Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Wie können Jugendliche in Stellung gegen den Hauptfeind gebracht werden?

Björn Schmidt, Vorsitzender der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend – SDAJ

Mai 2010

Bei einer grundlegenden Bestimmung der Rolle Jugendlicher, besonders Jugendlicher aus der Arbeiterklasse im System des imperialistischen Militarismus führt kein Weg am Werk Karl Liebknechts vorbei, der sich dieser Frage Zeit seines Lebens gewidmet hat. In seiner Schrift »Militarismus und Antimilitarismus« bestimmt er die Wesenszüge des Militarismus, die über die reine Kriegsführung weit hinausgehen. In der wohl bekanntesten Stelle der Schrift gibt Karl Liebknecht eine prägnante Definition:

»Der Militarismus tritt danach auf: erstens als Armee selbst, sodann als ein über die Armee hinausgehendes System der Umklammerung der ganzen Gesellschaft durch ein Netz militaristischer und halbmilitaristischer Einrichtungen (Kontrollwesen, Ehrengerichte, Schriftstellereiverbot, Reserveoffiziertum, Zivilversorgungsschein, Vermilitarisierung des ganzen Beamtenapparats, die in erster Linie dem Reserveoffizierunfug und dem Militäranwärterunwesen zu danken ist, Jugendwehren, Kriegervereine und dergleichen), ferner als ein System der Durchtränkung unsres ganzen öffentlichen und privaten Volkslebens mit militaristischem Geiste, wobei auch Kirche, Schule und eine gewisse feile Tendenzkunst, ferner die Presse, ein erbärmliches, käufliches Literatengesindel und der gesellschaftliche Nimbus, mit dem ›unser herrliches Kriegsheer‹ wie mit einer Gloriole geschäftig umgeben wird, zäh und raffiniert zusammenwirken: Der Militarismus ist neben der katholischen Kirche der höchste Machiavellismus der Weltgeschichte und der machiavellistischste unter allen Machiavellismen des Kapitalismus.«

Die Notwendigkeit, die Gesellschaft mit diesem militaristischen Netz zu umklammern, ergebe sich daraus, dass der »bloße Sklaven- oder Kadavergehorsam« in einer modernen Armee nicht mehr ausreiche und auch nicht mehr möglich sei. Daher sei der Militarismus gezwungen, sich auf Umwegen seine »Schießautomaten« zu schaffen. Karl Liebknecht:

»Er muss ihn [den Soldaten, B.S.] durch geistige und seelische Beeinflussung oder durch Gewaltmittel beugen, er muss ihn ködern oder zwingen. […] Der richtige ›Geist‹, den der Militarismus braucht, ist erstens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber dem äußeren Feind: chauvinistische Verbohrtheit, Engherzigkeit und Selbstüberhebung, zweitens mit Rücksicht auf seine Funktion gegenüber dem inneren Feind: Unverständnis oder selbst Hass gegen jeden Fortschritt, gegen jede die Herrschaft der augenblicklich herrschenden Klasse auch nur im entferntesten bedrohende Unternehmung und Bestrebung.«

Das vorrangige Ziel der Verbreitung militaristischen Bewusstseins ist natürlich die Herstellung einer kriegsfähigen Armee, oder wie Karl Liebknecht es ausdrückt, sie zu einem »handlichen, gefügigen, wirksamen Instrument« zu machen. Die dazu benötigten Soldaten müssen sich also mit den Zielen und Mitteln des Militarismus identifizieren.

Genauso ist aber auch die Gewinnung weiterer großer Teile der Bevölkerung für den Krieg aus Sicht der imperialistischen Bourgeoisie notwendig: Einerseits zur Absicherung des zukünftigen Personals der Armee sowie als Reserve der Armee im Kriegsfall, andererseits als breite Unterstützungsbasis für die laufenden Kriege und die Zustimmung zu den zu bringenden finanziellen und menschlichen Opfern.

Die Instrumente, die dem von Liebknecht beschriebenen preußischen Militarismus zur Verfügung standen, um den militaristischen Geist in der Bevölkerung zu verbreiten und dadurch die Kriegsfähigkeit herzustellen, sind im Wesentlichen auch heute noch die gleichen. Sie lassen sich in die Kategorien »Zuckerbrot und Peitsche« einteilen.

Die wichtigsten sind die militaristische Erziehung innerhalb und außerhalb der Armee, die Kasernierung und die damit verbundene Trennung von der Bevölkerung, Heldenverehrung, Vereinnahmung durch Musik, Film und Kunst, Freizeitgestaltung, Drill und Disziplinierung bis hin zur Rekruten-Misshandlung, Erzeugung wirtschaftlicher Abhängigkeit von kleinen und mittleren Unternehmern vom Militarismus.

Als letztendliches antimilitaristisches Ziel der damaligen Sozialdemokratie führt Liebknecht die vollständige Beseitigung des Militarismus und damit der Armee an. Dieses Ziel sei aufgrund der Tatsache, dass der Militarismus ein Bestandteil des kapitalistischen System ist, nur mit der Überwindung des Kapitalismus möglich.

Auf dem Weg dorthin entwickelten in der Geschichte der Arbeiterbewegung die klassenorientierten, antimilitaristischen Kräfte eine Strategie und Taktik. Die Aufklärung über die Ziele und Mittel des Militarismus, die antimilitaristische Agitation und Propaganda nimmt einen besonderen Platz ein. Sie zielt auf die Lügen über den Zweck der Kriegseinsätze der Armee, auf die Kosten des Militarismus, die die Arbeiterklasse tragen muss, auf die Verwendung Jugendlicher als Kanonenfutter für die herrschende Klasse.

All diese Agitation muss das Ziel haben, die Kriegsfähigkeit des Imperialismus zu untergraben, die Kampfmoral der Soldaten und die Unterstützung in der Bevölkerung zu senken, kurz, dem Militarismus möglichst großen Schaden zuzufügen.

Antimilitaristische Agitation bedarf genauso der Aktion. Karl Liebknecht schrieb dazu:

»Ein so verzweigtes und gefährliches Gebilde kann nur durch eine ebenso verzweigte, energische, große, kühne Aktion gefasst werden, die den Militarismus rastlos in alle seine Schlupfwinkel hinein verfolgt […]«.

Zu verschiedenen Abschnitten in der Geschichte gehörte auch die Arbeit mit und unter den Soldaten selbst, mit dem Ziel, sie auf die Seite der Arbeiterbewegung zu ziehen, damit sie im Kriegsfall den Krieg beenden und nicht gegen das Volk eingesetzt werden können.

Zur Frage, wie diese antimilitaristische Strategie und Taktik im Jugendbereich heute umgesetzt werden kann, müssen zunächst die Konfliktlinien des derzeitigen bundesdeutschen Militarismus betrachtet werden.

Der deutsche Militarismus hat sich seit der Einverleibung der DDR 1990 Schritt für Schritt zu einer militärischen Großmacht entwickelt. War der NATO-Krieg gegen Jugoslawien 1999 noch eine Art Tabubruch und musste mit einem äußerst hohen Aufwand vor der Öffentlichkeit gerechtfertigt werden, so sind mittlerweile alle Dämme gebrochen. Weltweit befindet sich die Bundeswehr in zahlreichen imperialistischen Kriegseinsätzen, in verschiedenen Bündnis-Konstellationen und mit jeweils verschiedenen konkreten Zielen.

Der Afghanistankrieg ist jedoch momentan der weitaus größte Kriegseinsatz, an dem Deutschland beteiligt ist. Er ist zugleich der bisher größte Krieg, den die Bundesrepublik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs führt. Er ist aber nicht nur quantitativ und qualitativ der größte Schritt, den der bundesdeutsche Militarismus gegangen ist. An ihm wird sich auch entscheiden, inwieweit die deutschen Imperialisten ihre strategischen Ziele auf dem Weg hin zu einer Weltmacht erreichen.

Denn am Beispiel des Kriegs in Afghanistan zeigen sich sämtliche Hürden, vor denen eine militärische Weltmacht Deutschland steht: Die dringendste Herausforderung für die kriegführenden Bündnisse NATO und EU ist es, die Besatzung zu stabilisieren und eine dauerhafte Beherrschung des afghanischen Widerstands zu sichern. Dies ist zur Zeit nicht garantiert, denn der Einsatz steckt in seiner bisher tiefsten Krise, wie die neu entflammte Diskussion über die Zukunft des Einsatzes zeigt.

Weiterhin stellt sich für alle beteiligten Staaten die Frage, wie für den Krieg eine dauerhafte Zustimmung bzw. Duldung durch die Bevölkerung der jeweiligen Länder erreicht werden kann. Damit eng verbunden stellt sich für die Armeen – für uns besonders interessant die Bundeswehr – das Problem, dauerhaft Nachschub an Soldaten zu garantieren, die bereit sind, ihre Gesundheit und ihr Leben für die imperialistische Besatzung zu riskieren. Auch die beiden letzten Fragen sind momentan keinesfalls im Sinne der Imperialisten entschieden.

Die Motive für den Afghanistaneinsatz insgesamt und für die deutsche Beteiligung sind unterschiedlicher Art. Es ist kein Geheimnis, dass die geografische Lage Afghanistans eine Schlüsselstellung für die Beherrschung der Rohstoffzugänge, aber auch für die Kontrolle von Rohstofftransportwegen einnimmt. Riesige Energiereserven in Form von Öl und Erdgas lagern in den Nachbarländern Kasachstan, Aserbaidschan, Turkmenistan und Usbekistan.

Auf kurze Sicht ist die Ausbeute der Rohstoffe in der Kaukasus-Region das wichtigste Motiv für den von den USA angeführten Besatzungskrieg. Langfristig und unabhängig vom Gelingen der verschiedenen geplanten Pipeline-Projekte bedeutet die Kontrolle Afghanistans, aber auch Pakistans sowie der Kaukasus-Region die Beherrschung der Energiezufuhr nach Russland und Asien, vor allem China.

Somit ergibt sich ein doppeltes Ziel für die NATO-Staaten: Eroberung eigener Energie-Ressourcen und gleichzeitig die Möglichkeit, Russland, China und Indien von der nötigen Energiezufuhr abzuschneiden.

Ein weiteres kurzfristiges Ziel ist die vollständige Kontrolle der afghanischen Wirtschaft und der damit zusammenhängenden Profite durch die Großkonzerne der NATO-Staaten.

Zweifellos sind die USA in dem Krieg die Hauptmacht. Dennoch zeigt sich angesichts der Schwierigkeiten, das Land beherrschbar zu machen und eine funktionierende Kollaborationsregierung zu etablieren, das Angewiesensein auf andere Staaten.

Dies wird vor allem von den Staaten der EU und hier insbesondere Großbritannien, Frankreich und Deutschland genutzt. Denn der gemeinsame Krieg ist kein Ausdruck von Harmonie unter den imperialistischen Staaten, sondern ein Feld heftigster Konkurrenz. Die Grundlage der Konkurrenz ist jedoch die gemeinsame Unterwerfung Afghanistans, die weder von den USA alleine noch von einem anderen Bündnis wie der EU machbar wäre.

Ein einheitliches Interesse der NATO-Staaten ist schon an der Oberfläche nicht zu erkennen. In aller Öffentlichkeit wird seit dem Beginn der Streit geführt, welcher Staat wie viele Soldaten einsetzen will bzw. soll und wo diese kämpfen sollen. Je mehr Soldaten und je mehr in den südlichen Gebieten gekämpft wird, desto größer der Anspruch auf die Beute, sprich auf die Kontrolle der Energieressourcen.

Je mehr also die USA auf Unterstützung anderer Staaten, so auch Deutschland, angewiesen sind, desto mehr wird von diesen ein Stück vom Kuchen eingefordert.

Dass die Bundesregierung und die Bundeswehr auf die deutliche Forderung der Obama-Regierung an die BRD, mehr Truppen einzusetzen und sich mehr an gefährlichen Kampfeinsätzen zu beteiligen, eingeht, ist ein weiterer Beleg dafür, dass sich deutsche Imperialisten Hoffnung auf Einfluss und Beute machen. Denn in der Vergangenheit wurden solche Bitten entschieden zurückgewiesen, wenn sie nicht in die eigene Strategie passten, wie etwa im Irakkrieg 2003.

Auch andere imperialistische Staaten stellen höchst unterschiedliche Truppenkontingente. Japan entzog als ehemals enger Verbündeter der USA diesen die Unterstützung.

Ein Verschmelzen imperialistischer Interessen ist auch deswegen nicht erkennbar, weil die jeweiligen Truppen nicht einfach in einer einzigen imperialistischen Armee aufgehen, sondern jedes Land seine Claims, sprich seine Herrschaftsgebiete, absteckt und unter eigener Flagge kämpft. Das schließt eine enge Kooperation wie im Fall der Bombardierungen ein – deutsche Offiziere fordern Luftschläge an, die US-Armee liefert prompt.

Und schließlich formulieren die Herrschenden in Deutschland ihre imperialistischen Ansprüche selbst im Klartext. Im sogenannten »Weißbuch« der Bundeswehr, das 2006 von der Bundesregierung herausgegeben wurde, heißt es:

»Deutschland, dessen wirtschaftlicher Wohlstand vom Zugang zu Rohstoffen, Waren und Ideen abhängt, hat ein elementares Interesse an einem friedlichen Wettbewerb der Gedanken, an einem offenen Welthandelssystem und freien Transportwegen.« (S. 14) Deutschland sei »in hohem Maße von einer gesicherten Rohstoffzufuhr und sicheren Transportwegen in globalem Maßstab abhängig. […] Von strategischer Bedeutung für die Zukunft Deutschlands und Europas ist eine sichere, nachhaltige und wettbewerbsfähige Energieversorgung. […] Energiefragen werden künftig für die globale Sicherheit eine immer wichtigere Rolle spielen.« (S. 17) Aus diesem Grund »muss die Sicherheit der Energieinfrastruktur gewährleistet werden.« (S. 18) Oder auch: »Störungen der Rohstoff- und Warenströme« bleiben »nicht ohne Auswirkungen auf die nationale Volkswirtschaft, Wohlstand und sozialen Frieden«.

Dieser unverhohlene Anspruch deutscher Militärs auf weltweite Rohstoffressourcen und Einflussgebiete zur Verbesserung der eigenen Konkurrenzstellung bildet den Ausgangspunkt unserer antimilitaristischen und antiimperialistischen Strategie.

Die Erkenntnis, dass hier die Interessen deutscher Banken und Konzerne formuliert werden, macht unsere Orientierung auf einen Abzug des deutschen Militärs und letztendlich eine endgültige Überwindung des deutschen Militarismus notwendig.

Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Nichtsdestotrotz zeigt vor allem der Irakkrieg, dass etliche frühere Partner der sogenannten »Koalition der Willigen« mittlerweile entweder auf Druck der eigenen Bevölkerung oder aus eigenen Stücken ihre Truppen ganz oder teilweise aus dem Irak abgezogen haben.

Dies zeigt auch für den Afghanistankrieg die Perspektive auf. Gelingt es, mehrere wichtige nationale Truppenkontingente zurückzuholen, so rückt die Beherrschung dieses Teils der Erde für den Imperialismus in weite Ferne. Daher ist es unsere Aufgabe, den Interessengegensatz zwischen dem Militarismus und der Mehrheit der Bevölkerung Deutschlands, speziell der Jugendlichen, herauszustellen.

Diese Gegensätze sind vor allem:

  • Die Tatsache, dass die Kosten für den Einsatz von der Bevölkerung getragen werden. Der Verteidigungshaushalt wird auf Kosten sinkender Ausgaben für Bildung, Kultur und Soziales immer weiter vergrößert. Der Verteidigungshaushalt ist »krisensicher«!

  • Ohne zu vergessen, dass sich etliche Soldaten der Bundeswehr an schweren Kriegsverbrechen beteiligen, ist für viele von ihnen die Bundeswehr das einzige überhaupt noch mögliche Jobangebot. Besonders die Mannschaftsdienstgrade werden jetzt schon zu Tausenden verletzt, bisweilen getötet und oft psychisch für ihr Leben geschädigt.

  • Die Jugendlichen angebotene berufliche Perspektive ist eine einzige Lüge: Die Beschäftigten bei der Bundeswehr, egal ob in Uniform oder zivil, sind politisch entrechtet; ihre berufliche Ausbildung ist minderwertig im Vergleich zu einer normalen Berufsausbildung; statt einer sicheren Zukunft erwarten sie Tod und Verwundung und natürlich der Befehl, auf Soldaten und Zivilisten anderer Völker zu schießen.

  • Weiterhin sorgen die Kriegsverbrechen sowie das nicht einhaltbare Versprechen von Demokratie- und Menschenrechtsexport von NATO und Bundeswehr in Afghanistan für weitere Ablehnung in der Bevölkerung.

Die Ausgangsbedingungen für einen Rückzug aus Afghanistan sind nicht die allerschlechtesten. Zwar ist der Wille, den begonnenen Krieg nicht abzubrechen, seitens der Bundesregierung und des Militärs ungebrochen. Doch die immer grausameren Kriegsverbrechen – Erschießen von Frauen und Kindern an Bundeswehr-Checkpoints und Bombardierungen – genauso wie die zunehmenden Opfer auf deutscher Seite lassen die Akzeptanz des Einsatzes in der Bevölkerung immer weiter schwinden. Seit Jahren liegt die Ablehnung zwischen 60% und 80%. Eine Ausweitung der Kampfhandlungen würde wesentlich mehr Opfer unter den Soldaten verlangen, wie das Beispiel der USA, Kanadas und Großbritanniens zeigt.

Die zunehmend gefährlichen Bundeswehreinsätze machen der Bundeswehr bei der Rekrutierung neuer SoldatInnen zu schaffen. So brachen letztes Jahr die Bewerberzahlen bei den Offiziersrängen um 16%, bei den Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden um 11% ein.

Der »Beauftragte für Personalgewinnung und Ausbildungszusammenarbeit mit der Wirtschaft«, Generalmajor Wolfgang Born, sagte in einem Interview mit der Bundeswehrzeitschrift »Y«:

»Der Kern des Soldatenberufs ist der Einsatz! Und trotz aller erdenklichen Schutzmaßnahmen können Einsätze leider auch zu Tod und Verwundung führen. Das wird nicht zuletzt durch die Medienberichterstattung klar. Wir dürfen das nicht verschleiern, obwohl es die Anziehungskraft des Soldatenberufes beeinträchtigen kann. Auch diesbezüglich wirken Multiplikatoren: Welche Mutter und welcher Vater schickt sein – womöglich einziges – Kind schon gerne in Gefahr?« (Ausgabe Mai 2008)

Dem nachlassenden Interesse am »Arbeitgeber Bundeswehr« stehen die massiv sinkenden Jobchancen Jugendlicher auf dem regulären Arbeitsmarkt gegenüber. So profitiert die Bundeswehr vor allem von der schlechten Arbeitsmarktlage in Ostdeutschland. Knapp 50% der Afghanistan-Soldaten sind Ostdeutsche, bei den Mannschaftsdienstgraden sind es sogar über 60%.

Die aufgrund der Krise zu erwartenden Einbrüche auf dem Arbeitsmarkt werden auch der Bundeswehr zugute kommen. Dennoch bleibt das Nachwuchs-Problem angesichts der sich ausweitenden Einsätze – allein das Afghanistan-Kontingent wurde auf mittlerweile über 4.000 Soldaten erhöht.

Die Nachwuchsgewinnung hat für die Bundeswehr höchste Priorität. Wichtigstes Instrument bei der Werbung unter Jugendlichen sind die 94 hauptamtlichen und 300 nebenamtlichen Jugendoffiziere. Im Jahr 2008 führten sie 8.061 Veranstaltungen durch und erreichten bei Veranstaltungen nach eigenen Angaben 199.227 Menschen, davon 175.450 Jugendliche, was einem Zuwachs zum Vorjahr von 4% entspricht. Außerhalb des Unterrichts fanden allein 2009 über 500 Veranstaltungen auf Messen, Ausstellungen und auf Schulhöfen statt.

Gleichzeitig dient die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeswehr unter Jugendlichen auch als Akzeptanzwerbung, denn die öffentlichen Rekrutierungsauftritte benötigen eine Rechtfertigung der Kriegseinsätze. 17.500 Schüler wurden mit dem Kriegssimulationsspiel Pol&IS erreicht. Mit den sogenannten »Tagen der Schulen«, bei denen Schüler in Kasernen gekarrt werden, erreichte die Bundeswehr 2008 19.500 Schüler, ein Plus von 2.000 Schülern.

Ein weiteres Mittel waren 500 Seminarfahrten. Besonders wichtig für die Bundeswehr die 311 Großveranstaltungen (Messen, Sportevents, Tage der offenen Tür usw.).

Bei den Unterrichtsbesuchen stellt die Bundeswehr ein geringes Interesse für »Sicherheitspolitik« fest. Zwar gebe es eine allgemeine Akzeptanz der Bundeswehr und ihrer Einsätze, allerdings gebe es eine geringe Bereitschaft, selbst der Truppe beizutreten.

Hier sehen die Jugendoffiziere allerdings einen Unterschied zwischen Schülern von Gymnasien und Real-/ Hauptschulen. Schüler der letzteren hätten eine höhere Bereitschaft, sich beim »Arbeitgeber Bundeswehr« zu verpflichten.

Die Jugendofiziere bemängeln die zeitliche Kürzung des Politik- und Sozialkundeunterrichts. Gleichzeitig sprechen sie offen vom Vorteil dieses Bildungsabbaus:

»Der Einsatz von fachfremden Lehrern im Fach Sozialkunde / Politik erschwert die Rahmenbedingungen. Das ist Risiko und Chance zugleich für die hauptamtlichen Jugendoffiziere. Denn einerseits fehlt es in manchen Schulen an Zeit, um den Jugendoffizier einzuladen, andererseits sind die Fachlehrer froh, Referenten für Sicherheitspolitik einladen zu können, um den Jugendlichen diesen Themenkomplex in meist 90 Minuten näher zu bringen.« (Jahresbericht der Jugendoffiziere der Bundeswehr 2008)

Rekrutierung ist dabei nicht das einzige Interesse der Bundeswehr. Denn die Schulstunden, Sportevents, Bandwettbewerbe, Truppenbesuche u.ä. haben auch das Ziel, die Bundeswehr im Bewusstsein Jugendlicher wieder zu verankern und die Bundeswehr als eine normale Einrichtung darzustellen. Denn trotz der katastrophalen Arbeitsmarktlage gehen Jugendliche nicht automatisch zur Bundeswehr. Die Vorbehalte, vor allem gegenüber dem Prinzip »Befehl und Gehorsam«, die fehlende Mitbestimmung, die Entbehrungen der Kasernierung und der Auslandseinsätze stellen für die meisten eine große Hürde dar, sich zu verpflichten. Hier sehen wir als SDAJ unser Ziel, diese Nachteile des »Berufs Soldat« immer wieder hervorzuheben.

Besonders empfindlich ist die Bundeswehr bei ihren Bestrebungen, als eine ganz normale öffentliche Einrichtung bzw. Arbeitgeber zu gelten, der sich an Schulen und Unis engagiert. Vor allem gegenüber Jugendlichen auf Jobsuche ist sie äußerst bemüht, nicht das Bild einer Armee abzugeben, die sich in schweren Kriegseinsätzen befindet und ein tödliches Risiko für ihre Angehörigen ist.

Zudem reagiert die Bundeswehr empfindlich auf öffentlichen Protest. Sie vermeidet unter allen Umständen, als »umstritten« wahrgenommen zu werden. So gelang es z.B. bereits mehrmals, die Bundeswehr aus Arbeitsagenturen herauszudrängen – nicht weil es nicht durch Security oder Polizei möglich gewesen wäre, den Protest zurückzudrängen, sondern weil damit das »offene« und »freundliche« Image gefährdet wäre.

Selbst bei Gelöbnissen kann und will sich die Bundeswehr nicht völlig von der Öffentlichkeit abschotten. Eine von der Gesellschaft getrennte Armee und eine Bevölkerung, die von der Bundeswehr entfremdet ist, sind ein Graus für die Militaristen. Dies ist für uns ein entscheidender Ansatzpunkt bei der Zurückdrängung der Bundeswehr aus dem öffentlichen Leben, der Störung des Nachwuchsstroms und damit der Absicherung der Kriegseinsätze.

Bei allen Störaktionen und Demonstrationen gegen die Bundeswehr ist nicht nur das Zerstören des Images der Bundeswehr als eine »normale Firma« unsere Aufgabe, sondern genauso die Aufklärung über die Hintergründe der Kriege der Bundeswehr.

Aufgrund der immer größeren Opfer, die die Angehörigen der Bundeswehr bringen müssen, rückt die Frage »Wofür kämpfen die Soldaten?« immer weiter in den Vordergrund. Die Propaganda, wonach die NATO in Afghanistan eine Art robuste Entwicklungshilfe leistet, verliert immer mehr an Wirkung. Der Demokratieexport ist für alle sichtbar nach der Wahlfarce gescheitert.

Die ungeschminkten wirtschaftlichen Motive werden seit Jahren Stück für Stück mehr in die Propaganda der Bundeswehr eingebaut. Natürlich geht es dabei um »unseren Wohlstand«, »unsere Wirtschaft« und nicht um Profitinteressen der Konzerne, für die es in Afghanistan zu kämpfen gilt. Hierbei ist es unsere Aufgabe, die deutschen Profiteure aufzuzeigen, wie beispielsweise DHL oder auch die Wirtschaftsprüfer von KPMG. Genauso müssen wir den Großteil der einfachen Soldaten als die Verlierer der Kriegseinsätze sehen.

Auch wenn die Frage der fehlenden Zukunft Jugendlicher in der Bundeswehr für uns eine besondere Frage darstellt, ist natürlich auch die Solidarität mit den überfallenen Völkern ein wichtiger Teil unseres sozialistischen Antimilitarismus. Mittlerweile wird selbst von einflussreichen Denkfabriken wie etwa der regierungsnahen Stiftung Wissenschaft und Politik eingestanden, dass eine der Hauptaufgaben der Bundeswehr in Afghanistan die Aufstandsbekämpfung ist.

Die Besatzung stößt auf immer mehr Widerstand. Mittlerweile sind es nicht mehr nur die Taliban, sondern zahlreiche weitere religiöse und säkulare Widerstandsgruppen, die nach dem Vorbild des irakischen Widerstands die Besatzer bekämpfen. Unsere Aufgabe ist es, das Recht des afghanischen Volks auf Widerstand zu verteidigen und die Gleichheit der Interessen Jugendlicher in Deutschland und in den besetzten Ländern aufzuzeigen: Bildung, Ausbildung und eine friedliche Zukunft.

Ein weiteres Feld unserer antimilitaristischen Tätigkeit ist die Teilnahme an Massenprotesten gegen Krieg und Rüstung wie etwa die NATO-Sicherheitskonferenz im Februar in München, vergangene Proteste wie gegen den NATO-Gipfel in Strasbourg/Kehl, der G8-Gipfel und die Demos gegen den Afghanistaneinsatz. An der Beteiligung an diesen Demos wird deutlich, inwieweit es gelingt, die Ablehnung der deutschen Kriegspolitik in Widerstand umzumünzen. Sie sind ein entscheidendes Mittel, um den politischen Druck auf die Bundesregierung zu erhöhen.

Und nicht zuletzt ist es unser Job, in allen Kämpfen, sei es um Bildung, Ausbildung, gegen Sozialkürzungen usw. die ständig steigenden Rüstungs- und Kriegsausgaben den sozial- und bildungspolitischen Schweinereien der Bundesregierung entgegenzustellen und ein Ausbildungsgesetz einzufordern, dass Unternehmen zur Ausbildung zwingt. Nur in Zusammenhang mit dieser Forderung ist es sinnvoll, den »Arbeitgeber Bundeswehr« anzugreifen.

Mit der Kampagne »Bundeswehrfreie Zone« leisten wir unseren Beitrag, der Bundeswehr die Werbetour zu vermiesen. Wir haben bereits dutzende Störaktionen in vielen Städten durchgeführt, auf denen wir der Bundeswehr ihre Auftritte gründlich vermiesen konnten, dies ging sogar bis hin zur Absage von öffentlichen Vorträgen der Bundeswehr aufgrund der antimilitaristischen Gegenwehr.

Mit dem Einrichten von »Bundeswehrfreien Zonen« in Schulen, Jugendzentren usw., mit Konzerten und Veranstaltungen setzen wir dem bundesdeutschen Militarismus etwas entgegen. Die Kampagne ist aktionsorientiert. Wir nutzen sie, um unsere Aktionsfähigkeit unter Beweis zu stellen und uns gegenüber Sympathisanten und Bündnispartnern als kämpfenden Jugendverband zu präsentieren, der sich nicht nur theoretisch mit Militarismus und Krieg beschäftigt, sondern ganz konkret mit Aktionen gegen die Bundeswehr vorgeht.

Das Agieren gegen die Bundeswehr in der Öffentlichkeit, so ist nicht nur unsere Erfahrung, sondern seit Jahren auch die zahlreicher anderer antimilitaristischer Gruppen und Bündnisse, ist ein Kampffeld, auf dem direkte Erfolge möglich sind. In letzter Zeit hat die Bundeswehr jedoch vor allem ihre Einsätze in Schulen verstärkt.

Gelingt es, mit Hilfe von Jugendoffizieren im Schulunterricht aufzutreten, möglicherweise sogar ganze Unterrichtseinheiten zu gestalten, so hat dies für sie entscheidende Vorteile: Die Zielgruppe ist der Bundeswehrpropaganda weitgehend hilf- und protestlos ausgesetzt, obwohl dies nach dem so genannten »Beutelsbacher Konsens« nicht erlaubt ist. Diese 1976 festgeschriebenen Minimal-Bedingungen für politische Bildung bestehen aus drei Grundprinzipien:

  1. Überwältigungsverbot: Es ist nicht erlaubt, den Schüler – mit welchen Mitteln auch immer – im Sinn erwünschter Meinungen zu überrumpeln und damit an der Gewinnung eines selbständigen Urteils zu hindern.

  2. Kontroversitätsgebot: Was in Wissenschaft und Politik kontrovers ist, muss auch im Unterricht kontrovers erscheinen. Diese Forderung ist mit der vorgenannten aufs Engste verknüpft, denn wenn unterschiedliche Standpunkte unter den Tisch fallen, Optionen unterschlagen werden, Alternativen unerörtert bleiben, ist der Weg zur Indoktrination beschritten.

  3. Analysefähigkeit: Der Schüler muss in die Lage versetzt werden, eine politische Situation und seine eigene Interessenlage zu analysieren, sowie nach Mitteln und Wegen zu suchen, die vorgefundene Lage im Sinne seiner Interessen zu beeinflussen.

Trotz gegenteiliger Behauptung verstößt die Bundeswehr bei ihrer Arbeit in den Schulen gegen diese Richtlinien. Sie geht von einem promilitärischen Grundkonsens aus, der so nicht besteht. Dies gilt auch für vom deutschen Verteidigungsministerium mitentwickelte Unterrichtsmaterialien, die von den Jugendoffizieren bei ihren Schuleinsätzen genutzt werden.

In dem bereits zitierten Jahresbericht der Jugendoffiziere des Jahres 2008 wertet die Bundeswehr ihre eigene Argumentationsfähigkeit detailliert aus:

»Die aktuellen Einsätze der Bundeswehr werden überwiegend positiv gesehen und bewertet. Der Einsatz vor der Küste Somalias gegen die Piraterie stieß im letzten Quartal 2008 auf größtes Interesse und Zustimmung. Vielen Schülern war es unverständlich, dass erst so spät auf diese Bedrohung der Handelswege reagiert wurde. Die Verflechtungen von Sicherheits- und Wirtschaftspolitik konnten anhand des ATALANTA-Einsatzes in den Vorträgen sehr gut dargestellt und verständlich gemacht werden. Bei Schülern erzeugt es persönliche Betroffenheit, wenn elektronisches Gerät oder Kleidung aus dem südostasiatischen Raum nicht mehr in ausreichender Zahl nach Europa bzw. Deutschland geliefert werden kann.«

So lächerlich dies auf den ersten Blick wirkt, so alarmierend ist diese Argumentationslinie. Die Menschenrechtspropaganda verfängt mittlerweile so wenig, dass die Militaristen gezwungen sind, den materiellen Wohlstand ihrer jugendlichen Zielgruppe als Ziel der Kriegseinsätze auszugeben. Im Fall Afghanistan gelingt dies jedoch auch den geschultesten Jugendoffizieren nicht mehr. Sie schreiben:

»Starke Kritik äußern Jugendliche und Lehrer gegenüber dem Einsatz in Afghanistan. Die Bedeutung und das Ziel der International Security Assistance Force (ISAF) sind ihnen nur schwer zu verdeutlichen. Vielen fehlt die ›Exit-Strategie‹ oder eine erkennbar schrittweise Lösung des Konflikts.«

Die Tatsache, dass der Schulunterricht beste Bedingungen für die Bundeswehr bietet, ihre militaristische Propaganda einer schutzlosen Schülerschaft einzuimpfen, führte dazu, dass mittlerweile in Hessen, NRW, Saarland, Baden-Württemberg und zukünftig wohl auch in Rheinland-Pfalz Kooperationsverträge zwischen Kultusministerien und Bundeswehr bestehen. Darin wird eine intensive Zusammenarbeit zwischen Schulen und Bundeswehr beim Unterricht, bei der Lehreraus- und -fortbildung und der Bereitstellung von Bildungsangeboten vereinbart.

Die Militarisierung des Schulunterrichts führte vor kurzem zum Aufschwung antimilitaristischer Aktionen von Schülern und anderen Antimilitaristen. So bildeten sich in Baden-Württemberg und Berlin Aktionsbündnisse gegen Bundeswehrauftritte an Schulen.

Obwohl heute unter Jugendlichen die kritische Auseinandersetzung mit dem Militarismus häufig fehlt, zeigen diese Beispiele, wie auch Kampagnen wie »Bundeswehr wegtreten« oder unsere Kampagne »Bundeswehrfreie Zone«, dass es derzeit große Möglichkeiten für antimilitaristische Arbeit unter Jugendlichen gibt. Die strategische Aufgabe für alle sozialistischen, antimilitaristischen Kräfte besteht dabei darin, die Ablehnung von Bundeswehrauftritten in Schule und Öffentlichkeit und die allgemeine Ablehnung von Bundeswehreinsätzen wie dem Afghanistankrieg in massenhaften Widerstand zu steigern.

Die Aufgaben sozialistischer Jugendverbände hat Karl Liebknecht klar benannt. Jugendorganisationen müssen Hauptträger antimilitaristischer Propaganda sein. Mit Broschüren, Flugblättern, Vorträge, Festen sollen sie den antimilitaristischen Geist verbreiten, wie er schrieb. Ihr gesamtes Umfeld in Familie, Betrieb und Schule müssten zu Rekrutierungsgebieten des Antimilitarismus gemacht werden. Sie müssen Klassenbewusstsein verbreiten, um so dem Militarismus entgegenzuwirken.

Aus unserer Sicht bedeutet dies heutzutage vor allem, dem erwähnten Werbefeldzug der Bundeswehr in der Öffentlichkeit, in Schulen und Hochschulen entgegenzutreten, lautstarken Protest zu organisieren und über die Kriegseinsätze aufzuklären. Gelingt es uns, gemeinsam mit den vielen antimilitaristischen Bündnispartnern, mit Gewerkschaftsjugenden und Schülervertretungen, der Bundeswehr jeden Fußbreit streitig zu machen, ob in Arbeitsagenturen oder auf Messegeländen oder Marktplätzen, so kann dies ein entscheidender Anteil sein, das Personalproblem der Bundeswehr zu verschärfen und so die Raubzüge des deutschen Imperialismus ernsthaft zu behindern.