Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Thesen zur Entwicklung der »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlands« (F. J. Strauß) in Westdeutschland bis 1989/90 und in Westdeutschland und einverleibter DDR ab 1989/90

Erika Wehling-Pangerl, Kommunistische Arbeiterzeitung

Mai 2010

1. Der Faschismus an der Macht ist »die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals1.« (Dimitroff)2 Was Georgi Dimitroff hier beschreibt, ist der Klassencharakter des Faschismus.

Dieser Klassencharakter ist unabhängig davon, wie die einzelnen Menschen jeweils dazu stehen, unabhängig von ihrem Willen und ihrem Verhalten. Das heißt, das Klasseninteresse der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals am Faschismus hat nichts damit zu tun, wer aus welcher Klasse oder Schicht für den Faschismus oder dagegen ist. Es gibt zu diesem Thema viele seltsame Anschauungen, so zum Beispiel die des Götz Aly, der in dem Buch »Hitlers Volksstaat«3 über eine angebliche »Gefälligkeitsdiktatur« der Nazis geschrieben hat.

Andere meinen, der Faschismus sei eine Herrschaft der Kleinbürger. Als Indiz gegen die Aussage Dimitroffs wird auch angeführt, dass es ja viele Vertreter der Monopolbourgeoisie gab, die sich vor den Nazihorden geekelt haben, weil die so lumpenproletarisch waren. Das alles wird also als Beweis angeführt, dass es keinen Klassencharakter des Faschismus gibt, und schon gar nicht den von Dimitroff genannten. Wenn man diesen Behauptungen folgt, werden aber die Vorgänge, die zu Faschismus und Krieg führen, und die heutige Entwicklung völlig unverständlich.

2. Zur Errichtung und zur Aufrechterhaltung des Faschismus ist eine faschistische Massenbewegung notwendig, die schon vor der Errichtung der faschistischen Diktatur eine wichtige Funktion als Reserve der Monopolbourgeoisie ausübt.

Die Bourgeoisie kann nicht herrschen ohne Unterstützung aus dem Volk. Es gibt zwei Reserven der Bourgeoisie – die Arbeiteraristokratie (politisch repräsentiert durch die Sozialdemokratie) und eine kleinbürgerlich-faschistische Reserve. Diese beiden sind immer vorhanden im Imperialismus, aber nur eine kann jeweils die soziale Hauptstütze der Monopolbourgeoisie sein.

Die Sozialdemokratie als soziale Hauptstütze wird meistens in friedlichen oder akut revolutionären Zeiten gebraucht, während die faschistische Reserve im Wesentlichen dann gebraucht wird, wenn unmittelbar und akut die Vorbereitung der faschistischen Diktatur angestrebt wird, wenn also für das Kapital die gewaltsame Neuaufteilung der Welt zur zwingenden Notwendigkeit geworden ist, der Krieg unmittelbar vorbereitet werden muss. Die Sozialdemokratie, die Arbeiteraristokratie kann kurzfristig (und nur kurzfristig!) unter dem Faschismus die soziale Hauptstütze sein. Dafür gibt es ein historisches Beispiel, nämlich Italien unter Mussolini.

Die Monopolbourgeoisie wechselt erst dann die Sozialdemokratie zu Gunsten der faschistischen Hauptstütze aus, wenn dies ökonomisch unbedingt notwendig ist, d.h. wenn es sie zum Krieg treibt. Sie macht das nicht aus Spaß, sondern weil sie es von ihrer Ökonomie her muss.

Die Sozialdemokratie bleibt auch unter dem Faschismus eine Reserve der Monopolbourgeoisie. Ein offensichtliches Beispiel dafür ist der 1. Mai 1933. Der Faschismus war längst an der Macht und noch länger war die faschistische Bewegung schon die soziale Hauptstütze der Monopolbourgeoisie. In dieser Situation haben die rechten Führer des ADGB noch gewaltigen Schaden angerichtet, indem sie die Arbeiter zur faschistischen 1. Mai-Kundgebung aufgerufen haben. Am 2. Mai haben dann die Nazis die Gewerkschaftshäuser gestürmt.

Die faschistische Sammlungsbewegung wird aufgebaut, wenn die Sozialdemokratie noch die soziale Hauptstütze ist. Damit eine faschistische Bewegung aufgebaut werden kann, bedarf es politischer Parteien. Der faschistische Mob sammelt sich nämlich nicht von selber. Sondern damit man sich überhaupt dem Monopolkapital als Reserve anbieten kann, muss irgendwo eine ordnende Macht sein, also eine Partei, die eine Richtung angibt.

Wo sind eigentlich diese Massen, die im faschistischen Sinne mobilisiert werden können, hauptsächlich?

Ganz vorn stehen hier Burschenschaften und Landsmannschaften, das sind traditionell die Stützpunkte der faschistischen Bewegung. Weitere Einflussgebiete jetzt und in der Zukunft sind z.B. Kirchen, Vereinswesen, Fußballstadien. Sehr wichtig für den faschistischen Einfluss sind Massenevents wie z.B. die Aufmärsche anlässlich der Grenzöffnung der DDR, die jedes Jahr in Berlin zu Silvester noch mal gefeiert wird, mit millionenfacher Beteiligung. Die Fußball-WM wurde offiziell genutzt, um aus den angeblich harmlosen Partys nationalistische Aufmärsche zu machen. Die Loveparade war als Massenreservoir auch nicht ganz unwichtig, ihre Bedeutung wurde auch in früheren Jahren durch die prominenten Teilnehmer Westerwelle und Guttenberg dokumentiert. In diese Kategorie von Massenevents gehört auch der Trauermarsch Ende 2009 für einen verstorbenen Fußballer. Und dann gibt es verschiedene Szenen, Interessengemeinschaften, Gruppierungen, die für faschistische Beeinflussung anfällig sind. Insbesondere ist hier die Esoterik-Szene zu nennen. Die Massenmedien spielen natürlich eine ganz wichtige Rolle bei der Organisierung und politischen Führung dieser Sammlungsbewegung. Springerpresse, Bayernkurier, Junge Freiheit, aber auch z.B. der Bayrische Rundfunk gehört dazu, der auch noch den Mitteldeutschen Rundfunk (Sendegebiet Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen) schon 1992 unter seine Kontrolle gebracht hat. Diese Beeinflussung durch die Massenmedien kann natürlich auch noch viel extremere Formen annehmen, als es heute schon der Fall ist. Auch Universitäten und Schulen können der ideologischen Bildung und Formierung dieser Sammlungsbewegung dienen.

Und dann gibt es noch ein speziell deutsches Instrument, mit dem die Jagd auf Fortschritt und Demokratie – staatlich gesteuert – organisiert wird: das sind die Birthler-Behörde (früher Gauck-Behörde) und die »Stasi«akten-Behörden der Länder. Das sind Denunziationsbehörden, die jenseits jeder bürgerlichen Demokratie und jeglichen bürgerlichen Rechts lebenslänglich Menschen jagen können, die die »falsche« oder im Moment nicht genehme politische Anschauung haben. Das ist also ein ganz buntes Gemisch von Vereinen, Einrichtungen, Instanzen, Szenen etc., die zu dieser Sammlungsbewegung zusammengerührt werden können.

Im Folgenden wird es hauptsächlich um den wichtigsten Aspekt der Sammlungsbewegung gehen, die politischen Parteien. Sie sind es, die versuchen, die Sammlungsbewegung zu organisieren und sich in dieser Eigenschaft dem Monopolkapital anzubieten.

3. Es gibt keine faschistischen Grundsätze. Die Grundlage des Handelns von Faschisten ist auf die Spitze getriebener Pragmatismus. Ende des 19. Jahrhunderts – als der Kapitalismus sein höchstes und letztes Stadium erreicht hatte, den Imperialismus – entstand in den USA die philosophische Richtung des Pragmatismus.

Der Pragmatismus ist eine »Spielart des subjektivistischen Idealismus in der modernen anglo-amerikanischen Philosophie.« Er »lehnt die Erkenntnis der objektiven Wahrheit ab und betrachtet dasjenige als Wahrheit, was praktisch verwertbare, das heißt für die Bourgeoisie nützliche Resultate ergibt.« Er »verwischt den Unterschied zwischen Wissen und Glauben und ermöglicht dadurch eine willkürliche Fälschung der Wissenschaft.« Er »propagiert die finsterste Reaktion im Innern des Landes und die imperialistische Aggression in der Außenpolitik.«4

Faschisten sind Pragmatiker, aber nicht alle Anhänger des Pragmatismus sind Faschisten. Opportunisten in der Arbeiterbewegung werden mit Recht als Pragmatiker bezeichnet, aber sie können den Pragmatismus niemals so auf die Spitze treiben wie die Faschisten. Sie können nicht alles machen, was die herrschende Klasse von ihnen verlangt, mit Ausnahme von einzelnen, die zum Faschismus überlaufen. Ein erklärter Anhänger dieser philosophischen Richtung des Pragmatismus war der Führer der italienischen Faschisten, Mussolini.

Es gibt nur ein einziges Prinzip des Pragmatismus, und das heißt Prinzipienlosigkeit. Und so kann faschistische Demagogie alle erdenklichen Losungen und Aufrufe gebrauchen oder missbrauchen, auch die der Antifaschisten und Kommunisten. Es gibt auch nichts, was Faschisten unbedingt an Phrasen und Losungen vertreten müssen, um Faschisten zu sein, und woran man sie mit erkennen könnte. Nicht einmal Nationalismus ist ein unabdingbares Kennzeichen – ein Gegenbeispiel ist die türkische faschistische Organisation »Graue Wölfe«, die ihren Nationalismus der achtziger Jahre gegen eine islamistische Phraseologie ausgetauscht hat.

Man kann also Faschisten nicht nach ihren Worten, sondern vor allem nach ihrer Funktion in der Gesellschaft gegenüber den verschiedenen Klassen und Schichten beurteilen und entsprechend entlarven.

Dieser Pragmatismus bedeutet aber nicht, dass alles für die faschistische Bewegung einfach austauschbar wäre. So können z.B. Faschisten auf Antisemitismus verzichten oder sogar Antisemitismus »bekämpfen«. Aber gerade in Deutschland ist solch ein Philosemitismus bei faschistischen Bewegungen nur eine zeitweilige Erscheinung, entsprechend zeitweiligen außenpolitischen Erfordernissen.

Langfristig hat der Antisemitismus für den deutschen Imperialismus eine sehr große Bedeutung: er ist die Ideologie der zu kurz Gekommenen gegen das Erfolgreichere, gegen das Bessere. Das passt nur zu gut zum deutschen Imperialismus, der damit alle seine Feinde – die imperialistischen Konkurrenten und die Arbeiterklasse – zu einem Feindbild, »den Juden«, verschmelzen und durch die »Volksgemeinschaft« bekämpfen kann. Deshalb ist es sehr unwahrscheinlich, dass der Antisemitismus in einer ganz anders zugespitzten Situation als heute nicht letzten Endes von allen Teilen der faschistischen Bewegung herangezogen werden muss.

Pragmatismus bedeutet auch, dass eine Partei der faschistischen Sammlungsbewegung jahrzehntelang erfolgreich so tun kann, als wäre sie eine normale konservativ-demokratische Partei. Das ist eine besondere Schwierigkeit des antifaschistischen Kampfes heute.

4. In den 60er Jahren begann in der BRD der systematische Aufbau einer faschistischen Sammlungsbewegung, deren stärkste und erfolgreichste Kraft – bis in die 80er Jahre sogar ununterbrochen – die CSU ist. Sie versucht in Bayern ein Machtzentrum gegen die bürgerlich demokratische Republik und gegen die Bonner bzw. Berliner Regierung zu etablieren.

Was hatte sich in den 60er Jahren in der BRD neu entwickelt? Da gab es zunächst einmal einen Generationenwechsel bei den reaktionärsten Kräften. Nach 1945 gab es in Westdeutschland die faschistische Sammlungsbewegung, die von ihrem Wesen her so geblieben war, wie sie unter dem Faschismus gewesen war: Diejenigen, die in Gefängnissen gesessen hatten, kamen bald wieder heraus, und wirklich umerzogen wurde ohnehin so gut wie keiner von denen, die den Hitlerfaschismus unterstützt hatten. Das heißt, man konnte diese faschistische Sammlungsbewegung jederzeit wieder abrufen, wenn es notwendig war. Zwanzig oder fünfundzwanzig Jahre später war das natürlich immer weniger möglich, man brauchte eine Erneuerung.

Noch wichtiger aber ist die Verschiebung des internationalen Kräfteverhältnisses in den sechziger Jahren. Der deutsche Imperialismus wird in dieser Zeit eigenständiger, er kann eine eigenständige Außenpolitik machen. Wegen der Änderungen in der Außenpolitik gegenüber den sozialistischen Ländern (»Ostpolitik«) müssen im Inneren die Zügel lockerer gelassen werden, der militante Antikommunismus Adenauers wird nicht mehr so offen propagiert. Das ist die Zeit, in der Willy Brandts »Mehr Demokratie wagen« im Volk auf Zustimmung und Begeisterung stößt.

Und gleichzeitig werden in den 60er Jahren die Notstandsgesetze verabschiedet. »Notstandsgesetze sind nicht für den Zeitpunkt geschaffen, wenn die Sonne der Konjunktur scheint, sondern wenn es in der Wirtschaft hagelt«, sagte damals der Bonner Innenminister Lücke (CSU). Die Gesellschaft musste aus u.a. außenpolitischen Gründen etwas freier und demokratischer werden – und da brauchte man die Notstandsgesetze als vorbeugende Maßnahme. Genau aus demselben Grund musste man zu dieser Zeit die faschistische Reserve aufbauen und erneuern.

In dieser neuen Periode wurde der »Entwurf für Europa« von Franz Joseph Strauß 1966 zum Handbuch westdeutscher Politik. Dieses Buch läuft auf die Empfehlung hinaus, gemeinsam mit Frankreich zu gehen, auf diesem Weg den Widerstand Großbritanniens gegen ein Erstarken von Westdeutschland und gegen eine deutsche Wiedervereinigung aufzuweichen und so eine europäische Großmacht gegen die USA zu schaffen. Und Strauß war es auch gewesen, der 1969 den für die deutschen Monopolherren befreienden Schlachtruf losgelassen hatte: »Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen erbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.«5

Die CSU spielt eine zentrale Rolle beim Aufbau der faschistischen Sammlungsbewegung ab den 60er Jahren. Um diese Entwicklung zu verstehen, muss man sich den Unterschied zwischen CDU und CSU vor Augen halten: Die CDU ist eine konservative Partei von Honoratioren mit demokratisch-konservativem Gehabe. Die CSU dagegen ist eine Massenpartei, d.h. eine Bewegungspartei mit Einfluss in den Massen. Sie hat wesentlich mehr Einfluss in Massenorganisationen wie z.B. den »Vertriebenenverbänden« als die CDU. Die CSU veranstaltet reaktionäre Massenaufmärsche, organisiert Protestbewegungen in einer Art, wie es die CDU in ihrer Gesamtheit nicht fertig bringen könnte.

Mit unserer Einschätzung der CSU standen wir Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre nicht allein: Im »Gewerkschafter« – Funktionärsorgan der IG-Metall –, Jahrgang 1970 konnte man Folgendes lesen: »In den vergangenen 25 Jahren orientierte sich die CDU/CSU immer weiter nach rechts. Als Sammlungspartei zur Rettung des Vaterlandes tritt die CSU offen, die CDU, soweit sie sich der CSU anschließt, auch verdeckt, das Erbe der Vaterlandspartei von 1917/18 und der NSDAP an, allerdings als einzige Lehre aus der Geschichte jetzt partiell mit einem parlamentarisch demokratischen und abendländisch europäischen Vokabular.«6 Auch die Mitgliedszeitung der IG-Metall hat Strauß und seine CSU heftig angegriffen und hat auch Prozesse gegen ihn geführt. Strauß hat einmal ein Verbot der »Metall« erwirkt. Auf der Titelseite dieser Ausgabe war sein Kopf und darüber stand »Sein Kampf«.

Es gab auf der einen Seite starken demokratischen Widerstand gegen Strauß. Es gab sogar ein Anti-Strauß-Komitee, das bis Anfang der 90er Jahre existiert und damit sogar Strauß überlebt hat. Und es gab heftigste Reaktionen von Strauß auf diesen Widerstand. Es hagelte Verbote, mit Hausdurchsuchungen und Prozessen, um die demokratischen Kräfte einzuschüchtern und mundtot zu machen. Das hat nicht viel genützt: Der Widerstand lebte bis zum Tod von Strauß immer wieder auf. Es gab aber auch eine andere Meinung bei Teilen des demokratischen Kleinbürgertums, nämlich die gefährliche Illusion, dass der antifaschistische Widerstand übertrieben sei, dass sich »der Strauß überlebt«, dass Strauß, seine CSU und seine Sammlungsbewegung nicht so gefährlich seien.

Die Tatsachen sprechen eine andere Sprache:7 So wurde Strauß 1970 von einem CSU-Freundeskreis in dessen internem Informationsdienst charakterisiert: »Wir haben in Ausführung der Marburger NPD-Absprache an alle NPD-Sympathisierenden die Parole ausgegeben: Wählt CDU/CSU, stärkt die Opposition, verhelft ihr wieder zur Macht! Franz Josef Strauß ist der kommende Mann – er löst Adolf Hitler nicht ab, er ersetzt ihn auch nicht, er hat aber Führungsqualitäten! … Die Bundeswehr soll eine national ausgebildete Streitmacht werden, das Offizierskorps wartet auf den starken Mann – Franz Josef Strauß! Die deutsche Jugend braucht sichere, straffe Führung – mit Strauß an der Macht wird sie entsprechend hart und national erzogen. Die Presse muss hart in die Zügel genommen werden. Cäsar Axel Springer bereitet diese innere Ordnung vor – er ist unser Mann auf diesem Sektor – er braucht uns – wir brauchen ihn! ›Bayern-Kurier‹ und ›National-Zeitung‹ bleiben unsere Hauptorgane, außerdem: ›Das deutsche Wort‹ in Köln; in ihnen wird die Richtung angegeben. Wir erstreben die Raumordnung wie vor 1914 – die Vertriebenenorganisationen erwarten das von uns, deshalb wählen sie uns: CDU/CSU. Wir gehen in den aktiven Widerstand mit allen verfügbaren modernen Mitteln, auch in der Wirtschaft. Strauß muss an die Macht – wir müssen die Macht erzwingen, so oder so. Auch dann, wenn die Wahl nicht nach unseren Vorstellungen ausfällt. Es geht um Deutschland!«8

Es ist kein Zufall, dass Strauß dieses Programm nicht selbst verkündete, sondern es durch sein Fußvolk vertreten ließ. Die zitierten Eigenschaften wurden auch dort bekannt, wo die Großindustrie, besonders die Rüstungskonzerne ihre Fäden untereinander knüpfen. Planmäßig betrieb der CSU-Führer in den 70er Jahren die Demontage der CDU-Größen. Mit Kündigung der Fraktionsgemeinschaft und Vierte-Partei-Drohung – d.h. der Drohung, die CSU bundesweit auszudehnen –, ordnete er die konservative Schwester seiner Sammlungsbewegung unter.

Die NPD, 1964 gegründet, entstand zur Zeit der großen Koalition, als sich ein faschistischer Altherrenklub Zulauf davon versprach, dass der große Deutschnationale – also Strauß – gerade Minister in Zusammenarbeit mit Sozialdemokraten spielen musste.

Mit dem Ende der großen Koalition 1969 sinkt die NPD zur Bedeutungslosigkeit herab. Strauß selbst stellte sich an die Spitze der »Sammelbewegung zur Rettung des Vaterlands«, als er 1970 auf dem Nürnberger Parteitag mit dem Titel »Deutschland braucht Bayern« so die CSU definierte. Seit diesen markigen Worten verlor die NPD an die CSU Mitglieder.

Ein besonders herzliches Verhältnis hatte Strauß zur türkischen Partei MHP, den faschistischen »Grauen Wölfen«. Am 1. Mai 1978 trafen sich in München die Anführer der Grauen Wölfe mit dem Vorsitzenden der bayerischen Regierungspartei. Die »Metall«, die Mitgliederzeitung der IG Metall, schrieb dazu: »Alparslan und seine beiden Begleiter unterhielten sich – so war danach zu erfahren – mit Franz Josef Strauß zuerst über die ›kommunistische Gefahr‹, die man gemeinsam bekämpfen muss … Strauß sagte dem Vernehmen nach den MHP-Politikern zu, dass in Zukunft für die MHP und die ›Grauen Wölfe‹ ein günstiges psychologisches Klima geschaffen werden und zudem die politische Stellung der MHP verbessert werden müsse, damit die MHP hier in einem besseren Licht erscheine. Bayern soll der Anfang sein.«9 »Günstiges psychologisches Klima« hieß natürlich nichts anderes, als dass die Grauen Wölfe auch weiterhin in Westdeutschland und Westberlin Arbeiter und Antifaschisten morden können, nur dass sie dabei noch weniger von den Staatsorganen gestört werden sollten als bisher.

Zur Formierung der faschistischen Sammlungsbewegung gehören auch die ständig wiederkehrenden Versuche der CSU, in Bayern ein Machtzentrum gegen die bürgerlich-demokratische Republik und die Bonner bzw. Berliner Republik zu etablieren. Es gibt zwei besonders drastische Beispiele in den achtziger Jahren:

1981 wurden 141 meist junge Menschen, die jüngsten 14 Jahre alt, auf einen Schlag verhaftet, – nicht vorläufig festgenommen, sondern richtig verhaftet – ohne jeden Verdacht. Die Haftbefehle waren hektographiert, und dann hat jeweils ein Richter bis zu 50 Haftbefehle unterschrieben. Die Jugendlichen waren tagelang inhaftiert, ohne dass die Eltern wussten, wo ihre Kinder sind. Das war alles mit keinem Gesetz zu begründen, und es war ein offener Bruch der Gewaltenteilung, indem die Justiz ihre Befehle vom Innenministerium bekam. Es handelte sich um eine offene Provokation der bürgerlichen Demokratie.10

Ein weiteres Beispiel war der so genannte AIDS-Zwangsmaßnahmen-Katalog. Der wurde von einem gewissen Peter Gauweiler, Ziehkind von Strauß, vorgeschlagen. Gauweiler war Kreisverwaltungsreferent in München gewesen und hatte sich da im Volksmund den Namen »Gauleiter« erworben. Die Zwangsmaßnahmen beinhalteten Zwangstestungen auf HIV unter diskriminierenden Bedingungen gegen Homosexuelle und Lagerhaft für Infizierte. Das ist im Bundesrat nicht durchgekommen, aber darum ging es der CSU sicherlich nicht unmittelbar. Es ging eher darum, Vorstöße zu machen gegen die Demokratie, gegen die bürgerlich-demokratische Republik.

5. Die faschistischen Hilfstruppen dienen zunächst

* der Verharmlosung der CSU,

* als Sammelbecken derer, die den Faschismus schon völlig offen propagieren wollen,

* als Provokation und zur »Beschäftigung« der demokratischen und Arbeiterbewegung,

* als Rechtfertigung für Bürgerkriegsübungen durch den Staatsapparat.

Das Wort »Hilfstruppen« hat Strauß selbst geprägt: »Man muss sich der nationalen Kräfte bedienen, auch wenn sie noch so reaktionär sind. … Mit Hilfstruppen darf man nicht zimperlich sein.«11

Verharmlosung der CSU: Die antifaschistischen Kräfte bekämpfen die NPD, die DVU, die Pro-Bewegung etc. und nehmen die Gefahr aus der CSU gar nicht wahr. Und noch schlimmer: die CSU ist dann auch noch oft genug Bündnispartner gegen diese Hilfstruppen. Das wäre ein Witz, wenn es nicht so traurig wäre: Man verbündet sich mit den führenden Kräften der faschistischen Sammlungsbewegung, um gegen Faschisten vorzugehen!

Sammelbecken derer, die den Faschismus schon völlig offen propagieren wollen: Bis Anfang der neunziger Jahre konnten die wichtigsten dieser Hilfstruppen diese Funktion nicht hundertprozentig erfüllen. So war zum Beispiel in der NPD bis zu diesem Zeitpunkt offener, unverhüllter Antisemitismus nicht zugelassen – das hat bis dahin nicht mal die NPD wagen können.

Provokation und »Beschäftigung« der demokratischen und Arbeiterbewegung, Rechtfertigung für Bürgerkriegsübungen durch den Staatsapparat: Wie läuft das ab – zum Beispiel: Wenn die NPD eine Demonstration anmeldet, werden wir erst mal mit dieser Provokation beschäftigt. Dann werden Straßen oder sogar ganze Stadtteile abgeriegelt, tausende Polizisten, ggf. auch Bundespolizei eingesetzt, und das alles nicht etwa gegen die Nazis, sondern gegen die Antifaschisten – und so werden wir auch gleich an Bürgerkriegsübungen gewöhnt. Wenn man dann einen Polizeiknüppel auf den Kopf gekriegt hat, weil man versucht hat, eine Polizeiabsperrung zu durchbrechen, wird man anschließend in Fernsehen und Presse für das zivilgesellschaftliche Engagement gelobt, das dazu geführt hat, dass die Nazis nur 800 statt 900 Meter marschieren konnten. Anschließend bekommt man einen Brief vom Staatsanwalt mit einer Geldstrafe. Dann führt man einen Prozess, aber vor dem Prozess kann man sich noch eine Talkshow im Fernsehen reinziehen, wo gesagt wird, dass es eigentlich ein Unding ist, dass Nazigegner vor Gericht gestellt werden. Vor Gericht wird dann das Verfahren eingestellt mit einer Zahlung an das Rote Kreuz, das solche Gelder verwendet, um sich fit zu machen fürs Mitmachen beim nächsten Kriegseinsatz. So etwa funktioniert das Zusammenspiel von Staatsapparat und faschistischen Hilfstruppen.

6. In der krisenhaften Entwicklung der 80er Jahre mit wachsender »gesamtdeutscher« Angst vor der »atomaren Bedrohung« und gedeihenden »deutsch-deutschen Beziehungen« wird aus der CSU heraus massive und erfolgreiche Querfrontpolitik12 gegenüber den linken Teilen der Friedensbewegung und gegenüber der DDR betrieben.

Die »deutsch-deutschen Beziehungen« konnten vom deutschen Imperialismus u.a. deshalb in Gang gesetzt werden, weil die Krise auch die sozialistischen Länder nicht unberührt gelassen hatte. Die DDR-Regierung sah offenbar die Notwendigkeit, mit der BRD etwas besser auszukommen (um es vorsichtig zu formulieren). Die Sowjetunion war damals von einer Annäherung zwischen der BRD und der DDR offenbar gar nicht begeistert. So kam es erst 1987 zu einem Besuch Erich Honeckers in der BRD.

In den 80er Jahren entstanden auf allen Ebenen Querverbindungen in die DDR, vor allem auf Regierungsebene, von der SPD zur SED und insbesondere von der westdeutschen Friedensbewegung, deren Kundgebungen immer größer und chauvinistischer wurden, beherrscht durch die Hysterie gegenüber der »atomaren Bedrohung durch die beiden Supermächte«.

In dieser Friedensbewegung wirkte Alfred Mechtersheimer, Mitglied der CSU, der ebenfalls Kontakte in die DDR pflegte. Er forderte ein deutsches Verteidigungskonzept und ein vereintes neutrales Deutschland. Durch seine Ablehnung der US-Atomwaffen und eine scheinbar friedlichere Alternative – ausgerechnet durch den deutschen Imperialismus – hatte er Einfluss auf breite linke Kreise.

Mechtersheimer wurde dann allerdings aus der CSU ausgeschlossen. Sie konnte damals noch nicht so offen seinem Anti-Amerikanismus folgen, das wäre sehr unklug von ihr gewesen. Mechtersheimer ist nach seinem Ausschluss in die offene Naziszene abgedriftet und war damit als Querfrontpolitiker untauglich geworden. Schaden hat er aber vorher genug anrichten können.

1983 kommt es zu sehr weitreichenden Beziehungen zwischen Strauß und der DDR-Führung. Das ist eine Kehrtwendung der bisherigen Politik von Strauß. Interessant sind die Begleitumstände: Die Kohl-Regierung hatte gerade die SPD/FDP-Regierung abgelöst, und Strauß wird nicht Minister in dieser Regierung. Das hat zur Folge, dass er sehr eigenständig politisch agieren kann. Er macht seine eigene Außenpolitik, besucht die CSSR, Polen und die DDR und trifft sich auch mit Gorbatschow.

Zwischen 1983 und 1987 – Strauß vermittelte in diesen Jahren u.a. Milliardenkredite für die DDR – lockert die DDR die Grenzregelungen. Aber das war nicht das einzige, was Strauß erreichte, sondern in den Medien der DDR wurden Strauß und die Ambitionen des deutschen Imperialismus offensichtlich weniger bekämpft und entlarvt als früher. Von SED-Genossen wurde Strauß, leider bis heute, als »realistischer Politiker« bezeichnet. Der verheerende Einfluss dieser Querfrontpolitik von Strauß ist heute noch bei früheren SED-Genossen zu spüren (dazu mehr weiter unten).

Die Querfrontpolitik von Strauß führte zur Spaltung der CSU. Die Abspaltung nannte sich »Republikaner«, die REPs, die aber bisher auch nur ein Dasein als Hilfstruppe fristen konnte.

7. Die faschistischen Hilfstruppen erfüllen ab den 80er Jahren noch weitere Funktionen:

* Einschüchterung durch Mord und Totschlag, Aufbau militanter Strukturen

* Entsolidarisierung zwischen deutschen und türkischen Arbeitern durch Pogromhetze gegen Türken

* Aufbau bzw. Unterstützung einer organisierten Naziszene in der DDR.

Einschüchterung durch Mord und Totschlag, Aufbau militanter Strukturen: Diese uns heute so wohlbekannte Tätigkeit der Hilfstruppen tritt noch nicht in den 60er und 70er Jahren in Erscheinung, sondern erst in dem immer reaktionärer werdenden politischen Klima der 80er Jahre. Bei der Bundestagswahl 1980 provozierte Strauß die antifaschistische Bewegung mit seiner Kanzlerkandidatur. Während des Wahlkampfes wurden erstmals in Westdeutschland vietnamesische Flüchtlinge ermordet. Und ein faschistischer Selbstmordattentäter, Angehöriger der Wehrsportgruppe Hoffmann, tötete mit einer Bombe auf dem Oktoberfest in München 12 Menschen und verletzte 219 schwer. Noch im März 1980 hatte Strauß über die Wehrsportgruppe Hoffmann gesagt: »Mein Gott! Wenn jemand Spaß dran hat, am Sonntag mit Rucksack und einem Kampfanzug mit Koppelschloß durchs Gelände zu spazieren, so soll man ihn in Ruhe lassen.«13

Am 19. Dezember 1980 wurde erstmals seit 1945 auf deutschem Boden ein Mensch nur deshalb ermordet, weil er Jude war. Opfer waren der Verleger Shlomo Levin und seine Lebensgefährtin Frieda Pöschke. Der Tatort war Erlangen. Der Täter war Mitglied der Wehrsportgruppe Hoffmann. Deutschland begab sich in den 80er Jahren auf den Weg in die Normalität.

Entsolidarisierung zwischen deutschen und türkischen Arbeitern durch Pogromhetze gegen Türken: Auf Grundlage der steigenden Erwerbslosigkeit konzentriert sich die von Regierungsseite unterstützte rassistische Hetze, die in Morddrohungen mündet, auf die türkischen Arbeiter. Ein Stammtischspruch kommt auf und wird schließlich auch an Hauswände gemalt: »Früher die Juden, heute die Türken!« Dies begünstigt unter der türkischen Bevölkerung und auch in der Türkei einen stärkeren Einfluss des Islam. Bei der ADÜTDF, das ist die Europa-Organisation der MHP (Graue Wölfe), kommt es zu inneren Kämpfen, islamistischen Abspaltungen und schließlich zur Islamisierung der MHP in Europa selbst. Die MHP war zwar auch früher schon in reaktionär ausgerichteten Moscheen und Koranschulen zugange, die bestimmende Seite wird das aber erst in den achtziger Jahren.

Aufbau bzw. Unterstützung einer organisierten Nazi-Szene in der DDR: Der folgende Bericht ist nicht aus einer offiziellen Quelle der DDR, sondern von einer oppositionellen Gruppe, man kann ihm also sicherlich nicht »regierungsoffizielle Propaganda« vorwerfen: »In den siebziger Jahren waren die Fußballfans und Jugendclubs bunt gemischt. Fußballspiele waren die einzigen Orte, wo eigene Fahnen, Symbole und Sprechchöre … viele Leute erreichten. Es gab regelmäßig Prügeleien mit der Polizei und dem gegnerischen Fanblock. … Ab 1981/1982 verstärkte sich der Einfluss faschistischer Ideologie in den Fußballstadien der DDR. Das nötige Propagandamaterial und die jeweiligen Kleidungsstücke kamen aus dem Westen von ausgereisten DDRlern oder Naziorganisationen. Die Nationalistische Front (NF) unterstützte so den Fanblock des … Fußballclubs BFC Dynamo, die Jungen Nationalen (JN) unterstützten den Fanclub des 1. FC Union Berlin. In den Fußballstadien kam es zu Sprechchören, wie ›Wir machen Judenverbrennung‹ …«14

8. Nachdem das Etappenziel des 1988 verstorbenen Strauß erreicht ist – Einverleibung der DDR – gerät die CSU in Schwierigkeiten, von denen sie sich erst Ende der 90er Jahre zeitweise erholt. Der Versuch, eine Partei in der DDR aufzubauen (DSU) ist gescheitert, während CDU und FDP bestehende Strukturen »gewendeter« bürgerlicher Parteien übernehmen können.

Nach dem Tod von Strauß (1988) verwickelt sich die CSU in Machtkämpfe. Darüber schrieb die Süddeutsche Zeitung im Jahr 2009 (!) Folgendes: »Strauß, dessen Jünger und Meisterschüler Peter Gauweiler war, ist 1988 überraschend gestorben. Damals war Gauweiler 39 Jahre alt und der Star der CSU – dank seinem Redetalent, dank seinen begnadeten populistischen Gaben und dank der Hand, die Franz Josef über ihn hielt.

Gauweiler war für seine Partei damals noch viel wichtiger als heute der Baron Guttenberg; er war viel volkstümlicher und sehr viel streitbarer. Hätte Strauß sein politisches Testament noch machen können, er hätte den ›schwarzen Peter‹ zu seinem Erben eingesetzt. Edmund Stoiber hat die vorgezeichnete Erbfolge verhindert. Stoiber hat mit Geschick und Machtbewusstsein die Strauß-Ära beendet und, öffentliche Vorwürfe gegen Gauweiler geschickt nutzend, diesen aus dem Kabinett gedrängt.«15 Inhalt dieser Intrige von Stoiber waren angebliche Unregelmäßigkeiten in der Rechtsanwaltskanzlei von Gauweiler, die sich aber im Nachhinein nicht bestätigt haben. Einen Grund, warum Gauweiler für die CSU zu diesem Zeitpunkt eher peinlich war, kann man in seiner extrem anti-europäischen Haltung finden – aber natürlich keinen Beweis, dass das wirklich der Grund für seinen Rauswurf aus dem bayerischen Umweltministerium war.

1998, nach einer für die CSU/CDU vergeigten Bundestagswahl, wird Waigel als Parteivorsitzender durch Stoiber ersetzt. Den Machtkampf in der CSU hat Stoiber für einige Jahre gewonnen, wobei Gauweiler und Waigel nicht die einzigen Opfer Stoibers in dieser Auseinandersetzung geblieben sind. Natürlich haben diese Machtkämpfe die CSU nicht gerade gefestigt und gestärkt.

Eine heftige Niederlage hatte die CSU bereits 1990 einstecken müssen. Sie hatte Anfang 1990 versucht, eine Partei in der DDR aufzubauen – die DSU –, und dieser Versuch ist kläglich gescheitert. Die DSU geistert nur noch im Kielwasser von Hilfstruppen wie NPD und DVU als Kleinstpartei in der einverleibten DDR herum. FDP und CDU dagegen konnten bestehende Strukturen »gewendeter« bürgerlicher Parteien übernehmen. Die CDU übernahm die CDU in der DDR, samt Geldvermögen und v.a. samt den vollständigen Immobilien. Die FDP übernahm die LDPD und die NDPD (wobei hier mehr Immobilienvermögen als Menschen gewonnen wurden – aber die waren der FDP egal).

CDU und FDP haben durch die Einverleibung der DDR als Parteien viel Vermögen gewonnen, die CDU auch Mitglieder – alles, ohne einen Handschlag zu tun. Die CSU ging leer aus, und durch ihre Niederlage mit der DSU hatte sie bei Bundestagswahlen gegenüber der CDU auch noch ein geringeres Gewicht.

9. In der einverleibten DDR »wachsen …, gewissermaßen ›in Reserve‹, neue SA-Horden für den Fall eines Versagens der übrigen Mittel zur Sicherung der fortschreitenden Umverteilung von Macht und Reichtum heran«16 (Schirdewan). Erstmals in der Geschichte der BRD wird mit Hilfe eines Pogroms eine Grundgesetzänderung durchgesetzt (Rostock 1992, Abschaffung des Asylrechts).

Um diese Entwicklung zu verstehen, muss man sich die Klassenverhältnisse in der einverleibten DDR anschauen. Festzustellen ist, dass es dort keine Arbeiteraristokratie wie in Westdeutschland und Westberlin gibt, jedenfalls keine, deren Angehörige aus der DDR kommen. Was es an Arbeiteraristokratie in der einverleibten DDR gibt, ist im Wesentlichen Import aus dem Westen. Die SPD in der einverleibten DDR wird nicht von der Arbeiteraristokratie getragen, sondern von Angehörigen der evangelischen DDR-Opposition. Das ist das Eine.

Wie sah es nun in den Betrieben aus (soweit noch welche da waren)? Die SED/PDS hatte sehr große und einflussreiche Parteiorganisationen in den Betrieben gehabt. Statt nun zu versuchen, diese Organisationen – vielleicht weniger offiziell – weiterzuführen, hat sie sie Ende 1989 aufgelöst. Das heißt, in der PDS oder Partei die Linke findet sich keine Arbeiteraristokratie, die aus der DDR kommt.

Eine organisierte sozialdemokratische, arbeiteraristokratische Reserve der deutschen Bourgeoisie, auf die sich die Herrschenden wirklich stützen könnten, existiert also in der einverleibten DDR so gut wie nicht.

Zu der faschistischen Reserve war in der KAZ zu lesen: »Die bürgerlichen Parteien Westdeutschlands versuchen uns als ›Deutsche‹ zusammenzubringen, um uns gemeinsam ›für Deutschland‹ fit zu machen gegen den Rest der Welt. Unter der Bedingung, dass so viele Menschen aus der DDR vom ›Dank des Vaterlandes‹ die Nase gestrichen voll haben, ist das gar nicht so einfach. Deshalb hat der deutsche Imperialismus ein besonders starkes Interesse daran, dass gerade auf dem Gebiet der DDR Rassismus und ›deutsches Nationalgefühl‹ gegen alles Undeutsche gefördert wird. Dazu dient nicht nur die Propaganda des ›Zusammenwachsens der Deutschen‹, dazu dient auch, dass neben allen anderen Westparteien auch die Nazigruppierungen sofort nach Öffnung der Staatsgrenze der DDR sich massiv auf dem Gebiet der DDR ausgebreitet haben (mit den Hauptgruppierungen NPD und Reps, später dann der DVU, alle drei mit Sitz in München). …

Diese Gruppierungen passen ihre Demagogie dem Protest und dem Widerstand der Bevölkerung in der einverleibten DDR an, bis dahin, dass die DDR als ›das bessere Deutschland‹ bezeichnet wird und ›bösartiger Antikommunismus gegen die Bürger der Ex-DDR‹ scheinheilig angeprangert wird.17 Wobei Antifaschismus und Internationalismus natürlich im Wortschatz dieser Horden fehlen.«18 Diese Zeilen wurden 1999 geschrieben, und das hier beschriebene Problem hat sich inzwischen eher verschärft.

Nun haben Freund und Feind natürlich die Frage gestellt: Woher kommt das eigentlich, dass die Nazibewegung so schnell da war und so sprunghaft angewachsen ist? Die wichtigste Frage ist dabei nicht, wo es mehr dieser Hilfstruppen-Nazis gibt, in der DDR oder in Westdeutschland. Sondern das Erschreckende war das sprunghafte Anwachsen der Nazi-Bewegung in einem vor Kurzem noch antifaschistischen, sozialistischen Land. Hierzu haben bürgerliche »Wissenschaftler« eine Theorie gestrickt, dass diese Nazibewegung aus den Strukturen der DDR komme, die DDR also die Ursache dessen sei. Eine besonders beliebte These lautete, dass die jugendlichen Nazis als Kinder in den Kindergärten zum kollektiven Topfsitzen gezwungen wurden, was die Entwicklung zum Nazi begünstigt haben soll.19

Die tatsächlichen Ursachen sind ganz offensichtlich. Alles, was sozialistisch war und auch alles, was antifaschistisch war, ist über Nacht vernichtet worden. Dieser massive Wechsel kann nur zu so einem Aufschwung der faschistischen Bewegung führen, zumal der ja von Westdeutschland aus tatkräftig unterstützt und angeleitet wurde. Die PDS konnte keinen nachhaltigen Widerstand organisieren, da sie ihre Verankerung in den Betrieben selbst aufgegeben und sich jeglicher Macht beraubt hatte. Eine Arbeiteraristokratie, die vielleicht noch bereit gewesen wäre, etwas Widerstand zu organisieren, und die auf der anderen Seite der Bourgeoisie als zweite Reserve – neben der faschistischen – hätte dienen können, war nicht vorhanden.

Das war eine ganz andere Situation als in Westdeutschland. Da ist es schon immer so gewesen, es gab nie antifaschistische Lehrpläne zu vernichten, Lenin-Denkmäler abzureißen oder volkseigene Betriebe aufzulösen. Wer sowieso schon im Tal ist, kann gar nicht aus dieser Höhe so katastrophal konterrevolutionär abstürzen, wie es bei der DDR der Fall war.

Der Aufschwung der Nazibewegung in der einverleibten DDR führte dazu, dass die deutsche Bourgeoisie erstmals in der Geschichte der BRD mithilfe eines Pogroms eine Grundgesetzänderung durchsetzen kann. Der Pogrom in Rostock 1992 wurde systematisch von den Staatsorganen vorbereitet. Eine Unterkunft für (oder besser gegen) Asylbewerber wurde absichtlich völlig überfüllt, so dass die Flüchtlinge auf einer Wiese übernachten mussten, ohne Toiletten.

Diese Methoden haben schon die Hitlerfaschisten angewendet. Sie haben in den Ghettos unhaltbare Zustände hergestellt, und dann zeigt man das den Menschen und sagt, diese Leute leben doch wie die Schweine. Genau diese Methode funktionierte in Rostock 1992 auch. Natürlich reisten Nazis aus dem Westen in hellen Scharen an. Der geistige Boden dieses Pogroms war aber von offizieller Seite vorbereitet.

Nach dem Pogrom von Rostock gab es einen Aufmarsch in Berlin von Hunderttausenden, bei dem Bonner Regierungsvertreter in der ersten Reihe marschierten. Die reaktionäre Grundlage dieses Aufmarschs (wenn auch keineswegs aller Mitmarschierenden) war die Verurteilung der DDR-Bürger, die Assoziation »DDR=Nazis«. Einige wenige sind damals mit der Losung aufgetreten: »Die Brandstifter sitzen in Bonn«. Das war die eigentlich zutreffende Aussage.

Das Asylrecht wurde dann tatsächlich geändert, oder richtiger gesagt: abgeschafft. Das deutsche Monopolkapital, das sich seit 1945 immer parlamentarischer Instrumentarien bedient hat, hat also hier zum ersten Mal eine Nazi-Bewegung, die parlamentarisch völlig unbedeutend ist, zur Durchsetzung einer Grundgesetzänderung benutzt.

10. Während der Regierungszeit von SPD und Grünen (ab 1998) gelingt es der CSU unter Stoiber, ihren Einfluss auf die CDU zurückzugewinnen und von dieser Position aus den Kampf gegen den Merkel-Flügel der CDU zu führen. In Bayern kann die CSU ihre Position ausbauen wie nie zuvor. Mit der Forderung nach einem Verbot ihres Konkurrenten NPD treibt die CSU die Berliner Regierung in eine Niederlage. Während der Regierungszeit der sozialgrünen Koalition verstärken sich die Abkoppelungsversuche der BRD von den USA. Die BRD beweist erstmals ihre Kriegsfähigkeit und bombardiert Jugoslawien. Im Gefolge all dessen wird der Antisemitismus mehr und mehr wieder salonfähig und wird mehr oder weniger verhohlen auch Bestandteil des Verhaltens der Bundesregierung.

Stoiber ist zu dieser Zeit unbestrittener Führer der CSU. Gewerkschafter kennen ihn als ausgemachten Gewerkschaftsfeind (in den 70er Jahren hatte er einen Plan zur Zerstörung der Gewerkschaften vorgelegt). Die CSU startet eine rassistische Unterschriftensammlung gegen die Immigranten (gleichzeitig gegen die Bundesregierung, die minimale Änderungen im Staatsbürgerrecht plant) und nimmt dabei die CDU ins Schlepptau. Mithilfe dieser Unterschriftensammlung gewinnt Roland Koch (CDU) die Landtagswahlen in Hessen.

Stoiber mischt sich offen in das vom deutschen Kapital unterwanderte Österreich ein und gibt der ÖVP den Rat, mit der faschistischen FPÖ zu koalieren, was diese auch tut.

Der CDU-Politiker Hohmann hält eine Aufsehen erregende antisemitische Rede, weitere CDU-Politiker – Koch, Schönbohm, Wertebach, Rüttgers, Diepgen, Merz usw. – verlassen offen die konservativ-demokratische Plattform und kämpfen mehr oder weniger verhohlen gegen Merkel. Stoiber wirft Merkel 2002 als Kanzlerkandidatin aus dem Rennen. Allerdings gelingt es ihm nicht, Kanzler zu werden – das Kapital will offenbar noch an der sozialgrünen Regierung festhalten.

In Bayern erlebt die CSU mit Stoiber an der Spitze einen Aufstieg wie nie zuvor. Sie erreicht die Zweidrittelmehrheit im bayerischen Landtag – das hat es noch nie bei einer Landtagswahl in der BRD gegeben – und damit die verfassungsändernde Mehrheit, d.h. sie kann ungehindert machen, was sie will (bzw. was das Kapital will).

Mit der Forderung nach einem Verbot ihres Konkurrenten NPD treibt die CSU die Berliner Regierung in eine Niederlage. Die Mordanschläge der Naziszene sind für die Monopolbourgeoisie in einer Zeit der Abkoppelungstendenzen des deutschen Imperialismus von den USA und des Kampfes um die deutsche Hegemonie in Europa nicht günstig, sie sind auch ungünstig für die Verwertungsbedingungen des Kapitals. Qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland werden gebraucht, weil die BRD keine angemessene Bildung zur Verfügung stellt. Die CSU sieht außerdem aufgrund der reaktionären Entwicklung in der NPD einen Konkurrenten wachsen. Sie fordert das Verbot der NPD, das dann von Schily (SPD), dem damaligen Innenminister, betrieben wird, aber vor dem Bundesverfassungsgericht scheitert. Die NPD-Verbotsdebatte war von heftigen reaktionären Debatten begleitet, deren Quintessenz Beckstein (CSU) ausgesprochen hat: »Wir brauchen nützliche Ausländer, nicht Ausländer, die uns ausnutzen.« Ein typisches Beispiel für Pragmatismus! Für die militanten Teile der Hilfstruppen ist das natürlich schwer verständlich.

Beckstein hat sicherlich gewusst, dass die NPD vom Verfassungsschutz durchsetzt ist. Ob gewollt oder nicht, auf jeden Fall wurden mit dieser Forderung der CSU nach dem NPD-Verbot zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: der NPD wurde ein Schuss vor den Bug verpasst und gleichzeitig die Bundesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht in eine Niederlage getrieben.

Erstaunlich sind solche Vorstöße der CSU nicht. Es gab immer Beispiele, dass Faschisten Faschisten verbieten. Die Faschisten zum Beispiel, die 1980 in der Türkei mit Hilfe des Terrors der »Grauen Wölfe« an die Regierung gekommen sind, haben als erstes die »Grauen Wölfe« verboten. Dieses Wechselspiel ist typisch. Man braucht die Hilfstruppen und dann braucht man sie wieder nicht, man verbietet sie und lässt sie wieder zu.

11. Große Teile der Nazi-Szene steigen ab Ende der 90er Jahre auf den durch Regierung und »Mitte der Gesellschaft« wieder salonfähig gewordenen Antisemitismus ein und nutzen den Nahost-Konflikt mit der Losung »Solidarität mit den Palästinensern«. In der FDP schiebt sich eine neue Generation in den Vordergrund, die das Erbe der Alt-Nazis in der FDP der fünfziger Jahre antritt (Westerwelle, Möllemann) und die konservativ-demokratischen Politiker der FDP (Genscher, Lambsdorff) ablöst.

In der Zeit ab Ende der neunziger Jahre macht sich vor allem der Schriftsteller Martin Walser zum Vorkämpfer gegen das Holocaust-Mahnmal in Berlin und trägt – subtil unterstützt von Bundeskanzler Schröder – wesentlich zur Salonfähigkeit des Antisemitismus bei. »Ein Schriftsteller darf so etwas sagen, ein Bundeskanzler nicht«,20 hatte Schröder verlauten lassen und damit ein sehr deutliches Signal an alle antisemitischen Kräfte ausgesandt. Im Jahr 2002 kommen faschistische Hilfstruppen zum ersten Mal massiv mit Palästinensertüchern auf die Straße. Der Anlass ist der Besuch des israelischen Präsidenten, gegen den die NPD und »Freie Kameradschaften« in Berlin demonstrieren.

Die MHP, inzwischen mit immer mehr islamischem Gehabe, kann sich unter staatlichem Schutz weiter konsolidieren. Sie wird jetzt von den bundesdeutschen staatlichen Stellen verharmlost. Das hat makabere Konsequenzen. Zum Beispiel: Die Aleviten,21 die vor allem in der Türkei viele Opfer durch die »Grauen Wölfe« zu beklagen hatten, hatten sich immer geweigert, sich mit dieser Faschistenbande an einen Tisch zu setzen. Aber in dieser Zeit der SPD-Grünen Regierung wird ein ungeheurer Druck auf die Aleviten in der BRD durch den Grünen-Politiker Cem Özdemir ausgeübt, der es schließlich schafft, dass sich die Konföderation der Aleviten-Gemeinde (AABF) mit ihren Mördern an einen Tisch setzt.

In der FDP schiebt sich eine neue Generation in den Vordergrund, die das Erbe der Alt-Nazis in der FDP der 50er Jahre antritt – Westerwelle und Möllemann – und die konservativ-demokratischen Politiker der FDP, Genscher und Lambsdorff, ablöst. Möllemann macht mit offenem Antisemitismus Wahlkampf und kann sich zeitweise auch als Querfront-Politiker profilieren. Das fing damit an, dass er die Selbstmordattentäter verteidigt hat und wörtlich sagte: »Ich würde mich auch wehren, und zwar mit Gewalt … Und ich würde das nicht nur im eigenen Land tun, sondern auch im Land des Aggressors.«22

Trotz seiner bekannten antisemitischen Schlagseite durfte Möllemann im Frühjahr 2002 im wöchentlichen Wechsel mit Gregor Gysi eine Kolumne im Neuen Deutschland schreiben. Anfangs waren diese Kolumnen sehr harmlos. Aber Ende Mai 2002 hat er die Wahlerfolge rechter Parteien in den Nachbarländern bejubelt, auch Haider und ähnliche Konsorten. Er hat den »Volkswillen« hervorgehoben, der bei uns auch mal zum Tragen kommen müsse. Das ND hat daraufhin (endlich!) diese Serie beendet und die letzte Kolumne von Möllemann mit einer Erwiderung von Gregor Gysi abgedruckt. Gysi schreibt darin, dass Möllemann mit seinem Beitrag angekündigt hat, der Haider Deutschlands werden zu wollen.23 Das hätte Möllemann auch werden können, aber daraus ist aus bekannten Gründen doch nichts geworden.

Einer war sehr traurig über den Möllemanns Tod, und das war Peter Gauweiler. Der schrieb in der BILD: »Es ist Unrecht geschehen mit Jürgen Möllemann. Zum Schluss wurde er gehetzt wie ein Wild.«24

Der Tod Möllemanns hat die Entwicklung der FDP zu einer wichtigen Kraft der Sammlungsbewegung sicherlich gestört. Und Westerwelle hat nicht das Zeug zu einem deutschen Haider. Dennoch wissen wir jetzt, dass die FDP diese Gefahren in sich hat, dass sie durchaus weitere Möllemanns und Haiders hervorbringen kann und an der Seite der CSU oder Teilen der CSU die Rolle spielen kann, die Möllemann ihr zugedacht hat. Deshalb müssen wir auch in Bezug auf die FDP wachsam bleiben.

12. Ab ca. 2004 beginnt Merkel, sich gegen Stoiber durchzusetzen. Stoiber stellt sich in den folgenden Jahren als nicht tauglich als Führer der Sammlungsbewegung heraus, was mit der komplizierter gewordenen Situation (Einverleibung der DDR, absolute Verelendung, außenpolitische Schwankungen des deutschen Imperialismus) zusammenhängt. Er wird durch Intrigen und Kampagnen aus dem Verkehr gezogen. Die CSU gerät erneut in eine Krise.

Im Jahr 2004 erleidet Stoiber zum ersten Mal eine Niederlage gegen Merkel. Bei der Aufstellung eines Kandidaten für die Wahl des Bundespräsidenten setzt sie ihren Favoriten Horst Köhler durch gegen den von Stoiber und Koch favorisierten Schäuble. Als es dann 2005 überraschend Neuwahlen gibt, kann Merkel ihren Durchmarsch gegen Stoiber fortsetzen: sie wird ohne große Diskussion Kanzlerkandidat und schließlich Kanzler. Das hat sicherlich auch den damaligen außenpolitischen Rücksichten entscheidender Teile des Finanzkapitals entsprochen.

Im Bundestagswahlkampf 2005 meldet sich noch mal das ganze Aufgebot der CSU und der reaktionärsten Landesfürsten Stoiber, Öttinger und Schönbohm zu Wort. Sie hetzen gegen die DDR-Bürger, wobei sie eigentlich Merkel meinen. Gleichzeitig bekriegen sich auch noch Stoiber und Schönbohm gegenseitig, bis dahin, dass Schönbohm Stoiber verboten hat, nach Brandenburg zu kommen. Koch setzt entgegen den Absprachen mit Merkel die Ablehnung des EU-Beitritts der Türkei als Wahlkampfthema auf die Tagesordnung.

Das alles hat erst mal den zeitweiligen Sieg der konservativ-demokratischen Strömung in der CDU nicht aufhalten können. Für Stoiber waren diese Aktionen ein Eigentor. Die Hetze gegen die DDR-Bürger war einer der entscheidenden Punkte, mit denen Stoiber sich als Führer der »Sammlungsbewegung zur Rettung des Vaterlandes« disqualifiziert hat. Statt die Proteste in der einverleibten DDR in die faschistische Richtung zu kanalisieren, hat er die gesamte DDR, ihre gesamte Bevölkerung beleidigt.

Ab 2006 beginnen die Intrigen und Kampagnen, mit denen Stoiber schließlich aus dem Verkehr gezogen wird. Gabriele Pauli, eine unbedeutende Landrätin, wird dafür eingesetzt. Dann wird die Stotterrede von Stoiber über den Transrapid lanciert (übrigens vier Jahre, nachdem sie gehalten worden war!). Hier konnte man auch ein Beispiel studieren, wie die Bourgeoisie ihre Kampagnen organisieren lässt, um jemanden platt zu machen und aus seinen Ämtern wegzukriegen. Und es war ein Fehler, über die Stotterrede von Stoiber zu lachen, denn auch durch dieses Lachen lenkt uns die Bourgeoisie und spannt uns in ihre Pläne ein.

Seit dieser Zeit ist die CSU erneut in der Krise, und zwar bis zum heutigen Tag. Und natürlich schmiedet sie Pläne, wie sie da wieder hinauskommt. Dazu ist jetzt eine neue Idee geboren worden: »Der CSU-Vorstand hat … offiziell den Startschuss für die lange geplante Parteireform gegeben. … man wolle die CSU zu einer ›echten Mitmachpartei machen‹ und damit ›neue Maßstäbe für Offenheit‹ in der deutschen Parteienlandschaft setzen. …

Während bislang sämtliche Entscheidungen in der CSU von Gremien getroffen werden, sollen künftig möglicherweise die Parteimitglieder selbst abstimmen dürfen.«25 Um was es sich hier handelt, ist die Rückkehr zu der Sammlungspartei, Massenpartei, wie es die CSU früher zu Strauß’ Zeiten war. Das hat sie weitgehend verloren und das wird nun mit so genannten modernen Mitteln versucht wieder herzustellen.

Die Krise der CSU ist noch lange nicht vorbei. Es ist scheinbar kein Führer in Sicht. Oder doch?

13. Die neuen außenpolitischen Rücksichten der Merkel-Regierung erfordern ein Zurückfahren des offenen Antisemitismus und Antiamerikanismus, außen- und innenpolitische Erfordernisse verlangen den »Kampf gegen den islamischen Terror«. Die faschistischen Hilfstruppen werden entsprechend diesen Schwankungen des deutschen Imperialismus immer bunter, vielfältiger und widersprüchlicher, aber nicht ungefährlicher.

In den letzten Jahren ist die Losung »Vielfalt gegen Einfalt« in der demokratischen Bewegung modern geworden. Sie ist lustig, stellt aber die Realität nicht zutreffend dar. »Einig gegen rechts« muss unsere Losung sein. Wir müssen nicht unsere Vielfalt zur Schau stellen, sondern unsere Einheit gegen die faschistische Gefahr, gegen die Vielfalt und Widersprüchlichkeiten des Monopolkapitals, das seine Möglichkeiten in der Vielfalt der faschistischen Bewegung findet.

Entsprechend den neuen Erfordernissen bieten sich weitere faschistische Organisationen an. Vor allem die Pro-Bewegung hat sich in den letzten Jahren hervorgetan, die hauptsächlich gegen Moscheen kämpft. Die NPD hat sich diesem Kampf angeschlossen, die Palästinensertücher von 2002 müssen wieder in die Schublade. Bei der Pro-Bewegung muss man dann unter Israelfahnen marschieren. Die Straßennazis sind zur Zeit wirklich nicht zu beneiden.

Das »Neue Deutschland« hat ein Interview mit einem antifaschistischen Aktivisten in NRW gemacht und auch nach den Israelfahnen der Pro-Bewegung gefragt. Die Antwort war: »›Pro NRW‹ gehört zu jenem Teil der extremen Rechten, der sich nach außen von einem offenen Antisemitismus distanziert. Wie das hinter den Kulissen aussieht, ist eine ganz andere Frage. Selbst bekennende Auschwitzleugner sind auf ›pro NRW‹-Veranstaltungen anzutreffen.«

Wie ist das nun einzuschätzen? Dazu sagt dieser antifaschistische Aktivist: »Strategisch hat aber der Antiislamismus den Antisemitismus ersetzt, was von den erfolgreichen extrem rechten Parteien in Europa abgekupfert wurde.«26

Dieser – in antifaschistischen Kreisen weit verbreiteten – Ansicht muss widersprochen werden. Der Antisemitismus kann nicht einfach durch Antiislamismus ersetzt werden. Der Antisemitismus wird weiterhin gebraucht als Zusammenschluss der Volksgemeinschaft gegen das weiter Entwickelte, Erfolgreichere, als Waffe des zu spät und zu kurz gekommenen deutschen Imperialismus. Der Begriff Antiislamismus oder Islamophobie, wie das auch oft genannt wird, ist nicht präzise. Es geht um zwei Sachverhalte: Einmal um den Rassismus vor allem gegen Türken oder aus der Türkei Kommende. Zum anderen geht es um den so genannten Kampf gegen islamischen Terror.

Diese beiden Dinge muss man analytisch auseinander halten, und man kann sie nicht mit dem Antisemitismus gleichsetzen. Das ist nicht einfach austauschbar. Der Antisemitismus bleibt im Hintergrund, und er kann jederzeit wieder abgerufen werden.

Die MHP wird inzwischen in den Verfassungsschutzberichten als gefährlich gekennzeichnet, im Gegensatz zur Regierungszeit von Schröder. Gleichzeitig stellt sie immer stärkere Verbindungen mit der CDU her. Sie fordert die in der BRD lebenden Türken zur Annahme der Staatsbürgerschaft der BRD und zum Eintritt in die CDU auf. Die CDU ist da kein Unschuldsengel, der unwissentlich unterwandert wird. Es wird immer wieder Zusammenarbeit von CDUlern mit den Grauen Wölfen aufgedeckt. Hohe Funktionäre der NPD bemühen sich um Zusammenarbeit mit der MHP. Gleichzeitig steckt die MHP öfters genau hinter den Moscheen, gegen die die faschistische Gruppen, also auch die NPD, vorgehen. Wie oben schon gesagt, die Straßennazis sind nicht zu beneiden in diesen Zeiten.

Erschreckend ist, wie sehr sich die Hilfstruppen schon in Kommunen festgesetzt haben. Zum Beispiel in Halberstadt hat 2006 das Landratsamt unter Druck der Nazis das unter dem Motto »Nazis raus aus dieser Stadt« angekündigte Konzert von Konstantin Wecker in der Aula eines städtischen Gymnasium verboten.

Es gibt auch eine geistige Tätigkeit der Nazis. Seit ein paar Jahren heißt die neue Mode in diesen Kreisen: Demokratie. »Theoretiker« dieser neuen Mode ist ein Politologe namens Hans-Herbert von Arnim. Er hat das Demokratiekonzept entwickelt. Dessen erklärte Anhänger sind z.B. die Junge Freiheit, die NPD, die »Freien Wähler«, die Freie Union von ehemals Gabriele Pauli, Olaf Henkel, der die »Freien Wähler« im Vorfeld der Europawahlen beraten hat. Thomas Wagner hat im Januar 2009 in der Jungen Welt darüber geschrieben:

»Die politischen Organisationen der abhängig Beschäftigten sollen entmachtet und die parlamentarische Demokratie durch Plebiszite überwunden werden. An ihre Stelle soll ein plebiszitär legitimiertes Präsidialsystem treten.

Schon die historischen Vorbilder der heutigen Faschisten haben sich zum Teil weniger als Feinde der Demokratie denn als Verfechter ihrer ›wahren‹ Prinzipien dargestellt. Die verhasste Weimarer Republik bewerteten schon manche Autoren der sogenannten Konservativen Revolution nicht etwa als zu demokratisch, sondern als nicht demokratisch genug. ›Das Bekenntnis zu ihr‹, schrieb Moeller van den Bruck 1931 in der dritten Auflage seiner berüchtigten, zuerst 1923 erschienenen Schrift ›Das Dritte Reich‹, ›hat mit Demokratie nichts zu tun‹. Und der faschistische Staatsrechtler Carl Schmitt zeigte sich als Anhänger ›einer nicht nur im technischen, sondern auch im vitalen Sinne unmittelbaren Demokratie‹ (Schmitt 1996, S. 22 f.). In seiner Verfassungslehre definierte er ›Demokratie‹ auf eine Weise, die für viele Anhänger der extremen Rechten bis in unsere Tage prägend geblieben ist: ›Demokratie (als Staatsform wie als Regierungs- oder Gesetzgebungsform) ist Identität von Herrscher und Beherrschten, Regierenden und Regierten, Befehlenden und Gehorchenden.‹ (Schmitt 2003, S. 234)

Durch die Einführung eines plebiszitären Präsidialsystems ›entstünde eine wirkliche Volksherrschaft mit einer ›Identität von Regierten und Regierenden‹ (Carl Schmitt)‹, argumentiert der NPD-Vorstand noch heute. Entscheidend für diesen Demokratiebegriff ist die unmittelbare Beziehung zwischen Regierenden und Regierten. Das Parlament, Parteien, Gewerkschaften oder andere Organisationen sind in dieser Perspektive Störfaktoren, die der angestrebten Einheit von Volk und Regierung nur im Wege stehen.

Eine ›mitwirkende Demokratie‹, schreibt der französische Rechtsintellektuelle und Carl-Schmitt-Bewunderer Alain de Benoist (2003, S. 243), ›lässt sich nicht auf der Ebene der Zwischenkörperschaften (Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, kulturelle oder wissenschaftliche Hierarchien) wieder schaffen, da diese gegenwärtig in einer Krise stecken und ihre traditionelle Integrations- und Vermittlungsrolle, unter anderem wegen der Einflussnahme der Technobürokratie und der Expertokratie, nicht mehr spielen können‹. (ebd.)

Eine tiefgreifende Erneuerung der politischen Praxis erwartet der einflussreiche Vordenker der französischen Neuen Rechten dagegen von einer Politik von unten: ›Heute kann die mitwirkende Demokratie nur eine Basisdemokratie sein.‹ (ebd.) In Deutschland ist die extrem rechte Wochenzeitung Junge Freiheit (JF) der wichtigste ideologische Resonanzboden und publizistische Verstärker von Benoists demokratiepolitischen Ideen. … Die von der NPD angestrebte Ordnung, erläuterte ihr Parteivorsitzender Udo Voigt im Interview mit der Jungen Freiheit (40/2004, 24.9.2004), werde ›eine Volksgemeinschaft sein, und ein wichtiger Eckpfeiler ist die direkte Beteiligung durch Volksabstimmungen, wie das zum Beispiel der Politologe Hans-Herbert von Arnim vorschlägt‹.«27

14. Der frühere Hauptkonkurrent Stoibers, Peter Gauweiler, lässt sich als Nachfolger von Strauß feiern. Er hat große Erfolge als Querfrontpolitiker mit Wirkung auf die demokratische Bewegung und auf die einverleibte DDR. Dieser Umstand wird von der Arbeiter- und demokratischen Bewegung gewaltig unterschätzt.

Peter Gauweiler hat natürlich mit dieser ganzen Naziszene nichts zu tun. Er beruft sich auch nicht auf Hans-Herbert von Arnim (s.o.), den bei NPD und »Junge Freiheit« etc. so beliebten Theoretiker der volksgemeinschaftlichen »Demokratie«. Er hat aber eins zu eins dessen Forderungen übernommen und gibt sich den Anschein, dass er sich das lange überlegt habe und diese Ideen selbst entwickelt habe. Die Wahl des Bundespräsidenten fordert er, außerdem wörtlich »Umbau des Parlamentarismus«, um die Stellung des einzelnen Abgeordneten zu stärken – das ist ein massiver Angriff auf den Parlamentarismus. Er plädiert auch dafür, die Aufstellung der Listen für die Bundestagswahlen durch die Parteien komplett abzuschaffen, damit Abgeordnete künftig nur noch direkt von den Bürgern gewählt werden können. Außerdem ist er für Volksentscheide. Die Entscheidung gegen Minarette in der Schweiz sieht er als vorbildlich an.

Eine weitere Spezialität von Gauweiler ist seine Gegnerschaft zur EU. Gegen den Lissabon-Vertrag war er vor das Bundesverfassungsgericht gegangen. Dazu haben wir nach dem Urteil des Gerichts in der KAZ geschrieben:

»Wenn Gregor Gysi am 1.7. vor dem Bundestag erklärte: ›Entscheidend ist, dass die Richter des Bundesverfassungsgerichts den Lissabon-Vertrag völlig neu interpretiert haben und mit ihrer Interpretation Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung gebunden haben. Dadurch hat der Vertrag zum Teil einen neuen Inhalt‹, dann tut er seinen Anliegen und denen der Linkspartei damit ganz und gar keinen Gefallen. Ein Vertrag, wie auch immer ausgehandelt zwischen den Staatsvertretern der EU, soll nun durch das deutsche Bundesverfassungsgericht einen neuen Inhalt bekommen. Was bedeutet das anderes als ein deutsches Diktat für einen EU-Vertrag? Mehr Demokratie für die EU? Nein, das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon ist kein Sieg für die Partei die Linke, für die Demokratie und den Frieden. Da kann Herr Gauweiler auf der anderen Seite wesentlich berechtigter von einem Sieg sprechen. Ihm ging es vor allem um die Souveränität der Bundesrepublik, die er durch die Zustimmung zum Vertrag von Lissabon bedroht sah.«28

Der Rechtsvertreter von Gauweiler, der Herr Professor Schachtschneider, Mitbegründer des rechtsradikalen »Bund freier Bürger«, sprach von einer »existenziellen Entmachtung Deutschlands durch den Vertrag von Lissabon«.

Nun fordert Gauweiler nicht nur so einfach Volksabstimmungen, sondern insbesondere verlangt er, dass über die EU bei uns abgestimmt wird, weil es in Österreich oder Irland dazu auch Volksabstimmungen gab.

In der demokratischen Bewegung ist diese Forderung durchaus populär. Aber sie ist nicht richtig. Volksabstimmung in der BRD über die EU hieße, dass wir mitbestimmen, was die beste Taktik für den deutschen Imperialismus wäre, wie er seine Weltherrschaftspläne am besten verwirklichen kann. Wenn wir für die EU stimmen, dann stimmen wir für die deutsche Hegemonie in Europa. Wenn wir gegen die EU stimmen, dann stimmen wir womöglich für die Pläne Gauweilers, für einen Austritt aus der EU, um auf diesem Weg gegen andere imperialistische Länder vorzugehen. Das heißt, uns steht es gar nicht zu, darüber abzustimmen, sondern den unterdrückten, den vom deutschen Imperialismus bedrohten Ländern steht das zu.

Gauweiler macht keinen Hehl aus seinen Zielen, wenn er über die aktuellen Entwicklungen in Europa redet. Über Griechenland sagt er: »Griechenland hat sich die Aufnahme in die Eurozone mit Hilfe internationaler Großbanken erschlichen.«29 Zur gleichen Zeit veröffentlichte german-foreign-policy.com die Meldung: »Ein Ausstieg der Bundesrepublik aus der Eurozone sei auf lange Sicht in der Tat höchst wahrscheinlich, urteilt der schwedische Wirtschaftswissenschaftler Stefan de Vylder.«30 Es ist also nicht von der Hand zu weisen, dass wir uns genau dieser Option des deutschen Imperialismus nähern, für die Gauweiler steht – im Ernstfall unter dem demagogischen Schlachtruf: »Deutschland gegen die internationalen Großbanken«.

Es gibt nicht nur diese politischen demagogischen »Angebote« an die demokratische Bewegung, es gibt auch direkte Querfrontaktivitäten Gauweilers. Da ist zum Beispiel leider die persönliche Verbindung zu dem Sozialdemokraten und Mitglied der Partei Die Linke, Oskar Lafontaine. Im August 2009 hat es eine Veranstaltung auf dem Nockherberg in München gegeben mit Gauweiler und Lafontaine, über die die Bildzeitung und die »Junge Freiheit« begeistert berichtet haben. Dort war natürlich auch die Rede davon, dass eine Volksabstimmung zur EU endlich mal sein müsse. Der Bildzeitungsartikel endet mit dem Satz von Gauweiler: »Wenn es eine Lehre aus dem 20. Jahrhundert gibt, dann die, dass die Rechte und die Linke keine Feinde sein dürfen.«31 Es gab auch einen sehr stimmungsgeladenen Artikel im Spiegel, der auch sehr begeistert von der Veranstaltung war. Jürgen Elsässer, relativ neu im Querfrontgeschäft, hat – ebenfalls voller Begeisterung – diesen Spiegel-Artikel weiter verbreitet.

Gauweiler greift auch ganz bewusst die Verwirrung auf, die Strauß schon in den achtziger Jahren unter vielen Genossen der SED gestiftet hat (s.o.). Er sagte 2005: »Es ist nicht gut – und auch nicht frei von Heuchelei –, wenn der Westen immer dem Osten die Sünden vorhalten will. So kommen wir nicht weiter. Die eigenartigen Strafverfahren gegen die politische Klasse der Ex-DDR – das war der falsche Weg. Vor zehn Jahren habe ich eine Amnestie für Egon Krenz und andere gefordert. Obwohl auch eine gewaltsame Lösung möglich gewesen wäre, haben sie am Ende verantwortungsbewusst gehandelt. Die Einsicht, was bei ihnen falsch und was richtig war, muss von den Menschen des Ostens kommen. Diese Einsicht wird durch ideologischen Druck von unserer Seite nur dauerhaft verschüttet.«32

Ein Beispiel dafür, wie sehr die Straußsche Querfrontpolitik der achtziger Jahre bis heute nachwirkt, finden wir bei Egon Krenz, in seinem ansonsten sehr guten Buch »Gefängnis-Notizen«: »Ich bin dankbar, dass einer der politischen Ziehsöhne Franz Josef Strauß’ der Treibjagd auf DDR-Funktionsträger sachliche Argumente entgegensetzt. Ich bin mit Ministerpräsident Strauß nicht sehr oft zusammengetroffen, doch unsere kurzen Begegnungen in Leipzig lassen mich schlussfolgern: Er hätte genauso gehandelt. Ich glaube nicht, dass er sich der Hatz auf Honecker und die anderen Amtsträger der DDR angeschlossen hätte.«33

Hier gibt es offensichtlich Illusionen, warum ein Herr Gauweiler so und nicht anders handelt. Es geht ihm darum, die deutsche Volksgemeinschaft gegen den Rest der Welt zu schaffen. Wenn man eine Abstimmung über die EU will, wenn man aus der EU raus will, dann ist es das Beste, ein über 90-prozentiges Ergebnis zu erreichen. Da geht es natürlich nicht, dass man die DDR so in den Staub tritt, wie es bisher der Fall ist, dass man Repräsentanten der DDR unterschiedslos ins Gefängnis steckt und einen großen Teil der DDR-Bürger damit demütigt, die dann ganz bestimmt nicht mehr »für deutsche Interessen« zu haben sind.

Dafür also ist diese Querfront gut und dafür ist auch das Bündnis mit Lafontaine gut, der an dieser Stelle leider sehr falsch reagiert. So will Gauweiler nicht nur einen Teil der DDR-Bürger auf seine Seite bekommen, sondern auch einen Teil der linkeren Arbeiteraristokratie und große Teile auch der demokratischen Bewegung in Westdeutschland.

Einen wirklich begeisterten Anhänger hat Gauweiler in der faschistischen Postille »Junge Freiheit«. Zu seinem 60. Geburtstag hat sie einen sentimentalen Artikel über Gauweiler geschrieben, wo ihm die Qualitäten von Strauß zugeschrieben werden. Der Artikel endet mit den geradezu ergreifenden Worten: »Er will, das ist Gauweilers Natur, dem Volk Macht geben über mehr Beteiligung und Volksabstimmungen. Weil er sein Volk liebt. Und das Volk ihn.«34

Im März 2010 wurde bekannt, dass es in der CSU unter der Oberfläche brodelt. Theo Waigel, Peter Gauweiler und Alfred Sauter – alle drei sind früher oder später Opfer von Stoiber geworden – haben den Zustand der Partei unter dem Vorsitzenden Horst Seehofer kritisiert. Auch Edmund Stoiber gaben sie eine Mitschuld an der Krise der Partei. »Bei Franz Josef Strauß war das anders«, klagte Theo Waigel.35 Diese drei und ihre Anhänger möchten also zurück zur Ära Strauß. Und was das heißt, wissen wir ja …

15. Schlussfolgerungen:

* Es kann kein Bündnis mit der CSU »gegen Nazis« geben.

* Antifaschisten müssen die CSU und insbesondere Gauweiler ernst nehmen und bekämpfen.

* Der Kampf gegen die faschistischen Hilfstruppen muss mit dem Kampf gegen die Staatsgewalt verbunden werden.

* Solidarität mit den Arbeitern aus anderen Ländern und mit den Werktätigen in der einverleibten DDR ist unabdingbar.

* Jeder unserer Kämpfe muss eine antifaschistische Stoßrichtung haben.

Warum kann es kein Bündnis mit der CSU »gegen Nazis« geben? Mit einem solchen Bündnis würden wir sie als bürgerlich-demokratische Partei akzeptieren. Wir machen ja auch kein Bündnis mit der NPD gegen die CSU und verlangen nicht von der NPD, gegen die CSU zu kämpfen.

Die CSU und insbesondere Gauweiler ernst nehmen und bekämpfen heißt, die Krise der CSU nützen, um insbesondere Gauweiler und seine jeweiligen Verbündeten zu entlarven und Querfrontaktivitäten zu unterbinden. Wenn sich die Widersprüche zwischen den Imperialisten oder innerhalb der deutschen Monopolbourgeoisie in der EU-Frage noch mehr verschärfen, kann es zu spät sein. Wir haben ja erst vor 20 Jahren die Erfahrung gemacht, wie schnell man von konterrevolutionären Entwicklungen überrollt werden kann.

Beim Kampf gegen die faschistischen Hilfstruppen darf die Staatsgewalt nicht aus dem Auge verloren werden. Es kann nicht darum gehen, immer wieder zu versuchen, die Nazis zu blockieren, immer wieder sich von der Staatsgewalt vorführen zu lassen. Wichtiger wäre es, aufzuklären darüber, wie wir bei diesen Anti-Nazi-Kämpfen aufgerieben werden sollen, aufzuklären über die Bürgerkriegsübungen, aufzuklären, woher die faschistische Gefahr wirklich droht.

Solidarität mit den Arbeitern aus anderen Ländern und mit den Werktätigen in der einverleibten DDR dient dazu, dass Klarheit über die Fronten entsteht. Die Aufgabe von Gauweiler und ähnlichen Figuren ist ja, die Fronten zu verwischen und alle in die Volkgemeinschaft einzugliedern. Wir müssen aufpassen, dass wir zum Beispiel nicht plötzlich ganz aus Versehen Arm in Arm mit den »Grauen Wölfen« stehen. Und nur durch Solidarität mit den Werktätigen in der einverleibten DDR können wir die Querfrontversuche gegen Genossen und Freunde aus der DDR wirkungslos machen und den Kampf gegen Nazistrukturen dort unterstützen. Diese Forderung nach Solidarität mit den Werktätigen in der einverleibten DDR richtet sich natürlich an die Westdeutschen. Umkehren kann man diese Forderung nicht. Die Westdeutschen können außer der ganz normalen Solidarität aller Arbeiter und Antifaschisten keine besondere Solidarität aus dem unterdrückten Teil der BRD, von den Werktätigen in der einverleibten DDR, verlangen.

Jeder unserer Kämpfe muss eine antifaschistische Stoßrichtung haben. Das heißt zum Beispiel: es kann keinen Kampf gegen Nazis wegen ihrer »Verfassungswidrigkeit« geben. Es kann keine Unterstützung für »Mehr-Demokratie«-Bündnisse geben, die zur Zeit – wenn auch mit den besten Absichten – Unterschriften für Volksabstimmungen etc. sammeln, ohne dass sie selbst wissen, wofür eigentlich, ohne antifaschistische Stoßrichtung. Unsere EU-Gegnerschaft muss sich gegen die BRD richten. Es kann kein Bündnis mit EU-Gegnern geben, die die BRD in der EU stärken wollen. Und wir können auch den von Gauweiler angestrebten Volksentscheid nicht unterstützen, sondern müssen ihn bekämpfen.

Hören wir noch einmal hin, was unser Gegner spricht. Strauß sagte am vierzigsten Jahrestag der CSU-Gründung 1985: »Die Gründung der Christlich Sozialen Union war ein Glücksfall der deutschen Geschichte. Sie war Voraussetzung dafür, von Deutschland zu retten, was zu retten war und nicht den Zweiten Weltkrieg jedes Jahr aufs neue zu verlieren.«36

Kämpfen wir dafür, dass sie ihren Weltkrieg nicht nur jedes Jahr aufs neue, sondern ein für allemal verlieren!


  1. Finanzkapital: »Konzentration der Produktion, daraus erwachsende Monopole, Verschmelzung oder Verwachsen der Banken mit der Industrie – das ist die Entstehungsgeschichte des Finanzkapitals und der Inhalt dieses Begriffs.« (Lenin, Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus, LW Bd.22, S. 230) 

  2. Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: VII. Weltkongress der Kommunistischen Internationale, Frankfurt/Main 1971, S. 75 

  3. Götz Aly, Hitlers Volksstaat, Frankfurt/Main 2005 

  4. Wilhelm Liebknechts Volksfremdwörterbuch Berlin 1953, S. 206. Zu den Ausführungen über den Pragmatismus wurde auch herangezogen: Harry K.Wells, Der Pragmatismus – eine Philosophie des Imperialismus, Westberlin 1975 auf Grundlage einer 1957 in der DDR erschienen Ausgabe 

  5. Die Zeit, 07.10.1988 

  6. Der Gewerkschafter, Funktionärsorgan der IG Metall, Nr. 12/1970 

  7. Ab hier bis zur mit Fußnote 10 gekennzeichneten Stelle wurden im Wesentlichen die Inhalte aus dem Buch von Peter Willmitzer, Wir in Bayern, München 1985, übernommen. 

  8. Interne Informationen des CSU-Freundeskreises vom 8.6.1970, zit. nach Kommunistische Arbeiterzeitung Nr. 6/1970 

  9. METALL (Zeitung der IG Metall) 18/1978 

  10. Siehe Fußnote 7 

  11. DER SPIEGEL 12/1970 

  12. Querfront: Der »Versuch faschistischer Kräfte, unter Ausnutzung theoretischer Schwächen in die Arbeiterbewegung einzudringen, um diese zu zersetzen und schlussendlich zu vernichten« (www.secarts.org/journal/ index.php?show =article &id=288&) 

  13. Strauß im Interview mit dem französischen Journalisten Bernhard Völker, zitiert nach der Dokumentation einer Ausstellung »Nürnberg – München – Tandler und Hillermeier müssen zurücktreten« des Anti-Strauß-Komitees München/Regensburg, München 1981, S. 9 

  14. Ebenda, S. 9 

  15. Süddeutsche Zeitung, 22.6.09 

  16. Karl Schirdewan, Ein Jahrhundert Leben – Erinnerungen und Visionen, Berlin 1998, S. 303 

  17. Flugblatt der NPD Sachsen, zitiert nach: Kurt Gossweiler, Faschismus und herrschende Klasse – Gestern und Heute, in: Mitteilungen der Kommunistischen Plattform der PDS Nr.10/98, Thema Antifaschismus, S. 23 

  18. Kommunistische Arbeiterzeitung 291/1999, »Warum wir keine ›gesamtdeutschen‹ Klassenverhältnisse untersuchen« 

  19. Im Februar 1999 veröffentlicht der – jahrelang in dieser Frage von den großen Medien ernst genommene – niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer die »Theorie«, dass die Jugendlichen in der DDR »emotional verkümmert« seien durch die DDR-Erziehung und dadurch leichte Beute für die Nazis. Als Beispiel für die Abwesenheit von Liebe und Zuneigung und deren Ersatz durch staatliche Regeln nannte Pfeiffer das kollektive Auf-dem-Topf-Sitzen und den Mittagsschlaf in den Kindergärten. 

  20. SAT1-Sendung »Talk im Turm« am 01.11.1998 

  21. Die Aleviten sind eine Religionsgemeinschaft, deren Glaube islamische und vorislamisch-orientalische Elemente zu einer humanistisch geprägten Lehre verbindet. Man findet in der BRD Aleviten oft an der Seite von Gewerkschaften und aktiv in demokratisch-antifaschistischen Kämpfen. 

  22. Zitiert nach: www.faz.net/s/RubA24ECD630CAE40E483841DB7D1 6F4211/Doc~EEE216F47CA4D483F8765740B404BA442~ATpl~Ecommon~Scontent.html 

  23. Neues Deutschland 27.05.2002, Gregor Gysi: »In Haiders Spur« 

  24. Zitiert nach: http://www.rp-online.de/politik/Gauweiler-Moellemann-gehetzt-wie-Wild_aid_ 10504.html 

  25. Neues Deutschland, 15.12.2009 

  26. Neues Deutschland, 05.01.2010 

  27. Junge Welt, 27.01.2009 

  28. Kommunistische Arbeiterzeitung Nr. 329/2009, »Das Bundesverfassungsgerichtsurteil zum Vertrag von Lissabon: Wessen Sieg?« 

  29. Passauer Neue Presse, 05.05.2010 

  30. www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/57809 

  31. BILD.de, 11.08.2009 

  32. Junge Welt, 12.11.2005 

  33. Egon Krenz, Gefängnis-Notizen, Berlin 2009, S. 142 

  34. Junge Freiheit, 29/2009 

  35. www.focus.de/politik/deutschland/csu-krise-vier-jahre-lang-blamiert_aid_489545.html 

  36. Zitiert nach Harri Czepuck, Der weiß-blaue Filz, Schkeuditz 2001, S. 151