Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Kapitalstrategien des deutschen Imperialismus: Von der »Konzertierten Aktion« über das »Bündnis für Arbeit« zur »Agenda 2010«

Sabine Schnarren und Philip Steinhauer, Autoren

Mai 2012

Einleitung

Ausgangspunkt für alle Kampfmittel der Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse ist die Erhöhung der Profite und die Absicherung ihrer Herrschaft. Die im Folgenden angerissenen Maßnahmen zeichnen sich durch eine gewisse Programmatik und Inszenierung aus, die notwendig ist, um der Arbeiteraristokratie die Kollaboration zu ermöglichen und damit die Kampfkraft der Arbeiterklasse zu schwächen. Alle drei »Angriffspakete« zeichnen sich durch die verräterische Rolle der rechten Sozialdemokraten in den Gewerkschaften aus. Deren Opportunismus schwächt die Gewerkschaften als Arbeiterorganisationen und dezimiert das Klassenbewusstsein. Dass dennoch Kampfwille und Kampfkraft in der Arbeiterklasse vorhanden ist, den gerade die Schillers, Riesters und Zwickels einhegen wollen, zeigen auch die Reaktionen auf die Angriffe – bei all ihrer Unterschiedlichkeit. Abschließen wollen wir mit dem Hinweis auf die Notwendigkeit der Organisierung der Arbeiterklasse unter den gegebenen Bedingungen.

1. Die »konzertierte Aktion«

Die sogenannte »konzertierte Aktion« von 1967 war der erste größer angelegte Versuch, in der Bundesrepublik über »Spitzengespräche« ein Gremium zu etablieren, das in die Lohnpolitik eingreifen und die Gewerkschaften in den Staat des Monopolkapitals und seine Interessen einbinden sollte. Im Folgenden sollen in gebotener Kürze der ökonomische Hintergrund, die Konzeption und die Gesetze zur »konzertierten Aktion« sowie die Rolle der Gewerkschaften und Auswirkungen und Widerstand gegen die »konzertierte Aktion« dargestellt werden.

1957/58 kam es zu einer ersten Krise der Bundesrepublik – das Bruttosozialprodukt wuchs nur um 2,8% statt, wie im Jahr zuvor, um 5%. Ab 1960 stellte die Industrie von Erweiterungsinvestitionen auf Rationalisierungsinvestitionen um. Der Kapitaleinsatz pro Arbeitsplatz verdoppelte sich ab 1960. Die hohe Nachfrage nach Arbeitskräften ermöglichte den Gewerkschaften die Erkämpfung höherer Löhne und kürzerer Arbeitszeiten. Der Anteil der Einkommen aus unselbständiger Arbeit am Volkseinkommen, die sogenannte Lohnquote, erhöhte sich bis 1967 auf 67%. Die Krise von 1967 kündigte sich bereits zwei Jahre zuvor an, als die Auftragseingänge der Investitionsgüter-Industrie zurückgingen. Im Februar 1967 stieg die Arbeitslosigkeit auf 673 000 Erwerbslose. Das Wachstum des BSP ging um 0,2% zurück. Zu der zyklischen Krise kam verschärfend die Strukturkrise im Bergbau hinzu.

Die höhere organische Zusammensetzung des Kapitals und die gleichzeitige relative Steigerung der Löhne schmälerten die Profitraten. Der 1964 per Gesetz installierte »Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Lage« prognostizierte in seinem Jahresgutachten von 1964, dass »das Wachstum des Inlandsprodukts allein durch Umstände, die die Arbeitsproduktivität erhöhen, bestimmt wird«. Zu diesen gehören »größerer Kapitaleinsatz je Arbeitsplatz, technischer und organisatorischer Fortschritt, […] erhöhte Intensität der Arbeitsleistung«. Die Arbeitsproduktivität musste also gesteigert werden, unter anderem, um sich gegenüber den USA behaupten zu können bzw. auch ihnen gegenüber einen Handelsüberschuss zu erzielen. Die Steigerung der Produktivität ist immer das Ziel des Kapitals. Je höher dabei aber der Anteil des konstanten Kapitals wird, desto stärker ist die Tendenz der Profitraten, zu sinken. Deshalb müssen die Profite auch durch eine Herabsenkung der Löhne gesteigert werden. Die Krise von 1967 diente als Druckmittel, um entsprechende, bereits seit längerem geplante Maßnahmen durchsetzen zu können.

Karl Blessing, ehemaliger faschistischer Wehrwirtschaftsführer und Großvater des heutigen Commerzbank-Chefs Martin Blessing, forderte 1961 in seiner Funktion als Bundesbankpräsident Lohnleitlinien und volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen, die der Öffentlichkeit vor Augen führen sollten, welche »nominalen Ansprüche an das Sozialprodukt« vertretbar seien. Diese sollten zur Vertrauenssteigerung von einem »neutralen Gutachtergremium« verkündet werden. Damit war die Konzeption für »versachlichte« Lohnleitlinien und die »konzertierte Aktion« vorgegeben.

Die Regierung des langjährigen Wirtschaftsministers und späteren Kanzlers Ludwig Erhard (CDU) versuchte die Umsetzung vorerst über den offen autoritären Weg mit der »formierten Gesellschaft«, die die Gruppeninteressen ausschalten sollte. Damit waren die Gewerkschaften gemeint, die als »innere Bedrohung« gebrandmarkt wurden. Noch unter der Regierung Erhard wurde das »Gesetz zum Sachverständigenrat« verabschiedet. Dieser ist heute als die »fünf Weisen« bekannt und gibt mit seinem Jahresgutachten die Interessen des Monopolkapitals an die Regierung zur Umsetzung weiter, genießt dabei aber den Nimbus des Wissenschaftlichen und scheinbar Neutralen. Mit dem Sachverständigenrat wurde auch das »magische Viereck« erfunden – bestehend aus Preisstabilität, hohem Beschäftigungsgrad, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und stetigem Wirtschaftswachstum. Im Mittelpunkt steht dabei die Preisstabilität, die sogar im Grundgesetz verankert wurde. Im »Stabilitäts- und Wachstumsgesetz« von 1967 wurde dieses magische, weil nie erreichbare, aber vernebelnde Viereck aufgegriffen, und für den Krisenfall sollte eine »konzertierte Aktion« der Gebietskörperschaften, Gewerkschaften und Unternehmensverbände dieses Viereck wiederherstellen.

Dazu sollten sogenannte »Orientierungsdaten« dienen, die unter anderem den »Spielraum« für stabilitätskonforme Lohnerhöhungen vorgaben. Karl Schiller, ab 1966 SPD-Wirtschaftsminister, setzte sein Konzept der »mündigen Gesellschaft« durch, das dieselben Ziele wie Erhards »formierte Gesellschaft« verfolgte, aber auf »Überzeugung« statt auf Zwang setzte und dabei die Spitzen der DGB-Gewerkschaften, die größtenteils SPD-Mitglieder waren, einbinden konnte. Auch er hatte übrigens schon Erfahrungen in der Umsetzung der Kapitalinteressen gesammelt, als er im Faschismus die Pläne zum Raubbau von Rohstoffen und Produktionsmitteln in den von der Wehrmacht annektierten Gebiete, insbesondere Griechenland, entwickelte.

Die Rolle der Gewerkschaften war widersprüchlich. Zum einen waren sie als die größten legalen Arbeiterorganisationen in der westdeutschen Bundesrepublik wichtige Sammelpunkte des demokratischen Volkswiderstands gegen die Allmacht der Monopole. Zum anderen war ihre Führung antikommunistisch und grundsätzlich bereit, im Staate BRD mitzuwirken. Die ideologische Grundlage zur Integration in den Staat des Monopolkapitals war das Konzept der »Wirtschaftsdemokratie«. In der Weimarer Republik als Gegenkonzept zum Klassenkampf entworfen, forderte es Mitbestimmung der Gewerkschaften in der Wirtschaftspolitik und Planung der Wirtschaftsabläufe bei Beibehaltung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der marktwirtschaftlichen Ordnung. Dieses Konzept wurde bei Gründung des DGB 1949 und in seinem Grundsatzprogramm von 1963 fortgesetzt. Schiller wusste diese illusorische Konzeption zu nutzen, verband sie mit dem Kern der »formierten Gesellschaft« und erreichte damit die enge Bindung der Gewerkschaftsspitzen an die Interessen des Kapitals und die Institutionen seines Staates, die (in veränderter Form) bis heute existiert.

Von der »konzertierten Aktion« erhofften sich die Gewerkschaftsführer nun die Erfüllung ihres Grundsatzprogramms und auch mehr Einblick in die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen. Dies wurde aber von der Kapitalseite strikt abgelehnt. Eine gewisse Planung wollte auch das Monopolkapital, aber eben zu seinen Gunsten, nicht zu denen der Lohnarbeiter. Um die durchaus skeptischen Gewerkschaften zu locken, formulierte Schiller das Zauberwort der »sozialen Symmetrie«, die wenig Konkretes besagte, außer dass die Arbeiter jetzt den Gürtel enger schnallen müssten, um dann später ein größeres Stück vom Kuchen zu bekommen. Ein absichtlich schwammiger Begriff, in den jeder hineininterpretieren konnte, was er wollte, aber nichts von der Regierung fordern konnte.

Die Orientierungsdaten waren dagegen sehr genau – und zwar bis aufs Komma. So sollte der Eindruck der Wissenschaftlichkeit hergestellt werden. Die Gewerkschaftsführung betonte zwar immer wieder, keine Einschränkung der Tarifautonomie hinzunehmen. Die von der Regierung erstellten Daten waren dennoch nichts anderes als »freiwillige Lohnleitlinien«, denen sich die Gewerkschaften im Sinne der Stabilität zu fügen hätten. Und sie taten es auch. Zwischenzeitlich veröffentlichte der DGB zwar eigene Orientierungsdaten, zementierte damit aber nur das grundlegende Prinzip der »wachstumsfördernden Tarifpolitik«, die sich an Produktivitätszuwachs und Inflationsrate zu orientieren habe – und eben nicht in erster Linie an den Lebensinteressen der Lohnabhängigen.

Das funktionierte zum einen, weil die DGB-Führung an ihre eigenen Illusionen des Mitwirkens im Staat glaubte, zum anderen, weil sie die SPD stützen wollte, von der sie eine gewerkschaftsfreundlichere Politik erhoffte. CDU und CSU waren tatsächlich offen gewerkschaftsfeindlich – die SPD schaffte aber gerade über den sanften Weg die Etablierung von Lohnleitlinien. Das führte zu verstärkter Ablehnung und Kritik innerhalb der Gewerkschaftsgliederungen. Auf allen Gewerkschaftstagen mussten Anträge zur Beendigung der Teilnahme an der »konzertierten Aktion« über die Antragskommissionen abgewendet werden. Viele ehrenamtliche und hauptamtliche Funktionäre traten offen gegen die Veranstaltung auf, konnten sich aber nicht durchsetzen.

Das Ergebnis der »konzertierten Aktion« war ganz das von Regierung und Monopolkapital beabsichtigte. Der Sachverständigenrat kam in seinem Jahresgutachten von 1972 zu dem Ergebnis:

»Im Rahmen dieser Kommunikation kommen die Beteiligten nicht umhin, ihre eigenen konjunkturpolitischen Urteile und verteilungspolitischen Absichten zu begründen, was es ihnen schwerer macht, ökonomisch unhaltbare Forderungen zu stellen.«

Es muss nicht hinzugefügt werden, dass mit »ökonomisch unhaltbaren Forderungen« Lohnforderungen gemeint sind. Tatsächlich wurde mit der »konzertierten Aktion« die sanfte Lohnleitlinie Produktivitätszuwachs plus Inflationsausgleich zementiert. Sie ist noch heute weitgehend das Maß für Tarifforderungen. Wie hoch die Lohnabschlüsse am besten sein sollten, wird auch heute noch vom Sachverständigenrat in seinen Gutachten vorgegeben – und nicht selten eingehalten oder sogar unterschritten. Lohnzurückhaltung zur Stützung der Konjunktur ist ebenfalls ein gängiges Argument – auch von den DGB-Spitzen –, ungeachtet dessen, dass trotz vieler Lohn-Nullrunden die Arbeitslosigkeit weiter ansteigt.

Der direkte Erfolg Schillers war 1967 eine Nullrunde der Löhne, und auch 1968 stiegen die Entgelte nur um 3%. Die Lohnquote sackte um 3 Prozent-Punkte auf 63% ab. Dieses Lohnloch und der Anstieg der Produktivität sorgte für den bis dahin größten Boom der Profite, die um 22% wuchsen. Noch Mitte 1968, als die Krise schon längst vorbei war, schlossen IG Metall und IG Bergbau 18-Monatige Tarifverträge ab, um die Konjunktur nicht mit Verhandlungen zu gefährden.

Der schnelle Aufschwung und die vollen Auftragsbücher der Konzerne, der Arbeitskräftemangel und die vielen Überstunden, die sinkenden Löhne und die steigenden Preise – diese Widersprüche führten zu einer eindeutigen Aktion der Arbeiterklasse: den Septemberstreiks von 1969. Mehr als 140 000 Arbeiter streikten monatelang und setzten fast überall ihre Lohn- und Arbeitszeitforderungen durch – nicht gegen ihre Betriebsräte und Vertrauensleute, nicht gegen, sondern mit ihren Gewerkschaften –, aber gegen die rechten Sozialdemokraten an ihrer Spitze. Diese Streiks wurden zu wertvollen Kampferfahrungen der Arbeiter, aber auch zu einer Lektion für die Rechtssozialisten – sie mussten ihre Demagogie und den »Transmissionsriemen« ihrer Sozialpartnerschaft an die Basis verbessern. Zu diesem sehr spannenden Kapitel des Klassenkampfs in der BRD sei das Buch »Die September-Streiks. Auf die Arbeiter kommt es an« vom Verlag Marxistische Blätter empfohlen.

2. Bündnis für Arbeit

Nach dem Ende der »Konzertierten Aktion« 1977 ist zwar bis zum Jahre 1998 keine offizielle Form des Tripartismus, des Zusammenwirkens von Staat, Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften praktiziert worden, jedoch wurde der Geist der so genannten Sozialpartnerschaft korporatistisch ausgelebt: Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände einigten sich hier und dort teils durch Rückgriff auf Spitzengespräche mit dem Staat.

Wichtige Entwicklungen zwischen 1977 und 1995 waren unter anderem die Lohnführerschaft der IG Metall, die sich am Produktivitätszuwachs der Gesamtwirtschaft orientierte (sozialpartnerschaftliche Führungsrolle), 1984 die Arbeitszeitverhandlungen der IG Metall (38,5-Stunden-Woche), die sie aufgrund der massiven Produktivitätszunahmen in die Bredouille brachte. Spätestens hier machte die IG Metall Zugeständnisse bezüglich der Flexibilisierung der Arbeitszeit, was den großen Konzernen wiederum die Wettbewerbsfähigkeit im internationalen Maßstab sicherte. Der Anstieg der Erwerbslosigkeit und das Stilllegen der überflüssig gewordenen Arbeitskraft durch soziale Absicherung markieren die besondere Rolle des Staates einerseits und die Schwächung der gewerkschaftlichen Kampfposition andererseits.

Der deutsche Imperialismus konnte seine ökonomische Stärke ausbauen und wurde gepriesen als Modellnation für wirtschaftliches Wachstum, hohe Löhne und ein hohes Maß an sozialer Absicherung. Für bürgerliche Ökonomen kommt es natürlich nicht in Frage, die relativ hohen Sozialstandards auf die Existenz der DDR zurückzuführen.

Die DDR mit ihren besonders starken Standards sorgte dafür, dass der deutsche Imperialismus sich mit den gewünschten Angriffen gewissermaßen zurückhalten musste. Ein Indiz für diese Sichtweise ist, dass sobald das Korsett dieser Relation abgestreift war, massive Angriffe auf die Standards in den Arbeitsbeziehungen und den sozialen Sicherungssystemen durchgesetzt wurden und bis heute durchgesetzt werden. Begleitet wurde dieser Raubzug in der DDR und die Angriffe in der BRD mit demagogischen Formeln wie »Standort-D«, »Wir sitzen alle in einem Boot«, »Eigenverantwortung«, »Solidarpakt« etc. …

Die Gewerkschaften und an ihrer Spitze die IG Metall gehen aus dieser Gesamtentwicklung geschwächt heraus. Ob das eine hinreichende Begründung bzw. Erklärung für die »sozialpartnerschaftliche« und sehr defensive Herangehensweise der kommenden Jahre ist, sei dahingestellt. Es wird hier wohl keiner von einem Herrn Zwickel klassenkämpferische Töne erwartet haben. Jedoch ist auch in der Beurteilung der jeweiligen Vorstöße seitens der Arbeiteraristokratie die jeweils vorhandene objektive Verhandlungsmacht zu berücksichtigen. Das soll nicht die entsprechenden Akteure entschuldigen, sondern dazu beitragen, ein besseres Verständnis für die Kampfbedingungen zu entwickeln. Diese Verhandlungsmacht lässt sich nur vor dem Hintergrund der gesamten politisch-wirtschaftlichen Situation beurteilen.

Mitte der neunziger Jahre war die gesamtwirtschaftliche Entwicklung wie folgt: Nach dem so genannten »Vereinigungsboom« (Konrad-Adenauer-Stiftung/Arbeitspapier 2002) nach der Annexion der DDR war das deutsche Kapital ab 1993 mit einem Konjunktureinbruch konfrontiert. Der ökonomische Expansionsdrang des deutschen Monopolkapitals ging mit einem massiven Abbau von Beschäftigung im industriellen Bereich einher. Unter anderem wurde die lohnabhängige Klasse durch die Verlagerung von Kapital ins Ausland unter Druck gesetzt.

In diesen für die Gewerkschaften eher schwierigen Zeiten stößt Zwickel 1995 mit einem Vorschlag für ein Bündnis für Arbeit aus der Defensive hervor. Man hoffte dadurch den Dezentralisierungsdruck auf die Tarifverträge mildern zu können. Namentlich in der Automobilindustrie waren gerade Zugeständnisse gemacht worden. Außerdem konnte Zwickel damit innergewerkschaftlich gegenüber der Opposition punkten und die IG Metall gesellschaftlich als »Anwalt der Arbeitslosen« darstellen.

Letztendlich erlaubte das Scheitern des Bündnisses mit der Schwarz-Gelben Regierung den Gewerkschaften, voll in die Unterstützungskampagne im SPD-Wahlkampf einzusteigen.

Die Kapitalseite rüstete unterdessen vollends auf zum Angriff auf die Löhne, Arbeits- und Kampfbedingungen der Arbeiterklasse. Die sogenannten Lohnnebenkosten standen im Fokus dieser Angriffe. Die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland wäre mit so hohen Lohnnebenkosten nicht zu halten, geschweige denn auszubauen, so die Devise der Kapitalisten.

Der Vorstoß Zwickels kann auch als eine erste Erklärung der Arbeiteraristokratie hinsichtlich ihrer Bereitschaft zu weiteren Konzessionen gegenüber dem aufstrebenden deutschen Imperialismus gedeutet werden, nur unter anderen Vorzeichen, nämlich einer sozialdemokratischen Führung.

»Erstmals akzeptierte ein Gewerkschaftsvorsitzender implizit einen Zusammenhang zwischen Lohnhöhe und Beschäftigungsvolumen und damit die Notwendigkeit eines gewerkschaftlichen ›Zukunftsbeitrags‹.« (Müller/ Wilke 1999)

»Bündnis für Arbeit, Wettbewerbsfähigkeit und Ausbildung«

1998, kaum an der Macht, lässt die rot-grüne Koalition verlautbaren, dass es jetzt darum gehe, ein Bündnis für den so genannten Standort D zu schmieden, um die angepeilte Konkurrenzfähigkeit deutschen Kapitals im globalen Maßstab sicherzustellen.

»Die Zielvorgabe heißt auf der einen Seite Stärkung der Wirtschaftskraft unseres Landes, auf der anderen Seite geht es mir um die Herstellung sozialer Gerechtigkeit. […] Ich denke, dass in einem solchen Bündnis für Arbeit gemeinsam verabredet wird: Was sind die Möglichkeiten des Staates, um Arbeit billiger zu machen – etwa durch eine Senkung der Lohnnebenkosten?« (Schröder 1998)

Gleich von Beginn an wird das Bündnis kommentiert, wohlwollend als eine »Modernisierungskoalition«, »Wettbewerbskorporatismus« oder negativ als »Entgewerkschaftlichung«, »Erosion der Tarifautonomie« und »Auf dem Weg zur Betriebsgewerkschaft«.

Die Bertelsmann-Stiftung formulierte aus ihrer Perspektive die Kampfbedingungen des Kapitals so:

»Die viel wahrscheinlichere Alternative zu einer Entgewerkschaftlichung der europäischen Volkswirtschaften, die wiederum auf dem Kontinent zunächst wenig wahrscheinlich erscheint, ist die Aufnahme der Gewerkschaften in nationale Modernisierungskoalitionen, bei denen es darum geht, die heimischen Produktionsbedingungen für in- und ausländische Investoren attraktiv zu machen.« (Streeck 1998)

Und mit der SPD und so auch mit der sozialdemokratischen Gewerkschaftsspitze an der Regierung war diese Einschätzung durchaus richtig und eröffnete dem Kapital absehbare Möglichkeiten. Mit der Parole »Soziale Gerechtigkeit« – mit der die SPD auch im NRW-Wahlkampf 2012 wieder zu Felde zog – waren die Demagogen am Werk. Diese Parole ging einher mit dem erhobenen Zeigefinger und einer bis heute anhaltenden Hetze gegenüber den »Überflüssigen« dieser Gesellschaft: Stichwörter waren »Eigenverantwortung versus Soziale Hängematte«, »den Gürtel enger schnallen«, »Weniger ist mehr« …

Im Unterschied zur Konzertierten Aktion war die Akteurskonstellation beim Bündnis für Arbeit asymmetrisch. Die Gewerkschaften befanden sich in der Defensive. Wollten sie weiterhin mitreden, mussten sie nun kuschen. Dazu Bodo Hombach (Wahlkampfmanager der SPD 1998 und Schröders persönlicher Berater):

»Ich denke, es gab so ein Bild, wir können, die Gewerkschaften im Rücken, den Arbeitgebern signalisieren: Wir halten euch die relativ geordnet von der Pelle, ich sag es mal salopp. Dafür gibt es dann eine entsprechende Gegenleistung.« (Aus: N. Fickinger 2005, S. 113)

Inhalt und Ziel des Bündnisses war: Lohnzurückhaltung der Gewerkschaften, Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten, Flexibilisierung der Arbeitszeit, Ausbau der Teilzeitarbeit und Neujustierung des Systems der sozialen Sicherung. Bei der Lohnfrage ging es jedoch nicht vordergründig, wie von vielen vermutet, um die Einführung von Lohnleitlinien, sondern um die Schaffung eines flexiblen, »atmenden« Arbeitsmarktes, in dem weit auseinanderliegende Löhne – also eine Lohnspreizung – möglich wurde. Der DIW-Präsident Zimmermann antwortete in einem Interview mit der FAZ am 30.05.1999 auf die Frage »Darf das Thema Löhne in den Gesprächen über das Bündnis für Arbeit tabu bleiben?«

»Nein […]. Interessant ist weniger die Höhe als die Spreizung. Die Sozialhilfeniveaus setzen dem Grenzen. Lohnleitlinien wären kontraproduktiv.«

Die enge Verknüpfung der »Sozialhilfeniveaus«, also des definierten Existenzminimums bzw. eines entsprechenden Mindestlohnes wird hier deutlich formuliert. Auch wenn es im Bündnis nur kleine Ansätze mehr ideeller Art in Richtung der Veränderungen in der Sozialpolitik gab, dienten solche Gedankenanstöße als Steilvorlagen für die späteren Hartz-Gesetze.

Änderungen der sozialen Sicherungssysteme sollten jedoch nicht nur Änderungen bezüglich der Leistungen, sondern auch bezüglich der entsprechenden Druckmöglichkeiten auf die Arbeiterklasse beinhalten. In moderner sozialdemokratischer Sprache hört sich das so an:

»Ein Sozialversicherungssystem, das die Fähigkeit, Arbeit zu finden, behindert, muss reformiert werden. Moderne Sozialdemokraten wollen das Sicherheitsnetz aus Ansprüchen in ein Sprungbrett in die Eigenverantwortung umwandeln.« (Aus dem Blair-Schröder-Papier)

Zuweilen wurde in diesem Sinne auch von einem »aktivierenden Sozialstaat« geredet, was im Klartext heißt, wer nix zu fressen hat, muss eben malochen gehen. Wie die Kapitalseite das Bündnis für Arbeit einschätzt, bringt Bertelsmann auf den Punkt:

Es werden eine »zeitweise mäßigende Wirkung auf die Lohnpolitik« und »positive Impulse in der Arbeitsmarktpolitik« festgestellt, jedoch »keine Förderung der Unternehmerschaft« und »keine strukturelle Reform des Sozialsystems« verzeichnet. Nach Meinung von Bertelsmann wurden »beschäftigungsfördernde Arbeitsverteilung und flexible Arbeitszeiten […] nicht effektiv vorangetrieben.« (Aus: Bertelsmann-Stiftung 11/2002)

Welche Etappenziele konnten über das »Bündnis für Arbeit« erreicht werden?

Hier war nicht die erfolgreiche Umsetzung der einzelnen Punkte der Erfolg des BfA, zumal, wie Bertelsmann auswertet, eben genau das nicht erreicht werden konnte. Der Erfolg war eine Verschiebung der Kräfteverhältnisse und die Setzung der neuen Paradigmen auf die Tagesordnung. Auch für die ›Think Tanks‹ ist learning by doing angesagt: In der Praxis wird ausprobiert, was machbar ist und was nicht. Aus diesen Erfahrungen heraus werden die nächsten Schritte für die Zukunft geplant. Es handelte und handelt sich immer noch um eine langfristige Strategie zur Durchsetzung und Erhaltung niedriger Lohnabschlüsse, flexibler Arbeitszeiten, Einschränkung der Arbeitskampfrechte und Verstärkung der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse, die immer einhergeht mit einem verstärkten Druck auf die sogenannte »Reservearmee«. Die Gewerkschaften und die Gesellschaft waren nun eingestimmt auf das, was in dieser Logik folgen musste.

3. Die »Agenda 2010« und die Hartz-Gesetze

Der Klassenkampf zwischen Arbeiterklasse und Bourgeoisie ist ein täglicher Kampf, und viele der oben beschriebenen Maßnahmen gehören sozusagen zum Standardprogramm dieses Klassenkampfs von Seiten der Bourgeoisie. Die »konzertierte Aktion«, das »Bündnis für Arbeit« und auch die »Agenda 2010« sind programmatische Höhepunkte dieses Kriegs gegen die Lohnabhängigen. Sie formulieren zugleich die Zielsetzung des deutschen Imperialismus – und zwar nicht nur nach Innen. Besonders deutlich galt dies für die »formierte Gesellschaft«, die, wie wir gesehen haben, nur in modifizierter Form durch Sozialdemokraten umgesetzt werden konnte. Sie sollte die BRD zum ökonomischen »Magneten« in Europa machen, der eine politische Sogkraft entfalten und dem schließlich der Sozialismus erliegen sollte.

Auch die »Agenda 2010« hat europastrategische Aspekte. Mit der sogenannten »Lissabon-Strategie« wurde der Aufbau Europas zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wirtschaftsmacht der Welt festgeschrieben. Wieder stand die Produktivität im Mittelpunkt, die erhöht werden sollte, um sich gegenüber den USA zu behaupten.

Das deutsche Monopolkapital hatte nach der Annektion der DDR, der ökonomischen Eroberung der osteuropäischen Märkte und Produktionsstätten und einer anhaltenden Schwäche der Gewerkschaften eine fulminante Ausgangsposition, um sich gegen die Lohnabhängigen durchzusetzen und zugleich seine Dominanz in Europa auszubauen – wie wir heute sehen, in ungeahntem Ausmaß. Beides hängt zusammen: Die »Wettbewerbsfähigkeit« der deutschen Konzerne entspringt ebenso aus der massiven Absenkung der Löhne und Arbeiterrechte wie aus dem Niederkonkurrieren der europäischen Volkswirtschaften.

Der Absender der »Agenda 2010« ist der schon beim Bündnis für Arbeit zentrale »Think Tank« des Kapitals: Die Bertelsmann-Stiftung. Nach Antritt der SPD/GRÜNEN-Regierung 1998 publizierte die Stiftung in der Zeitschrift »Capital« einen wirtschaftspolitischen Forderungskatalog für die ersten hundert Tage der Regierung. Dessen Inhalte: Die Arbeitslosenversicherung abschaffen, die Sozialhilfe weiter einschränken, dadurch den Mindestlohn absenken, um Senkung der übrigen Löhne um 15 Prozent zu erreichen, außerdem die Reduzierung des Kündigungsschutzes und die Abwälzung der Lohnnebenkosten auf die Lohnarbeiter.

Bundeskanzler Schröder konnte 2005 auf dem Wirtschaftsgipfel – durchaus auch als Kampfansage an die anderen Staatenlenker – verkünden:

»Wir haben einen der besten Niedriglohnsektoren aufgebaut, […] und wir haben bei der Unterstützungszahlung Anreize dafür, Arbeit aufzunehmen, sehr stark in den Vordergrund gestellt.«

Der Auftrag war also erfüllt, und das war wieder einmal nur schwer ohne die SPD vorstellbar, wie die massiven Proteste gegen die Absenkung der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall durch die CDU-Regierung unter Kohl 1996 gezeigt hatten.

Ausgangspunkt für die geballten Angriffe der »Agenda 2010« war eine Krise. 2002 stagnierte das Wachstum des BIP bei 0%, 2003 sank es um 0,4%. Die Zahl der Erwerbslosen blieb seit 1997 bei über 4 Millionen. Die Arbeitsproduktivität der Industriearbeiter nahm allein zwischen 1991 und 2000 um 71% zu. Wie auch schon zuvor, war die Steigerung der Profitraten und die Steigerung der Konkurrenz gegenüber den anderen Volkswirtschaften Aufgabe der Stunde. Dazu wurde im Februar 2002 eine Kommission für »Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt« eingerichtet, der auch Vertreter des DGB und von Ver.di angehörten. Rainer Roth, der wertvolle Analysen – nicht nur zur Agenda 2010 – geliefert hat, bringt die Nöte des Kapitals und das Verhältnis des DGB dazu auf den Punkt:

»Die gewaltige Produktivität entlädt sich verrückterweise in Krisen, und sie greift die Profitraten an. Das Kapital will sich aus der von ihm selbst verursachten Krise retten, indem es die Arbeitskräfte stärker ausbeutet. Das ist alles. Es konzentriert sich darauf, den Lohnarbeitern und den Arbeitslosen alle Schuld in die Schuhe zu schieben […]. Der ganze Ausgangspunkt der Hartz-Kommission hat mit dem Standpunkt der Lohnarbeiter nichts zu tun. Der DGB meint dagegen: ›Die Umsetzung des Gesamtkonzepts verspricht einen wichtigen Fortschritt bei der sozial gerechten Modernisierung unserer Gesellschaft zu einem ausgewogenen Verhältnis von sozialer Gerechtigkeit und Flexibilität am Arbeitsmarkt.‹ (Stellungnahme zu Hartz vom 15. 08. 2002) Die Lohnarbeiter und die Arbeitslosen zahlen drauf: Das Kapital profitiert. Das ist die soziale Gerechtigkeit, die die DGB-Führung meint. Die Umsetzung der Hartz-Pläne wäre ein Fortschritt für das Kapital.«

Und das wurde es. Wer hat diesen Erfolg konzipiert? Die Bertelsmann-Stiftung war nie offiziell an der Kommission beteiligt, hat aber die Stichworte und die strategische Richtung vorgegeben. Im Zentrum stand und steht der Abbau zentraler Arbeiterrechte. Dazu gehört insbesondere der Kündigungsschutz. Es war klar, dass ein Frontalangriff auf die gut organisierten Arbeiter in den Kernbetrieben chancenlos bleiben musste. Bertelsmann analysierte den Schwachpunkt der Arbeiterklasse und gab ihn zum Angriff frei: Die Erwerbslosen. Sie waren isoliert, schlecht organisiert, von den Gewerkschaften vernachlässigt und stehen unter Existenzdruck.

Die Konzepte lagen auf dem Tisch, der Forderungskatalog war der Regierung übergeben, eine Kommission gegründet – es fehlte nur noch ein propagandistischer Aufhänger, um loszulegen. Und der kam mit einem »Vermittlungsskandal« bei der Bundesanstalt für Arbeit im Februar 2002. Von den angegebenen Vermittlungen seien ein Drittel nur in Maßnahmen und ein Drittel gefälscht. Ein lächerlicher Vorfall, der ganz normale Behördenpraxis ist. In den Massenmedien wurde der »Skandal« breitgetreten und der Eindruck vermittelt, es müsse nun endlich was getan werden. Das war der letzte Stein der Medienstrategie der Stiftung. Zuvor wurde monatelang Panik betrieben angesichts der tatsächlich sehr hohen Erwerbslosenzahlen. Arbeitslose wurden als faul und die Behörden als unfähig dargestellt. Der Untergang der Republik wurde an die Wand gemalt. Es müsse also Außergewöhnliches geschehen, und das könne nur mit außergewöhnlichen Mitteln und Machern passieren: Die Kommission muss tätig werden.

Zusammensetzung, Zielvorgaben und Programm der Kommission standen bereits fest. Es sollten alle »Interessengruppen« an einen Tisch gebracht werden und mit »Expertenwissen« die besten Lösungen finden. Nachdem also monatelang ein unerträglicher Zustand propagiert wurde, sollten nun die Retter kommen. Und sie hatten entsprechende Vokabeln auf den Lippen: Chancen für Erwerbslose steigern, die Behörden modernisieren, damit in Zukunft »alles aus einer Hand« komme, aber auch zu Leistung anspornen durch »fördern und fordern«. Dabei wurde auch immer Klartext geredet, wie bei Wolfgang Clement, SPD-Arbeitsminister, der es auf den Punkt brachte: »Wir wollen nicht mehr für Arbeitslose zahlen«. Es gibt einfach zu viele Lohnarbeiter, die nicht mehr profitabel ausgebeutet werden können und die ernährt werden müssen. Das sollen doch bitte die anderen Lohnarbeiter übernehmen, und deren Ansprüche müssen gesenkt werden, damit dem Kapital mehr zur Verfügung steht. Wie in der Kommunistischen Arbeiterzeitung Nr. 304 dargestellt wurde, soll

»die industrielle Reservearmee vergrößert und ergänzt werden durch Massen von Tagelöhnern und Saisonarbeitern, die durch Zumutbarkeitsregelungen und Entzug von Versicherungsleistungen in Scheinselbständigkeit und sonstige prekäre Jobs gedrängt werden, die am Rande des Existenzminimums vegetieren, auf die die Kapitalisten jederzeit zugreifen können, die sich selbst gerade noch ernähren können und die Bourgeoisie dazu.«

Dies ist zwar keine Erfindung der Hartz-Kommission, aber sie hatte extrem verschärfende Maßnahmen beschlossen. Die Senkung der Lohnnebenkosten brachte dem Kapital Milliarden ein. Rainer Roth hat ausgerechnet, dass allein eine Absenkung des Arbeitgeberbeitrags zur Arbeitslosenversicherung um 1,25%-Punkte dem Kapital 10 Milliarden Euro mehr Profite gebracht hat. Bis 2009 wurde er sogar um 3,7%-Punkte gesenkt.

»Das Kapital will sich einen möglichst großen Teil der Löhne, der Sozialversicherungsgelder und der Steuern selbst aneignen. Es will sie in Kapital verwandeln, um seine Profitkrise zu bewältigen.« (Roth)

Das erste Hartz-Gesetz vom Januar 2003 war der schwerste Schlag gegen den Kündigungsschutz und die Tariflöhne, der dem Kapital seit 1945 gelungen ist. Es ermöglichte den unbefristeten Einsatz von Leiharbeitern und neutralisierte damit den Kündigungsschutz. So heißt es im Bericht der Kommission ganz offen, »de facto führt die verstärkte Einschaltung von PSA und anderen Zeitarbeitsfirmen zur Neutralisierung des Kündigungsschutzes.« (S. 149)

Über sogenannte »Personal Service Agenturen« (PSA) wurden Erwerbslose in schlecht bezahlte Jobs gedrückt, der DGB legitimierte dies mit einem Tarifvertrag mit der Zeitarbeitsbranche, der noch heute gilt und für viele Lohnabhängige eine schwere Belastung ist. Während IG Metall und DGB immer wieder feststellten, dass Leiharbeit zu Lohndumping führe, forderten sie, die Ausweitung der Leiharbeit im Rahmen der Hartz-Gesetze dürfe aber nicht zu Lohndumping führen. Das ist ungefähr so, wie wenn man fordern würde, die Ausdehnung von Regenwolken dürfe aber nicht zu Niederschlägen führen. In den PSAs wurde dann ganz offen Lohndumping betrieben, indem Arbeitslose für 70% ihres bisherigen Lohns arbeiten sollten. Die PSAs sind mittlerweile verschwunden, sie wurden ersetzt durch die großen Leiharbeitsfirmen wie ManPower, Randstad, etc. Die Zahl der Leiharbeiter ist von rund 100 000 im Jahr 2000 auf eine Million im Jahr 2012 gestiegen. Außerdem wurden mit Hartz I die Zumutbarkeitsregelungen massiv verschärft, die Arbeitslosenhilfe gekürzt und die Sperrzeiten verschärft. Diesen Angriff goutierte der DGB-Chef Michael Sommer im November 2002 mit folgendem Spruch:

»Für Langzeitarbeitslose wird es günstigere Einstiegstarife geben. Da haben wir eine moralische Verpflichtung.« (Süddeutsche Zeitung, 29.11.2002)

Mit dem zweiten Gesetz, ebenfalls vom Januar 2003, wurden die Minijobs eingeführt, womit die Sozialversicherung ausgetrocknet und die Ich-AG installiert wurde, die an die Hausarbeit aus Zeiten der Industrialisierung erinnert. Mit Hartz III vom Januar 2004 wurde die Bundesagentur umgebaut und der Arbeitslosengeldbezug eingeschränkt sowie die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen verschlechtert. Allein mit diesen Maßnahmen wurden 2,1 Mrd. € eingespart bzw. dem Kapital zur Verfügung gestellt. Mit Hartz IV vom Januar 2005 wurden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zusammengelegt und abgesenkt. Genau wie von Bertelsmann, also dem Kapital, gefordert, wurden damit das Existenzminimum und somit die Mindestlöhne nach unten gedrückt – mit dem gewünschten Sogeffekt für alle Löhne.

Heute arbeiten fast 20% der Beschäftigten für einen Lohn unter 8,50 €. Hier werden nicht alle Auswirkungen der Hartz-Gesetze aufgezählt, sie sind vielfältig. Ein Ziel hat das Kapital aber erreicht: Den Angriff auf Kern-Arbeiterrechte. Dazu zählen insbesondere der Kündigungsschutz und die Schaffung eines Niedriglohnsektors, der zu einer Erosion der gesamten Tariflandschaft beiträgt. Waren die Flächentarifverträge einst der Preis der DGB-Gewerkschaften, den sie bezahlt hatten für den Verzicht auf politische Streikmaßnahmen, so haben sie diese Errungenschaft weitgehend eingebüßt. Nur in Großbritannien werden europaweit in weniger Betrieben Tariflöhne gezahlt als in Deutschland. Es sind nur noch 63% aller Betriebe, die tarifgebunden sind – Tendenz sinkend. Die DGB-Spitzen haben an dem eigenen Ast gesägt, auf dem sie sitzen. Mit der Zustimmung zum Hartz-Bericht und damit de facto zu den Gesetzen haben sie der Aushöhlung der Tarifautonomie, des Kündigungsschutzes und des Lohngefüges zugestimmt.

Anders als 1969, als die Arbeiterklasse in der Lage war, mit den Septemberstreiks auf die Auswirkungen der »konzertierten Aktion« zu antworten, scheint heute die Reihe der Niederlagen weiter zu gehen. Nicht vergessen sollte man aber die Proteste gegen die Hartz-Gesetze. Es waren die wohl größten Erwerbslosen- und Beschäftigten-Proteste, die es in Deutschland gab. Am 1. November 2003 demonstrierten über 100 000 Menschen in Berlin. Viele Kollegen aus den Betrieben sowie viele Landesverbände der DGB-Gewerkschaften beteiligten sich an den Demonstrationen. Erst als DGB-Chef Sommer den Protest für beendet erklärte und die Unterstützung der Gewerkschaften ausblieb, gingen die Teilnehmerzahlen zurück. Während die DGB-Landesvorsitzenden sich im Mai 2004 gegen die Einführung von ALG II ausgesprochen hatten, erklärte im Juli 2004 die DGB-Vizechefin, dass der DGB nie gegen die Zusammenlegeung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe gewesen sei und der parlamentarische Prozess akzeptiert werden müsse, schließlich seien »wir ja Demokraten«, und Michael Sommer schrieb einen »Friedensbrief« an den SPD-Kanzler Schröder; weil die »Gewerkschaften derzeit keine politische Alternative mehr haben«, müssten sie eben mitarbeiten. Es sind erneut die rechten Sozialdemokraten in den DGB-Spitzen und in der Regierung, die dem Kapital die größten Geschenke machen. Der Gewerkschaftsbasis sowie allen Lohnabhängigen wird die Beantwortung der Frage, wie sie kämpfen können, immer dringender gestellt.

4. Kampfbedingungen

Die Frage nach den Bedingungen des Kampfes der Arbeiterklasse gegen die Angriffe des Kapitals und für nicht zuletzt den Aufbau kampfstarker Organisationen der Klasse ist eine von vielen Faktoren abhängige. Hier spielen die allgemeinen juristischen und institutionellen Rahmenbedingungen, die gewerkschaftliche Organisation und auch die allgemein nichtstaatliche Form der Organisationen der Arbeiter, wie Arbeitervereine, Arbeiterparteien, genauso wie die konkreten Arbeits- und Lebensverhältnisse und die entsprechenden Bewusstseinslagen eine Rolle.

Bei der Untersuchung dieser Bedingungen ist jedoch dringend vor schablonenhaftem Denken und vor einer formalen Herangehensweise zu warnen. Die Wirklichkeit ist voller Widersprüche, und wer konkret kämpft, muss lernen, genau mit diesen Widersprüchen zu kämpfen.

Es kann an dieser Stelle nicht stark genug betont werden, dass ein Denken über den Kampf nicht den Kampf selbst ersetzen kann. Die dringlichste Aufgabe heute ist nicht, ein akademisches Verständnis von den Kampfbedingungen Anderer (der Arbeiterklasse) zu entwickeln, sondern sich als organisierte Kraft in die Kämpfe zu begeben, um vor Ort Kampferfahrungen zu sammeln, diese kollektiv auszuwerten, um die Ergebnisse den Kämpfenden zur Verfügung zu stellen. Dabei ist immer der nächste mögliche Schritt in die richtige Richtung herauszuarbeiten. Die richtige Richtung kann nur sein: Abbau von Illusionen hinsichtlich der Zähmung des Kapitalismus, Stärkung des Klassenbewusstseins, Aufbau und Festigung der Organisationen der Arbeiterklasse. In diesem Zusammenhang ist die Formulierung und Durchsetzung richtungsweisender Forderungen von Bedeutung.

Hier soll nun beispielhaft ein Kampffeld aufgeführt werden, anhand dessen man die Bedingungen der Kämpfe, in denen die deutsche Arbeiterklasse unwillkürlich verwickelt ist, aufzeigen kann:

Kampf um einen gesetzlichen Mindestlohn

Grundsätzlich geht es bei der Mindestlohnforderung darum, herauszuarbeiten, dass es sich dabei um die Forderung nach einer existenzsichernden Entlohnung handelt, die es erlaubt, ohne die Subvention des Staates zu leben. Dementsprechend muss diese Forderung flankiert werden mit entsprechenden Arbeitszeitforderungen. Die Relevanz der Begründung der Höhe (gekoppelt mit Arbeitszeit) liegt darin, dass ein illusionsfreier Zugang zu der Tatsache geschaffen werden kann, dass der Wert der Arbeitskraft sich aus den (zu verhandelnden) Reproduktionskosten der Arbeitskraft ergibt und nicht den Tages-/Stunden- oder Produktwert der Arbeit ausdrückt.

Hierin liegt der Kern dieser Forderung im objektiven Interesse der Arbeiterklasse. Unsere Aufgabe ist es, diese Forderung in die Kämpfe hineinzutragen und dort für deren Verankerung zu kämpfen. Dass eine solche Forderung notwendig eine Definition des Mindestbedarfs eines Arbeiters zur Voraussetzung hat, sei hier nur erwähnt. Im Forderungskatalog gehen wir von dem Dreiklang 500 Euro Regelsatz, 10 Euro Mindestlohn, 30-Stunden-Woche aus. Aus dieser Vorgabe lässt sich ausschließlich eine gesetzliche Mindestlohnforderung von 10 Euro pro Stunde, lohnsteuerfrei errechnen. Äquivalent hierzu ist eine monatliche Entlohnung von 1200 Euro netto (lohnsteuerfrei) bei einer 30 Stunden-Woche.

Wie sind nun die Bedingungen eines solchen Kampfes?

In der Bevölkerung scheint es durchaus ein Bewusstsein für solche Forderungen zu geben. Eine Umfrage der Böckler-Stiftung unter 5 000 Personen ergab, dass 70% für eine Mindestlohnforderung von 10 Euro sind. Jedoch spiegelt sich dieses durchaus erfreuliche Ergebnis nicht in den Forderungen der Gewerkschaften oder Parteien wider:

Forderungen:

  • 7,50 Euro (Grüne)

  • 8,50 Euro SPD und DGB-Gewerkschaften

  • 10 Euro (PdL)

  • 10 Euro lohnsteuerfrei (Bündnis 31. Januar).

Die Kommunisten sind in dieser Frage kaum wahrnehmbar. Bei der DKP muss man lange nach der Forderung suchen. Auf kommunisten.de kommt dann die ganze Welt zum Thema Mindestlohn, nur nicht Deutschland. Auch bei der MLPD scheint es hier keinen großen Einsatz zu geben. Zumindest ist auch hier im Netz kaum etwas dazu zu finden. Letztere Tatsache ist selbst als eine der Bedingungen auszumachen, die die Kämpfe der Arbeiterklasse ganz besonders schwächen. Denn eigentlich sind es die kommunistischen Kräfte, die die Vorreiterrolle bei solchen Forderungen spielen sollten. Das Bündnis 31. Januar kann diese Rolle überhaupt nicht ersetzen. Es kann nur die Vorarbeit machen, und das macht es auch.

Von der Kapitalseite ins Spiel gebrachte Gegenentwürfe sind das »Bedingungslose Grundeinkommen« (BGE), das durchaus in linken Kreisen (nicht nur in anarchistischen, sondern auch in der PdL) Anklang findet. Hier konnte das Kapital eine die Arbeiterklasse verwirrende Kampagne durchaus erfolgreich platzieren. Das CDU-Modell eines quasi-gesetzlichen Mindestlohns im Einvernehmen zwischen Kapital und Gewerkschaften hat eher Bündnischarakter und soll auch in diesem unverbindlichen Rahmen bleiben. Dieses Modell hat bis jetzt keine große Auswirkung auf die Kampfbedingungen der Arbeiterklasse gehabt. Hervorzuheben ist die Stärke der Arbeiteraristokratie in den Gewerkschaften und die Nicht-Wahrnehmbarkeit offensiver Forderungen im objektiven Interesse der Arbeiterklasse.

Die Basis in den DGB-Gewerkschaften fordert Mindestlohn von 10 Euro! Die Funktionäre setzen 8,50 durch und damit die Wettbewerbsfähigkeit des deutschen Imperialismus in europäischem Vergleich.

Ein Beispiel: Bei der Ver.di-Bundes-Erwerbslosen-Konferenz im August 2011 konnte Bsirske mit Hilfe seiner hauptamtlichen Truppe die Delegierten – wahrlich mit allen Methoden bis hin zur Ausschaltung des Mikrofons – so weit unter Druck setzen, dass trotz der Mehrheiten für 10 Euro am Ende der Konferenz 8,50 verabschiedet wurden. Das Hauptargument war fadenscheinig: »Kollegen, lasst uns erst einmal überhaupt einen gesetzlichen Mindestlohn erkämpfen, dann können wir auch um die Höhe ringen.« Die Vorbereitung war aber so gut, dass die untereinander eher schlecht vernetzten Kollegen und Kolleginnen kaum die Möglichkeit hatten, sich vor Ort dagegen zu wehren. Die, die es gewohnt sind, mit harten Bandagen zu kämpfen, bekamen es mit der vollen Breitseite zu tun. Das wiederum schüchterte den Rest ein. Und um des heiligen Friedens willen ließ sich eine knappe Mehrheit rumkriegen.

Hier muss ein gut organisierter Zusammenhang auf lange Sicht (bis zu den nächsten Wahlen) agitieren und enge Kontakte zu den jeweiligen Bezirken knüpfen, um dann mit den richtigen Anträgen die richtigen Forderungen durchzusetzen. Außerdem müssen diejenigen, die hier (und das gilt allgemein für den Kampf in den Gewerkschaften) kämpfen, sich bestens mit ihrer eigenen Gewerkschaft auskennen. In Ver.di z. B. heißt es, dass von unten nach oben entschieden wird. Jedoch sind die Delegierten bei einer Konferenz nicht an ein imperatives Mandat gebunden. So können in der Basis getroffene Entscheidungen auf Konferenzen der höheren Ebenen (Land/Bund) ausgehebelt werden. Hier ist die Analyse des Kampffeldes eine Voraussetzung für die Durchsetzung z.B. der Mindestlohnforderungen auf gewerkschaftlicher Ebene.

Weitere Kämpfe, in die wir konkret verwickelt sind:

  • Kampf gegen befristete Arbeitsverträge

  • Kampf gegen den Lohndruck durch Hartz IV

  • Kampf gegen hohe Mieten (Wohnungsnot)

Wir sind davon überzeugt, dass der Kampfeswille der Klasse vorhanden ist, das Potential ist jedoch verschüttet und/oder in den Fängen der Arbeiteraristokratie.

Unabdingbar ist der Aufbau der Organisationen der Arbeiterbasis als hinreichende Bedingung für den Aufbau und die nachhaltige Erhaltung einer kampffähigen kommunistischen Organisation mit erkennbarem Profil und einer stärker werdenden Verankerung in der Basis. Da eine wirkliche, ernstzunehmende Analyse der Kampfbedingungen nicht aus sicherer Entfernung vorgenommen werden kann, sondern – wie oben schon gesagt – erst durch den Kampf selbst, ist der Aufbau der Kampforganisationen der Arbeiterklasse selbst eine notwendige Bedingung für die Analyse.