Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Burgfriedenspolitik in Westdeutschland und Westberlin: Gegen DDR und FDGB

Erika Wehling-Pangerl, Kommunistische Arbeiterzeitung

Mai 2012

Der Titel meines Referats zeigt schon eine Beschränkung: Der Kampf der SPD-Führung gegen die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands, gegen ihre Entstehung und ihre Existenz, soll hier nur am Rande behandelt werden. Ich werde mich im Wesentlichen auf die gewerkschaftlichen Probleme im Kampf des deutschen Imperialismus gegen die DDR beschränken, da diese sehr deutlich zeigen, welchen Beitrag der Burgfrieden in Westdeutschland und Westberlin zur Zerstörung des FDGB und der DDR geleistet hat.

Kritisch gegenüber dem Vorgehen der SED, des FDGB und der Regierung der DDR werde ich mich meistens nicht äußern, weil unser Thema der deutsche Imperialismus und seine Helfershelfer in dieser Gesellschaft ist, und weil meine These ist, dass der FDGB und die DDR ohne die Tätigkeit der westdeutschen und Westberliner SPD, des westdeutschen und Westberliner DGB so nicht hätten zertreten werden können, welche Schwierigkeiten es auch immer innerhalb der DDR und des FDGB gegeben haben mag.

Die erste Gruppe des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes wurde in Aachen gegründet.1 Aachen liegt nicht im Osten Deutschlands, sondern an seiner Westgrenze. Es war die erste deutsche Stadt, die von der Naziherrschaft befreit wurde. Die Kapitulationsurkunde trägt das Datum 21. Oktober 1944.

Die USA verfolgten damals noch – d.h. vor Präsident Roosevelts Tod im Frühjahr 1945 – die Linie der Demokratisierung, Entnazifizierung und der Gewährung aller Freiheiten für die gewerkschaftliche Organisierung. So konnte am 18. März 1945 der FDGB Aachen gegründet werden. Alle Kollegen, die dort in die Führung gewählt wurden, waren gestandene Antifaschisten und unter der Naziherrschaft im KZ oder im Gefängnis gewesen. Völkerfreundschaft, Kampf gegen den preußischen Militarismus und Faschismus, Entfernung der Nazis aus Wirtschaft und Verwaltung, Wiedererlangung der Arbeiter- und Gewerkschaftsrechte, Achtstundentag und weitere Forderungen zur Linderung der dringendsten Nöte der Arbeiter – all das waren Inhalte des 13-Punkte-Programms des FDGB Aachen, das eigentlich zur Geburtsurkunde des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes in ganz Deutschland hätte werden sollen.

Aber es kam anders. Die britischen Militärbehörden, die inzwischen für den Bereich zuständig waren, gestatteten nur einzelne Industrieverbände. Den Aufbau einer zentral organisierten und gelenkten Einheitsgewerkschaft, in der unabhängig von Weltanschauung, Glauben und Parteizugehörigkeit alle Arbeiter und Angestellten zum gemeinsamen Kampf für ihre Ziele zusammengeschlossen sind, wollten sie nicht. Den Kollegen in der amerikanischen Zone ging es nicht besser, die begeisterten Anti-Nazi-Soldaten aus den USA, die noch unter Roosevelt nach Deutschland marschiert waren, waren ausgetauscht worden. Die Westmächte hatten kein Interesse an der Durchsetzung des Potsdamer Abkommens – Zerschlagung der Monopole, Entnazifizierung und Entmilitarisierung Deutschlands. Sie wollten nun den deutschen Imperialismus, der durch den Krieg noch lange nicht zerstört war, als Bündnispartner gegen die Sowjetunion. Ein starker zentralisierter antifaschistischer Gewerkschaftsbund hätte da das angeschlagene zarte Pflänzchen namens deutsche Monopolbourgeoisie nur gestört.

Die westlichen Besatzungsbehörden allein hätten allerdings den Kampfes- und Einheitswillen der westdeutschen Arbeiter, die versuchten, die Lehren aus dem Faschismus zu ziehen, nicht brechen können. Dazu brauchte es diejenigen Sozialdemokraten, die aus der Spaltung der Arbeiterbewegung und ihrer daraus resultierenden Schwäche im Kampf gegen den Faschismus nichts gelernt hatten und im Exil zum Teil wüste Pläne schmiedeten. So z.B. der einstige ADGB-Führer Fritz Tarnow, der 1931 die Parole ausgegeben hatte, die Sozialdemokratie müsse Arzt am Krankenbett des Kapitalismus sein. 1944 schrieb er aus dem Exil:

»Beim Wiederaufbau deutscher Gewerkschaften stehen wir vor dringenden Aufgaben. Es ist gewiss, dass eine der Hauptaufgaben der deutschen Arbeiter die Forderung nach Einheit sein wird, und sie werden versuchen, starke nichtpolitische Verbände von Industriegewerkschaften zu schaffen, oder vielleicht sogar Gewerkschaften verlangen, die alle Arbeiter umschließen (Einheitsgewerkschaften). Wir müssen dies um jeden Preis zu verhindern trachten, da es den Kommunisten die Möglichkeit geben würde, die Gewerkschaften zu beherrschen. Daher müssen wir jetzt mit den britischen und den amerikanischen Stellen die geeigneten Vorkehrungen treffen, damit wir so schnell wie möglich [nach Deutschland, d.V.] zurückkehren können, um die Entwicklung antikommunistischer Gewerkschaften zu leiten. Wir dürften auf die Mitarbeit der [westlichen, d.V.] Militärbehörden rechnen […], da es ebenso in ihrem wie in unserem Interesse liegt.«2

Mit der Einschätzung der Stimmung unter den Arbeitern hatte Tarnow vollkommen recht. Überall in Ost und West eiferten die Arbeiter dem Beispiel der Aachener Kollegen nach. Aber vorerst konnte der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund nur in der sowjetisch besetzten Zone gegründet werden. Das war im Februar 1946. Dieser 1. FDGB-Kongress sandte einen Gruß in die Westzonen: »Gewerkschaftskollegen aller Zonen, vereinigt euch!« Diese Aufforderung war bitter notwendig, denn in den Westzonen kursierten solche Vorstellungen wie die des Hamburger Gewerkschaftsfunktionärs Spliedt, der die Auffassung vertrat, man müsse die Gewerkschaften nach den vier Zonen getrennt organisieren.

Auch wenn es zunächst mal eine Niederlage war, dass nur in der SBZ die Arbeiter im FDGB zusammengefasst werden konnten – der Kampf um die Organisierung der Arbeiter in den Westzonen ging weiter. Es fanden, unterstützt vom Weltgewerkschaftsbund, zwischen 1946 und 1948 neun Interzonenkonferenzen und rund 100 interzonale Konferenzen, Tagungen und Beratungen statt. Die Frage ist, warum konnte das über einen Zeitraum von ca. zwei Jahren durchgeführt werden, warum mussten die Gewerkschaftsführer im Westen sich daran beteiligen?

Die Antwort ist sehr einfach: Das lag am Kräfteverhältnis, das zwar (noch) keinen gesamtdeutschen FDGB gestattete, aber dennoch von heftigen Kämpfen der Arbeiter in den Westzonen geprägt war, die nicht nur ihre elende Lage verbessern, sondern eine antifaschistisch-demokratische Umwälzung, vor allem die Enteignung der Kriegsverbrecher und die Entfernung der Nazis aus Betrieben und Behörden erreichen wollten. Den Höhepunkt erreichten diese Kämpfe im April 1947 mit einem Streik von 300 000 Bergarbeitern, der durch Zehntausende anderer Arbeiter unterstützt wurde. Die Arbeiter forderten: »Hinweg mit den Organisatoren des Hungers!«, »Durchführung der demokratischen Bodenreform!«, »Enteignung der Grubenbesitzer!«, »Verstaatlichung der Grundstoffindustrie« (ein neuer Staat war da noch gar nicht da, aber es ging natürlich um die Perspektive eines antifaschistischen Staates). Schon in den Monaten vor dieser Aktion hatte es viele Massenstreiks, Demonstrationen und Tagungen mit ähnlichen Forderungen gegeben. Die Kämpfe von 1947 führten zu so manchen gesetzlichen Bestimmungen in verschiedenen Landtagen, die die Rechte der Arbeiter erweiterten und die Rechte der Monopolbourgeoisie einschränkten oder einschränken sollten.

Bei den Konzernherren breitete sich Unruhe und Besorgnis aus, und es wurden Wege gesucht, die Empörung der Arbeiter zu kanalisieren. So machten sie nicht nur das ein oder andere Zugeständnis, sondern planten, führende Gewerkschaftsfunktionäre in den Westzonen durch Aufnahme in die Aufsichtsräte an die Monopole zu binden und sie materiell und moralisch zu korrumpieren. Sie wollten damit nicht nur die Arbeiterproteste einebnen. Sondern was ihnen ebenso viel Sorgen machte, waren die von den Westmächten beabsichtigten Demontagen und Entflechtungen. Auch dagegen wollten sie die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer als Bundesgenossen gewinnen.

Die Sorge der deutschen Konzernherren war aber unbegründet. Die Westmächte hatten lediglich vor, die Einhaltung des Potsdamer Abkommens in Bezug auf die Vernichtung der Monopole vorzutäuschen. Die sogenannte Entflechtung erwies sich als notwendige Reorganisation der Monopole, wie es Albert Norden in seinem Buch Um die Nation nachgewiesen hat.

Die Arbeiter kämpften zwar weiter, aber den politischen Forderungen war durch die Zusammenarbeit der Gewerkschaftsführungen mit dem Monopolkapital die Spitze gebrochen worden. Die Kämpfe verblieben auf der Ebene der ökonomischen Forderungen, und auch da wurde unzureichend gekämpft, so z.B. bei dem Generalstreik 1948 (so was gab es damals noch), der auch noch auf 24 Stunden begrenzt wurde und damit erfolglos blieb.

Dementsprechend wurde es immer schwieriger, auf den Interzonenkonferenzen eine Übereinkunft zu erreichen. Auf Grundlage der abflauenden Kämpfe der Arbeiter in Westdeutschland versuchten nun die rechten Gewerkschaftsführer, diese Einrichtung zu liquidieren. Das wollten sie nicht einfach so tun, sondern sie brauchten einen Vorwand. Dieser Vorwand hieß: Zulassung der sogenannten Unabhängigen Gewerkschaftsorganisation (UGO) zur 9. Interzonenkonferenz.

Ich muss jetzt die UGO erklären und auch einiges zur Berlinfrage sagen, da uns dieser Problemkreis bei der Darstellung und Analyse des Kampfes gegen den FDGB über lange Jahre begleiten wird.

Die Siegermächte hatten vereinbart, dass Deutschland in vier Zonen aufgeteilt wird, wobei es als Einheit bestehen bleiben sollte. Damit wurde natürlich eine vorläufige Regierung für ganz Deutschland notwendig. Das war der alliierte Kontrollrat, der seinen Sitz in Berlin erhielt. Berlin war nach Vereinbarung Bestandteil der sowjetischen Besatzungszone. Da aber die vier Besatzungsmächte als gemeinsame Regierung sich nicht in irgendeinem Berliner Hinterzimmer einrichten konnten, sondern ihre Soldaten und auch sonst eine gewisse Infrastruktur mitbringen mussten, wurde Berlin in vier Sektoren aufgeteilt, die aber nichts daran änderten, dass ganz Berlin zur SBZ gehörte. Diese Wahrheit wird natürlich von den Vertretern des deutschen Imperialismus vehement abgestritten, bis heute. Sie reden zum Beispiel in ihrer Kolonialstil-Sprache von fünf neuen Bundesländern. Da ist ganz Berlin nicht dabei – was nicht nur heißt, es gehörte als Ganzes nicht zur SBZ und nicht zur DDR, sondern das heißt auch, es ist kein neues, sondern ein altes Bundesland, d.h. ganz Berlin gehörte nach ihrer Lesart schon immer zur BRD.

Der FDGB war in der gesamten SBZ gegründet worden, also auch im gesamten Berlin. Nun wurde in Berlin die Lage durch die Anwesenheit der Westmächte in drei Westsektoren und deren Bestreben, dem deutschen Imperialismus wieder auf die Beine zu helfen, sehr verkompliziert. Dies zeigte sich schon bei der Vereinigung der SPD und KPD zur SED – die auch nur in der SBZ vollzogen werden konnte, da sie von den rechten sozialdemokratischen Führern wie Schumacher wüst bekämpft wurde. Nur in Berlin – nirgends sonst in der SBZ – existierte die SPD neben der SED weiter – beide in allen vier Sektoren. Die sozialdemokratische Beeinflussung der Arbeiter in Berlin war fast ungehindert gegeben, vor allem natürlich in den Westberliner Betrieben. Dies manifestierte sich auch bei den Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung Berlins im Oktober 1946. Das Ergebnis war: SED 20 %, SPD 49 %, CDU 22 %, LDPD 9 %.

In dieser Situation witterten die rechten Sozialdemokraten Morgenluft und sammelten sich im FDGB Berlin zu einer innergewerkschaftlichen Opposition, die sie schließlich UGO (»Unabhängige Gewerkschaftsopposition«) nannten und die ein sehr verhängnisvolles Spiel trieb. 1947 sorgten ihre Anhänger z.B. dafür, dass ein von Witzleben, Vorstandsmitglied und Direktor des Siemens-Konzerns – mit Sitz in Westberlin – und vordem Kriegsverbrecher, verantwortlich für Misshandlung und Vergasung unzähliger ausländischer Zwangsarbeiter, auf seinem Posten bleiben konnte. 1948 betrieben sie die offene Spaltung und hielten eine separate Mai-Kundgebung in Westberlin ab, zu der 150 000 kamen, während an der zentralen Kundgebung des FDGB 500 000 Kollegen teilnahmen. Von der UGO und in der DGB-Geschichtsschreibung wird diese Pleite so schöngeredet, dass viele Kollegen eigentlich für die UGO waren, aber wegen der Gewerkschaftseinheit zum FDGB gegangen seien.3 Was ist das für eine Logik! Im gleichen Jahr unterstützte die UGO die separate Einführung der D-Mark in Westberlin (d.h. die wirtschaftliche Spaltung Berlins, der noch im selben Jahr die politische Spaltung folgte) und erwarb sich damit endgültig die Sympathie und finanzielle Unterstützung der Behörden der Westalliierten. Und das war dann auch das Jahr, in dem die UGO mit ihrer provokatorischen Forderung die letzte Interzonenkonferenz zum Platzen brachte.

1949 war das Jahr, in dem schließlich ein Drittel der Menschheit vom Imperialismus befreit war. Gleichzeitig war es ein Jahr der Konterrevolution, denn der westdeutsche Separatstaat wurde gegründet und die Aussicht auf ein antifaschistisches Deutschland, eine Deutsche Demokratische Republik von der Oder bis zum Rhein, rückte in weite Ferne.

Begrüßt wurde die Gründung der BRD durch eine fast zeitgleich laufende konterrevolutionäre Aktion in Westberlin: Die UGO hatte zum Streik bei den Eisenbahnern gerufen. Man muss dazu wissen, dass die Bahn in ganz Berlin der sowjetischen Besatzungsbehörde und später der DDR unterstand. Die Forderung der UGO lautete: Bezahlung der Westberliner Eisenbahner in D-Mark. Als der Streik nicht so recht klappte, verlegte sich die UGO auf Sabotage. Unter dem Schutz der Westberliner Polizei wurden Kabel zerschnitten, Stromschienen entfernt, Signalanlagen zerstört, Reisende in Westberlin gewaltsam an der Benutzung der S-Bahn gehindert. Dass in diesen Tagen keine Katastrophen passiert sind, lag an dem disziplinierten Einsatz der Eisenbahner.

Der Gründung der BRD musste im selben Jahr die Gründung der DDR folgen – nur noch auf dem Territorium der SBZ, aber immer noch versehen mit der ursprünglichen Zielsetzung, den Staat der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung auch auf Westdeutschland auszudehnen.

Und dann gründete sich im Jahr 1949 auch der DGB. Diese Gründung war nicht nur eine Niederlage der Arbeiter. Immerhin hat er in der Satzung das Prinzip der Einheitsgewerkschaft, und die zugehörigen Gewerkschaften sind Industriegewerkschaften – d.h. in jedem Betrieb gibt es nur eine Gewerkschaft. (Heute ist dieses Prinzip aufgrund von Veränderungen in der Produktion durchlöchert, so dass sich stellenweise Gewerkschaften gegenseitig die Mitglieder wegnehmen.) Damals war das die positive Seite, die von den nach 1945 kämpfenden Arbeitern durchgesetzt worden war. Ursprünglich gab es eher die Pläne, die chaotische und zersplitterte Gewerkschaftslandschaft der Weimarer Republik wiederzubeleben (siehe Tarnow). Allerdings war der DGB von Anfang an keine einheitliche Organisation, die zentralisiert und schlagkräftig gegen das Monopolkapital vorgehen kann, wie es beim FDGB der Fall war, sondern nur ein loser Zusammenschluss autonomer Industriegewerkschaften.

Ausdruck der Niederlage der deutschen Arbeiterklasse ist die Gründung des DGB deshalb, weil damit die Bestrebungen einer gemeinsamen antifaschistischen Gewerkschaftsorganisation – eines Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes – in ganz Deutschland, die als Kampforganisation die Massen der Arbeiter gegen das deutsche Kapital organisiert, in den Staub getreten wurden. Man unterwarf sich den Wünschen des Monopolkapitals.

1950 vollendete dann die UGO die Spaltung in Berlin, indem sie sich in »DGB Großberlin« umbenannte (Großberlin, nicht Westberlin). Erleichtert wurde ihr das dadurch, dass sie schon seit einiger Zeit in Westberlin als einziger Tarifpartner anerkannt wurde. Vielen Gewerkschaftern, besonders den SED-Mitgliedern, gefiel es natürlich überhaupt nicht, Mitglied in dieser Spalterorganisation zu werden, und es muss wohl in dieser Hinsicht ein wenig Durcheinander gegeben haben. Jedenfalls bemerkte Walter Ulbricht auf einer Tagung des ZK der SED 1952: »Es gibt Parteimitglieder in Berlin, die sektiererisch erklären, die Arbeit im DGB sei nutzlos. Der DGB ist eine Arbeiterorganisation, und es ist selbstverständlich, daß die fortgeschrittenen Arbeiter in seinen Organisationen arbeiten müssen, um zu erreichen, dass diese konsequent die Arbeiterinteressen vertreten.«4 Dem kann man sich – bei allem Verständnis für den Ekel vor diesen UGO-Banditen – nur anschließen.

Wir haben nun diese Situation: Entgegen dem Potsdamer Abkommen zwei deutsche Staaten, einer, der wenigstens auf seinem Teilgebiet für die Umsetzung des Potsdamer Abkommens kämpft, und einer, der das in allen Punkten in den Wind schlägt. Beide streben ein Gesamtdeutschland an, die BRD unter der Herrschaft der deutschen Monopole, die DDR als Republik der demokratisch-antifaschistischen Umwälzung. Dementsprechend ist die Frontstellung zwischen DGB und FDGB.

Sozialdemokratischer Methodenwandel

Sehen wir uns nun an, wie der DGB seine von der deutschen Monopolbourgeoisie gestellten Aufgaben gegen DDR und FDGB meisterte. Wir können über die Jahre von 1949 bis 1990 im wesentlichen zwei Vorgehensweisen unterscheiden: die eine ist der offene und mit allen Mitteln geführte Kampf gegen DDR und FDGB (das ist die damals sehr erfolgreiche UGO-Methode), die andere entspricht der von Egon Bahr (SPD) 1963 kreierten Politik namens »Wandel durch Annäherung«. Beide Linien hatten das gleiche Ziel, aber verschiedene Methoden. In dem Schaubild sehen wir anfangs den offenen Kampf (UGO-Politik), in der zweiten Hälfte der Fünfziger Jahre beginnt eine Auseinandersetzung im DGB über eine Änderung dieser Politik – diese Debatte hängt mit einer Verschärfung der Konfrontation der imperialistischen Länder gegen die sozialistischen zusammen. Ab 1963 wird der »Wandel durch Annäherung« zu einer offiziellen Methode der SPD, was natürlich die Debatte nochmals beflügelt, und ab 1969 – die SPD ist zusammen mit der FDP an der Regierung – kann der DGB im Fahrwasser der »neuen Ostpolitik« sein Glück versuchen, den FDGB zu Tode zu umarmen. Er traut sich das allerdings erst so richtig ab 1972. 1990 dann werden die Bemühungen durch einen überraschenden Erfolg gekrönt, und der DGB stürzt sozusagen über Nacht ab in die fünfziger Jahre. (Und er ist nicht der einzige. Plötzlich wurde der von allen nicht ganz doofen Menschen belächelte Ausdruck »Zone« wieder salonfähig, der alte plumpe offene Antikommunismus verdrängte die bisherige elegante Unterminierungspolitik, und das auf allen Ebenen der Gesellschaft).

Herausragende Ereignisse in diesem Verlauf zeigen beispielhaft, wie dieser unrühmliche Kampf des DGB ausgesehen hat:

Im Jahr 1952 hatte die DDR, die mehr und mehr ökonomisch und politisch bedrängt wurde, ihre Entwicklung beschleunigen und von der antifaschistisch-demokratischen Umwälzung zum sozialistischen Aufbau übergehen müssen, auch wenn das vielleicht nicht von allen Arbeitern verstanden wurde. Das ging nicht ohne Blessuren ab. Am 16. und 17. Juni 1953 kam es zu Streiks gegen eine Normerhöhung. Organisatorisches und politisches Rückgrat dieser Streiks waren die Ostbüros der SPD und des DGB (das Ostbüro des DGB war von der UGO eingerichtet worden). Dass diese Streiks vom RIAS (Rundfunk im amerikanischen Sektor) unterstützt wurden, dass sie von allen Rechten und Arbeiterfeinden begrüßt wurden, dass bereits Tage vorher an den Börsen ein schwunghafter Handel mit »Ostwerten«, mit Aktien ehemaliger Konzernbetriebe in der DDR getrieben wurde, dass also die Vorbereitung der Einverleibung der DDR auf Hochtouren lief, und dass die Streiks in der DDR den faschistischen Mob aus Ost und West auf die Straßen lockten – all das verdeckt erst einmal den Blick darauf, dass es bei diesen Streiks um eine der ernstesten Streitfragen innerhalb der Arbeiterbewegung ging.

In Westdeutschland hatte sich mehr und mehr das von der Gewerkschaftsführung praktizierte Nur-Gewerkschaftertum wieder durchgesetzt, das seinen Frieden mit dem Kapital macht, das sich nicht darum kümmert, wem die Betriebe gehören, noch um Fragen des Friedens und des Antifaschismus, das Streiks allenfalls als Kampfmittel für einen »gerechten Lohn« sieht. In der DDR war dieses »Lohnarbeiterbewusstsein« trotz aller Bemühungen von Partei und Gewerkschaft natürlich auch noch vorhanden. Schließlich waren die Arbeiter in Deutschland vor Kurzem durch die Anti-Hitler-Koalition befreit worden, seitdem konnten sie erst wieder freie Lohnarbeiter statt Sklaven sein. Und dann kam nur sieben Jahre später der Sprung, als Arbeiter zur herrschenden Klasse zu gehören – das war für manchen Arbeiter dann doch zu viel, der einfach in Frieden arbeiten, sich aber nicht um Produktion und Gesellschaft kümmern wollte. Auf dieser Grundlage konnten die Ost-Büros der SPD und des DGB arbeiten, und auf dieser Grundlage riefen westliche Gewerkschaftsführer von Westberlin aus zu Streiks in der DDR auf. Dieselbe Liga, die es im Januar 1933 abgelehnt hatte, zum Generalstreik gegen die Machtübertragung an die Hitlerfaschisten aufzurufen, tat sich nun dicke, den Kampf gegen die Normerhöhung zu organisieren. Und die Arbeiter in Westdeutschland wurden in ihrer Mehrheit auf Grundlage dieses Nur-Gewerkschaftertums systematisch zu Gegnern des Aufbaus des Sozialismus in der DDR gemacht – gerade auf der Grundlage der Ereignisse des 17. Juni 1953.

Die Ausschreitungen, die es auf Grundlage dieser Streiks von Faschisten, Brandstiftern und sonstigen Banditen gab, die unüberschaubare Situation, die entstand, die Unberechenbarkeit der westdeutschen Regierung und sonstiger reaktionärer Kräfte führten dazu, dass die sowjetische Arbeiterklasse mit Panzern aufmarschieren musste, um den Frieden zu sichern.

Über diesen Teil des 17. Juni 1953 wird von manchen Leuten nicht so gern gesprochen. So war es z.B. der britischen Besatzungsmacht nicht so geheuer, was sich da aus den sozialdemokratisch organisierten Streiks entwickelte. Es gibt zum Beispiel einen als geheim gekennzeichneten Brief eines Mitarbeiters der britischen Militärregierung in Berlin, aus dem die Sorge spricht, dass an den Vorwürfen aus der DDR und der Sowjetunion, dass »westliche Provokation« die »Tumulte« – wie es in dem Brief heißt – hervorgerufen hätten, etwas dran sein könnte. Beunruhigt zeigt sich dieser Mitarbeiter, inwieweit das DGB-Ostbüro und die SPD hier auch Ursache gewesen sein könnten, und etwas ungläubig zitiert er den Leiter des DGB-Ostbüros, der, so wörtlich, »behauptet, er habe ihnen [den Arbeitern] das [den Generalstreik] ausgeredet«.5

Auch der DGB drückt sich in seiner Geschichtsschreibung recht vorsichtig aus. Da heißt es, es »hätte eine konsequente gewerkschaftliche Interessenvertretung den Konflikt vielleicht zu kanalisieren vermocht. Unter den herrschenden Bedingungen musste er sich politisch aufladen und eskalieren.«6 Das ist natürlich eine ungeheuerliche Frechheit – der DGB hat sich gerade als »konsequente gewerkschaftliche Interessenvertretung« aufgespielt und die Eskalation in Kauf genommen; in Kauf genommen, dass faschistische Banden Mord und Totschlag in der DDR verübt und verurteilte Nazis aus den Gefängnissen befreit haben. Aber das ist das alte Spiel der Sozialdemokratie – zuerst den Faschisten den roten Teppich ausrollen und dann sagen, das haben wir nicht gewollt! Das wurde schon 1933 im ganz großen Stil praktiziert.

Die negative reaktionäre Entwicklung in Westdeutschland wurde durch den 17. Juni im Jahr 1953 nur gefördert. Die CDU/CSU errang bei den Bundestagswahlen große Stimmengewinne (was der DGB sicherlich auch nicht gewollt und geahnt hat, dass es so kommen könnte), während die KPD unter die neu geschaffene 5%-Hürde rutschte und nicht mehr in den Bundestag kam.

Die Gewerkschaftsführung nutzte schon seit 1951 den zunehmenden Einflussverlust der KPD, um durch Reverse (d.h. sie verlangte Loyalitätserklärungen) Kommunisten aus der Gewerkschaft zu schmeißen oder ihrer Funktionen zu entheben.7 Trotz dieser ungünstigen Lage und trotz der offensichtlich korrumpierenden Wirkung des sogenannten Wirtschaftswunders auf einen großen Teil der westdeutschen Arbeiter konnte die KPD noch einen wichtigen Erfolg verbuchen: Sie erreichte spektakuläre Ergebnisse bei der Betriebsratswahl 1955, in der Dortmunder Westfalenhütte gewann sie sogar die Mehrheit – und das, obwohl sich der recht populäre, damals noch zweite IGM-Vorsitzende Otto Brenner persönlich dorthin bemüht hatte, um ein solches Ergebnis zu verhindern.8 Auch in der IG Bau-Steine-Erden gewannen die Kommunisten an Einfluss. Infolgedessen entschloss sich der Hauptvorstand der IG BSE Anfang 1956, den Bezirksvorstand Nordrhein und die Verwaltungsstellen Düsseldorf, Wülfrath, Hamborn, Duisburg, Mühlheim, Mönchengladbach, Wuppertal, Essen und Moers wegen »kommunistischer Unterwanderung« aufzulösen.9

Schon seit 1951 lief der von der Adenauer-Regierung initiierte Prozess für ein KPD-Verbot. Aufgrund der offensichtlich eher wieder ansteigenden Verankerung der Kommunisten in wichtigen Industriebetrieben beeilten sich Justiz und Regierung, das zu einem Ende zu bringen, und am 17. August 1956 wurde das Verbot der KPD ausgesprochen.

Der DGB-Bundesvorstand unterstützte das ausdrücklich. In seiner Begründung heißt es: »In ihrem Herrschaftsbereich in der sowjetisch besetzten Zone Deutschlands duldet die KPD weder freiheitliche, noch demokratische Organisationen, noch gestattet sie Betätigung in freiheitlich-demokratischem Sinne. Damit hat sie das moralische Recht verwirkt, sich auf demokratische Grundsätze zu berufen.«10 Kampf gegen die KPD war Kampf gegen die DDR – dieser Zusammenhang stimmt durchaus. Der Klassenkampf in beiden Ländern war nie unabhängig voneinander. Und die Zustimmung zum KPD-Verbot durch den DGB entsprach nicht nur seiner Gegnerschaft zur DDR, sondern auch seiner halbherzigen Haltung zur Remilitarisierung. Der Kampf dagegen wurde beendet mit dem Hinweis auf den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht.

Ab Ende der fünfziger Jahre bekam der UGO-Nachfolger DGB Westberlin (oder »Großberlin«, wie er sich nannte), der nach wie vor wesentlich reaktionärer war als die DGB-Führung in Westdeutschland, wieder eine Beschäftigung. Bis Mitte der fünfziger Jahre hatte er immer riesige Kundgebungen an der Reichstagsruine abgehalten, als Drohung gegen die DDR und antikommunistische Manifestation. Gewerkschaftliche Forderungen waren dort so gut wie gar nicht zu hören. Ich bin in Westberlin aufgewachsen, und ich weiß noch, dass mein Großvater, ein Konservativer und Bismarck-Bewunderer, über diese DGB-Versammlungen sagte: »Eigentlich finde ich diese Kundgebungen zum 1. Mai sehr gut, ich verstehe nur nicht, warum die Gewerkschaften da immer mitreden müssen.« Ab 1959 wurde diese schöne Tradition wieder aufgenommen, denn die sogenannte »Berlin-Krise« war in vollem Gange. Krisen dieser Art waren ganz nach dem Geschmack der UGO-Häuptlinge. Bei der Gelegenheit wurden gleich 60 Kollegen aus der IG Metall ausgeschlossen, weil sie für die SED bei den Wahlen zum Westberliner Abgeordnetenhaus kandidiert hatten.11 Vorwand für die seit 1958 geschürte Kriegs-Hysterie – sowohl vom deutschen Imperialismus als auch von den Westmächten geschürt – war der Vorschlag Chruschtschows, aus Westberlin eine entmilitarisierte »Freie Stadt« zu machen. Die Westmächte waren natürlich entsetzt. Für den deutschen Imperialismus wäre das meines Erachtens sogar ganz günstig gewesen, weil er sich in Westberlin als Pfahl im Fleisch der DDR dann hätte frei bewegen können, ohne die argwöhnischen Augen der Westalliierten und ohne deren Einschränkungen und Verbote (wie z.B. das NPD-Verbot). Von dieser Seite und damit auch von Seiten des DGB war die Empörung eher geheuchelt. Nebenbei gesagt: Die Regierung der DDR war von der Geschichte offensichtlich auch nicht begeistert. In einem Brief an die Regierung der UdSSR betonte sie, dass Westberlin eigentlich zur DDR gehört, dass man aber im Sinne einer Entspannung mit dem sowjetischen Vorschlag einverstanden sei12 … wobei man sagen muss, dass gar keine Entspannung daraus erfolgte.

Im DGB in Westdeutschland verschärften sich unterdessen die Auseinandersetzungen um das Kontaktverbot. Bis zur Aufnahme offizieller Kontakte zwischen DGB und FDGB im Jahr 1972 gab es immer wieder Ausreißer, gab es heftige Kämpfe, eigenmächtige Kontaktaufnahmen, Ausschlussdrohungen. Besonders interessiert an einer Änderung der Politik des DGB waren offenbar die IG Drupa, teilweise auch die IG Bergbau und Energie, die ÖTV und die Gewerkschaftsjugend.13

Diese Widersprüche waren nicht nur die zwischen zwei sozialdemokratischen, dem Imperialismus dienenden Taktiken. Die Kampagne »Kampf dem Atomtod«, die sich gegen die Bundesregierung, gegen Kriegsminister Strauß, gegen die Ausrüstung der Bundeswehr mit Atomwaffen wendete, führte auch dazu, dass der gewerkschaftliche Widerstand gegen die CDU/CSU/FDP-Bundesregierung stärker wurde. Während der DGB Streiks gegen die atomare Bewaffnung der Bundeswehr ablehnte (es hatten tatsächlich einzelne Streiks dagegen stattgefunden) und der Bewegung die Spitze brach, hatte sich in diesem Kampf bei vielen Gewerkschaftern auch ein stärkerer Wunsch nach Verständigung mit dem FDGB und Frieden mit der DDR und der Sowjetunion herausgebildet.

Angesichts der sogenannten »Berlin-Krise« witterte der deutsche Imperialismus Morgenluft und organisierte eine Kampagne zur wirtschaftlichen Zerstörung der DDR. Er warb Arbeiter aus der DDR an, die höhere Löhne als üblich bekamen. Die Kapitalisten konnten das leicht finanzieren, durch die imperialistischen Extraprofite. Insbesondere kümmerte man sich um Facharbeiter und technische Intelligenz, man versuchte fast die DDR auszuräumen und machte auch die größten Geschäfte mit dem Schwindelkurs 1:8 (man bekam 1 DM für 8 Mark der DDR). In Massen kamen diese Deutschen reingeströmt, die sehr liebevoll behandelt wurden (im Gegensatz übrigens zu Flüchtlingen, die später kamen, aber eben nicht deutsch waren). Man redete von einer »Abstimmung mit den Füßen«.

Im Sommer 1961 wurde dann die Tätigkeit des deutschen Imperialismus immer hektischer, auch angesichts dessen, dass die USA nichts davon wissen wollten, dass Westberlin oder ganz Berlin zur BRD gehören soll. Es wurden Landsmannschaftstreffen usw. in Westberlin organisiert, um die Stimmung anzuheizen. Und dann wurde schließlich Strauß tätig, der im Juli 1961 in die USA reiste und McNamara, dem Kriegsminister der USA, seine Forderungen vortrug. Er verlangte z.B., dass in die »Berliner Krise«, wie er es nannte, der gesamte Westen einbezogen wird, und erklärte, dass Westdeutschland seinerseits entschlossen sei, diese Krise bis zur letzten Konsequenz zuzuspitzen. Außerdem hat Strauß auf einer Pressekonferenz in den USA darauf hingewiesen, dass der Westen auf eine Art Bürgerkrieg vorbereitet sein müsse. Gleichzeitig gab es Aufmärsche an der Reichstagsruine und auch wieder die üblichen Brandstiftungen in der DDR (ohne die geht’s beim deutschen Imperialismus nicht). Der Industriekurier hat, nachdem dieser ganze Zauber vorbei war, offenherzig erläutert, wie sich das Monopolkapital die ganze Geschichte vorgestellt hat: die Eroberung der DDR sollte »mit Girlanden und wehenden Fahnen und siegreichem Einzug der Bundeswehr durchs Brandenburger Tor unter klingendem Spiel«14 gefeiert werden.

Die DDR war gezwungen, die Grenze in Berlin zu sichern.

Die UGO-DGB-Führung in Westberlin wurde sofort tätig, und zwar gemeinsam mit der Springer-Presse (mit der sie sowieso stets innig verbunden war). Sie gab ein Plakat heraus mit der Aufschrift: »Zahlt nicht den Stacheldraht. Fahrt nicht mit der S-Bahn.« Zum Zweck dieses Boykotts wurden gewerkschaftliche Posten aufgestellt, die ausgesprochen rabiat waren, die notfalls auch alte Leute zusammenschlugen oder bedrohten, wenn diese mit der S-Bahn fahren wollten (das ist z.B. meiner gehbehinderten Großtante passiert). Aus allen Städten Westdeutschlands wurden Busse rangefahren, die die gleiche Strecke wie die S-Bahn fuhren. Dabei war es überhaupt nicht so, dass man mit der S-Bahn den Stacheldraht zahlte, sondern vielmehr zahlten die Werktätigen der DDR dafür, dass die Westberliner billig S-Bahn fahren konnten – billiger als mit den Westberliner Verkehrsbetrieben.

Was allerdings nicht geklappt hat, waren zu diesem Zeitpunkt die Träume des deutschen Imperialismus, die DDR zurückzuerobern – was nicht allein an der Sicherung der Staatsgrenze lag, sondern auch daran, dass die Westmächte ganz zufrieden mit dem neu geschaffenen Zustand waren: Dem deutschen Imperialismus war eine Schranke gesetzt. Für SPD und Gewerkschaftsführung hieß das, neue Wege zu gehen, dem Kapital neue Möglichkeiten zu bieten, doch noch DDR, SED und FDGB zu zerstören.

»Wandel durch Annäherung« hieß die Zauberformel, die Egon Bahr (SPD) 1963 in einer Rede – in Übereinstimmung mit Willy Brandt – verkündete. Im DGB kam das nicht sofort an. Aber die Auseinandersetzung um die Frage, ob man Kontakte zum FDGB haben darf, verschärfte sich, und eigene Aktivitäten von Teilen des DGB in Richtung FDGB wurden häufiger. Hier gilt allerdings dasselbe wie oben: Zum Teil waren das auch durchaus fortschrittliche Kollegen, die in dieser Richtung Druck ausübten.

Beim DGB Westberlin wandelte sich wieder mal gar nichts. Er entfaltete – auch wieder gemeinsam mit der Springerpresse – Aktivitäten gegen die demokratische Studentenbewegung. Im Februar 1968 riefen der Westberliner Senat, der Westberliner DGB und die Springerpresse gemeinsam zu einer Kundgebung gegen die Studenten, gegen den SDS, auf. Die Kundgebung war während der Arbeitszeit, und aus allen Betrieben des öffentlichen Dienstes und vielen anderen Betrieben wurden Arbeiter und Angestellte mit Bussen zu der Kundgebung gefahren. Wie aufgeheizt die Stimmung war, zeigt dieser Vorfall: Ein Teilnehmer der Kundgebung, der Rudi Dutschke ähnlich sah, wurde von der Menge fast gelyncht und musste unter Polizeischutz gestellt werden.

Wie auch immer, der DGB in Westdeutschland entwickelte sich im Lauf der heftigen Auseinandersetzung immer mehr hin zu dem Konzept »Wandel durch Annäherung«. Ich möchte das anhand der Behandlung außenpolitischer Fragen durch die Gewerkschaftsführung zeigen, an drei Landkarten.

Die erste ist eine verbale Landkarte und stammt vom IG-Metall-Vorsitzenden Otto Brenner, der 1956 anmerkte: »Es kann uns nicht gleichgültig sein, dass große Teile Deutschlands jenseits der Oder-Neiße-Linie gewaltsam abgetrennt und Millionen Menschen aus ihrer Heimat vertrieben wurden.«15 Zehn Jahre später hat der »Wandel durch Annäherung« die Landkarte zwar noch mit den Ambitionen des deutschen Imperialismus bezüglich der DDR bestückt, aber jenseits der Oder-Neiße-Linie hält man sich jetzt bedeckt (was übrigens keineswegs die Aussage beinhaltet, dass man die Westgrenze Polens anerkennt und verteidigt).

Dann kommen wir zu einer Landkarte aus dem Jahr 1989, aber vor der Grenzöffnung, als der DGB hundertprozentig auf den »Wandel durch Annäherung« eingeschworen war. Die DDR ist nun vorsichtshalber verschwunden, dafür geht’s erst mal um Westeuropa, um dann die DDR besser in die Zange nehmen zu können. Das hat dann auch geklappt, die Gewerkschaftsführung hat nur nicht geahnt, wie bald.

Bei den Auseinandersetzungen um die Frage der Kontakte zum FDGB und sonstigen Institutionen erlitt die Politik des »Wandels durch Annäherung« 1968 beim DGB einen herben Rückschlag. In der CSSR hatte eine Politik des »dritten Weges«, der »sozialistischen Marktwirtschaft« die Oberhand gewonnen – das war genau das, was z.B. gegenüber der DDR mit der Politik des »Wandels durch Annäherung« ebenfalls erstrebt wurde. Die DGB-Gewerkschaftsführer waren begeistert. Nach dem Einmarsch sowjetischer Truppen in die CSSR beschloss der DGB ein vorläufiges Kontaktverbot in Länder des Warschauer Vertrags – gegen eine Stimme, nämlich die des ÖTV-Vorsitzenden Heinz Kluncker. Die ÖTV war zu dieser Zeit am eifrigsten dabei gewesen, Kontakte zu FDGB-Gewerkschaften zu knüpfen.16

1969 begann die Amtszeit des ersten sozialdemokratischen Kanzlers in der BRD, Willy Brandt, der unter dem Schlagwort »Mehr Demokratie wagen« die Politik des »Wandels durch Annäherung«, die »neue Ostpolitik« für die deutschen Monopole regierungsamtlich durchsetzte (das mit dem »Demokratie wagen« war wohl eher an die Adresse der DDR gerichtet, in der BRD jedenfalls kam es unter dieser Regierung zu den Berufsverboten im öffentlichen Dienst).

Aber erst ab 1972 – nach Vereinbarung des Grundlagenvertrags zwischen BRD und DDR – nahm der DGB offizielle Kontakte zum FDGB auf. Warum das? Alles, was ich dazu an Begründungen gefunden habe, läuft auf peinlichsten Legalismus bei den westdeutschen Gewerkschaftsführern hinaus: Angeblich brauchte man dazu eine sozialdemokratische Regierung und den Grundlagenvertrag. Das kann ich nicht anders deuten, als dass die DGB-Führer fürchteten, bei einer vorzeitigen Kontaktaufnahme Opfer des von ihnen selbst unterstützten KPD-Verbots zu werden. Eine solche Angst wäre nicht mal abwegig gewesen. Bis 1967 waren Kommunisten oder des Kommunismus Verdächtige in der BRD ins Gefängnis geworfen worden, zum Teil wegen wesentlich geringfügigerer Tatbestände als der Kontaktaufnahme mit dem FDGB.

Die Frage ist nun, was haben diese Kontakte genützt – wurde die 1948 abgebrochene Arbeit der Interzonenkonferenzen wieder aufgenommen?

Die Antwort ist ganz entschieden: Nein.

Da wären erst mal die objektiven, die gesellschaftlichen Voraussetzungen. 1946 begannen die Interzonenkonferenzen, 1948 wurden sie abgebrochen. Es gab noch keine zwei deutschen Staaten. In ganz Deutschland kämpften Arbeiter und Antifaschisten für die antifaschistisch-demokratische Umwälzung – der einzige Unterschied war, dass der Kampf in der SBZ wesentlich leichter war als in den Westzonen. Dennoch waren die Unterschiede zwischen Ost und West noch lange nicht so groß wie in den späteren Jahren, die Kampfaufgaben der Gewerkschaften waren noch nicht so unterschiedlich. In den 70er und 80er Jahren haben wir eine ganz andere Situation. Es handelte sich um Gewerkschaften in zwei Staaten unterschiedlicher Gesellschaftsordnung und mit völlig verschiedenen Kampfaufgaben. Aus meiner Sicht hatten sie nur noch eine gemeinsame Aufgabe: jeweils ihren Beitrag zur Schwächung des deutschen Imperialismus zu leisten.

Wie sahen nun die Unterschiede zwischen Interzonenkonferenzen und den Wandel-durch-Annäherung-Kontakten konkret aus?17

Bei den ersten beiden Interzonenkonferenzen 1946 stand als Punkt 1 auf der Tagesordnung dick und unübersehbar: Entnazifizierung der Wirtschaft! Wenn man weiß, was das deutsche Monopolkapital die Jahre vorher angestellt hatte, weiß man auch, welche Brisanz diese Zielsetzung hatte. Ab der dritten Interzonenkonferenz im Februar 1947 war diese Forderung bereits von der Tagesordnung gestrichen. Die Tagesordnungen betreffen ab dann im Wesentlichen das, was unsere Gewerkschaftsführer Tagesgeschäft nennen würden. Kommunisten nennen so etwas sozialdemokratisches Nur-Gewerkschaftertum. Wir sehen also, dass die ersten beiden Interzonenkonferenzen noch sehr stark von den Kämpfen der Arbeiter in Ost und West beeinflusst waren, und dass schon 1947, schon vor dem Höhepunkt der Kämpfe in Westdeutschland, sich die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer aus den Westzonen auf den Interzonenkonferenzen in einem wesentlichen Punkt durchgesetzt hatten. Es war natürlich richtig vom FDGB, dennoch bis zuletzt um diese Interzonenkonferenzen zu kämpfen. Die Richtigkeit bestätigte der Gegner. Die sozialdemokratischen Gewerkschaftsführer sahen diese Konferenzen doch als so gefährlich an, dass sie sie mit Hilfe der UGO-Provokation platzen ließen.

Die Kontakte ab 1972 haben nun schon von der Themensetzung überhaupt keine Übereinstimmung mit den Interzonenkonferenzen. Und natürlich stand dort auch niemals die vorhin genannte Kampfaufgabe gegen den deutschen Imperialismus auf der Tagesordnung.

Um was ging es?

März 1972: Gewerkschaftsarbeit in den jeweiligen Verantwortungsbereichen und Ratifizierung des Grundlagenvertrages.

Oktober 1972: Probleme der Gewerkschaftspolitik und der gewerkschaftlichen Interessenvertretung unter den unterschiedlichen gesellschaftlichen Verhältnissen.

Das ist, wie ich meine, ein interessantes Thema, daraus lässt sich was machen. Aber dieses Thema taucht dann in den folgenden Begegnungen nicht mehr auf. Es kommt dann zu zahlreichen Begegnungen, gegenseitigen Besuchen, kultureller Zusammenarbeit etc. Im Mai 1985 kommt es zu einer neuen inhaltlichen Ausrichtung der Kontakte: Im Mittelpunkt steht die Forderung, »das Wettrüsten« zu beenden.

1986/87 wird gemeinsam eine vergleichende Untersuchung zur Berufsausbildung in beiden Staaten gemacht. Wobei auf dem 11. Kongress des FDGB im April 1987 durch den Vorsitzenden Harry Tisch bekräftigt wird, dass die dringlichste Aufgabe der Gewerkschaften darin bestehe, weltweit »das Wettrüsten« zu beenden.18

Natürlich war mit dieser Forderung niemals die BRD, die Bundesregierung oder die Bundeswehr gemeint. Gemeint war genau das, was auch das Motiv in den großen Friedensdemonstrationen der 80er Jahre war: das waren Forderungen an die USA und die Sowjetunion. Der Hauptfeind im eigenen Land – und auch der Hauptfeind der DDR – blieb verschont.

Ein spektakuläres Ergebnis des Kurses »Wandel durch Annäherung« außerhalb der staatlichen Beziehungen war das gemeinsame Papier von SPD und SED Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit, das 1987 herausgegeben wurde. Ich gebe nur die ersten zwei Sätze dieses langen Papiers wieder, die eigentlich schon eine Einschätzung ermöglichen. Sie lauten: »Unsere weltgeschichtlich neue Situation besteht darin, dass die Menschheit nur noch gemeinsam überleben oder gemeinsam untergehen kann. Eine solche Alternative ist historisch ohne Beispiel.«19

Diesem klassenübergreifenden Angstkuscheln entspricht, dass in diesem Papier, das immerhin von SPD und SED stammt, kein einziges Mal das Wort Gewerkschaft zu finden ist.

Worum es da in Wirklichkeit ging, geht noch deutlicher aus einem Bericht von Harald Neubert hervor, der auf Seiten der SED Teilnehmer der Gespräche um das Papier war. Er schreibt: »Der Dialog zwischen SED und SPD, von dem hier die Rede ist, begann in der ersten Hälfte der 80er Jahre, als das Wettrüsten zwischen den USA und der Sowjetunion den Höhepunkt der Gefährlichkeit und Unsinnigkeit erreicht hatte, ein Wettrüsten, das sich in erster Linie auf deutschem Boden, in den beiden deutschen Staaten abspielte.«20 Das ist wieder dieselbe Linie, wie wir sie bei den Gewerkschaftskontakten in den 80ern Jahren gesehen haben – gefährlich ist das Wettrüsten zwischen USA und Sowjetunion, der deutsche Imperialismus ist es nicht. Man sieht, diese Linie funktioniert auch ohne Gewerkschaften, sie sind nun bei der Lösung dieser Menschheitsprobleme gänzlich überflüssig.

An anderer Stelle berichtet Harald Neubert: »Die SPD hatte das Gemeinsame Dokument mit der SED gegenüber den Angriffen aus dem konservativen Lager unter anderem ganz offen damit begründet, dass nunmehr bessere Möglichkeit geschaffen wurden, um die Verhältnisse in der DDR und die Politik der SED mit den Wertmaßstäben ihres ›demokratischen Sozialismus‹ messen und von dieser Warte in der SED und der DDR ›Wandlungen‹ herbeiführen zu können.«21 Die Wandlungen kamen dann bekanntlich wesentlich schneller als gedacht. Und im Mai 1991 kam eine Begründung von der SPD, warum es nun keine Zusammenarbeit mit der PDS geben könne, die schon kabarettreif war: »Die PDS als Nachfolgepartei der SED könne nicht mehr Partner der SPD sein, weil sie sich von den im Gemeinsamen Dokument formulierten Positionen ihres kommunistischen Selbstverständnisses losgesagt hätte.«22 Oder mal kurz und knapp ausgedrückt: Weil die PDS nicht mehr kommunistisch ist, kann die SPD nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten. Um das zu verstehen, kann ich mir nur noch mit Shakespeare weiterhelfen: Ist es auch Wahnsinn, so hat es doch Methode.

1990 war die Politik des »Wandels durch Annäherung« abrupt zu Ende. Der FDGB wurde schon vor der Einverleibung der DDR in die BRD zerschlagen. Der DGB tat mal wieder das Seine zu dieser konterrevolutionären Maßnahme, mit einer Erpressung. Der Historiker Karlheinz Kuba beschreibt den Vorgang so: »Auf seiner Neujahrspressekonferenz kündigte der Vorsitzende des DGB ein Kooperationsabkommen mit dem FDGB an, das die Bildung gemeinsamer Arbeitsgruppen vorsah. Daran knüpfte der DGB die Bedingung, dass auf dem außerordentlichen FDGB-Kongreß vom 31. Januar/1. Februar 1990 eine personelle und satzungsgemäße Erneuerung stattfände. Dafür sollten die gewerkschaftlichen Strukturen in der BRD die Richtung weisen.«23

Die Erpressung funktionierte. Tatsächlich war der Außerordentliche Gewerkschaftskongress der Anfang vom Ende des FDGB. Harald Bühl, früher Funktionär beim Bundesvorstand des FDGB, berichtet darüber: »In der Folge des Außerordentlichen Gewerkschaftskongresses wurde der Dachverband FDGB zerschlagen […]. Die Aufteilung des Geldes und der Gebäude auf die Einzelgewerkschaften begann. Mit diesem Vorgehen wurden auch die Rechte und Leistungen des FDGB – Sozialpolitik, Sozialversicherung, Feriendienst, Bildung und Kultur, internationale Beziehungen und Solidarität – aufgegeben. Man folgte dem Vorbild der westdeutschen Gewerkschaften.

Die vermeintlichen und selbstmandatierten ›Erneuerer der Gewerkschaften‹ beriefen sich auf eine angebliche Unzufriedenheit der Mitglieder mit ihrer Organisation und ihren Leistungen. Das stimmte so nicht.

In Hunderten von Briefen an den Bundesvorstand, in den Gesprächen mit unzähligen Delegationen in den Gewerkschaftshäusern und in den Versammlungen wurden nur vereinzelt Rücktritte gefordert, an Auflösung wurde nicht gedacht. Es wurden kämpferische Positionen erwartet, um die Lähmung in der Gesellschaft zu überwinden. Überall wurde die Frage gestellt, wie es weitergehen sollte, was geändert werden müsse, wie die Eigenständigkeit der Gewerkschaft gegenüber der SED durchgesetzt werden sollte, über Reisefreiheit, über Informationspolitik und die Rechte der Gewerkschaften. Deren Verletzung, nicht deren Abschaffung wurde diskutiert, die volkseigenen Betriebe, die Mieten, die Kinderbetreuung und Familienförderung, die soziale Fürsorge, Frauen- und Jugendfragen, Bildung oder Kultur und die Organisation wurden nicht in Frage gestellt.

Der FDGB war als Interessenvertreter, als Massenorganisator und aktiver Mitgestalter Teil des Sozialismusversuches. Die Organisation ging unter wie das Land. Die Chance des Zusammengehens mit dem DGB, um eine starke einheitliche Gewerkschaft der Arbeiter und Angestellten zu schaffen, gab es offensichtlich nicht. Es blieb nur der Anschluss bzw. die Mitgliedschaft in einer Einzelgewerkschaft.

Es war das Ziel der herrschenden Kräfte in der BRD, so zu verfahren.

Der Abschlussbericht und die Zwischenberichte der ›Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR‹ (UK), auch die Antworten der Bundesregierung auf Anfragen der PDS zu diesem Thema, lesen sich wie Berichte von Siegern über Besiegte.

Die UK war so wenig unabhängig wie die Treuhandanstalt. Da waren ›Rechtsexperten‹ im wahrsten Sinne des Wortes tätig. Nicht einer war jemals als Gewerkschafter tätig gewesen oder hatte Verfahren in Sachen Arbeitsrecht bearbeitet. Deshalb ist bei dem in der Weltgeschichte einmaligen Vorgang kein bisschen Herz für die Gewerkschaften zu spüren.

Ja, jeder Staat hat nun mal seine eigenen Rechts- und Sicherheitsorgane. Diese Rechtsexperten bestimmten auch: Der FDGB und seine IG/Gewerkschaften hatten keine Rechte, ohne zur Kenntnis zu nehmen, dass in der DDR Entscheidungen, die die Arbeits- und Lebensbedingungen der Werktätigen betrafen, nicht ohne Gewerkschaften getroffen werden konnten. Unzählige DGB-Funktionäre lobten die Rechte der Gewerkschaften der DDR auch öffentlich – als es die DDR noch gab.

In den Beziehungen der beiden Gewerkschaftsbünde waren die Folgen des Kalten Krieges am weitesten überwunden. Man konnte sich schon vorstellen, was für starke Gewerkschaften entstanden wären, wenn DGB und FDGB sich demokratisch vereinigt hätten.«24

Aber das wollte der DGB ganz und gar nicht, weil es das deutsche Monopolkapital auch nicht wollte. Von Kooperation war dann auch keine Rede mehr, es sei denn, man bezeichnet es als Kooperation oder gar Wandel durch Annäherung, dass einer den anderen frisst.

Wie verheerend es sich auswirkte, dass der DGB den FDGB so einfach mal zum Frühstück verspeist hat, zeigt die Grafik der Mitgliederentwicklung des DGB: 1990 kommen so viele aus dem FDGB dazu, und heute sind wir zahlenmäßig unter dem Stand der fünfziger Jahre! (D.h. es ist wesentlich schlimmer als in der Grafik gezeigt, ich hatte nur keine Zeit, sie zu aktualisieren.)

Christa Luft schrieb zu den Auswirkungen der Auflösung des FDGB: »Das muss der Treuhand wie ein unerwartetes Geschenk vorgekommen sein, denn so entstand 1990/1991 in den neuen Ländern ein gewerkschaftsfreier Raum, der ihr das rigorose Agieren erleichterte. Einzig die ÖTV, die HBV sowie die IG Medien und deren Gliederungen vor Ort erwiesen sich als Interessenvertreter ihrer Ostkollegen. Skandalös verhielt sich demgegenüber nach Zeitzeugenberichten die IG Bergbau/Energie im Arbeitskampf der Bischofferoder Kali-Kumpel.«25

Detlef Hensche, Gewerkschaftsführer der IG Druck und Papier, dann der IG Medien im DGB, kam zu der Einschätzung, dass die DGB-Gewerkschaften an der Übertragung des kapitalistischen Systems auf Ostdeutschland aktiv mitgewirkt haben.26

Zu dem abgewürgten Kampf um die 35-Stunden-Woche in der einverleibten DDR möchte ich den Brief eines Kollegen zitieren. Es ist ein offener Brief, geschrieben am 4. Juli 2003 von Uwe Jahn, Vorsitzender des Betriebsrates der Schmiedewerke Gröditz und der Elektrostahlwerke Gröditz, an Kollegen Klaus Zwickel, 1. Vorsitzender der IG Metall, Frankfurt am Main.

»Lieber Kollege Zwickel,

Dein Gespräch mit dem ›Tagesspiegel‹ vom heutigen Tage hat mich betroffen gemacht.

Wenn Du sagst, uns ›Ossis‹ wurde gesagt, wie es geht, und wir haben gemacht, was uns gesagt wurde, so unterstellst Du uns damit, wir Metallerinnen und Metaller hier im Osten der Republik wären nicht in der Lage, eigenständig Argumente abzuwägen und Entscheidungen zu treffen.

Dieser Einschätzung möchte ich deutlich widersprechen.

Wären die Argumente für die Einleitung des Arbeitskampfes nicht plausibel gewesen und wären wir damit nicht der Meinung gewesen, dass wir, unterstützt von der gesamten IG Metall, diese Auseinandersetzung gewinnen könnten, dann wäre sie nicht geführt worden.

Wir sind nicht die Kinder von Hammeln, die, um im Bild zu bleiben, den Flötenspielern Peters und Düvel willenlos gefolgt sind.

Worin wir uns aber offensichtlich getäuscht haben, war die Bereitschaft maßgeblicher Funktionäre in manchen Westbezirken, diese Auseinandersetzung zu unterstützen. (Im Gegensatz übrigens zu vielen Kolleginnen und Kollegen aus Betrieben und Verwaltungsstellen.)

Dass diese Auseinandersetzung hart wird, musste doch spätestens nach der Verhandlung in Potsdam jedem klar gewesen sein, der von Tarifpolitik auch nur annähernd etwas versteht. Wenn dann der Vorstand einstimmig den Streik beschließt, dann konnten wir auch davon ausgehen, dass wir ohne Wenn und Aber solidarisch zusammenstehen.

Angesichts der Personaldebatte drängt sich mir allerdings der Verdacht auf, dass einige, die mit der Entscheidung, Jürgen Peters als 1. Vorsitzenden vorzuschlagen, nicht einverstanden waren, die Gunst der Stunde nutzen wollen.

Das wäre sehr, sehr bitter.

Nicht nur, dass dann die Streikenden von Funktionären der eigenen Gewerkschaft benutzt würden, um persönliche Interessen zu verfolgen, wäre bitter, sondern vor allem die Tatsache, dass dann einige Leute in der IG Metall in erster Linie um Posten und Einfluss rangeln und sich erst in zweiter Linie um die kollektive Interessenvertretung kümmern.

Warum wird die Diskussion um die zukünftige Strategie nicht auf dem Gewerkschaftstag geführt? Haben einige Funktionäre Angst, ihre Meinung ist nicht mehrheitsfähig, weil die Mitglieder eine andere Politik wollen? Will man sich mit einer vorzeitigen Personalentscheidung an dieser notwendigen Diskussion vorbeimogeln?

Lieber Kollege Zwickel, um weiteren Schaden von unserer IG Metall abzuwenden, kann ich Dich daher nur auffordern, Dich dafür einzusetzen, dass klar und schonungslos die Rolle aller Akteure (also auch der anderen Bezirksleiter und Vorstandsmitglieder) einer kritischen Bewertung unterzogen wird und somit dem demokratisch legitimierten Souverän unserer IG Metall, dem Gewerkschaftstag, die Chance gegeben wird, zuerst über Inhalte und danach über Personen zu entscheiden. […]

Glück auf!

Uwe Jahn«27

So denkt ein kämpferischer Arbeiter aus der DDR über die Liquidatoren des FDGB, die den FDGB stets als »undemokratisch« gegeißelt und von der DDR Streikrecht für die Arbeiter gefordert hatten.

Nun noch einige Schlussfolgerungen:

  1. Will man von Westdeutschland aus wissen, welche Gründe es waren, dass die DDR sich nicht halten konnte und warum der FDGB liquidiert werden konnte, sollte man sich zuerst um die eigenen Klassenkampfbedingungen kümmern – vor der eigenen Tür liegt genug Dreck. Welche Gründe waren es, dass die antifaschistisch-demokratische Umwälzung in Westdeutschland nicht umgesetzt werden konnte und abgewürgt wurde? Warum konnten wir in Westdeutschland den FDGB nicht aufbauen? Oft wird gesagt, die ganze Misere läge an inneren Ursachen der DDR. Aber waren die UGO – später der sogenannte DGB Großberlin – etwa keine inneren Ursachen der DDR, ebenso wie die SPD in Berlin? Und was heißt überhaupt innere Ursachen der DDR – es ist unsere innere Ursache, dass die DDR nur in der SBZ gegründet wurde, statt im Sinne des Potsdamer Abkommens in ganz Deutschland. Und es ist unsere innere Ursache, dass bei uns doch so wenig gekämpft wurde, dass Westdeutschland aus Sicht der nicht so bewussten DDR-Bürger als Paradies erscheinen musste, was die große Bewegung der Republikflüchtigen begünstigt hat. Und es ist unsere innere Ursache, dass die Auflösung des FDGB eine Folge der Erpressung durch den DGB war.

  2. Es sollte eigentlich selbstverständlich sein, aber man kann es nicht oft genug sagen: Die westdeutschen Gewerkschafter, die westdeutschen Arbeiter, die westdeutschen Linken, haben sich nicht die Köpfe zu zerbrechen, ob die Kollegen in der einverleibten DDR so oder so sind, sondern sie haben Solidarität zu üben mit diesen doppelt Unterdrückten – denn das sind sie, zum einen als Ausgebeutete wie die westdeutschen Werktätigen, zum anderen durch das annexionistische Vorgehen nicht nur des Feindes, sondern sozusagen auch des Freundes, der eigenen Gewerkschaften. Die Burgfriedenspolitik hat uns schon zu viel zerstört, und ohne diese Solidarität mit den Unterdrückten in der einverleibten DDR werden wir diese Talfahrt unserer Gewerkschaften nicht unterbrechen können.

  3. Ich will nochmal daran erinnern, was Walter Ulbricht 1952 sagte: »Der DGB ist eine Arbeiterorganisation, und es ist selbstverständlich, dass die fortgeschrittenen Arbeiter in seinen Organisationen arbeiten müssen, um zu erreichen, dass diese konsequent die Arbeiterinteressen vertreten.« Oder, wie es meine Organisation immer ausdrückte: Machen wir die Gewerkschaften wieder zu Kampforganisationen der Arbeiterklasse!


  1. Die Fakten zum FDGB Aachen in den folgenden Ausführungen sind entnommen aus KAZ 311, S. 50-54. Der Artikel in der KAZ wurde auf Grundlage folgender Literatur geschrieben: Klaus Brülls/Winfried Casteel: Schafft die Einheit, Aachen: ALANO 1985; Detlef Peikert: Antifaschistische Einheit – die Lehre aus der Nazi-Barbarei, in: KAZ Nr. 264, S. 6/7, 17.03.1995; Renate Linsen von Thenen: Die deutsche Armee zog plündernd durch die alte Stadt, in: ZU 12.11.2004, S. 15. 

  2. George S. Wheeler: Die amerikanische Politik in Deutschland (1945-1950), Berlin 1958, S. 39f. 

  3. Mark Altten: Berliner Maifeiern und Kalter Krieg, Berlin 2011 

  4. Walter Ulbricht: Über die Verbesserung der Arbeit der SED-Genossen in den Gewerkschaften – Rede auf der 8. Tagung des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, 21. bis 23.Februar 1952, zitiert nach: Walter Ulbricht: Über Gewerkschaften, Aus Reden und Aufsätzen 1945-1952, Berlin 1953, S. 471 

  5. www.17juni53.de/chronik/530619/doc_5.html, eine Website, die betrieben wird von der Bundeszentrale für politische Bildung, DeutschlandRadio und dem Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam. 

  6. www.dgb.de/uber-uns/bewegte-zeiten/60-jahre-dgb/1949-1958/frei-nur-dem-namen-nach 

  7. Jens Hildebrandt: Gewerkschaften im geteilten Deutschland – Die Beziehungen zwischen DGB und FDGB vom Kalten Krieg bis zur Neuen Ostpolitik 1955 bis 1969, Mannheimer Historische Forschungen 2010, S. 44f. 

  8. a.a.O., S. 167 

  9. a.a.O., S. 172 

  10. ebenda 

  11. a.a.O., S. 292 

  12. Institut für Marxismus-Leninismus beim ZK der SED: Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung in 15 Kapiteln, Kapitel XIV, Berlin 1969, S. 142f. 

  13. Siehe dazu Hildebrandt: Gewerkschaften im geteilten Deutschland 

  14. Industriekurier, 2.9.1961 

  15. Hildebrandt: Gewerkschaften im geteilten Deutschland, S. 142 

  16. a.a.O., S. 551f. 

  17. Fakten in den folgenden Absätzen bis zur nächsten Fußnote siehe Horst Bednareck: Zu den deutsch-deutschen Gewerkschaftsbeziehungen – Dokumentation (1946-1989), in: Horst Bednareck, Harald Bühl, Werner Koch (Hrsg.): Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund – seine Rechte und Leistungen. Tatsachen, Erfahrungen, Standpunkte, Berlin 2006 

  18. Siehe vorige Fußnote 

  19. Harald Neubert: Zum gemeinsamen Ideologie-Papier von SED und SPD aus dem Jahr 1987, Hefte zur DDR-Geschichte 18, Berlin 1994, S. 36 

  20. a.a.O., S. 5 

  21. a.a.O., S. 13 

  22. a.a.O., S. 15 

  23. Karlheinz Kuba: Zur Liquidation des FDGB-Vermögens, in: Bednareck, Bühl, Koch: Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund, S. 334 

  24. Harald Bühl: Über den Umgang mit dem Vermögen des FDGB, a.a.O., S. 357f. 

  25. Christa Luft: Da muss auch mal gestorben werden? Die Treuhand – größte Vernichtungsmaschinerie in Friedenszeiten, www.ag-friedensforschung.de/regionen/Deutschland/treuhand.html 

  26. Ebenda 

  27. archiv.labournet.de/diskussion/gewerkschaft/tarif03/igm/jahn.html