands“ auf der Tagesordnung. Wobei sich die Worte Lenins erneut bestätigen. Die opportunistische Sozialdemokratie, die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer sind bessere Verteidiger der Bourgeoisie als die Bourgeoisie selber. Bei der Konferenz 2015 habe ich darüber berichtet, dass der damalige IG Metall-Vorsitzende Detlef Wetzel im Februar 2015 in der metallzeitung erklärt hat: „…wir brauchen Bündnisse, um den Industriestandort Deutschland zu sichern. Deshalb haben wir gemeinsam mit Bundeswirtschaftsminister Gabriel und Arbeitgeberpräsident Grillo das Bündnis zur Zukunft der Industrie ins Leben gerufen. Die IG Metall kann und will weiterhin zum Erfolg der deutschen Wirtschaft beitragen.“ Die Wirtschaft - als solche bezeichnet sich bekanntermaßen das Kapital - ist mit dem Bundesverband der Deutschen Industrie, dem BDI, lt. eigener Aussage der „Spitzenverband der deutschen Wirtschaft“, wichtigster Bündnispartner der Industriegewerkschaften. Und nur, um nochmal in Erinnerung zu rufen, um wen es hierbei geht: Das sind - auch nach dem geltenden Arbeitsrecht - 37 im BDI versammelte und organisierte gegnerische und natürlich ebenso gewerkschaftsfeindliche Organisationen. Darunter das gesamte Monopolkapital wie z. B. die Stahl-Metall-Elektro-Chemie- und Rüstungskapitalisten, die sich zusätzlich als „Arbeitgeberverband“ (BDA) oder „Gesamtmetall“, dem Dachverband aller regionalen Metallkapitalisten, organisiert haben. Sie bezeichnen sich bei jeder Gelegenheit in den Medien als die Wirtschaft oder wie auch auf ihren Webseiten, als Stimme der Wirtschaft.

Wie vor über hundert Jahren jubeln die mit ihnen im Bündnis vertretenen Gewerkschaftsführer die Existenz der deutschen Industrie wieder zur Schicksalsfrage hoch. Dabei wird jeder Betrieb, die Branche usw. - mehr oder weniger - zur mit allen Mitteln zu sichernden und zu verteidigenden Burg erklärt. Das ist die zunächst noch ökonomische Kampfansage des deutschen Imperialismus an die internationalen Konkurrenten, wie von Clara Zetin zitiert, an die „Bourgeoisie auswärtiger Länder“. Hierbei lernen die Lohnabhängigen, die Arbeiterklasse, der „Hauptfeind steht nicht im eigenen Land“, sondern außerhalb, in den „auswärtigen Ländern“. Sie sind es, die unseren Standort und damit eure Arbeitsplätze gefährden. Darauf werden die Belegschaften, Arbeiterinnen und Arbeiter allerdings nicht erst seit heute getrimmt. Bereits vor Jahren hieß es z. B. auf Betriebsversammlungen an die Belegschaft gerichtet: Sie müssen das endlich begreifen und wörtlich: „Die Konkurrenten sind unsere Feinde“. Das ist eine des Öfteren von der Geschäftsleitung in einem Metallbetrieb im IGM-Bereich Aachen gemachte Aussage. Und bei uns, in der Bude, wo ich gearbeitet habe, erklärte uns der kaufmännische Direktor bei der Betriebsversammlung, nachdem er durch Fragen und Zwischenrufe unter Druck geraten ist: „Verstehen sie das denn nicht, die Konkurrenz ist mörderisch, das ist wie Krieg“. Und beim Krieg sind wir wieder bei den Feinden, gegen die der/die Betriebe, das Vaterland, der Industriestandort Deutschland verteidigt und gesichert werden muss.

Stahlarbeiter für die Stahlbarone an die Front!

Dieser Auffassung waren im vergangenen Jahr offensichtlich die Stahlarbeiter. Wenn ich nicht irre, haben wir auf der Konferenz im vergangenen Jahr kurz darüber gesprochen. Die IGM-Führung hatte sich im Januar 2016 mit den vereinigten Stahlkapitalisten, der „Wirtschaftsvereinigung Stahl“ verbündet und ein „gemeinsames Eckpunkte-Papier“ beschlossen. Offensichtlich als Konsequenz daraus rief sie die Stahlarbeiter auf, am 7. und 11. April 2016 unter dem Motto „Stahl ist Zukunft“ für die Sicherheit der Arbeitsplätze zu demonstrieren. Dabei verkündete sie: „Die Branche erlebt ein Schicksalsjahr. Geht sie unter, würde der Industriestandort schweren Schaden nehmen.“ Wer geht bei so einer Ankündigung nicht auf die Straße, um das Schicksal des Untergangs abzuwenden?

Entsprechend war das Bild auf Straßen und vor Betriebstoren, ein Bild, wie wir uns das nicht nur von den Stahlarbeitern, sondern von allen Gewerkschaften am 1. Mai und insbesondere immer dann wünschen, wenn die Regierung im Auftrag des Kapitals gegen unsere Interessen und Rechte gerichtete Gesetze im Parlament vorbereitet oder verabschiedet. Aber davon konnte an diesen Tagen keine Rede sein. Die Stahlarbeiter haben sich mit der dafür immer wieder als Vehikel hochgejubelten „Arbeitsplatzsicherheit“ vom IGM-Vorstand vor den Karren der Konzern-Bosse spannen lassen. In der Mai-metallzeitung 2016 wurde das als Sieg, und als Auftakt für „mehr“ gefeiert. Nach den dort gemachten Angaben gingen hierbei „in Duisburg, Berlin, Salzgitter, an der Saar und an anderen Orten mehr als 45.000 Beschäftigte auf die Straße. Sie fordern von der Politik (also von den Geschäftsführern des Kapitals, d.V.): ‚Rettet unsere Werke und Arbeitsplätze.“

Vorbereitend dazu sind in der Zeit vom 24. bis 29. Januar 2016 in den Stahlregionen betriebliche Aktionen gelaufen. Dabei wurden vom EU-Parlament verbilligte bzw. kostenlose Emissionsrechte und insbesondere „Schutz vor unfairen Handelspraktiken“ fürs Stahlkapital gefordert. Gehetzt wurde und wird dabei in erster Linie gegen China, um von den in der kapitalistischen Konkurrenz liegenden Ursachen abzulenken. Die Stahlarbeiter in der BRD werden hierbei auf ihre Kollegen in den chinesischen Hütten angesetzt. Geschichtlich hieß das schon einmal in einem etwas anderen Zusammenhang: „Germans to the front!“ oder wie es auch früher hieß, gegen die „gelbe Gefahr“.

Im Info „direkt“ 05/2016 lässt die IGM dafür z. B. Betriebsräte aus Stahlbetrieben in Duisburg, Gröditz, Salzgitter und Völklingen zu Wort kommen. Sie alle bestätigen, dass die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze vor allem durch chinesische „Billig-Stahl-Importe“ und durch die Verteuerung der Zertifikate beim Emissionshandel bedroht ist. Vom Gesamt-Betriebsratsvorsitzenden (GBR) Günter Back von Thyssen-Krupp Steel Europe in Duisburg wird dabei berichtet: „Back und seine Kollegen macht es wütend, dass die deutsche und europäische Klimapolitik den weltweit umweltfreundlichsten Stahlproduzenden den Todesstoß versetzen könnte und sie verdrängt würden durch Länder wie China, die sowohl schlechtere Arbeitsbedingungen als auch niedrigere Umweltstandards haben.“ (metallzeitung Mai 2016, S.9) Und der Gesamt-Betriebsratsvorsitzende von Saarstahl Völklingen, Stephan Ahr, stellt dabei fest: „China will Europas Stahlhersteller mit Preisdumping in die Knie zwingen und eine globale Monopolstellung einnehmen. Bei der Solarbranche haben wir das schon erlebt. Das gilt es beim Stahl abzuwehren.“ Und Im Info „direkt“ 03/2016 erklärt der IGM-Vorstand: „Am Pranger steht China, das den Weltmarkt mit Stahl zu Dumpingpreisen überflutet. Die Volksrepublik verkauft ihren staatlich subventionierten Stahl in Europa zu Preisen unter den Herstellungskosten. So liegen zum Beispiel die chinesischen Preise für Flachstahl um bis zu 50 Prozent unter den europäischen.“

Schutzzölle und Emissionsrechte gegen „Todesstöße“ und Bedrohung deutscher Standorte

Folgen wir der mit diesen Aussagen verbreiteten Panikmache, von evtl. kurzfristig bevorstehenden Werksschließungen mit entsprechenden Arbeitsplatzverlusten usw. usw., dann hat der Untergang Europas, zumindest des Stahl-Europas kurz vor der Tür gestanden.

Demos gegen die eigene Geschichte und Erfahrung

Als die Stahlarbeiter so aufgeputscht auf diese Panikmache reingefallen sind und sich vor der Gefahr angeblicher Todesstöße von der IGM-Führung vor die Fabriktore, auf die Straßen und vors Bundeskanzleramt nach Berlin schleppen ließen, haben sie offensichtlich einen großen Teil ihrer eigenen Geschichte aus den Augen verloren. Sie hätten sonst drauf kommen müssen, dass nicht die Stahlarbeiter in China ihre Gegner sein können. Zu dieser Geschichte gehören ihre eigenen Streiks, Demos und Kundgebungen, gegen die in den Konzernetagen vom deutschen Monopolkapital beschlossenen Schließungen der Stahlwerke und der damit verbundenen Vernichtung ihrer Arbeitsplätze. Ihre Proteste waren dabei mitgetragen von der Solidarität Zigtausender Metallerinnen und Metaller und vielen Kolleginnen und Kollegen aus anderen Gewerkschaften. Dafür sind wir über die Jahre immer wieder nach Dortmund, Duisburg, Rheinhausen und in andere Orte gefahren. Das ist die Zeit ohne die Konkurrenz aus chinesischen Hochöfen. Dabei müssen sich nicht nur die Stahlarbeiter daran erinnern, was die Stahlkapitalisten mit ihren Hochöfen gemacht haben. Das ist sogar bei Wikipedia zu finden (https://de.wikipedia.org/wiki/Stahlkrise): „Im Zuge des Konzentrationsprozesse in Deutschland wurden die meisten Hochöfen des Ruhrgebiets geschlossen. Die Hauptproduktion wurde nach Duisburg verlagert. Der West-Verlagerung von Stahlstandorten im Ruhrgebiet an die Rheinschiene ging in den späten 1980er Jahren zunächst die Schließung des Krupp-Hüttenwerks in Rheinhausen voraus, die erste markante Aktivität des nachmaligen Organisators der Konzentration auf Seiten von Krupp, Gerhard Cromme.

Die Westfalenhütte und die Phönix-Hütte von Hoesch in Dortmund und die Henrichshütte von Thyssen in Hattingen wurden geschlossen und die Anlagen in die Volksrepublik China verkauft. Gleiches geschah mit der Kokerei Kaiserstuhl, der damals modernsten Kokerei Europas, die nach nur wenigen Betriebsjahren aufgrund der Verlagerung der Stahlerzeugung des ThyssenKrupp-Konzerns an die Rheinschiene keinen Absatz mehr hatte. In Duisburg Beeckerwerth entstand 1993 ein neuer, moderner Hochofen, der die Arbeit seiner drei alten Vorgänger übernahm (12.200 Tonnen Roheisen pro Tag). Thyssen konzentrierte sich bereit vor seiner Fusion mit Krupp-Hoesch auf die Produktion von Flachstahl und verkaufte sein Profilstahlgeschäft. Dieser Konzentrationsprozess kostete vor allem im Ruhrgebiet eine fünfstellige Zahl von Arbeitsplätzen.“

Im Zusammenhang mit den IGM-Aktionstagen hieß es dazu in einem Artikel der Zeitung junge Welt (jW) vom 11. April 2016: „Von 1980 bis 2015 hat sich die Zahl der Beschäftigten in der deutschen Stahlindustrie um 70 Prozent reduziert, aber hergestellt wird dabei etwas mehr als vor 35 Jahren. Was früher 10 Arbeiter schafften, erledigen heute weniger als drei.“

Die Konsequenz aus dieser Entwicklung, die ja den technischen Fortschritt, die Weiterentwicklung der Produktivkräfte aufzeigt, müsste aus gewerkschaftlicher Sicht die Forderung ergeben, die Bourgeoisie zu enteignen und die Produktionsmittel in die eigenen Hände zu bekommen, um über die Abschaffung überflüssiger Arbeit, der damit verbundenen Belastungen, der Arbeitszeit, Lohn usw. selbst zu bestimmen. Aber davon ist bis jetzt keine Rede, obwohl es diese Diskussion bis zu einem bestimmten Zeitpunkt in der IGM durchaus gegeben hat. Stattdessen hat der IGM-Vorstand die Stahlarbeiter im November 2016 erneut zu einem Stahl-Aktionstag nach Brüssel aufgerufen.

Dazu heißt es in der IGM-Presse im Januar 2017: „15.000 Stahlarbeiter gingen im November in Brüssel auf die Straße. Ihr Ziel: Eine faire Chance für ihre Branche.

Bei solchen Argumenten und den Bündnissen mit diesen Bündnispartnern besteht die reale Gefahr, dass sich die Lohnabhängigen im Glauben, ihre Arbeitsplätze im Kapitalismus sichern zu können, erneut von sozialdemokratischen Gewerkschaftsführern ins Boot des „säbelrasselnden Patriotismus“ reißen lassen und schließlich über andere Völker statt über den Hauptfeind, den deutschen Imperialismus, herfallen.

Nichts anderem dient diese erneute Hetz-Kampagne gegen China, die von der IGM-Führung zur Stärkung des deutschen Imperialismus kräftig unterstützt wird. Dabei ist es kein Wunder, wenn das deutsche Monopolkapital, die deutschen Konzerne Gewehr bei Fuß stehen und erwarten, mit Hilfe der Gewerkschaftsführer niederreißen zu können, was ihren Profitzielen als Arbeiterrecht entgegensteht. Das verbindet sich im Fall von China mit dem Ziel, alles, was sich dort noch in Staatsbesitz befindet nach „EU-Rechtskriterien“ zu privatisieren und zu zerschlagen, was sich das chinesische Volk gegen seine Ausbeuter erkämpft und unter sozialistischen Verhältnissen aufgebaut hat. Ein Beispiel dafür, wie so etwas dann ausgehen könnte, ist die DDR und sind die „blühenden Landschaften“, die der deutsche Imperialismus dort nach ihrer Einverleibung hinterlassen hat.

Für uns muss hierbei gelten - und dafür muss ich nach meiner Meinung hier niemanden agitieren - wir brauchen keine Bündnisse mit dem Kapital und auch keine Aktionstage, mit denen versucht wird, die Gewerkschaften zur Durchsetzung von Kapitalinteressen zu missbrauchen. Wer sich dafür einspannen lässt, hat bereits verloren. Wofür wir in den Gewerkschaften kämpfen müssen, sind z. B. Aktionstage für die Durchsetzung von Arbeitszeitverkürzung und gegen die Kapital-Forderung nach Abschaffung des 8-und 10-Stunden-Tages sowie zur internationalen Solidarität. Und in dem Zusammenhang, die Organisierung des dafür notwendigen und wirkungsvollsten Kampfmittel der Arbeiterklasse: Den politischen Massen- und/oder auch Generalstreik. Er ist mit dem 100. Jahrestag der Oktoberrevolution in Russland in diesem Jahr von besonderer Bedeutung und erlebt damit sozusagen ebenfalls ein Jubiläum.

Rosa Luxemburg schrieb dazu: „ Endlich zeigen uns die Vorgänge in Rußland, daß der Massenstreik von der Revolution unzertrennlich ist. Die Geschichte der russischen Massenstreiks, das ist die Geschichte der russischen Revolution.“ 5

Mit Hinweis auf die 1905 gemachten Erfahrungen, die revolutionären Massenstreiks und die bewaffneten Aufstände des Proletariats, erklärte Lenin: „Ohne die ‚Generalprobe‘ von 1905 wäre der Sieg der Oktoberrevolution 1917 nicht möglich gewesen.“ 6

Im Verlauf der drei Jahre von 1905 bis 1907“, so führte Lenin aus, „stand die russische Streikbewegung auf einer solchen Höhe, wie sie bislang die Welt noch nicht gesehen hat. Die Regierungsstatistik erstreckt sich lediglich auf Fabriken und Werke, so daß sowohl die Unternehmen des Bergbaus und Hüttenwesens wie die Eisenbahnen, sowohl die Bauarbeiten wie viele andere Zweige der Lohnarbeit unberücksichtigt bleiben. Aber allein schon in den Fabriken und Werken streikten 1905 2.863.000 Menschen, d.h. etwas weniger als 3 Millionen, 1906 1.108.000 und 1907 740.000. In den ganzen 15 Jahren von 1894 bis 1908, da man in Europa damit begann, systematisch eine Streikstatistik zu führen, war die Höchstzahl der Streikenden im Jahr in Amerika 660.000.

Die russischen Arbeiter haben folglich als die ersten in der Welt einen solchen Massenstreikkampf entfaltet, wie wir ihn in den Jahren von 1905 bis 1907 gesehen haben.7

Der „gefährlichen Feindseligkeit“ gegen Massenstreiks entgegentreten

Der politische Massenstreik als Kampfmittel der Arbeiterklasse wurde lange auch in marxistischen Kreisen, selbst bei der revolutionären Sozialdemokratie als Gegensatz zur politischen Betätigung des Proletariats bekämpft. Und das insbesondere vom größten Teil der sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer, eine Tatsache, die für dieses Land, für die BRD bis heute nach wie vor gilt. Die russischen Arbeiter haben faktisch die Generalprobe zum Gebrauch des Kampfmittels politischer Massenstreik spätestens ab 1905 abgeliefert. Im selben Jahr, im Mai 1905 fielen die deutschen opportunistischen Gewerkschaftsführer über die Forderung nach politischem Massenstreik her. Auf dem Kölner Kongress der Gewerkschaften setzten sie eine Resolution durch, in der es hieß: „ Der Kongress hält daher auch alle Versuche, durch die Propagierung des politischen Massenstreiks eine bestimmte Taktik festlegen zu wollen, für verwerflich; er empfiehlt der organisierten Arbeiterschaft, solchen Versuchen energisch entgegenzutreten.” 8

In der Auseinandersetzung um den Massenstreik hatte Karl Liebknecht der damals noch revolutionären Sozialdemokratie bereits am 20. September 1904 bei ihrem Bremer Parteitag zugerufen: „Und Genossen, wie sollen wir die ganze Welt erobern, wenn wir nicht einmal imstande sind, unsere wenigen Grundrechte, die wir schon haben, zu verteidigen, unsere jetzigen Positionen zu halten?! Dazu ist es notwendig den Massenstreik zu diskutieren. Wir wollen Ihnen gar nicht empfehlen, ihn ohne weiteres als neues Kampfmittel zu akzeptieren. Wir wünschen vorläufig nur eine Diskussion und damit eine gewisse Sympathiekundgebung für den Grundgedanken.

,Toujours en vedette’ - stets auf dem Posten sein, komme was kommen mag, ist erste Pflicht und Lebensinteresse der Partei. Jener ganz gefährlichen Feindseligkeit gegen den Grundgedanken des Massenstreiks gilt es entgegenzutreten. Die Frage des Massenstreiks ist die aktuellste Frage unserer gegenwärtigen und zukünftigen Politik. Gehen Sie nicht mit Lächeln darüber hinweg. Erfassen Sie den Wert dieser Frage und unsere Partei wird gerüstet sein.“ 9

Wir sind auch weit über hundert Jahre an dem Punkt, wo über den Wert dieser Frage in den Gewerkschaften nachgedacht und diskutiert werden muss. Denn was z. B. für die meisten Gewerkschaftskolleginnen und Kollegen von „nebenan”, z. B. in Griechenland, Belgien, Frankreich, Italien und in vielen anderen Ländern offensichtlich „normal“ ist, wird hier zum „normalen“ Problem mit der Gewerkschaftsführung. So, als ob dies ein persönlicher und „verwerflicher” Angriff auf sie selber wäre, hält sie die „organisierte Arbeiterschaft“ nach wie vor von politischem Streik, vom Generalstreik ab. Wer die Forderung stellt, hat sofort viele „große“ und „kleine“ Gewerkschaftsführer am Hals. Damit habe ich selber über die Jahre hinweg eine Reihe Erfahrungen gesammelt. Bis in die Vorstandsetagen hinauf kannte ich eine ganze Reihe Funktionäre und die mich. Und immer wieder bekam ich auf meine Forderung nach politischem Streik, ich musste sie auch immer wieder im Auftrag unserer Vertrauensleute und von großen Teilen der Belegschaft vortragen, zu hören: Ludwig, wenn Du damit meinst, wir sollen gegen die Regierung streiken, dann hast du uns oder auch mich nicht auf deiner Seite. Wer etwas gegen die Regierung hat, der muss sie abwählen und nicht wegstreiken, hat mir ein Bezirksleiter ziemlich wütend bei einer Konferenz zugerufen.

Diese Kollegen Funktionäre werden bei dieser Forderung auf der Stelle zu den größten Verteidigern der bürgerlichen Demokratie, des Parlamentarismus und sehen sich „genötigt“, allen Forderungen, den politischen Streik zum Mittel gewerkschaftlicher Politik zu machen”, „energisch entgegenzutreten“. Dabei geraten politischer Massenstreik, Generalstreik oder auch nur die Diskussion darüber in den Verdacht, Demokratie und Gewerkschaften zu gefährden, anstatt elementarstes Mittel der Vereinigung der Arbeiter zur Verteidigung von Demokratie und Gewerkschaften und gegen Faschismus und Krieg zu sein. Die sich in diesen Argumenten offenbarende Streikfeindlichkeit der Gewerkschaftsführer ist noch sehr viel rückständiger als die international sichtbare Politik des Revisionismus oder Sozialdemokratismus. Sie bemüht sich nicht nur, die Kämpfe der Arbeiter auf dem Boden des Kapitalismus zu belassen. Sondern sie will diese Kämpfe selbst verhindern, und das normale bürgerliche Recht der Arbeiter auf Streik preisgeben. Wie sich an vielen Beispielen nachweisen lässt, wird diese Politik zur direkten Verhinderung des Kampfs um Demokratie, des Kampfs zur Durchsetzung und Verteidigung demokratischer Rechte.

„Die Arbeiterklasse tritt beim politischen Streik als die führende Klasse des ganzen Volkes auf“, erklärt Lenin. „Das Proletariat spielt in solchen Fällen die Rolle nicht einfach einer Klasse der bürgerlichen Gesellschaft, sondern die Rolle des Hegemons, d. h. des Leiters, des Vorkämpfers, des Führers. Die politischen Ideen, die in der Bewegung zutage treten, tragen gesamtnationalen Charakter, das heißt, sie berühren die grundlegenden, fundamentalen Verhältnisse des politischen Lebens des ganzen Landes.“ 10

Die Sozialdemokratie, die opportunistischen Gewerkschaftsführer wollen - wie es die ihnen von der Bourgeoisie im Klassenkampf zugedachte Rolle verlangt - verhindern, dass es dazu kommt. Das drückt sich u. a. in der an streikende Arbeiter gerichteten Warnung vor französischen Verhältnissen aus und vor allem in der kategorischen Aussage: Gegen eine demokratisch vom Volk gewählte Regierung streiken wir nicht!

Das ist gleichbedeutend mit der Aufforderung an die Arbeiterklasse und Lohnabhängigen, auf die gegen sie gerichteten Gewalttaten des Kapitals, die imperialistische Gewalt nach innen und außen, mit Gewaltlosigkeit zu antworten. Dazu noch ein Bespiel aus der Geschichte. Als es 1933 darum ging, die faschistische Gewaltherrschaft Hitlers und seiner faschistischen Anhängerschaft zu verhindern, antworteten die damaligen sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer auf die Forderung der KPD zum Generalstreik aufzurufen u. a.: Es sei jetzt nicht die Zeit zum Generalstreik aufzurufen, sondern, es ginge darum, Mitglieder zu werben. In der jetzigen Situation geht es noch nicht darum ganz aktuell eine faschistische Gewaltherrschaft zu verhindern, aber schon darum, die Arbeiterklasse für diesen Fall zu wappnen und vorzubereiten. Dafür ist der politische Streik, der Massen- und/oder Generalstreik notwendig. Der wäre nach meiner Auffassung auch zum jetzigen Zeitpunkt das notwendige Kampfmittel der Arbeiterklasse, um z. B. der vorher bereits erwähnten massiven Angriffe des Kapitals auf die gesetzlichen Arbeitszeitbestimmungen, auf 8- und 10-Stundentag abzuwehren. Würde die Gewerkschaftsführung ihrer Aufgabe im Klassenkampf auch nur annähernd nachkommen, müsste die Arbeiterklasse, die Belegschaften in den Betrieben gegen diese Angriffe mobilisiert werden - und ich bin da ganz bescheiden - z. B. zu einigen Warnstreiks in den Metallbetrieben, Automobilkapital, Chemie u. a. aufgerufen werden. Stattdessen tut die IGM-Führung so, als würde sie davon nichts mitbekommen. In keiner metallzeitung in diesem Jahr ist darüber etwas zu lesen. Der IGM-Vorstand stellt sich sozusagen tot und verbirgt sich hinter dem Kampf mit Unterschriftenlisten, die sie den Kapitalisten, der Regierung, den Parteien sozusagen als Wunschliste der Lohnabhängigen fürs Regieren präsentiert - so wie das aus den metallzeitungen der letzten Monate zu erfahren war. Forderungen und Hoffnungen der Lohnabhängigen nach gesellschaftspolitischen bzw. Veränderungen/Verbesserungen im Arbeits- (im kapitalistischen System besser gesagt, fürs Ausbeutungsverhältnis) werden damit auf „das Richtige wählen“ und nicht auf die eigene Kraft konzentriert. Dabei werden Staat und Regierung immer wieder als die über den Klassen stehende Gewalt verkauft. Egal, wie sich die Arbeiterklasse, die breiten Schichten der Lohnabhängigen hierbei verhalten - die Bourgeoisie hat sie dabei als ihre Totengräber im Nacken, und das weiß sie mehr als die Arbeiterklasse das selber wahrnimmt. Die ganzen Gesetzesverschärfungen, der Einsatz der Bundeswehr im Innern, dienen der Vorbereitung für den Fall, dass sich die Lohnabhängigen auf ihre eigene Kraft besinnen und zu der Einsicht kommen, mit dem kapitalistischen Ausbeutungssystem Schluss zu machen. Im kommunistischen Manifest haben Marx und Engels festgestellt: „Die Arbeiter haben kein Vaterland!“ Was das politisch bedeutet, hat die ganz große Mehrheit der Arbeiterklasse noch nicht begriffen. Es liegt mit an uns, an der Diskussion und den Erkenntnissen, die wir bei solchen Konferenzen, wie dieser, gewinnen, und was wir davon in die Klasse tragen können, um Erkenntnisprozesse zu fördern und zu beschleunigen. In diesem Sinne möchte ich mein Referat mit einem Zitat der Genossin Clara Zetkin schließen: „Das Proletariat muss sich sein Vaterland erst erobern. Nicht im Kampfe gegen eine fremde Nationalität oder Rasse, die seine ‘heiligsten Güter’ bedroht, wohl aber im Kampfe gegen die besitzenden, ausbeutenden und herrschenden Klassen, die ihm rauben, was das Geburtsland zum Vaterland macht.“ 11


  1. Lenin, II. Kongress der Kommunistischen Internationale, LW Bd. 31, S. 219 

  2. MEW Bd. 6, S. 411 

  3. Clara Zetkin, Unser Patriotismus, in: Ausgewählte Reden und Schriften Bd. 1, Berlin 1957, S. 325 f. 

  4. Michael Ruck, Gewerkschaften, Staat, Unternehmer, Bund-Verlag 1990, Dokument 3 S. 142 

  5. Rosa Luxemburg, Massenstreik, Partei und Gewerkschaften (https://www.marxists.org/deutsch/archiv/luxemburg/1906/mapage/kap4.htm) 

  6. Lenin, Der „linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus, LW Bd. 31, S.12 

  7. Lenin, Wirtschaftlicher und politischer Streik, LW Bd. 18, S. 71-72 

  8. Protokoll der Verhandlungen des fünften Kongresses der Gewerkschaften Deutschlands. Abgehalten zu Köln a. Rh. Vom 22. bis 27. Mai 1905, Berlin o. J., S. 30, Aus: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung Bd. 2, S. 98/99, Dietz Verlag Berlin 1966 

  9. Karl Liebknecht, gesammelte Reden und Schriften Bd. 1, S. 88, Berlin 1983 

  10. Lenin, Wirtschaftlicher und politischer Streik, LW Bd. 18, S. 73 

  11. Clara Zetkin, Unser Patriotismus, .a.a.O. S. 317