Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Aktuelle ökonomische Lage

Rolf Fürst, KAZ-AG »Zwischenimperialistische Widersprüche«

Mai 2013

Zum Einstieg: »Eure Scheiß-Krise könnt ihr behalten« ist ein ziemlich hohles Pappschild, weil es genau umgekehrt ist: Die Krise behalten wir solange, wie nichts Gegenteiliges passiert. Wir können die Krise nicht denen wiedergeben, die sie verursacht haben, sondern müssen sie letztendlich selber beseitigen.

Europäische Krise und deutsche Stagnation

Das Brutto-Inlands-Produkt (BIP) soll die Gesamtwirtschaftsleistung eines Landes oder Gebietes wiedergeben. Diese Zahl hat viele Mängel. Wenn zum Beispiel eine Grippeepidemie kommt und im Krankenhaus mehr Leistungen abgefordert werden, dann steigt das BIP. Es ist also nicht unbedingt ein Ausdruck von Wohlstand, aber es ist der einzige Wert, den man erst mal heranziehen kann, um die Entwicklung insgesamt in ihrer Tendenz zu beurteilen.

Da wir uns, wie ich darstellen werde, immer noch in der Krise befinden, beginnen wir mit dem Jahr 2008, als die aktuelle Überproduktionskrise massiv begonnen hat. Da haben wir das Jahr 2009 mit dem herbsten Absturz in Deutschland, den es seit dem 2. Weltkrieg gegeben hat, mit einem Rückgang von 7%, und dann die Entwicklung, die abweicht von den anderen europäischen und vor allem Euro-Ländern, das heißt einen Anstieg in Deutschland und aber jetzt aktuell, im letzten Quartal erstmals auch wieder einen Rückgang. Also mittlerweile befindet sich Deutschland in einer Stagnationsphase oder möglicherweise sogar wieder im Übergang zu einer Rezession, einem wirtschaftlichen Abschwung.

Im Vergleich zu diesem Anstieg in den letzten Jahren, der direkt auf Kosten und in Unterdrückung anderer Länder erfolgte, im Vergleich 2008-2012 (Krisenbeginn-aktuell und Vorjahr-aktuell) hat Deutschland einen Anstieg von insgesamt 1,8%, im letzten Jahr bzw. aktuell 0,1%, worin die Stagnation zum Ausdruck kommt. Wenn man aber die Zahl der gesamten EU nimmt und Deutschland herausnimmt, sehen wir einen entsprechenden Rückgang sowohl seit Beginn der Krise als auch aktuell. Noch extremer als in der Gesamt-EU wird es, wenn man dann den Teil der Euro-Zone, der Länder mit dem Euro als Währung, ohne Deutschland nimmt. Da haben wir dann einen Rückgang von 3% und aktuell einen von 1,8%.

Zwei Beschäftigungsentwicklungen

Was heißt das ganze für die Entwicklung der Beschäftigung? Da wird es noch deutlicher. Deutschland ist das einzige Land, wo die Beschäftigung gestiegen ist, das heißt die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsverhältnisse. Da zählen also 450 Euro-Jobs noch nicht dazu, aber alle, die einen Job haben, der über 450 Euro Lohn-Umfang liegt. Diese Zahl ist tatsächlich seit Beginn der Krise, nicht zu Anfang, aber in den letzten 4 bis 5 Jahren um 4,5% gestiegen.

Diese Entwicklung läuft der in den anderen europäischen Ländern völlig entgegen, was auch dazu führt, dass die Präsenz der Krise in Deutschland weniger vorhanden ist als in anderen Ländern, insbesondere in denen, die mit massiven Schuldenproblemen konfrontiert sind und wo sich die Verhältnisse drastisch verschlechtert haben, insbesondere Griechenland, aber auch Spanien usw.

In Summe heißt das in der EU: 4% weniger Beschäftigung oder/und 20 Mio. mehr Arbeitslose seit Beginn, und in der Euro-Zone noch einmal deutlicher: minus 6%, auch im letzten Jahr schon wieder ein Anstieg der Arbeitslosigkeit bzw. Rückgang der Beschäftigung, in Deutschland nur eine Stagnation.

Das heißt, es ist insofern eine Frage für uns oder eine Feststellung, die wir erst mal treffen müssen, dass es dem deutschen Imperialismus gelungen ist, sich zu Lasten der anderen ökonomisch hervorzutun bzw. zu stabilisieren.

Ganz extrem, hier noch mal im Vergleich, die Arbeitslosenzahlen für Griechenland und Irland. 2008 ist es im großen auf ähnlichem Niveau gewesen von 6%, in Zypern unter 5% Arbeitslosigkeit, und in Spanien aber auch damals schon über 10% – es geht um die Gesamttendenz.

In Deutschland hingegen sehen wir einen Rückgang der Arbeitslosigkeit. Das ist auch definitiv so. Es gibt immer viele Diskussionen über die statistischen Tricks, und was da alles drinsteckt, die waren aber 2008 wie 2013, da hat sich nichts verändert. Wir müssen erst mal feststellen, so eigenartig das vielleicht in mancherlei Hinsicht klingt: Es ist tatsächlich so, dass wir über eine Million weniger Arbeitslose haben, die eben ein Beschäftigungsverhältnis mit Sozialversicherung bekommen haben. Auch für Teilzeit, schlecht bezahlt, Anstieg der Leiharbeit usw., das steckt alles dahinter, aber in der Summe ist es erst mal so. Das macht einen Teil der Schwierigkeit in unseren Auseinandersetzungen und unserer Propaganda aus, dass viele Leute das so nicht finden, wie wir es beschreiben.

In anderen Ländern herrscht eine völlig andere Situation: In Griechenland von 6-7% auf 25% – alles die offiziellen Zahlen, da kommen dann immer noch Schattenwerte dazu. Besonders extrem in Spanien mit über 25% insgesamt, offiziell, und im Bereich der Jugendarbeitslosigkeit, der jungen Leute unter 25 Jahren, teilweise über 50%. Aber auch in anderen besonders von der Krise getroffenen Ökonomien, also in Irland, Italien, Portugal. Die deutliche Anstiegstendenz ist überall die gleiche. Nur eben in Deutschland ist es andersherum. Es gibt dann noch ein paar Länder wie die Niederlande und Österreich, wo das relativ gleichbleibende Werte gab, aber sonst gibt es in ganz Europa einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit.

Exportweltmeister: deutsche Industrie

Wie kommt das, dass es dem deutschen Kapital gelingt, sich so gegenteilig zu entwickeln? Das ist grundsätzlich schon die ganzen Jahre zuvor so gewesen, in der Entwicklung, dass sie den sehr hohen Exportanteil der deutschen Wirtschaft noch gesteigert haben. Als der Euro eingeführt wurde, lag das bei 25% der Gesamtwirtschaftsleistung, des BIP, die exportiert wurden. Und das ist angestiegen, insbesondere weil der Euro die fremden Märkte geöffnet hat, zum Beispiel dadurch, dass die Währungskurse nicht mehr abgewertet werden konnten in Richtung der anderen Länder. Da war es für die deutsche Wirtschaft besonders einfach, mehr zu exportieren.

Der Exportanteil am BIP ist angestiegen auf 40% bis zur Krise, im Krisenjahr 2009, wo man auch in Deutschland diesen Eindruck einer Krise stärker, eindeutig hatte, und ist 2012 noch mal trotz Stagnation gesteigert worden – im Inland ist es sogar zurückgegangen. Also in Summe wird das ganze weiterhin getragen vom Export. Das hat man schon oft festgestellt, aber warum ist das so? Was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Export? Dem bin ich mal nachgegangen.

Dieser hohe Export heißt neben allem, was damit politisch zusammenhängt, was wir auch entsprechend kritisieren und angreifen, dass Deutschland weiterhin ein Industrieland ist. Das ist ein Punkt, der in vielen linken Diskussionen ein bisschen unter den Tisch fällt. Das hängt sicher auch damit zusammen, wenn man davon ausgeht, es ist doch nicht mehr so industriell, dann gibt es auch keine Arbeiterklasse mehr und dann stellen sich vielleicht bestimmte Fragen auch wieder ganz anders. Aber gerade dieser hohe Export beweist, dass das hier ein Industrieland ist. Weil nur wenn ich Industriegüter habe, – 85% aller Exporte sind Warenexporte, und 85% davon wiederum Industriegüter – nur dann kann ich so einen hohen Exportanteil haben, der nicht dadurch kommt, dass ich Kartoffeln irgendwohin schicke oder die Bild-Zeitung nach Mallorca geflogen wird – das wäre Dienstleistungsexport.

Kapitalexport ist noch mal eine völlig andere Betrachtung, die gibt es auch, weil aus diesem hohen Exportüberschuss kommt Geld rein, das dann wieder als Kapitalexport rausgeht. Hier beim BIP gibt es immer nur Waren und Dienstleistungen. 85% des Warenexports sind Industriegüter. Das sind viele Maschinen und Anlagen, Autos und alles, was wir so haben. Das bedeutet bei dem gesamten Export von Industriegütern einen Weltmarktanteil von 11% aus Deutschland. China hat 15%. Ich würde mal behaupten, in der öffentlichen Wahrnehmung ist das alles sehr sehr anders. In der Summe der Umsätze ist Deutschland also nicht nur einer der größten Waffenexporteure – Waffen zählen auch zu Industriegütern – sondern eben insgesamt der zweitgrößte Exporteur von Industriegütern weltweit.

Und das unterscheidet Deutschland von anderen, vergleichbaren Ländern wie zum Beispiel Frankreich oder Großbritannien, die nicht versuchen können, die Krise auf diesem Wege zu lösen.

Das ist eine regionale Betrachtung, die nicht etwa die deutsche Kapitalverflechtung nach China berücksichtigt, sondern rein fragt: Was geht aus Deutschland raus, egal, wem das Kapital gehört. Wobei ich die These aufstellen würde, das ist auch im Chinahandel überwiegend deutsches Kapital, was von dort in andere Länder exportiert wird, und bei China umgekehrt. Wenn jetzt VW in China 50% an den dortigen Produktionsstätten hat, in einem Joint Venture mit dem chinesischen Staat, dann ist das, was aus dem chinesischen Anteil exportiert wird, zum chinesischen Anteil gehörig. Aber auch so, für sich, zeigen diese Zahlen deutlich, dass Deutschland ein Industrieland ist und deshalb so einen hohen Exportanteil haben kann.

Weitere Daten. Der Weltmarktanteil Deutschlands an der gesamten Industrieproduktion, am sogenannten verarbeitenden Gewerbe, ist 7%, also ein 14tel dessen, was wertmäßig produziert wird, kommt aus Deutschland oder wird in Deutschland produziert. Der Industrieanteil ist in Deutschland seit 15 Jahren konstant. Da kann man es auch ganz klar im Vergleich zu Großbritannien, Frankreich, Italien sehen, wo das in den letzten 15 Jahren deutlich zurückgegangen ist, insbesondere in Frankreich, das in der industriellen Entwicklung den größten Absturz hat. Das hängt miteinander zusammen, weil die deutsche Industrie entsprechend gewachsen ist. Und der Markt wächst insgesamt im großen und ganzen nicht – außer in Ausnahmesituationen oder wenn es »Innovationen« gibt wie Mobiltelefone, die vor 20 Jahren kaum jemand hatte. Dann kann man mal wachsen. Aber ansonsten ist das ein Auto, das VW mehr verkauft, ein Auto weniger bei einem anderen, ausländischen Monopol.

Die Industrie in Deutschland ist insgesamt nominal, also in Eurowert, um 43% gestiegen seit 1995, die Gesamtwirtschaft um 39%. Also die Industrie ist sogar noch überproportional gewachsen. Da spielt zum Beispiel immer die Autoindustrie eine große Rolle. Dazu möchte ich zwei, drei Dinge aus der neuen KAZ sagen.

»Blutbad« in der Autoindustrie

Es gibt eine verschärfte Konkurrenz zwischen VW und den anderen, deutlich kleineren europäischen Herstellern, einmal Peugot-Citroen, die zusammengefasst sind in der PSA, und dann auch Fiat, die zahlenmäßig sowieso viel kleiner sind, aber auch von den Produkten her. Die Autos von Peugot und Fiat sind nicht so »wertig«, einfach billiger als ein Golf, um es mal so zu sagen, und haben vor allem die Märkte in Südeuropa zum Absatz, die auch aufgrund der Beschäftigtenentwicklung massiv zusammengebrochen sind, so dass sie massive Probleme haben und eigentlich um ihr wirtschaftliches Überleben kämpfen.

Der Fiat-Chef hat dazu im letzten Jahr schon VW vorgeworfen: »Bei der Preisgestaltung gibt es ein Blutbad, ein Blutbad bei den Margen.« Das sieht so aus, dass VW in den entsprechenden Ländern deutlich günstigere Preise macht, also die Autos billiger verkauft als zum Beispiel hier im Inland, um dort die Konkurrenz noch mal zusätzlich zu schädigen oder anzugreifen.

Der VW-Haupteigentümer, Ferdinand Piech, Aufsichtsratsvorsitzender ist er auch bei VW, sagt dann noch dazu, auf die Frage, ob er nicht vielleicht Interesse daran hätte, die Fiat-Tochter Alfa Romeo zu kaufen, er hätte daran kein Interesse, dem Fiat-Konzern geht es noch nicht schlecht genug.

Le Monde, die große französische Tageszeitung, hat das im Januar so beschrieben: »Nach Überzeugung der französischen Regierung hat VW entschieden, PSA, also Peugot-Citroen, auszuradieren.« Ganz offen, in der frei verfügbaren Presse, wird der Kampf in militärischer Sprache fortgeführt. Dieser Kampf hat vom ökonomischen Boden her diesen Hintergrund, diese Ursache, dass die deutsche Industrie sich in den letzten Jahren und auch innerhalb dieser Krise massiv zu Lasten der anderen in Position gebracht hat.

Das hier braucht man nicht zu studieren, das ist wieder so ein ökonomischer Quatsch aus dem Lehrbuch – BWL-Esoterik.

Wie lang dauert so eine Krise?

Wir reden immer von Krise, manche reden davon, sie sei vorbei. Ich habe mal ein bisschen geschaut in den Klassikern: Wie lang dauert denn eigentlich so eine Krise? In den frühen Schriften ist das oft als Krisenzyklus beschrieben. Marx 1848 (MEW, Bd.4, S.450):

»Man muss stets den Durchschnitt von 6 bis 7 Jahren nehmen, den Zeitabschnitt, währenddessen die moderne Industrie die verschiedenen Phasen der Prosperität durchmacht und ihren unvermeidlichen Kreislauf vollendet.«

Also Aufschwung, Überproduktion, Stagnation und Krise, wie wir das heute erleben. In Griechenland müssen die Leute hungern, weil vorher zu viel Brot gebacken wurde usw. Diese massiven Widersprüche sehen wir.

Hier wird es noch beschrieben als Kreislauf, der nach 7 Jahren ungefähr, im Durchschnitt, zum Ausgangspunkt zurückkehrt und wo sich auch die Beschäftigung entsprechend entwickelt. In der Überproduktion und darauffolgenden Stagnation wird massiv entlassen, es gibt viele Arbeitslose, die durch die Prosperität wieder in Arbeitsverhältnisse gelangen usw.

So war die Beschreibung in den Anfängen des Kapitalismus, aber so erleben wir es hier nicht. Einmal wirkt das alles mehr wie eine permanente Krise, und abgesehen von der Entwicklung in Deutschland kann man diesen Kreislauf überhaupt nicht mehr erkennen. Wenn man von 2008 als dem Beginn der Krise ausgeht, sind jetzt schon 5 Jahre vergangen, und ein Ende ist nicht in Sicht, weil keine der Ursachen gelöst ist.

Im Vorwort von 1892 zur »Lage der arbeitenden Klasse in England« von Friedrich Engels finden sich schon andere Beschreibungen, die dem näher kommen, was wir hier heute erleben.

»Wir haben in der Tat zu der Zeit, wo sie fällig war, 1877 oder 1878, keine volle Krisis durchgemacht, aber wir leben seit 1876 [seit 16 Jahren also] in einem chronischen Versumpfungszustand aller herrschenden Industriezweige.« Da kommt eine Beschreibung eher der permanenten Stagnation heraus, die es da gibt.

Weiter heißt es in der Schrift:

»Weder will der vollständige Zusammenbruch kommen noch die langersehnte Zeit der Geschäftsblüte … Ein tödlicher Druck, eine chronische Überfüllung aller Märkte für alle Geschäfte, das ist der Zustand, den wir seit beinahe zehn Jahren durchmachen.«

In dieser Beschreibung fand ich die aktuelle Entwicklung deutlicher wiedergegeben. Soweit zur Frage, wie lang die Krise dauert, wo es zumindest in der historischen Betrachtung schon Phasen gegeben hat, wo es so lange gedauert hat und völlige Unklarheit herrschte, wie es weitergeht – ähnlich, wie wir es heute aus meiner Sicht erleben.

Kapitalvernichtung in Zypern

Jetzt kommen wir noch mal zur Situation des Euro und der stark verschuldeten Länder mit den massiven Auswirkungen dieser Situation auch auf die Menschen dort. Zuletzt war das sowohl in seiner ökonomischen Bedeutung als auch seiner Größe sehr kleine Zypern auf einmal mitten in der Weltpolitik. Es führte letztendlich dazu, dass es erstmals wieder offene Kapitalvernichtung gab. Nach langen Diskussionen wurden die Konten ab 100.000 Euro – man kann sagen, wer 100.000 Euro hat, der ist bei uns der, der als allererster dazugehört, insofern trifft es jetzt nicht die Arbeiterklasse. Aber es ist von der Sache, der Qualität her ein besonderer Schritt gewesen.

Merkel und der damalige Finanzminister Steinbrück standen 2008 in einer riesigen Panik, keiner wusste, was kommt genau, wie geht das? Es gab keine Erfahrungen auf Seiten der Bourgeoisie, was überhaupt als nächstes passiert. Sie treten vor die Kameras, es war Sonntag abend, und sagen: »Die Spareinlagen sind sicher.« So wie Norbert Blüm zwanzig Jahre vorher sagte: »Die Renten sind sicher.« usw.

Die Spareinlagen sind jetzt nicht mehr sicher, jedenfalls nicht mehr in Zypern. Das ist das Neue, was wir in den anderen Ländern so bisher nicht gehabt haben. Und es wurde dann auch beschrieben, vom niederländischen Finanzminister: Wenn das wieder irgendwo passiert, muss Kapitalschnitt gemacht werden, dann muss ein Teil der Gelder gelöscht werden, und dann müssen die Leute, die dort ihr Geld angelegt haben, mit ihren Teil beitragen, und nicht immer nur der Steuerzahler. Das ist grundsätzlich eine Aussage, wo man sagen kann, das ist eigentlich ganz vernünftig. Wir wollen das ja eh alles auflösen, und insofern brauchen wir uns auch nicht um die zu kümmern, die 100.000 und mehr auf dem Konto haben, aber es ist trotzdem von der Entwicklung her bemerkenswert.

Letztendlich kann nämlich die Krise nur gelöst werden, wenn Kapitalvernichtung stattfindet, oder zumindest eine massive Kapitalentwertung. Überproduktion ist immer auch Überakkumulation, es gibt also zu viel Kapital, und das wird dadurch reduziert. Zypern ist da nur exemplarisch, ein kleiner Teil, hat keine gesamtökonomische Auswirkung, aber von dem Zeichen, in welche Richtung das am Ende gehen wird in irgendeiner Form, ist es deutlich.

Das ganze wurde mal wieder, wie bei Griechenland, verbunden mit massiver chauvinistischer Hetze gegen die russischen Oligarchen und Geldwäscher. Dagegen hat sich übrigens in einem bemerkenswerten Interview der zyprische Außenminister, also ein ganz normaler bürgerlicher Politiker, gewehrt. Er hat gesagt, wir seien mit dieser Beschreibung massiv geschädigt und beleidigt worden, gerade aus Deutschland, Zypern wäre die Geldwäschestation Russlands.

Deshalb: Schaut man sich die ganz offiziellen Zahlen an, sind aus Russland 20 Mrd. Euro in Zypern angelegt gewesen, und die deutschen Banken hatten nur zu dem Zeitpunkt, nachdem sie die letzten Jahre schon einiges dort abgezogen hatten, immer noch 6 Mrd. Euro angelegt. Allein die Relation zeigt schon, dass die Behauptung bewusst gesteuert war und eine bewusste Zielsetzung hatte.

Als nächstes wurde dann lang hin und her verhandelt. Die erste Forderung der EU wollte Zypern nicht akzeptieren und hat sie nicht eingelöst, das Parlament hat sich dagegen gewandt, denn am Anfang sollten auch die Kleinsparer geschröpft werden, sollte da auch Geld gestrichen werden. Und dann gab es den Versuch (so wurde es jedenfalls dargestellt), Richtung Russland zu gehen, dort zu verhandeln und eventuell dort noch eine Lösungsmöglichkeit oder neue Kredite zu bekommen. Das wurde in hiesigen Medien ziemlich böse kommentiert, nach dem Motto: Sie fügen sich nicht den Regeln in der EU und gehen jetzt nach Russland. Und in diesem Interview sagt der Außenminister ganz klar: Das war eine Forderung insbesondere Schäubles, Russland einzubeziehen. Alles, was da ökonomisch passiert, wird noch einmal politisch entsprechend verarbeitet.

Die deutschen Banken verloren dabei auch. Nachdem sie vorher gesagt haben, das sind ja alles diese russischen Geldwäscher dort, können sie jetzt schlecht sagen, jetzt wollen wir es noch mal anders haben. Anfangs war es gestaffelt, die kleinen Sparbücher zu 4%, da gingen verschiedene Zahlen herum, und die großen dann 10% oder 15%, und nach dieser Verhandlung über 2 Wochen wurde gesagt: Die kleinen nicht, und die großen ab 100.000 Euro mit 30-40%, also massiv.

Damit waren auch deutsche Banken getroffen, nur konnten sie dann nur noch hinter den Türen etwas machen, sonst hätten sie das zugeben müssen. Da hatte sich ein Widerspruch ergeben, der nicht mehr zu lösen war. Dann haben sie wahrscheinlich das meiste schon abgeschrieben gehabt, und dann haben sie das halt gefressen. Sie hatten vor 3 Jahren deutlich mehr Gelder dort, die sie zurückzuziehen versucht haben, was zur Verschärfung der Lage beitrug. Diese ganze Entwicklung in Zypern ist auch eine Folge gewesen von der Entwicklung in Griechenland, mit dem Zypern ökonomisch eng verbunden ist, so dass Zypern wie ein Dominostein mitgefallen ist.

Zur Gründung der »Alternative für Deutschland«

Eine neue politische Entwicklung in Deutschland, über die sich gewiss trefflicher streiten lässt als über diese Zahlen, über die man immer schlecht streiten kann, ist die Gründung der »Alternative für Deutschland« in Berlin. Diese Partei sollte sehr genau beobachtet werden.

Es gab schon vorher Kräfte, die schon immer gegen den Euro agiert und agitiert haben. Das waren überwiegend offen faschistische oder rechtspopulistische Kräfte. Das gab es immer mal wieder, Brunner schon vor Jahren, Leute, die immer pauschal gegen den Euro waren.

Die AfD hat ihr Programm auch in der Form, dass sie gegen den Euro ist. Aber sie kommt anders daher und hat eine andere Zusammensetzung. Denn sie setzt sich zusammen zum großen Teil aus ehemaligen Leuten der CDU und FDP. Das heißt erst mal nicht viel. Die könnten sich auch eines Tages bei den Faschisten sammeln, aber sie agieren genau in diesem Revier. Sie äußern sich nicht beweisbar rechtsradikal, und sie sind nach meinem Eindruck keine faschistische Kraft.

Es gibt natürlich auch bei dieser AfD einzelne NPDler oder so, aber mit allem, was sie im Programm haben, haben sie mehr als jeder andere vorher darauf geachtet, dass da nichts ist, was man ihnen anhängen kann. Sie bewegen sich als »Experten«, haben sehr viele Akademiker und Professoren mit drin, die sagen, wir sind die Fachleute, wir wissen, wie das geht. Das ist eine andere Kraft, und die ist gerade dadurch momentan gefährlicher als das, was da bisher auf dem Schirm war. Und sie hat gute Chancen, in den Bundestag einzuziehen, was die Konstellation dort noch einmal verschieben könnte.

Das ist eine Oppositionskraft von rechts, die es so bisher nicht gab. Dass sie nicht beweisbar, offen faschistisch bzw. rechtspopulistisch auftreten, heißt nicht, dass sie nicht auf dem weiteren Weg eine gewisse Rolle spielen können.

Finanz- oder Spekulationskrise?

Wir waren schon mal bei dem Punkt: Deutschland als Industrieland. Ein weiterer, sicher auch in der Linken umstrittener Punkt ist die Frage: »Finanz- oder Spekulationskrise?« Auch da habe ich noch mal bei den Klassikern nachgeschaut. Lenin sagt im April 1921 (Werke, Bd. 32, S.371):

»Nebenbei. Als geringfügiger, aber dennoch bedeutungsvoller Umstand muss erwähnt werden, dass es notwendig ist, die Frage nach der Bekämpfung der Spekulation prinzipiell anders zu stellen. … Es ist … unmöglich, die Spekulation vom ›regulären‹ Handel zu unterscheiden, wenn man Spekulation im politisch-ökonomischen Sinn auffasst.«

Also es gibt keine Trennung von Spekulation und gerechtem Handel, von gutem und schlechtem Kapitalismus oder so, sondern es gibt nur:

»Freiheit des Handels ist Kapitalismus, Kapitalismus ist Spekulation. Davor die Augen zu verschließen wäre lächerlich.« (ebenda)

Wenn man das nicht so sieht und die Spekulation in den Mittelpunkt stellt, wie es einige Kräfte leider tun, dann bleibt das im Ergebnis hinkend und verkehrt, weil man an dem Wesentlichen vorbeigeht, wenn man die Spekulation verbieten bzw. einschränken oder abschaffen will, weil man die Augen verschließt vor der entscheidenden Frage, so schwierig sie sein mag, wie wir jetzt damit umgehen, in diesem Industrieland eine entsprechende Entwicklung zu versuchen.

Kapitalismus ist immer Spekulation. Den Begriff muss man auch weiter fassen. Auch wenn der Kapitalist eine Maschine kauft, spekuliert er auch, nämlich darauf, dass er die Produkte, die er damit produziert, an diesen anarchischen, chaotischen Markt, der morgen schon wieder anders ist, verkaufen kann. Auch wenn jemand »ganz grundsolide« ein Haus baut und das vermietet, der spekuliert, der spekuliert darauf, dass er Mieter hat, die Miete bezahlen und demnächst am besten noch ein bisschen mehr, wenn die Inflation um sich greift oder so. Das ist alles Spekulation, das steckt für mich da drin, in dem Satz, und ich denke, so müsste man versuchen, die Beschreibung auf die Füße zu stellen.

Das wäre aus meiner Sicht erst mal ein kleiner Galopp durch einige Aspekte der aktuellen ökonomischen Lage. Jetzt können wir in die Diskussion gehen.