Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Die Friedensillusion. Vom »Ultraimperialismus« zum »globalen Kapitalismus«

Erika Wehling-Pangerl, Kommunistische Arbeiterzeitung

Mai 2013

Kann es einen Weltkrieg in der heutigen Zeit noch geben? Einen dritten Weltkrieg, einen Krieg zwischen imperialistischen Ländern?

Was ist überhaupt Imperialismus?

Lenin gab eine »Definition des Imperialismus«: »1. Konzentration der Produktion und des Kapitals, die eine so hohe Entwicklungsstufe erreicht hat, daß sie Monopole schafft, die im Wirtschaftsleben die entscheidende Rolle spielen; 2. Verschmelzung des Bankkapitals mit dem Industriekapital und Entstehung einer Finanzoligarchie auf der Basis dieses ›Finanzkapitals‹; 3. der Kapitalexport, zum Unterschied vom Warenexport, gewinnt besonders wichtige Bedeutung; 4. es bilden sich internationale monopolistische Kapitalistenverbände, die die Welt unter sich teilen, und 5. die territoriale Aufteilung der Erde unter die kapitalistischen Großmächte ist beendet. Der Imperialismus ist der Kapitalismus auf jener Entwicklungsstufe, wo die Herrschaft der Monopole und des Finanzkapitals sich herausgebildet, der Kapitalexport hervorragende Bedeutung gewonnen, die Aufteilung der Welt durch die internationalen Trusts begonnen hat und die Aufteilung des gesamten Territoriums der Erde durch die größten kapitalistischen Länder abgeschlossen ist.«1

Kann es einen 3.Weltkrieg geben? Lenins Antwort steht in diesem Buch.

Über den Platz des Imperialismus in der Geschichte – d.h. wo kommt er her, wo steht er heute und wo geht er hin – schreibt Lenin:

»Das Monopol ist aus Konzentration der Produktion auf einer sehr hohen Stufe der Entwicklung erwachsen. Das sind die Monopolverbände der Kapitalisten, die Kartelle, Syndikate und Trusts.«

»Die Monopole haben in verstärktem Maße zur Besitzergreifung der wichtigsten Rohstoffquellen geführt […]. Die monopolistische Beherrschung der wichtigsten Rohstoffquellen hat die Macht des Großkapitals ungeheuer gesteigert.« »Das Monopol ist aus den Banken erwachsen. Diese haben sich aus bescheidenen Vermittlungsunternehmungen zu Monopolisten des Finanzkapitals gewandelt. 3 bis 5 Großbanken einer beliebigen der kapitalistisch fortgeschrittensten Nationen haben zwischen Industrie- und Bankkapital eine ›Personalunion‹ hergestellt und in ihrer Hand die Verfügungsgewalt über Milliarden und Abermilliarden konzentriert, die den größten Teil der Kapitalien und der Geldeinkünfte des ganzen Landes ausmachen. Eine Finanzoligarchie, die ein dichtes Netz von Abhängigkeitsverhältnissen über ausnahmslos alle ökonomischen und politischen Institutionen der modernen bürgerlichen Gesellschaft spannt: das ist die krasseste Erscheinungsform dieses Monopols.« »Das Monopol ist aus der Kolonialpolitik erwachsen. Den zahlreichen ›alten‹ Motiven der Kolonialpolitik fügte das Finanzkapital noch den Kampf um Rohstoffquellen hinzu, um Kapitalexport, um ›Einflusssphären‹ – d.h. um Sphären für gewinnbringende Geschäfte, Konzessionen, Monopolprofite usw. – und schließlich um das Wirtschaftsgebiet überhaupt.«2

Weiter führt Lenin aus, dass »die Verschärfung der Gegensätze« die »mächtigste Triebkraft der geschichtlichen Übergangsperiode« ist, »die mit dem endgültigen Sieg des internationalen Finanzkapitals ihren Anfang genommen hat.«3 Der Imperialismus ist parasitärer, in Fäulnis begriffener Kapitalismus.4 Der Kapitalismus wächst immer schneller, aber das Wachstum wird immer ungleichmäßiger.5 Durch die Bestechung einzelner Schichten der Arbeiter sichert das Finanzkapital seine Herrschaft. Schnelles Wachstum des Opportunismus ist »keineswegs eine Garantie für seinen dauernden Sieg, wie auch die schnelle Entwicklung eines bösartigen Geschwürs an einem gesunden Organismus nur das Aufbrechen des Geschwürs, die Befreiung des Organismus von diesem beschleunigen kann«.6 Der Imperialismus ist ein Übergangskapitalismus, ein sterbender Kapitalismus.7

Es handelt sich um einen gigantischen Fortschritt bei der Vergesellschaftung der Produktion8 bei weiterhin privater Aneignung. Lenin dazu: »Wenn aus einem Großbetrieb ein Mammutbetrieb wird, der planmäßig, auf Grund genau errechneter Massendaten, die Lieferung des ursprünglichen Rohmaterials im Umfang von zwei Dritteln oder drei Vierteln des gesamten Bedarfs für Dutzende von Millionen der Bevölkerung organisiert; wenn die Beförderung dieses Rohstoffs nach den geeignetsten Produktionsstätten, die mitunter Hunderte und Tausende Meilen voneinander entfernt sind, systematisch organisiert wird; wenn von einer Zentralstelle aus alle aufeinanderfolgenden Stadien der Verarbeitung des Materials bis zur Herstellung der verschiedenartigsten Fertigprodukte geregelt werden; wenn die Verteilung dieser Produkte auf Dutzende und Hunderte von Millionen Konsumenten nach einem einzigen Plan geschieht (Petroleumabsatz in Amerika wie in Deutschland durch den amerikanischen ›Petroleumtrust‹) – dann wird es offensichtlich, dass wir es mit einer Vergesellschaftung der Produktion zu tun haben und durchaus nicht mit einer bloßen ›Verflechtung‹; dass privatwirtschaftliche und Privateigentumsverhältnisse eine Hülle darstellen, die dem Inhalt bereits nicht mehr entspricht und die daher unvermeidlich in Fäulnis übergehen muss, wenn ihre Beseitigung künstlich verzögert wird, eine Hülle, die sich zwar verhältnismäßig lange in diesem Fäulniszustand halten kann (wenn schlimmstenfalls die Gesundung von dem opportunistischen Geschwür auf sich warten lassen sollte), die aber dennoch unvermeidlich beseitigt werden wird.«9

Es geht also nicht nur um die Widersprüche des Imperialismus, sondern durch das Monopol auch um die materielle Vorbereitung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Solange das aber nicht erreicht ist, solange, wie Lenin sagt, »das Privateigentum an den Produktionsmitteln besteht, (sind) imperialistische Kriege absolut unvermeidlich«10.

Und warum ist das so? Dazu Lenin: »Es fragt sich, welches andere Mittel konnte es auf dem Boden des Kapitalismus geben außer dem Krieg, um das Missverhältnis zwischen der Entwicklung der Produktivkräfte und der Akkumulation des Kapitals einerseits und der Verteilung der Kolonien und der ›Einflusssphären‹ des Finanzkapitals anderseits zu beseitigen?«11 Das ist also der Widerspruch, um den es in imperialistischen Kriegen geht. Er äußert sich z. B. in dem permanenten Problem des deutschen Imperialismus, das F.J.Strauß einmal so benannte, dass der ökonomische Riese Deutschland kein politischer Zwerg bleiben dürfe.

Diese zwischenimperialistischen Widersprüche haben sich enorm verschärft, als ein großer Teil des gemeinsamen Feindes der Imperialisten, der Sozialismus in Europa, weggefallen war. Zugleich hatte der deutsche Imperialismus sein Territorium vergrößert durch Einverleibung der DDR. Die Karten wurden völlig neu gemischt, in Europa und im Verhältnis zum US-Imperialismus.

Das sind also die Konstellationen, die den imperialistischen Krieg hervorbringen. Und nun zu der Friedensillusion, bei deren Schilderung im Folgenden weitgehend (bis auf eine Ausnahme bei einem längeren Zitat) auf die Nennung von Namen der Urheber irgendwelcher Theorien verzichtet wird. Der Grund ist, dass es in der heutigen sehr zersplitterten Situation der Kommunisten und der gesamten Linken in der Regel nicht gerade günstig ist, einzelne Personen herauszustellen, da die dahintersteckenden Ideologien sich auf sehr breite Kreise verteilen und Angriffe auf einzelne Personen oder Organisationen in den heutigen Auseinandersetzungen eher von der Sache ablenken, als dass sie ihr nützen. Die Begrifflichkeiten der heutigen Friedensillusionen sind etwas verwirrend, und die verschiedenen Vertreter dieser »Theorien« sich wohl selber nicht ganz einig. So gibt es zum Beispiel bei einem Autor die Unterscheidung zwischen globalem Kapitalismus, der offenbar alles umfasst, während der kollektive Imperialismus als Hauptkomponenten die USA, die EU und Japan umfasst. Im Ergebnis ist das allerdings kein großer Unterschied.

Kautskys Friedensillusion

Die sogenannte Ultraimperialismus-Theorie wurde im 1. Weltkrieg populär, auch unter Linken. Sie besagt, dass die Entwicklung zu weltweiten Kartellen und Trusts zu einer friedlichen Entwicklung des Imperialismus führen wird. Sie ist mit dem Namen Kautsky verbunden, wobei bürgerliche Schriftsteller dem Inhalt nach diese Gedanken schon Jahre vor dem 1. Weltkrieg entwickelt hatten. So hatte der britische Publizist J. A. Hobson 1902 geschrieben: »Das Christentum, das sich so auf wenige große föderative Reiche ausgebreitet hat, von denen jedes eine Reihe von unzivilisierten Kolonien und abhängigen Ländern beherrscht, erscheint vielen als höchst gesetzmäßige Entwicklung der Tendenzen der Gegenwart, und dazu als eine Entwicklung, die am ehesten einen dauernden Frieden auf der festen Grundlage des Interimperialismus erhoffen läßt.«12

Sehr ähnlich klingt das, was Kautsky dann im Jahr 1915 veröffentlicht hat: »… ob es nicht möglich sei, dass die jetzige imperialistische Politik durch eine neue, ultraimperialistische verdrängt werde, die an Stelle des Kampfes der nationalen Finanzkapitale untereinander die gemeinsame Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital setzte. Eine solche neue Phase des Kapitalismus ist jedenfalls denkbar. Ob auch realisierbar, das zu entscheiden fehlen noch die genügenden Voraussetzungen.«13

So sieht der ewige Frieden aus, wenn man ihn den Imperialisten überlässt.

Lenin hat diese Friedensillusion scharf kritisiert. Er schrieb: »Kautsky hat also Ultraimperialismus oder Überimperialismus das genannt, was Hobson 13 Jahre früher Interimperialismus oder Zwischenimperialismus nannte. Außer der Erfindung eines neuen hochgelahrten Wörtchens mittels Ersetzung einer lateinischen Vorsilbe durch eine andere besteht der Fortschritt des ›wissenschaftlichen‹ Denkens bei Kautsky nur in der Anmaßung, etwas als Marxismus auszugeben, was Hobson im Grunde genommen als Heuchelei englischer Pfaffen bezeichnet. Nach dem Burenkrieg war es für diesen hochehrwürdigen Stand ganz natürlich, seine Bemühungen hauptsächlich auf die Vertröstung der englischen Kleinbürger und Arbeiter zu richten, die in den südafrikanischen Schlachten nicht wenige Tote verloren hatten und die Sicherung der erhöhten Profite der englischen Finanzleute mit erhöhten Steuern bezahlen mussten. Und welche Vertröstung hätte besser sein können als die, dass der Imperialismus gar nicht so schlimm sei, dass er sich dem Inter- (oder Ultra-)imperialismus nähere, der dauernden Frieden zu gewährleisten imstande sei? Was immer auch die wohlgemeinten Absichten der englischen Pfaffen oder des süßlichen Kautsky sein mögen, der objektive, d. h. wirkliche soziale Sinn seiner ›Theorie‹ ist einzig und allein der: eine höchst reaktionäre Vertröstung der Massen auf die Möglichkeit eines dauernden Friedens im Kapitalismus, indem man die Aufmerksamkeit von den akuten Widersprüchen und akuten Problemen der Gegenwart ablenkt auf die verlogenen Perspektiven irgendeines angeblich neuen künftigen ›Ultraimperialismus‹. Betrug an den Massen und sonst absolut nichts ist der Inhalt von Kautskys ›marxistischer‹ Theorie.

In der Tat, es genügt, allgemein bekannte, unbestreitbare Tatsachen einander gegenüberzustellen, um sich davon zu überzeugen, wie verlogen die Perspektiven sind, die Kautsky den deutschen Arbeitern (und den Arbeitern aller Länder) weiszumachen sucht. Man nehme Indien, Indochina und China. Bekanntlich werden diese drei kolonialen und halbkolonialen Länder mit einer Bevölkerung von 600-700 Millionen Menschen vom Finanzkapital einiger imperialistischer Mächte – Englands, Frankreichs, Japans, der Vereinigten Staaten usw. – ausgebeutet. Angenommen, diese imperialistischen Staaten schlössen Bündnisse, ein Bündnis gegen ein anderes, um ihren Besitz, ihre Interessen und ›Einflusssphären‹ in den genannten asiatischen Staaten zu behaupten oder auszudehnen. Das wären ›interimperialistische‹ oder ›ultraimperialistische‹ Bündnisse. Angenommen, sämtliche imperialistischen Mächte schlössen ein Bündnis zur ›friedlichen‹ Aufteilung der genannten asiatischen Länder – das wäre ein ›international verbündetes Finanzkapital‹. Es gibt in der Geschichte des 20. Jahrhunderts faktische Beispiele eines derartigen Bündnisses, z.B. im Verhalten der Mächte zu China. Es fragt sich nun, ist die Annahme ›denkbar‹, dass beim Fortbestehen des Kapitalismus (und diese Bedingung setzt Kautsky gerade voraus) solche Bündnisse nicht kurzlebig wären, dass sie Reibungen, Konflikte und Kampf in jedweden und allen möglichen Formen ausschließen würden?

Es genügt, diese Frage klar zu stellen, um sie nicht anders als mit Nein zu beantworten. Denn unter dem Kapitalismus ist für die Aufteilung der Interessen- und Einflusssphären, der Kolonien usw. eine andere Grundlage als die Stärke der daran Beteiligten, ihre allgemeinwirtschaftliche, finanzielle, militärische und sonstige Stärke, nicht denkbar. Die Stärke der Beteiligten aber ändert sich ungleichmäßig, denn eine gleichmäßige Entwicklung der einzelnen Unternehmungen, Trusts, Industriezweige und Länder kann es unter dem Kapitalismus nicht geben. Vor einem halben Jahrhundert war Deutschland, wenn man seine kapitalistische Macht mit der des damaligen Englands vergleicht, eine klägliche Null; ebenso Japan im Vergleich zu Rußland. Ist die Annahme ›denkbar‹, dass das Kräfteverhältnis zwischen den imperialistischen Mächten nach zehn, zwanzig Jahren unverändert geblieben sein wird? Das ist absolut undenkbar.

›Interimperialistische‹ oder ›ultraimperialistische‹ Bündnisse sind daher in der kapitalistischen Wirklichkeit, und nicht in der banalen Spießerphantasie englischer Pfaffen oder des deutschen ›Marxisten‹ Kautsky, notwendigerweise nur ›Atempausen‹ zwischen Kriegen – gleichviel, in welcher Form diese Bündnisse geschlossen werden, ob in der Form einer imperialistischen Koalition gegen eine andere oder in der Form eines allgemeinen Bündnisses aller imperialistischen Mächte. Friedliche Bündnisse bereiten Kriege vor und wachsen ihrerseits aus Kriegen hervor, bedingen sich gegenseitig, erzeugen einen Wechsel der Formen friedlichen und nicht friedlichen Kampfes auf ein und demselben Boden imperialistischer Zusammenhänge und Wechselbeziehungen der Weltwirtschaft und der Weltpolitik. Der neunmalweise Kautsky aber trennt, um die Arbeiter zu beschwichtigen und sie mit den zur Bourgeoisie übergegangenen Sozialchauvinisten auszusöhnen, ein Glied der einheitlichen Kette vom anderen, trennt das heutige friedliche (und ultraimperialistische, ja sogar ultra-ultraimperialistische) Bündnis aller Mächte zur ›Befriedung‹ Chinas (man denke an die Niederwerfung des Boxeraufstands) von dem morgigen nicht friedlichen Konflikt, der übermorgen wiederum ein ›friedliches‹ allgemeines Bündnis zur Aufteilung, sagen wir, der Türkei vorbereitet, usw.usf. Statt des lebendigen Zusammenhangs zwischen den Perioden des imperialistischen Friedens und den Perioden imperialistischer Kriege präsentiert Kautsky den Arbeitern eine tote Abstraktion, um sie mit ihren toten Führern auszusöhnen.«14

Ein Bestandteil der Ultraimperialismus-Theorie ist der Trugschluss, dass die Imperialisten hauptsächlich unentwickelte Länder annektieren, so dass eine friedliche Phase der »gemeinsamen Ausbeutung der Welt durch das international verbündete Finanzkapital« der kriegerischen Auseinandersetzung folgen kann. Lenin dazu:

»Für den Imperialismus ist gerade das Bestreben charakteristisch, nicht nur agrarische Gebiete, sondern sogar höchst entwickelte Industriegebiete zu annektieren (Deutschlands Gelüste auf Belgien, Frankreichs auf Lothringen), denn 1. zwingt die abgeschlossene Aufteilung der Erde, bei einer Neuaufteilung die Hand nach jedem beliebigen Land auszustrecken, und 2. ist für den Imperialismus wesentlich der Wettkampf einiger Großmächte in ihrem Streben nach Hegemonie, d. h. nach der Eroberung von Ländern, nicht so sehr direkt für sich als vielmehr zur Schwächung des Gegners und Untergrabung seiner Hegemonie (für Deutschland ist Belgien von besonderer Wichtigkeit als Stützpunkt gegen England; für England Bagdad als Stützpunkt gegen Deutschland usw.)«.15

Die Annexionen sind also ein Kampfmittel der Imperialisten untereinander, sie dienen nicht der Abschwächung, sondern der Verschärfung der Widersprüche. Denken wir nur an die Monate, in denen die Einverleibung der DDR international vorbereitet wurde: Die USA halfen dem deutschen Imperialismus, der britische Imperialismus versuchte das Ganze zu verhindern, der französische Imperialismus schwankte hin und her. Der deutsche Imperialismus spielte alle gegeneinander aus und erwies sich in den nächsten Jahren als äußerst undankbar gegenüber dem US-Imperialismus. Die zwischenimperialistischen Widersprüche verschärften sich drastisch. Dass diese Widersprüche innerhalb des Imperialismus letztlich nur durch Krieg gelöst werden können, stellt Lenin so dar: »Bieten uns die internationalen Kartelle, die Kautsky Keime des ›Ultraimperialismus‹ zu sein scheinen […], etwa nicht ein Beispiel der Aufteilung und Neuaufteilung der Welt, des Übergangs von friedlicher Aufteilung zu nicht friedlicher und umgekehrt? Nimmt das amerikanische und sonstige Finanzkapital, das bisher unter Beteiligung Deutschlands, sagen wir im internationalen Schienenkartell oder in dem internationalen Trust der Handelsschiffahrt, die ganze Welt friedlich aufgeteilt hat, jetzt etwa nicht eine Neuaufteilung der Welt auf Grund neuer Kräfteverhältnisse vor, die sich auf ganz und gar nicht friedlichem Wege verändert haben?

Das Finanzkapital und die Trusts schwächen die Unterschiede im Tempo des Wachstums der verschiedenen Teile der Weltwirtschaft nicht ab, sondern verstärken sie. Sobald sich aber die Kräfteverhältnisse geändert haben, wie können dann unter dem Kapitalismus die Gegensätze anders ausgetragen werden als durch Gewalt16

Die Friedensillusion heute

Die Ultraimperialismus-Theorie wird unter diesem Namen heute von niemandem von Bedeutung vertreten – sie ist in Verruf geraten. Aber sie hat – insbesondere seit der Niederlage des Sozialismus in Europa und der Einverleibung der DDR – Nachfolger in verschiedensten Variationen, sowohl aus der Feder bürgerlicher und kleinbürgerlicher Autoren als auch von Vertretern der Arbeiterbewegung. Die Schlagworte heißen »Globalisierung«, »globaler Kapitalismus«, »kollektiver Imperialismus«, die »transnationalen Konzerne« haben angeblich eine neue Dimension des Imperialismus geschaffen. Das »globale Dorf« ist die angeblich so friedliche Perspektive der großen Monopole. Die »Finanzmärkte«, das »vagabundierende Spekulationskapital«, das ist angeblich unser Problem, daher kommen die Krisen, nicht von der kapitalistischen Ausbeutung in ihrem letzten und blutigsten Stadium. Lenin hat Kautsky vorgeworfen, die Vaterlandsverteidiger der Sozialdemokratie zu schonen und zu decken. Ich meine, die heutigen Nachfolgeideologien sind noch weit schlimmer. Gerade in linken Kreisen grassiert die Ansicht, dass die imperialistischen Bösewichte dieser Welt in den USA sitzen, von denen die Hauptkriegsgefahr ausgeht, während alle anderen imperialistischen Mächte, einschließlich des deutschen Imperialismus, nichts zu sagen haben und sich dem unterordnen müssen. Kommt dazu noch ein Bedauern, dass die »Europäische Militärmacht« nicht gegen den US-Imperialismus vorgeht, dann sind wir bei den Vaterlandsverteidigern der rechten Sozialdemokratie, oder sogar schon einen Schritt weiter. Das ist eine Verschärfung gegenüber der Ultraimperialismus-Theorie, das ist Kriegsgeschrei gegen einen konkreten imperialistischen Gegner des deutschen Imperialismus. Besonders im Visier von Globalisierungsspezialisten sind die »Heuschrecken«, die »Spekulanten«, die »Finanzmärkte«. Es ist sogar die Rede davon, dass die Banken eine eigentliche, ursprüngliche Aufgabe hätten, nämlich die Wirtschaft mit Krediten zu versorgen, und dass man sie auf diese Aufgabe zurückführen müsse. Diese Ansichten sind reformistischer Unfug. Die Banken haben und hatten keine Aufgabe – genauso wie die Bankräuber keine ursprüngliche, eigentliche Aufgabe haben. Die Banken – in ihrer ganz ursprünglichen und angeblich so idyllischen Form – verleihen Geld, hauptsächlich an Kapitalisten, und bekommen dafür Zinsen. Diese Zinsen sind ein Teil des Mehrwerts, der aus den Arbeitern in der industriellen Produktion herausgepresst wurde. Die Arbeiter auszubeuten, hat niemand von den Banken verlangt, das hat ihnen niemand als Aufgabe gestellt, sondern Banken sind ebenso spontan entstanden wie industrielle Kapitalisten, die ebenfalls keine Aufgabe haben. Das hat niemand geplant und sich ausgedacht. Und der Satz im Grundgesetz »Eigentum verpflichtet« ist einfach nur unsinniges Erbe aus dem Feudalismus.

Die einzigen, die in der kapitalistischen Wirtschaft Aufgaben haben, sind die Arbeiter, denn sobald sie ihre Arbeitskraft verkauft haben, bekommen sie in der planmäßig organisierten Produktion, in der Fabrik, Aufgaben gestellt. Dort wird bereits gesellschaftlich produziert. Allerdings erfüllen diese Arbeiter keine Aufgaben für die gesamte Gesellschaft, sondern nur für die jeweiligen Ausbeuter, denen sie ihre Arbeitskraft verkauft haben. Sie arbeiten planmäßig zusammen wie im Sozialismus, arbeiten aber für Profit und Krieg und gegen ihr eigenes Leben.

Eine antisemitische Entgleisung der Zeitung der IG Metall

Mit der dummen Anschauung, den Banken Böses zu unterstellen und sie zum Guten zurückführen zu wollen, hängt eine weitere Illusion zusammen. Man will die Verschmelzung von Bank- und Industriekapital zum Finanzkapital im Imperialismus nicht wahrhaben. Nicht das kapitalistische System, nicht der Imperialismus, nicht die Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft soll für die Krisen verantwortlich sein. Sondern Spekulanten, Finanzmärkte, Heuschrecken … Auf dieser Basis ist sogar schon die Zeitung der IG Metall antisemitisch entgleist, die ausländischen Heuschrecken wurden als Blutsauger dargestellt.17 Wobei das nicht die einzige antisemitische Entgleisung der »Globalisierungsgegner« war und ist. Bank- und Industriekapital konnte man – wie vorhin schon gesagt – auch im Frühkapitalismus nicht voneinander trennen, wegen ihrer Gemeinsamkeit der Aneignung des den Arbeitern abgepressten Mehrwerts. Im Imperialismus, unter der Bedingung der Verschmelzung von Bank- und Industriekapital, ist die Demagogie des guten schaffenden und bösen raffenden Kapitals so abstrus und wirklichkeitsfremd wie noch nie und wird eins der Bestandteile des Antisemitismus als ideologischem Auswuchs des Imperialismus.

Ebenso wie Kautsky sind Anhänger verschiedener Globalisierungs-Theorien der Meinung, dass die reichen Länder traut vereint – heute meistens unter Führung des US-Imperialismus – die armen Länder ausbeuten und mit Kriegen überziehen. Dabei sind gerade diese Kriege, die man als Kolonialkriege bezeichnen kann, heute ein ganz offensichtlicher Ausdruck der Verschärfung zwischenimperialistischer Widersprüche. Jugoslawien, Irak, Libyen, Syrien – überall in diesen Konflikten und Kriegen sehen wir diese Widersprüche aufbrechen, ob in militärischer oder diplomatischer (d.h. erpresserischer) Form. Die Aktivitäten des deutschen Imperialismus dabei sind deutlich sichtbar eigene, mal kriegerische, mal diplomatische, keinem anderen Imperialismus folgende, sondern solche, die für ihn im Kampf gegen die imperialistischen Konkurrenten am günstigsten sind. Gleichzeitig ist festzustellen, dass der Kapitalexport gerade nicht hauptsächlich in unterentwickelte, in Niedriglohnländer geht, sondern in Industrieländer, in imperialistische Zentren wie z.B. die USA. Der Kapitalexport ist Kampfmittel gegen die imperialistische Konkurrenz.

Neben den Globalisierungsgläubigen, die solche Vorgänge gar nicht zur Kenntnis nehmen, gibt es noch die Klügeren, die das bestätigen, aber auf ihre Weise interpretieren. Hier eine Kostprobe des indischen Publizisten Aijaz Ahmad (in den Marxistischen Blättern veröffentlicht): »Gegenseitige Durchdringung der nationalen Kapitale, besonders der Finanzkapitale, bedeutet gegenseitige ökonomische Abhängigkeit zwischen den hauptsächlichen kapitalistischen Staaten und Regionen; sie ist der Schlüssel zum Verständnis des ›Imperialismus unserer Zeit‹. Die Konkurrenz ist der ganzen Natur des kapitalistischen Staatensystems eigen; wir sind heute Zeuge davon, wie sich sogar der Euro als lebensfähige Währung neben dem Dollar zu etablieren sucht und die EU mit den USA um Märkte konkurriert. Diese ›Konkurrenz‹ aber hat keinesfalls den Rang einer ›Rivalität‹ im Leninschen Sinne, weil weder die gegenseitige Durchdringung der Volkswirtschaften noch die ungeheuerliche Diskrepanz in der jeweiligen militärischen Macht ›Rivalität‹ zu einer machbaren Option für die EU machen könnte.«18

Genau die gegenteilige Einschätzung äußerte übrigens im März 2013 der bis Anfang 2013 amtierende Chef der Euro-Gruppe, Jean-Claude Juncker: »Wer glaubt, dass sich die ewige Frage von Krieg und Frieden in Europa nie mehr stellt, könnte sich gewaltig irren. […] Mich frappiert die Erkenntnis, wie sehr sich die europäischen Verhältnisse im Jahr 2013 denen vor 100 Jahren ähneln. […] Ich sehe auffällige Parallelen, was die Sorglosigkeit betrifft. Viele haben im Jahr 1913 gedacht, es werde in Europa nie mehr Krieg geben. Die großen Mächte des Kontinents waren wirtschaftlich derart verflochten, dass die Auffassung weit verbreitet war, sie könnten sich militärische Auseinandersetzungen überhaupt nicht mehr leisten. Vor allem in West- und Nordeuropa herrschte eine satte Selbstzufriedenheit, die davon ausging, der Friede sei auf ewig gesichert.«19

Unter den NATO-Staaten gibt es krasse Widersprüche. Der Kampf gegen den Hauptfeind im eigenen Land wäre das Beste gegen die heutigen Kolonialkriege und einen drohenden Weltkrieg.

Bei dem geschickteren Vertreter der Friedensillusion Aijaz Ahmad spielt der Nationalstaat zwar noch eine Rolle, aber eine untergeordnete, zur Neuaufteilung der Welt soll er demnach nicht mehr notwendig sein. Viel drastischer kommt das bei manchen der plumperen Vertreter der Friedensillusion zum Ausdruck. Da wird ein »transnationaler Staat« beschworen, durch Unterordnung der Nationalstaaten unter die Gesamtinteressen der transnationalen Konzerne, wobei sich diese Konzerne den jeweils günstigsten Nationalstaat aussuchen, denn einem Nationalstaat zuzuordnen sind sie angeblich nicht mehr. Mit der angeblichen Bedeutungslosigkeit des Nationalstaats verschwindet natürlich auch die Arbeiterklasse mit ihrer revolutionären Bedeutung.

Zur Frage, wie es sich tatsächlich mit der Dialektik von weltweiter Expansion und Nationalstaaten verhält, hat eine Arbeitsgruppe der KAZ im Jahr 1998 gearbeitet (also noch vor sozialgrüner Bundesregierung und noch vor Jugoslawienkrieg ). In ihrer Analyse heißt es: »Mit der Zerschlagung der Sowjetunion und der damit folgenden (vorübergehenden?) Reduzierung des Rüstungssektors verstärkt sich der Druck der US-Monopole zur Wiedergutmachung verlorenen Terrains im ›zivilen‹ Bereich. Von daher bezeichnet das Schlagwort von der Globalisierung auch die Auseinandersetzung um die Neuaufteilung vor allem zwischen den USA, Japan und Deutschland, wobei die Auseinandersetzung um die Dominanz in Europa, in Russland mit den Nachfolgestaaten der UdSSR und um China mit dem pazifischen Raum geht. Während die Monopole über ihre eigene Nation hinauswachsen und sie sich dabei untertan machen, sie ausplündern und ruinieren und ihren Untergang in Kauf nehmen (wie es die deutschen Monopole im Hitlerfaschismus und 2. Weltkrieg unter Beweis gestellt haben), während die Monopole fremde Nationen sich abhängig machen, sie sogar an der kapitalistischen Entwicklung aus Konkurrenzgründen behindern, können sie die Form des Nationalstaats nicht überwinden. Sie benötigen den Staat, um die Arbeiterklasse und alle nichtmonopolistischen Klassen niederzuhalten bzw. für ihre Zwecke auszurichten. Und sie benötigen den Nationalstaat, um sich gegen den Zugriff anderer Monopole schützen zu können bzw. seine Kräfte für die Expansion gegen andere Monopole nutzbar zu machen.«20

Weiter heißt es dort: »Gerade die internationale Verflechtung, die Abhängigkeit der Monopole von ihren Engagements im Ausland schafft eben nicht nur scheinbar friedliche ökonomische Verbindungen, führt zu Kapitalanlagen, die von Ländern dringend angefordert werden, fördert Handel und Wandel, sondern bereitet das Konfliktpotential, das die Interessengegensätze von Klassen und Ländern zuspitzt bis zu gewaltsamen Konflikten. Und was heute unter dem Begriff Globalisierung als scheinbar friedliche ökonomische Durchdringung und mit kosmopolitischem Anstrich vonstatten geht, wird begleitet von unverhohlenem Nationalismus, wie er in der Parole vom ›Standort Deutschland‹ zum Ausdruck kommt. Und in diesem Widerspruch drückt sich nichts anderes aus als das Verhältnis der Monopolbourgeoisie zu Nation und Nationalstaat. Der Ausgangspunkt ist die monopolistische Expansion, die den Kosmopolitismus braucht, d.h. ungehinderten Zugang zu allen Profitquellen. Und sie braucht den Nationalismus, das Unterdrückungs- und Drohpotential des Nationalstaats, um dem kosmopolitischen Anspruch des Monopols, seinem Drang nach Weltbeherrschung Geltung zu verschaffen.«21 Woher kommen diese theoretisch verbrämten Friedensillusionen, und wohin führen sie?

Der äußere Schein und was tatsächlich dahinter steckt

Wenn Nachfolger der Ultraimperialismus-Theoretiker von »kollektivem Imperialismus« reden und damit die zwischenimperialistischen Widersprüche mildern und vergessen machen möchten, sind sie meilenweit entfernt von dem, was Lenin beschreibt, wenn er die Rolle der Banken bei der Entstehung des Imperialismus beschreibt: »Aus den zersplitterten Kapitalisten entsteht ein einziger kollektiver Kapitalist.«22 Überhaupt gestand Lenin den an die Ultraimperialismus-Theorie Glaubenden durchaus zu, dass sie die Erscheinungsformen erst mal richtig beschreiben. So schildert er selbst den weltweiten Konzentrationsprozess:

»Die Monopolverbände der Kapitalisten – die Kartelle, Syndikate und Trusts – teilen vor allem den ganzen Binnenmarkt unter sich auf, indem sie die Produktion des betreffenden Landes mehr oder weniger vollständig an sich reißen. Aber der Binnenmarkt hängt unter dem Kapitalismus untrennbar mit dem Außenmarkt zusammen. Der Kapitalismus hat längst den Weltmarkt geschaffen. Und in dem Maße, wie der Kapitalexport wuchs und die ausländischen und kolonialen Verbindungen und ›Einflusssphären‹ der riesigen Monopolverbände sich in jeder Weise erweiterten, kam es ›natürlicherweise‹ unter ihnen zu Abmachungen im Weltmaßstab, zur Bildung von internationalen Kartellen. Das ist eine neue Stufe der Weltkonzentration des Kapitals und der Produktion, eine unvergleichlich höhere Stufe als die vorangegangenen. Wir wollen sehen, wie dieses Übermonopol heranwächst.«23

Was ist nun mit diesem »Übermonopol«? Den Kautsky-Anhängern und sonstigen Reformisten sagte Lenin:

»Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Entwicklung in der Richtung auf einen einzigen, ausnahmslos alle Unternehmungen und ausnahmslos alle Staaten verschlingenden Welttrust verläuft. Doch diese Entwicklung erfolgt unter solchen Umständen, in einem solchen Tempo, unter solchen Widersprüchen, Konflikten und Erschütterungen – keineswegs nur ökonomischen, sondern auch politischen, nationalen usw.usf. –, dass notwendigerweise, bevor es zu einem einzigen Welttrust, zu einer ›ultraimperialistischen‹ Weltvereinigung der nationalen Finanzkapitale kommt, der Imperialismus unweigerlich bersten muss, dass der Kapitalismus in sein Gegenteil umschlagen wird.«24 Es hat eben nichts mit Wissenschaftlichkeit zu tun, wenn man dem Augenschein folgt und sich daraus eine friedliche Welt zusammenbaut. Wir haben es mit einer Welt des Klassenkampfes zu tun, des Kampfes gegen die letzte Ausbeuterordnung in der Geschichte, wir haben es mit der Ungleichzeitigkeit der Entwicklung auf der Welt zu tun, die sich mit dem Wachstum der Monopole, Kartelle, Trusts usw. verschärft. Eine gleichmäßige Entwicklung zum Welttrust zu prognostizieren, oder einen einzigen Imperialismus als Hauptfeind der Welt anzunehmen, heißt sich eine friedliche oder mit einfachen Mitteln – gemeinsam mit dem deutschen Imperialismus – friedlich zu machende Welt zusammenzuträumen. Eine wirkliche Globalisierung, die eine Welt, wird es nur unter der Bedingung geben, dass der Imperialismus weltweit gestürzt wird. Und da müssen wir, ob uns das gefällt oder nicht, im eigenen Land, beim deutschen Imperialismus anfangen.

Unter welchen Bedingungen entsteht die Friedensillusion, und wer ist ihr Träger?

Lenin stellte fest: »Da zu den politischen Besonderheiten des Imperialismus die Reaktion auf der ganzen Linie sowie die Verstärkung der nationalen Unterdrückung in Verbindung mit dem Druck der Finanzoligarchie und mit der Beseitigung der freien Konkurrenz gehören, so tritt mit Beginn des 20. Jahrhunderts in fast allen imperialistischen Ländern eine kleinbürgerlich-demokratische Opposition gegen den Imperialismus auf.«25

Es ist diese kleinbürgerlich-demokratische Opposition, die für die Arbeiterklasse ein wichtiger Bündnispartner im demokratisch-antifaschistischen Kampf ist. Sobald es aber um die Frage des Krieges und der Revolution geht, ist diese Opposition nur noch begrenzt an unserer Seite. Wir würden gern Seite an Seite mit allen friedliebenden Menschen um den Frieden, gegen den imperialistischen Krieg kämpfen. Aber den Frieden kann man nicht mit einer Friedensillusion erkämpfen. Eben darin besteht das Problem der heutigen Friedensbewegung. Die oben schon erwähnte KAZ-Arbeitsgruppe zur Globalisierung schrieb dazu: »Mit der Globalisierungsformel versucht die Monopolbourgeoisie das Kleinbürgertum vom Kampf gegen den Hauptfeind im eigenen Land abzuhalten (dabei wird auch an Losungen angeknüpft wie ›die eine Erde‹). Mit dem Nationalismus werden andere Teile des Kleinbürgertums auf den Nationalstaat gelenkt, der ihnen Schutz vor den Folgen des Ruins gewähren soll.«26 Und weiter heißt es in dem Artikel dieser Arbeitsgruppe, der wie gesagt vor dem Regierungsantritt der Schröder-Fischer Regierung geschrieben wurde: »Die kleinbürgerliche Demokratie, wie sie in der BRD nicht nur durch Bündnis 90/Die Grünen repräsentiert wird, will die Globalisierung ohne Klassen und hässliches nationalistisches Treiben, so wie sie den Frieden will ohne Waffen, die Demokratie als etwas reines über den Klassen stehendes, die Welt, die sich gefälligst nach höherer Vernunft zu drehen habe. Die Phrase vom ›globalen Dorf‹ scheint geradezu für sie gemacht zu sein. Jedem sein Häuschen, sein Feldchen, sein Gärtchen. Virtuell? Macht auch nichts! Da wird davon geredet, dass man/frau die Herausforderungen der Globalisierung annehmen müsse, aber ohne Eingriffe in das soziale Netz und umweltverträglich bitte. Dabei ist man beim Sparen schon lange potentiell ›regierungsfähig‹ – Konsumverzicht als Weltrettungskonzept. Es ist der Traum vom ›dritten Weg‹ zwischen dem der Bourgeoisie und dem des Proletariats, der immer im Graben zwischen den Klassen und deren konkreten Machtverhältnisse endet.«27 Die deutsche Protestbewegung gegen den US-Imperialismus, die Antiglobalisierungsbewegung – leider nur zu oft identisch mit der Friedensbewegung des demokratischen Kleinbürgertums – hat teilweise auch Einfluss in den Gewerkschaften, weil es Überschneidungen zwischen demokratischem Kleinbürgertum und linker Arbeiteraristokratie gibt.

Verzweiflung und kleinbürgerliche Totalverwirrung – die Gewerkschaften müssen erst wieder erobert werden!

Den Haupteinfluss in der Gewerkschaft hat natürlich die rechte Arbeiteraristokratie, die schon dafür verantwortlich war, die Arbeiter in den 1. Weltkrieg gegen ihre Klassenbrüder in den anderen Ländern zu hetzen. Bis heute kämpfen sie für die Verteidigung des Vaterlandes der Kapitalisten. Heute heißt das, wir müssen wettbewerbsfähig bleiben und deshalb verzichten, wir müssen die Rüstungsindustrie ankurbeln, wir müssen uns mit Kriegsminister und Bundeswehr verständigen etc. Aber gerade da, wo sich Arbeiter mit Recht von dieser Vaterlandsverteidigung abwenden, geraten sie nicht nur in die immer noch zu kleine Protestfront gegen die Kungelei des DGB mit der Bundeswehr. Sondern sie können auch vom rechten Regen in die linke Traufe geraten. Denn gegen den US-Imperialismus marschieren und gar noch kritisieren, dass die europäischen Armeen nicht gegen die USA kämpfen, das ist nun mal auch Vaterlandsverteidigung – wie sie jetzt noch nicht militärisch aktuell ist, aber schon in Reserve für den Ernstfall steht.

Die Angst vor Krieg und Revolution

Es fällt auf, dass die Friedensillusion ausgerechnet zu den Zeiten aufblüht, in denen sich die zwischenimperialistischen Widersprüche drastisch verschärfen. Zum Beispiel kurz vor und im 1. Weltkrieg, zum Beispiel nach der Niederlage des Sozialismus in Europa und der territorialen Vergrößerung des deutschen Imperialismus durch die Einverleibung der DDR. Das wirkt zunächst paradox, ist aber doch leicht zu verstehen, wenn man bedenkt, wie groß heute die Angst vor einem imperialistischen Krieg ist. Die Erinnerung an den zweiten Weltkrieg ist noch längst nicht ausgelöscht. Die Imperialisten waren – bei aller Konkurrenz und Rivalität – zwangsvereint im Ziel, den Sozialismus zu zerstören. Der deutsche Imperialismus erwartete zudem die Wiedereroberung verlorener Gebiete, und ordnete sich schon deshalb weitgehend dem US-Imperialismus unter. War dieser jahrzehntelange Hauch von Frieden nicht sehr angenehm für uns? Diese angenehme Erfahrung ist ein starker Grund, dass man einen imperialistischen Weltkrieg nicht wahrhaben will. Das trifft sowohl auf die arbeiteraristokratischen Vaterlandesverteidiger als auch das friedensbewegte demokratische Kleinbürgertum zu. Die Auseinandersetzung zwischen Lenin und Kautsky war während des 1. Weltkriegs, die Anschauung Kautskys und seiner Anhänger war zu der Zeit natürlich nicht von der Angst vor einem drohenden Krieg geprägt, dafür sehr wohl von der Angst, dass der Krieg länger dauern und blutiger und elender für Arbeiter und Soldaten würde als vorausgesagt. Eine jahrzehntelange Friedenserfahrung in Deutschland – 1871 bis 1914 – hat sicherlich auch damals die Friedensillusion gefördert.

Die Revolution verhindert den imperialistischen Krieg, oder der imperialistische Krieg bringt die Revolution hervor

Die Angst vor dem Krieg ist verbunden mit der Angst vor der Revolution. Die Revolution verhindert den imperialistischen Krieg oder der imperialistische Krieg bringt die Revolution hervor. Realität geworden ist bisher in der Geschichte nur der zweite Teil dieses Satzes – der Krieg bringt die Revolution hervor (es gibt einzelne Ausnahmen wie Kuba). Wir müssen zwar für den ersten Teil – die Revolution verhindert den Krieg – kämpfen, aber wir wissen alle, dass die Prognose zur Zeit alles andere als günstig ist. Wir müssen uns also auch und gerade auf Teil zwei – der Krieg bringt die Revolution hervor – ernsthaft einstellen. Das ist die Alternative zur Friedensillusion. »Es ist längst anerkannt«, sagte Lenin, »dass Kriege bei allen Schrecken und Nöten, die sie nach sich ziehen, mehr oder minder großen Nutzen dadurch bringen, dass sie viel Morsches, Überlebtes und Abgestorbenes in den menschlichen Institutionen unbarmherzig aufdecken, enthüllen und zerstören.«28

Wie können und sollen wir heute gegen die Friedensillusion kämpfen?

Aus dem bis hier Ausgeführten ergibt sich: Das demokratische Kleinbürgertum ist ein wichtiger Bündnispartner für den demokratisch-antifaschistischen Kampf, und dieser Kampf ist wichtig, um die Arbeiterklasse an die Revolution heranzuführen. Sobald es sich aber um weitergehende Fragen handelt – die Frage der Entwicklung der Produktivkräfte, des Krieges, der Revolution – finden wir beim Kleinbürgertum mehr Friedensillusionen und sonstige kleinbürgerlich-idyllische, vorkapitalistische Anschauungen, als Hilfe im Kampf.

Die zwischenimperialistischen Beziehungen in Schieflage

Unser Hauptadressat in der politischen Arbeit muss die Arbeiterklasse sein, nur sie wird imstande sein, im Fall eines imperialistischen Weltkrieges – wenn er nicht verhindert werden kann – die Gunst der Stunde für den Sturz des deutschen Imperialismus zu nutzen. Jeder Streik, jede kleine Form des Widerstands im Betrieb kann ein Hebel zur Organisierung werden, kann ein Anfang sein, Sand ins Getriebe von Ausbeutung und Krieg zu schütten und die Arbeiterklasse zu stärken. Bei den Arbeitern muss in erster Linie gegen Vaterlandsverteidigung gekämpft werden, die sich vor allem in Standortlogik und Demagogie von Wettbewerbsfähigkeit äußert. Das erfordert oft einen gegen die Gewerkschaftsführung gerichteten Kampf, einen Kampf um die Gewerkschaften.

Die Arbeiterklasse hat kein Interesse, gegen eine Globalisierung zu kämpfen – ganz im Gegenteil. Unser Ziel ist eine klassenlose Welt. Und die Imperialisten sind die größten Globalisierungsgegner.

Gleichzeitig hat die Arbeiterklasse kein Interesse an der Leugnung der Nationalstaaten. In dem 1998 veröffentlichten Artikel der KAZ-Arbeitsgruppe zur Globalisierung heißt es dazu: »Die Arbeiterklasse darf die Nation als Kampfboden nicht aufgeben, wie es die Globalisierungsapostel suggerieren.« (Gleichzeitig müssen wir berücksichtigen, dass die Nation in unserem Land aufgrund der Kompliziertheit infolge der Annexion der DDR durch die BRD kein klar definierter Begriff ist. Hier besteht noch Klärungsbedarf.) »Mit der Globalisierung wollen sie uns ins politische Niemandsland schicken. Da soll kein Siemens mehr verantwortlich und haftbar gemacht werden für Entlassungen, Stilllegungen und Verlagerungen und kein Kohl mehr für Sozialraub und Steuerlast. Was sich daraus ergibt, mag nicht neu sein. Es ist nur so richtig, wie es 1915 in einem illegalen Flugblatt des Spartakusbundes, von Liebknecht verfasst, heißt: ›Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus. Der Hauptfeind steht im eigenen Land.‹

Der Hauptfeind steht im eigenen Land!

Das ist die Antwort auf kapitalistische Globalisierung und Weltherrschaftsgelüste. Das ist der tiefe Ausdruck des proletarischen Internationalismus, der sich nicht gegen andere Völker und andere Klassengenossen hetzen lässt, sondern sich gegen den weltweit verbundenen Klassenfeind dort wendet, wo er seiner habhaft werden kann – im eigenen Land, im eigenen Betrieb. Und Liebknecht ist deshalb richtig – das haben wir versucht, in diesem Beitrag aufzuzeigen –, weil sich am Wesen des deutschen Imperialismus nichts geändert hat, sondern es gerade durch ›Globalisierung‹ von neuem und aggressiv bestätigt wird.«29


  1. Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd.22, S.270f. Dieses Buch wurde 1916 geschrieben. Natürlich sind da sozialistische Länder noch nicht dabei. Und das ist auch erst mal eine nur ökonomische Definition. Lenin selbst sagte dazu, solche Definitionen sind unzureichend, aber auch nützlich (und als nützlich hat sich diese Definition auch erwiesen). 

  2. ebenda, S.304 f. 

  3. ebenda 

  4. ebenda 

  5. ebenda, S.306 

  6. ebenda, S.306 f. 

  7. ebenda, S.307 

  8. ebenda, S.308 

  9. ebenda 

  10. ebenda, S.194 

  11. ebenda, S.280, Hervorhebung von Lenin 

  12. zitiert nach Lenin, Imperialismus, a.a.O., S.299 

  13. ebenda 

  14. ebenda, S.299ff., Hervorhebungen von Lenin 

  15. ebenda, S.273, Hervorhebungen von Lenin 

  16. ebenda, S.278, Hervorhebungen von Lenin 

  17. IG Metall, metall – Das Monatsmagazin, Ausgabe 5/2005 

  18. Aijaz Ahmad, Der Imperialismus unserer Zeit, New Delhi 2004, Übersetzung 

  19. Jürgen Köster, Essen o.J., in: Marxistische Blätter, Flugschriften 19, S.16 

  20. Spiegel vom 11.3.13, zitiert nach »Informations et Actualités du gouvernement luxembourgeois«, www.gouvernement.lu, KAZ 287, S.13 

  21. ebenda 

  22. Lenin, Imperialismus, a.a.O., S.218 

  23. ebenda, S.250 Lenin, Vorwort zu N. Bucharins Broschüre »Weltwirtschaft und Imperialismus«, 

  24. LW Bd.22, S.106, Hervorhebungen von Lenin 

  25. Lenin, Imperialismus, a.a.O., S.292 

  26. KAZ Nr.287, S.14 

  27. ebenda, S.14f. 

  28. Lenin, Der Zusammenbruch der II. Internationale, LW 21, S.200 

  29. KAZ 287, S.15