Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Aktuelle ökonomische Lage

Timur Stockholm, DKP Thüringen

Mai 2010

Mit den Aspekten, die ich hier behandle, werde ich versuchen, punktuell auf die Krise einzugehen. Ich denke, es ist nicht unbedingt notwendig, den gesamten Krisenmechanismus zu erörtern. Bekannt dürfte hier auch sein, dass es nicht nur an den Finanzpapieren lag, sondern dass es in diesem Zusammenhang noch ein, zwei, drei andere Ursachen gab.

Es sollen uns mit diesem Referat einige konkrete aktuelle Fakten an die Hand gegeben werden, die uns die Möglichkeit geben, das aktuelle Kräfteverhältnis ein bisschen besser einzuschätzen. Fangen wir an mit der allgemeinen Industriestruktur, einigen Worten zu Deutschland, zur EU, weniger zur internationalen Lage. Ein wenig mehr wird zu Griechenland zu sagen sein, weil an Griechenland ganz plastisch wird, wie der deutsche Imperialismus innerhalb Europas agiert. Außerdem soll es einen kleinen Ausblick geben, der eigentlich schon der Ausblick des letzten Jahres war, als ich einen ähnlichen Vortrag gehalten habe. Ironischerweise ändern sich manche Sachen gar nicht.

1.1. Die Überproduktionskrise

Die Vorgänge im Finanzsektor, die meiner Ansicht nach eher eine Widerspiegelung der Strukturkrise des Kapitalismus zur Zeit sind, mal außen vor gelassen, würde ich gern insbesondere auf zwei Sektoren eingehen, die meiner Meinung nach im Rahmen der Krise einer besonderen Betrachtung bedürfen. Im Gegensatz zu den von der Krise besonders betroffenen Sektoren gibt es Bereiche, die zur Zeit von diesen Strukturumbrüchen relativ wenig tangiert werden, so z.B. die Pharmaindustrie, den Bergbau und andere. Auch die Erdölindustrie ist relativ wenig betroffen, die hat im Moment im Golf von Mexiko ihre eigenen Probleme …

Die Sektoren, die tatsächlich, also stofflich, die Krise durchleben, sind der Automobil- und der IT-Sektor. Wenn man sich die Top 500, also die fünfhundert größten Konzerne weltweit ansieht, dann sind die beiden Sektoren ungefähr gleich groß und machen zusammen ungefähr ein Fünftel des Weltumsatzes aus. Sie sind beide strukturgebend für das aktuell bestehende Industriegefüge.

1.1.1. Automobilsektor

Für den Automobilsektor ist dessen Relevanz in der Krise des Kapitalismus des 21. Jahrhunderts, denke ich, klar und plastisch geworden. Nicht zuletzt durch die GM-Pleite und die ganzen Diskussionen, die auch hier in Deutschland hochkochten, wird das deutlich. Jeder weiß, dass es dort brutale Einbrüche gab. Der Automobilsektor ist ein wenig größer, er ist auf jeden Fall wesentlich höher konzentriert; ihn gibt es nun auch schon knappe hundert Jahre. Da ist seitdem natürlich einiges an Konzentration gelaufen, während der IT-Sektor, so wie wir ihn jetzt kennen, in seiner Entwicklung erst seit knapp zwanzig Jahren so richtig an Größe gewonnen hat.

Wir sehen, dass der Umsatz im IT-Sektor, dazu zählen die Halbleiter-, also Hardware, aber auch die Dienstleistungs- und Softwarebranchen, wesentlich größer als der Umsatz des Automobilsektors an sich ist. Auch von der Abhängigkeit her sieht es so aus, dass gerade das, was IT ausmacht, heute aus keinem anderen Produktionssektor mehr wegzudenken geht. Sowohl die Softwareentwicklungen als auch die technischen Voraussetzungen, also die Chips in den Anlagen, wie sie in den Produktionsprozessen genutzt werden, sind in jedem anderen Sektor unentbehrlich geworden. Der sehr enge Zusammenhang zwischen den Sektoren ist damit gegeben.

Automobilsektor IT Sektor
8,8 % Top 500 7,1% Top 55
2000 Mrd. $ Umsatz 3400 Mrd. $ Umsatz
2001: 56 Mio. Halbleiter -40% 2009
2007: 73 Mio. IT Hardware -15% 2009
2009: 66 Mio  

Wir sehen anhand der Tabelle, dass es in beiden Sektoren brutale Einbrüche gab. Im Automobilsektor z.B. haben wir 2009 einen Rückfall auf Zahlen von 2001 bekommen. Das ist natürlich eine Aussage über die Auslastung, also die Kapazitätsauslastung, bzw. die relative Überproduktion. Hier werden die Überkapazitäten aufgezeigt, der Anpassungsbedarf, der jetzt noch da ist. Was es zur Zeit an Kapitalvernichtungen gab, war noch nicht das, was an tatsächlichen Überkapazitäten, an nicht produktiv nutzbaren Kapazitäten vorhanden ist, das wird noch nicht repräsentiert.

1.1.2. IT-Sektor

Im IT-Sektor haben wir insgesamt vier bis fünf Prozent Einbruch. Jedoch gibt es dort gerade im Produktionsbereich die Haupteinbrüche, nicht so sehr in den Software- und Dienstleistungssektoren. Die meisten werden mitbekommen haben, dass SAP, als das große Monopol hier in Deutschland im IT-Dienstleistungs/Software-Sektor, in der Krise gerade mal ein halbes Jährchen vor sich hingedümpelt hat. Denen geht es mittlerweile schon wieder blendend, und der Einbruch war auch nicht sonderlich groß. Das ist auch bei anderen IT-Dienstleistern so.

Aber gerade was die Halbleiter- und IT-Hardware-Sparte angeht, gab es in den letzten Jahren eine relativ starke Konzentration, gerade im Chipbereich. Intel, AMD, Samsung, das sind die Großen, die überhaupt noch übrig sind und sich in den letzten Jahren brutale Kostenwettkämpfe geliefert haben.

Im IT-Hardwarebereich, also bei den Herstellern, die jeder kennt, Dell, HP, Acer usw., gibt es diesen starken Verdrängungswettbewerb auch. Auch dort ist noch ein ordentliches Eindampfen eigenständiger Produzenten zu erwarten. Das alles sollte bedacht werden, weil immer viel ausschließlich über den Finanzsektor geredet wird, diese Krise aber vor allem eine stoffliche Strukturkrise ist.

1.2. Krise in Deutschland

In Deutschland sieht die Sache so aus. Abgebildet ist hier das Wachstum des BIP, nicht das BIP selber. Wir erleben, auch wenn es in den Medien immer wieder anders darzustellen versucht wird, den Rückgang des BIP seit mittlerweile sechs Quartalen, also anderthalb Jahren. Das spiegelt sich, deswegen hatte ich vorher die beiden Branchen herausgestellt, in den einzelnen Industriesektoren ganz unterschiedlich wider.

So ist die reale Entwicklung, und es ist nicht anzunehmen, dass sich dies kurzfristig ändert. Wenn ich diesbezüglich eine Prognose geben müsste, würde ich sagen, dass wir auf jeden Fall weiter in dieser Rezession verharren werden. »Dankenswerterweise« ist jetzt jedoch die »böse« Griechenland-Krise da, die für das Heer der Experten einen Anlass gibt zu sagen: »Ach, das liegt jetzt an Griechenland, dass es auf einmal doch nicht vorwärts geht.«

Ich werde in diesen Ausführungen darauf verzichten, auf die sozialen Auswirkungen einzugehen, also welche Auswirkungen diese Rezession, die sich hier ganz grob aus den hochaggregierten Zahlen abbildet, für den Klassenkampf hat, was das für die sozialen Schichten bedeutet. Ich denke, dies ist offensichtlich.

Was in dieser Krise gut zu beobachten war, dass – entgegen vielen Annahmen, dass wir es mit einer völlig neuen Phase des Kapitalismus zu tun hätten, einem transnationalen, europäischen, internationalen, wie auch immer gearteten neoliberalen Gebilde, das in den letzten Jahrzehnten den Markt befreit hat usw. – der Staat offensichtlicher denn je genutzt wird, um den Kapitalismus in seiner jetzigen Verfassung zu stabilisieren.

1.2.1. Bankenhilfe konkret

Von der Bankenhilfe, den 480 Milliarden, die genehmigt wurden (das ist ungefähr das Doppelte des normalen Staatshaushaltes in Deutschland), ist ungefähr die Hälfte tatsächlich auch gezogen worden. Das sind zum Teil Garantien, also erst einmal nur Zusagen, bei denen (noch) kein Geld geflossen ist. Im internationalen Vergleich in Relation zum BIP wurde in Deutschland mehr an Bankenhilfe aufgewendet als z.B. in China, in den USA und anderen Staaten.

Wir hatten in Deutschland das Konjunkturpaket. Jetzt kann man sich streiten, was die 80 Milliarden alles beinhalten (z.B. Steuersenkung), und lasst es effektiv 10 Milliarden mehr oder weniger sein, aber ich denke, auf dieser Ebene ist das nicht relevant. Es gab auf jeden Fall riesige Summen, die mobilisiert wurden, um die Verhältnisse, wie sie jetzt sind, zu stabilisieren, um den Zustand zu stabilisieren im Sinne der Monopole, wie sie jetzt strukturiert sind. Dass dies jedoch keine Breitenhilfe ist, ist vielleicht klar, aber das sollte noch einmal genau diskutiert werden. Mit dieser Hilfe wurden bestimmte Sektoren, bestimmte Industrien bevorzugt.

Wie diese »Hilfe« eingesetzt wird und wirkt, ist an zahlreichen Beispielen zu sehen. Nehmen wir die 18 Milliarden, die direkt an die Commerzbank durchgereicht wurden, ohne dort tatsächlich die Kontrolle zu übernehmen. Dieses Geld war eigentlich eine Hilfe für den Allianz-Konzern, der die Dresdner Bank mit dem riesigen Abschreibungsbedarf mit sich herumschleppte und dann die Commerzbank fand, die sagte, wir nehmen das Ding. Dieses praktisch buchwertlose Vehikel Dresdner Bank wurde dann unter massiver Staatshilfe von der Allianz an die Commerzbank verkauft. Dass dieser Schachzug nun die Allianz rettete, würde ich nicht sagen. Aber durch den vom Staat getragenen Abstoß der Dresdner Bank wurde der Allianz ein riesiger Vorteil verschafft, sie konnte ohne größere Einbrüche in die Krise gehen. Im Zusammenhang mit dem Zusammenbruch des bis dato weltgrößten Versicherungskonzerns AIG führte der Eingriff des Staates die Allianz an die Weltspitze der Versicherungswirtschaft.

Es wird immer viel über die Deutsche Bank gesprochen. Daher ist wichtig zu wissen: Die Allianz ist mit einem großen Paket sowohl an der Deutschen Bank als auch immer noch an der Commerzbank beteiligt. Aber die Verflechtung und die Größe der Allianz selbst und ihre Fähigkeit, Staatsanleihen und Unternehmensbeteiligungen zu kaufen und dadurch marktbestimmend zu wirken, also nicht nur im Versicherungsbereich, sondern gesamtstrukturbestimmend zu wirken, ist eine Tatsache, die auf jeden Fall lohnt, sich näher anzusehen.

1.2.2. Gewinne im Finanzsektor

Ein weiterer Punkt betrifft Leitzinssenkung und Ausweitung der Staatsanleihen – das ist in Krisen üblich. Man senkt die Leitzinsen, damit das Geld billig und damit der Kreislauf erhalten wird. Das ist gerade für den Bankensektor bestimmend. In Deutschland ist der Banken- und Finanzsektor überdurchschnittlich stark gewichtet, was die »Hilfe« durch den Staat betrifft. Dies führt dazu, dass der Staat gleichzeitig Anleihen aufnehmen muss.

Auf der einen Seite ist es für die Finanzwirtschaft mittlerweile sehr billig, an Zentralbankgeld heranzukommen. Dann gibt es Staatsanleihen, die kann man dann gleich wieder kaufen, und weil der Staat ja Geld braucht, ist das so eine Art Gelddruckmaschine, die da zur Zeit am Laufen ist. Und wie wir gerade sehen, kann sogar die Commerzbank, die Riesenprobleme hat, im ersten Quartal Gewinne schreiben. Das sind die Schlaglichter auf die Verwendung des deutschen Staats für die Stützung der deutschen, maßgeblich der Finanz-Monopolisten.

1.2.3. Lohnquote sinkt

Ein wichtiger Aspekt ist die Lohnquote bzw. die Verteilung des Volkseinkommens. Am wichtigsten daran ist die Tendenzaussage. Spätestens ab 2001 zeichnet sich eine stetige Senkung der Lohneinkommen in Relation zum gesamten Volkseinkommen ab – eine Steigerung der Gewinneinkommen. Wir haben 2009 einen Einbruch, das war die Zeit, in der die Wertpapiere kurzzeitig an Wert verloren haben, bis dann die Zentralbanken sagten: Wir kaufen die Papiere doch.

Dieser Einbruch ist 2010 schon wieder völlig korrigiert. Und diese Tendenz zeigt gerade für Deutschland die Stärke im Klassenkampf, also die Fähigkeit der deutschen Arbeiterklasse oder des deutschen Kapitals, das aggregierte Volkseinkommen zu verteilen. Und die Kapitalisten gewinnen gerade.

1.3. Krise in der EU

Im Falle der EU haben wir ganz unterschiedliche Verhältnisse. Ich habe ein paar Folien vom internationalen Währungsfond rausgesucht. Was man in der Grafik sehr schön sehen kann: Wir sehen eine Industrieproduktion, die ist unter den Wert von 2005 zurückgefallen. Was für Deutschland gilt, gilt auf jeden Fall auch für die EU; es ist also nicht zu erwarten, dass es eine schnelle Erholung gibt. Das heißt, es gibt, was die Industrieproduktion angeht, nicht nur die Verschlechterung, also einen leichten Rückgang, gegenüber den Vorjahren, sondern wir haben hier in der Industrieproduktion tatsächlich Werte erreicht, die vor fünf Jahren schon einmal erreicht waren. Das ist die Produktion an gesellschaftlichen Werten, die es dann auch zu verteilen gilt. Das zeigt, dass es auch in Zukunft enger werden wird, auch für die deutsche Arbeiterklasse und genauso für die Arbeiterklasse in den anderen EU-Staaten. Die Frage ist, was dann an Kämpfen daraus entsteht, das ist aber hier nicht Thema des Vortrages. Großbritannien geht es beschissen, das ist die rote Kurve ganz unten.

Dem entgegen stellt der IWF immer gern ein paar Staaten vor, die als Beispiel dafür dienen, wie es anders geht. z.B. auch die baltischen Staaten. Dazu ist zu sagen, dass erstens die Datenlage ein bisschen zweifelhaft ist und zweitens Einbrüche, die es dort gab, teilweise noch nicht oder zweifelhaft eingearbeitet sind.

Diese Grafik hier zeigt uns, wie sich wie sich die Veränderung des Bruttoinlandsprodukts zusammensetzt. In Blau, der private Konsum, immer ziemlich klein. Das Zweite ist »gross fixed capital formation«, im Prinzip Produktionsmittelproduktion. Da sehen wir 2008/2009 einen rasanten Einbruch, also negative Kapitalakkumulation. Weiter hier zu sehen die »net exports«, die Außenhandelsüberschüsse/Handelsgewinne. Und die schwarze Kurve ist im Prinzip das, was wir für Deutschland vorhin schon einmal hatten.

Die Summe aus dem Ganzen wird hier nachgezeichnet, also wie sich das Bruttoinlandsprodukt, in dem Falle für die EU, entwickelt hat. Auch spannend ist an der Stelle – wir hatten Ende 2008 / Anfang 2009 – zu sehen am Punkt »gross fixed capital formation«, in der Kapitalakkumulation, im Produktionsmittelproduktionsbereich ein sehr starker Einbruch, der immer noch nicht aufgeholt ist. Hier geht es nur auf kleinem Level weiter.

Die Grafik zur Arbeitslosigkeit spricht für sich. Am rechten Rand sehen wir den rasanten Anstieg. Natürlich verschärft die steigende Arbeitslosigkeit die Widersprüche und lässt die sozialen Brennpunkte anwachsen. Was uns die Frage stellt, wie politisch damit umzugehen ist, was entwickelt sich aus der Situation für ein Bewusstsein.

1.4. Zum Wert der EU für die Monopole

Die EU als Ergebnis der Zollunion, was ist ihr ökonomischer Wert? Hier ist die Öffnung, also die Schaffung eines gemeinsamen Markts, natürlich immer im Sinne der Stärksten. So profitieren vor allem die deutschen und französischen Monopole. Die Eurozone, also die Einführung einer gemeinsamen Währung, hatte ihr Hauptziel darin, diesen Markt zu erschließen, ohne dass man die Gefahr eingeht, durch Währungsschwankungen Teile der erzielten Profite wieder zu verlieren. Auch das geschah also im Sinn der Stärksten des gemeinsamen Wirtschaftsraumes.

Dies sieht man dann auch daran, dass zur Zeit zwei Drittel beispielsweise der deutschen Exporte in die EU selbst gehen. Der Exportweltmeister Deutschland lebt also maßgeblich davon, dass er in die EU exportiert, also in die Staaten, die in diesem gemeinsamen Binnenmarkt mit dieser gemeinsamen Währung agieren und ihm praktisch ausgeliefert sind. In dieser EU sind die schwächeren Unternehmen der Marktmacht der europäischen Monopole ausgeliefert. Daher ist das eine sehr erfolgreiche Geschichte gewesen, diese EU mit all ihren Eigenschaften.

Der Exportdruck Deutschlands auf Basis seiner Marktmacht führt dazu, dass EU-Staaten ein Handelsbilanzdefizit gegenüber Deutschland aufbauen müssen. Nichts anderes wird diskutiert, wenn z.B. die französische Finanzministerin darum bittet, dass in Deutschland die Löhne doch ein bisschen höher gestaltet werden sollten. Diese hätten die letzten zehn Jahre etwas nachzuholen. Diese Diskussionen fußen darauf, dass es dem Starken, in dem Falle dem deutschen Imperialismus, den deutschen Monopolen, gelungen ist, diese EU maßgeblich für sich zu nutzen und ihre eigene Stärke wirklich brutal auszubauen.

Ein Abbild dieser Dominanz ist die Sperrung der Starken in der EU gegen eine gemeinsame Konjunkturpolitik, wie sie angedacht war, als die Krise begann. Denn in dem Moment, wo es darum geht, dass die EU Geld in die Hand nimmt und einzelnen Sektoren in einzelnen Ländern hilft, weil es denen besonders schlecht geht, entsteht eine Situation, die für das deutsche Kapital wesentlich schlechter zu kontrollieren ist. Man will ohne diese störenden Eingriffe der Nationalstaaten, die die Konjunkturpolitik dann ja umsetzen müssen, weiter die pure Marktmacht ausspielen. Dies ist einer der Hauptgründe dafür, dass es keine gemeinsame Konjunkturpolitik auf EU-Ebene gibt. Das ist wichtig zu wissen für Diskussionen über die verschiedenen Stützungsmechanismen, die dann immer eingefordert werden, gerade auch von den Franzosen oder den Spaniern, maßgeblich auch von manchen deutschen Industrieverbänden.

Was doch sehr stark über die EU selbst reguliert wird, hat sich z.B. im Rahmen der Verfassungsdiskussion gezeigt. Hier zeigt Deutschland, wo der Weg hingeht. Den Klassenkampf von oben verstärken, was der deutsche Imperialismus schön vorgemacht hat. Die Arbeiter kurz halten, Reallohnrückgänge, so was sollte doch bitte auch in den anderen Staaten zu erreichen sein. Und die EU ist immer ein schönes Vehikel, weil man da von ganz oben drücken kann und an der Stelle auch einen ziemlich großen Hebel hat. Das gilt gerade für die abhängigen Staaten, also für die Staaten, die klein sind und im Rahmen der EU-Verhältnisse wenig eigene Gestaltungsmacht haben.

1.5. EU unter nationaler Kontrolle

Wie funktioniert die EU, oder wie sind die realen Verhältnisse? Dazu zitiert Beate Landefeld zum Beispiel eine Studie, die den EU-Apparat untersucht. Hier wird gezeigt, dass in der EU-Kommission selbst nur ein paar Leute entscheiden, und die sind auch ganz klar und eindeutig von ihren nationalen Zirkeln, von den nationalen Zusammenhängen dorthin platziert worden. Aber auch die ganzen EU-Beamten werden in dem Grad in ihre Positionen gesetzt, wie sie auf nationale Strukturen, Netzwerke, Protektionen, usw. zurückgreifen können – über diese Mechanismen kommen sie in EU-Positionen. Das ist kein übergeordneter Beamtenapparat, der eine eigene EU-Ethik vertritt oder vielleicht auch ein eigener EU-Klüngel, wie es häufig dargestellt wird – die EU als böser Beamtenapparat, der uns in Deutschland immer etwas aufdrängen will. Es ist tatsächlich genau andersherum. Die Leute, die dort in Entscheidungspositionen sind, werden von den nationalen Zirkeln dorthin geschickt. Und dementsprechend funktioniert auch ganz konkret die Umsetzung von diesen ganzen Politiken, die sich aus der Verfassung und so weiter ergeben.

Ähnliches gilt auch für die Manager der europäischen Monopole. Man kann jetzt darüber streiten, ob es ein guter Indikator ist, dass die meisten Topmanager in Deutschland Deutsche, Österreicher oder Schweizer sind. Aber zumindest sind sie Eigengewächse der deutschen Bourgeoisie. Großbritannien ist diesbezüglich Schlusslicht, die haben tatsächlich unter den hundert Topmanagern achtzehn, die von irgendwo anders herkommen.

Untersucht wurden auch die Wohnsitze der Reichen. Wo sitzen tatsächlich die, die am Ende die Profite einstreichen. Auch da ist es so, dass in Europa der Großteil in seinem Heimatland positioniert ist. Der Rückschluss, den wir daraus ziehen können ist, wie reale Macht funktioniert. Wer spricht mit wem, wer klärt mit wem was, wer hat auf wen Einfluss. Wenn man weiß, alle Manager sind deutsch, die Leute, die am Ende den Reichtum abziehen, sitzen auch alle hier, dann weiß man auch ungefähr, wessen Interessen hier vertreten werden. Wenn man sieht, dass die ganzen Beamten, die in den EU-Apparat geschickt werden, aus deutschen Netzwerken kommen, so hat das Aussagekraft. Das ist nicht ein transnationaler Zusammenhang, der sich von diesen Verhältnissen losgelöst hat, der sich losgelöst von diesen konkreten Netzwerken rein dem »Shareholder-Value« verpflichtet fühlt. Sondern das sind tatsächlich strategische Zirkel, die dort sitzen. Die machen keine Politik für ein halbes Jahr.

Der Anteil der EU-Konzerne an den Top 500 der Welt ist stetig gewachsen. 2008 waren es 179, das ist ein bedeutender Teil. Darunter ist wiederum der Großteil aus Großbritannien, Frankreich, Deutschland. Sie bilden sozusagen den Kern, auch von der Größe her. Dann kommen abgeschlagen Italien, Niederlande, Spanien, Schweden und die Schweiz. Sie bilden sozusagen das Mittelfeld der europäischen Monopole. Die Schweiz ist zwar kein EU-Mitglied, aber schon durchaus in den Zusammenhang einzuordnen. Was man daran auf jeden Fall sieht ist, dass wir eine stark ungleichmäßige Entwicklung haben. Z.B. haben die britischen Monopole starke Bedeutungsverluste erfahren, Deutschland hat stark dazugewonnen, Frankreich ist leicht angestiegen, die weiteren haben tendenziell eher leicht an Bedeutung verloren. Der Konzentrationsprozess ist auch auf diesem Level gut nachzuvollziehen.

Ein Thema, das man auch noch einmal getrennt diskutieren kann, ist der Kampf um die Kontrolle in der EU. Es geht um die Frage, wie in den Strukturen der EU Entscheidungen gefällt werden und wer wann entscheiden darf. Ein Blick auf dieses Geflecht gibt der Lissabon-Vertrag, mit dem diese hierarchische Zentralisierung durchgesetzt wurde, die Mehrheitsprinzipien zugunsten Deutschlands und Frankreichs, also der großen, mächtigen Staaten. Deutschland z.B. hat jetzt doppelt so viele Stimmen wie vorher, das bedeutet einiges, wenn es zur Abstimmung über bestimmte Politiken kommt.

Gerade im Rahmen der Griechenland-Krise sind ernsthafte Eingriffe in die staatliche Souveränität der Einzelstaaten diskutiert worden, Streichung von Subventionen ist da noch das Netteste, aber auch Dinge wie Entzug der Stimmrechte. Das Ganze soll unter dem Motto laufen: »Ihr performt nicht so richtig, also könnt ihr jetzt nicht mehr richtig mitstimmen, wir machen zwar trotzdem weiter Politik, aber ihr dürft nicht mitentscheiden.«

Das ist eine echte Qualitätssteigerung der Dominanz der Starken über die Schwachen in der »gemeinsamen« EU. Diese Dominanz, der Zugriff der Hauptmächte auf die Einzelstaaten über die EU-Schiene, wird direkter. Das ist nicht mehr so vermittelt und versteckt, sondern wird vorangetrieben.

Ein Beispiel ist die Prüfung der Staatshaushalte. Deutsche Beamte oder französische Beamte schauen sich zunächst einmal den Haushalt der Einzelstaaten an, den diese artig einzureichen haben. Die von den Führungsmächten in Position gebrachten Vertreter der jeweiligen herrschenden Klasse überprüfen dann, ob Portugal, Griechenland und andere kleine Staaten überhaupt einen guten Haushalt aufgestellt haben – wenn nicht, dann geht der eben zurück. Das sagt doch wohl genug über die Verhältnisse in der EU aus. Eigentlich ist das unter Demokratiegesichtspunkten unfassbar. Unfassbar ist aber auch, wie wenig Beachtung das findet.

Die meisten wissen natürlich, dass Griechenland sehr viele Schulden hat, gerade bei ausländischen Banken und auch ausländischen Versicherungen. Die im Vortrag verwendeten Zahlen, die von der Bank für internationalen Zahlungsausgleich veröffentlicht wurden, beziehen sich zunächst nur auf die Banken. Die Banken, die machten die Sache dann auch so brisant, denn im Fall des Ausfalls und der Umschuldung der griechischen Seite standen maßgeblich französische, Schweizer und deutsche Banken im Feuer. Diese hätten wieder massive Buchverluste hinnehmen müssen. Ein Grund, warum die von allen Seiten umhergeworfene Frage – ob Griechenland in irgendeiner Form Hilfe durch die Übernahme der Schulden durch andere Staaten bekommt – eigentlich nie ernsthaft auf der Kippe stand. Allein die Zahlen zeigen, dass es sehr im Interesse der in der EU bestimmenden Staaten, der in der EU bestimmenden Finanzmonopole lag, Griechenland herauszuhauen.

1.6. Schuldknechtschaft der EU-Peripherie

Wie haben die in Griechenland denn nun eigentlich ihre ganzen Schulden gemacht? Wo kommen die her?

Deutschland erwirtschaftet einen Außenhandelsüberschuss, maßgeblich zu Lasten der anderen EU-Staaten. Denn der gewaltige Export-Überschuss der Deutschen muss ja in irgendeiner Form aufgenommen werden von den anderen Staaten. Wenn man selbst ständig mehr importieren als exportieren muss, dann muss man, um dieses Missverhältnis aufrechtzuerhalten, sich weiter und weiter verschulden. Sieht man sich nur mal die Agrar-Importe nach Griechenland an, diese haben mittlerweile einen Umfang von sieben Milliarden Euro. Die Frage, warum die Griechen z.B. Tomaten aus den Niederlanden brauchen, wird zu Recht gestellt. Dazu kommt, dass in Griechenland auch durch die Spannungen mit der Türkei eine sehr hohe Rüstungsquote gefahren wird. Wir sprechen hier von einer Quote, die dreimal so hoch ist wie die deutsche.

Wo kaufen die das ganze Zeug? Maßgeblich in Deutschland, danach in Frankreich. Jetzt in jüngster Vergangenheit, in den letzten Monaten oder Jahren, wurden zum Beispiel zweieinhalb Milliarden Euro ausgegeben für französische Fregatten oder eine Milliarde Euro für deutsche U-Boote. Gerade für die Rüstungslieferungen standen Zahlungen von einigen hundert Millionen für Krauss-Maffei-Wegmann und Thyssen-Krupp aus, die diese doch gern noch gehabt hätten, bevor Griechenland pleite geht. Auch deswegen war klar, dass der deutsche Staat einspringen wird.

Diese Informationen helfen auch bei der Frage, wer von der Übernahme der griechischen Schulden profitiert, wo also das Geld hingeht. Es ist ziemlich klar, dass die Griechen davon nichts sehen, aber es sollte plastisch machen, dass es maßgeblich deutsche, französische, Schweizer Banken, dass es maßgeblich deutsche Rüstungsexporteure sind, die profitieren. Das ist meiner Meinung nach sehr wichtig in der aktuellen Debatte.

Jetzt gibt es immer ganz wilde Diskussionen: »Wir hauen die Griechen raus, mein Geld wird genommen, um irgend so einen faulen Griechen die nächsten Tomaten kaufen zu lassen.« Was da an offensichtlichen Lügen durch die Politiker, die sich dazu irgendwie zu Wort melden, kolportiert wird, ist wirklich beeindruckend. Zumal man die Wahrheit tatsächlich recht einfach herausfinden kann, sogar durch simples Googlen.

Wie also funktioniert das jetzt bei Griechenland? Die Griechen haben Schulden gegenüber Banken, wovon jetzt einige fällig werden. Sie können dies nur dann bezahlen, wenn sie von jemand anderem einen Kredit aufnehmen. Zur Zeit gibt es jedoch keine Bank und keinen Kapitalmarktteilnehmer, der ihnen das Geld zuschießt. Das heißt, wenn die Deutsche Bank ihre Milliarden von Griechenland wiederhaben will, dann muss sie jemanden finden, der Griechenland das Geld gibt.

Zur Zeit steht dafür z.B. die KfW zur Verfügung, also wird nicht direkt der deutsche Bundeshaushalt in irgendeiner Form behelligt. Die KfW ist eine Bank, die durch die BRD garantiert ist, aber mehr auch nicht. Was sie an Krediten herausgibt, holt sie sich durch eigene Anleihen am Kapitalmarkt wieder herein. Der deutsche Staat ist also noch nicht involviert, dort fließt kein Geld des deutschen Staats! Die KfW sammelt Geld ein, so wie jede Sparkasse auch, und gibt Kredite aus.

In diesem Fall ist das sogar eine rentable Angelegenheit für den »edlen Spender«. Die KfW sammelt das Geld ein, sie ist durch die BRD garantiert, hat dieses »AAA-Rating« der Bundesrepublik, gilt als ausfallsicher – muss also sehr niedrige Zinsen zahlen und gibt das Geld weiter nach Griechenland. Griechenland muss gerade sehr hohe Zinsen zahlen. Die Franzosen erwarten z.B. 150 Millionen Euro Gewinn aus den Griechenlandfinanzierungen, sie machen das über eine ähnliche Struktur. Wie gesagt, die Refinanzierung der KfW findet über die Kapitalmärkte statt. Die KfW plant auch keine höheren Mittelaufnahmen, so dass der KfW-Haushalt dadurch auch nicht in Gefahr kommen würde. Für sie ist das eben business as usual, eben einmal zweiundzwanzig Milliarden an die Griechen zu geben.

Das hätte man auf jeden Fall wissen können – stattdessen muss ich jeden Tag an den Schlagzeilen der Bildzeitung vorbei, die wochenlang reklamierten: »Wir zahlen für die Griechen …«

Die Auswirkungen des Schuldendeals auf dem Rücken der Griechen sind bekannt. Da ist massiver Sozialabbau geplant, Klassenkampf von oben, massive Lohnkürzungen, Stellenstreichungen, Subventionskürzungen, Rentenkürzung, Steuererhöhung, gerade der Verbrauchssteuern, Mehrwertsteuern. Sie haben überlegt, eine Luxussteuer einzuführen und eine striktere Steuerfahndung einzusetzen, was ganz interessant ist. Jetzt trifft es auch mal die griechischen Eliten – das ist für die deutschen Kapitalisten kein Problem, wenn man die mitzuzahlen zwingt, denn das sind nicht die Kumpels von nebenan.

1.7. Refinazierung für Griechenland und Portugal

Was ich hier aufgezeichnet habe, ist der Verfall des Wertes der Anleihen. Zur Erklärung: Die Deutsche Bank hat einen Kredit in ihren Büchern, zu einem Wert von vielleicht knapp 100 Ende März/Anfang April. Sie hat also 100 herausgegeben und zählt immer noch so, als wenn auch wieder 100 zurückkommen. Dann kam diese ganze Diskussion auf, ob die das tatsächlich zurückzahlen können usw. Jetzt mussten Annahmen getroffen werden, wie viel bekommst du dafür noch, und daran gemessen wurden dann die Kredite verkauft. Das heißt, wenn man Kredit an den J. vergeben hat und sieht, es gibt Probleme mit dem J., dann verkauft man den Kredit an einen anderen weiter. Man hat ursprünglich 100 gegeben, die man nie zurückbekommt, der Dritte kauft den Kredit also für höchstens 70 ab. Das ist das, was hier mit den Anleihen passiert, die an den Märkten handelbar sind.

Die Annahme, dass es für jene Anleihe tatsächlich 100 zurückgibt, ist also stark gefallen, Ende April ging das rasant abwärts. Bei Griechenland sieht man, das muss ungefähr der 27./28. April gewesen sein, dass man richtig tief unten war, und dann gab es die erste Diskussion darüber, ob man das erste Rettungspaket aufmacht. Jetzt dachten alle, cool, die sind gerettet. Doch dann gab es die Statements von Merkel & Co.: »Naja, wir haben hier nur eine grobe Zusage gemacht, aber die Details müssen wir noch klären.« Und ausgehend von diesem Punkt ging es dann noch einmal richtig krass herunter, das riss auch Portugal noch einmal richtig bergab. Dieser Zusammenhang ist sehr spannend.

Der Ruck aus dem Kanzleramt kam, während die Franzosen, die viel stärker engagiert waren, und einige anderen Staaten bereits gesagt hatten: »Ja, wir müssen die Griechen unbedingt raushauen, denn das hat für uns ernsthafte Konsequenzen.« Das hat auch für die Portugiesen Konsequenzen, allein die rasante Steigerung der Refinanzierungskosten. Das hat für andere Staaten Konsequenzen, die ähnlich klein sind oder die ähnliche Probleme haben – Spanien, Irland –, auch für sie steigen die Refinanzierungskosten. Damit erwachsen ernste Probleme, ihre zukünftigen Staatshaushalte über die Kapitalmärkte irgendwie zu finanzieren.

Gerade in diesem Moment, wo das also ernsthaft in Frage steht und es gerade durch angekündigte Hilfen von außen bei den Griechen wieder aufwärts ging, kam dieser erste Rollback, da sagt die deutsche Regierung ganz medienwirksam: »Nein, wartet mal, wir diskutieren noch einmal.« Dann ging es wie gesagt noch mal richtig rund, noch mal richtig auf diese 72 runter.

1.8. Deutsche Verhandlungsmacht

Was sollte das, was ist hier passiert? Innerhalb der EU gibt es ein Ungleichgewicht, es gibt Staaten, die werden als kreditwürdig angesehen, es gibt Staaten, die werden nicht als kreditwürdig angesehen. Das heißt, der Kapitalmarkt, also die Leute, die bereit sind, den Staaten Geld zu leihen, um ihre Staatshaushalte zu finanzieren, betrachten sich die Staaten unterschiedlich.

Man hat den deutschen Staat, der da richtig stabil dasteht. In der EU wird das quasi gemittelt, man gibt den kleinen einen kleinen Aufschlag, weil sie gerettet werden müssen, und den Großen einen kleinen Abschlag, weil sie vielleicht mal die Kleinen retten, aber insgesamt ist das alles EU. Das war in diesem Moment aufgekündigt, in dem Moment, wo Merkel dastand und sagte: Wartet mal, wir überlegen noch einmal ganz in Ruhe, ob wir hier tatsächlich einsteigen. Das hat dazu geführt, dass die ganzen Kleinen richtig unter Druck geraten sind.

Deswegen macht Griechenland diese Talfahrt durch: Wir müssen uns refinanzieren zu horrenden Kosten, wir kriegen das Geld gar nicht mehr auf dem Kapitalmarkt, wir sind darauf angewiesen, direkt zu anderen Staaten zu gehen und zu betteln, uns Bedingungen diktieren zu lassen. Genau vor demselben Szenario stand übrigens auch Portugal in dem Moment, wie man das hier auch sehen kann, auch dort gab es noch einmal diesen richtigen Abstieg.

Von deutscher Seite wurde ein Verhandlungspoker betrieben, der sich gewaschen hatte. Wenn man sich das aus verhandlungsstrategischer Sicht ansieht, dann hat Merkel ihre Aufgabe im Sinne des deutschen Imperialismus mit Bravour gemeistert. Sie hat sozusagen mit einem Abwasch nicht nur die Griechen richtig gedrückt, sondern sie hat auch allen anderen gezeigt: »Passt auf, ihr hängt bei uns dran, und ohne uns hier in der EU habt ihr als Einzelstaat ernste Probleme, wir sind in der Lage, euch zukünftig Bedingungen zu diktieren.«

Das war in diesem Moment nicht nur eine Ansage an die Griechen, sondern an alle kleinen Peripheriestaaten und an alle anderen Staaten, die nicht eine derart stabile Position wie Deutschland innehaben. Das war eine Machtansage: »Wartet, wir überlegen, wir klären das – das ist jetzt an uns und wir entscheiden.«

Das war die Ansage, die meiner Ansicht nach ziemlich untergegangen ist, also auch in diversen linken Zeitungen völlig falsch interpretiert worden ist: Merkel zögerte, und das hätte mit der NRW-Wahl zu tun usw. Das hatte damit überhaupt nichts zu tun, das war die Ansage: »Wir sind die, die hier in Europa entscheiden, das ist jetzt an uns«. Und das haben auch die Kapitalmärkte genauso interpretiert, auch denen ging es nicht um die NRW-Wahlen.

Kommen die kleinen Staaten der Peripherie aus dieser Situation heraus? Nein. Aus dem Teufelskreis gibt es kein Entkommen. Die deutschen Monopole sind in der Lage, aufgrund der Reallohnsenkungen in Deutschland und gleichzeitig einer auch technisch sehr hohen Produktivität in diese Märkte hineinzudrücken. Dies führt dazu, dass die anderen Exportdefizite haben, was wiederum eine Staatsverschuldung herausfordert, was wiederum dazu führt, dass die Gläubiger politisch und ökonomisch diktieren können, was dazu führt, dass sie dann auch noch gezwungen werden, ihre Märkte zu öffnen, Sozialabbau und Lohnsenkungen vorzunehmen. Dies hält den ganzen Kreislauf aufrecht. Früher hieß das bei den Kolonialländern Schuldknechtschaft, das hat damals schon gut funktioniert für die Imperialisten, und funktioniert jetzt bei den EU-Staaten, den Peripheriestaaten innerhalb der EU.

Wie weit das deutsche Monopol mit der Macht über den deutschen Staat ist, hier konnte man es sehen. Der deutsche Imperialismus ist in der Lage, solche Sachen noch brutaler durchzusetzen, als es bis dahin schon geschehen war. Das einzige, was in der Frage Griechenland noch offen ist: Was macht die PAME?1 Spannend war nämlich auch der Moment, als man in Griechenland über einen Ausstieg aus der EU diskutierte. Denn da gab es ein Einknicken bei den Machern der EU, nämlich eine Verlautbarung, von Schäuble oder Merkel: »Na gut, aus der EU raus müssen sie nicht, das steht nicht zur Debatte.« Das will also keiner, diese Kontrolle muss schon bleiben. Die Bühne der Erpressung, die EU, muss wenigstens in diesem Sinne intakt bleiben.

Gegen die Kräfte, die ihr Unwesen mit den abhängigen Staaten Europas treiben, stehen nur unsere Kräfte, und wie stark die sind, wie stark sie in Griechenland sind, ist die Frage. Denn das sind die einzigen Kräfte, die zur Zeit tatsächlich etwas ganz anderes bewegen können.

1.9. Zukunftsszenarien

Seit dem letzten Jahr hat sich an den Zukunftsszenarien meiner Meinung nach nichts geändert. Wir haben gesehen, dass als Lösung hauptsächlich Krisenaufschub durch massive Staatsausgaben angesehen wird. Was jedoch an Abschreibungsbedarf und Kapitalvernichtung, auch an Buchwertvernichtung, ansteht, ist nur zu einem kleinen Teil tatsächlich umgesetzt. Das heißt, dass die realen Strukturprobleme noch gar nicht gelöst sind.

Es gibt natürlich in einigen Sektoren Verschiebungen, bei GM, Fiat und Chrysler, z.B., dass Daimler jetzt mit Renault/Nissan zusammenarbeiten muss, dass Suzuki sich an VW dranhängen muss. Aber die tatsächliche Lösung dieser Strukturprobleme, die nötige Vernichtung von Produktionskapazitäten, diese relativen Überproduktionskapazitäten, hat so nicht stattgefunden, das steht noch aus. Die zur Zeit an den Aktienmärkten wieder wachsende Blase, das, was an den Aktienmärkten zur Zeit passiert, ist auch ein Indiz dafür, dass das noch nicht gelöst ist.

Zukunftsszenario Nr. 2, eine lang andauernde Rezession ohne die riesige Staatsverschuldung, gab es bis jetzt so nicht. Aber da wir die Lösung der strukturellen Krise nicht haben, ist meine Prognose, dass diese lang andauernde Rezession auf jeden Fall eintreten wird. Es gibt diese Spitze der Krise nicht, in der alles durcheinander geht und danach wieder bergauf, also den normalen Verlauf einer zyklischen Krise. Sondern durch die massiven Interventionen durch die Staaten im Auftrag der Monopole wird dieser Krisenlösungsmechanismus über eine lange Zeit – im Rahmen der kapitalistischen Verhältnisse – über eine lange Zeit gestreckt.

Zukunftsszenario Nr. 3 ist der Sozialismus. Die Griechen sind zurzeit schon ziemlich gut dabei im Kampf, aber auch dort liegt die Macht nicht auf der Straße. Bei uns sieht es ein bisschen schwierig aus. Aber nicht unmöglich.


  1. PAME (Militante Arbeiterfront) – Allianz der klassenbewussten Gewerkschaften in Griechenland. Die PAME vereint Branchengewerkschaften, Arbeiterzentren (regionale Gewerkschaftsorganisationen) sowie hunderte Basisgewerkschaften (Betriebsräte).