Konferenz
»Der Haupt­feind steht im eigenen Land«

Die jährlich stattfindenden Konferenzen gegen den deutschen Imperialismus sollen den politischen Austausch und die Zusammenarbeit derjenigen revolutionären Kräfte fördern und vorantreiben, die in der Arbeiter- und demokratischen Bewegung für die Linie »Der Hauptfeind steht im eigenen Land« kämpfen wollen.

Zur Literatur der DDR gegen die deutsche Bourgeoisie – Denunziationen, Arrangements und ein fettes Erbe

Johannes Oehme, Autor

Mai 2010

Die Zeit der Nachkriegsgemütlichkeit ist vorbei. Kleindeutschland ist nicht mehr, und Großdeutschland hebt zur dritten letalen Hybris an. Im Kampf gegen den deutschen Imperialismus gehört die DDR als Hinterlassenschaft auf den Prüfstand. Diese Aufgabe ist riesig und unterschätzt, und ich schlage nur andeutungsweise eine mögliche Lesart der DDR-Literatur gegen die deutsche Bourgeoisie vor.

Unser ambivalentes Erbe

Ich trage zuerst einvernehmlich schulterklopfend einige meines Erachtens nützliche publizistische Interventionen der DDR gegen die deutsche Bourgeoisie zusammen. Wir können ein wenig lernen, ein wenig uns bestätigt fühlen.

Komplizierter ist dann die Darstellung des Bruchs von 1971, das Eingehen der Sozialisten auf die »Neue Ostpolitik«. Die Kritik muss die DDR grundlegender Schwächen gegenüber der deutschen Bourgeoisie zeihen. Die Ereignisse von 1989/90 in Deutschland weisen ungeachtet dessen auch die Honecker-DDR im Nachhinein als den ärgsten Feind der deutschen Bourgeoisie aus, gar als den einzigen seriösen Gegner, bedingt durch die relative Ohnmacht der demokratischen und Arbeiterbewegung in der BRD und der Konkurrenz des deutschen Imperialismus, die ihn nicht daran hinderten, seine Hegemonie in Europa auszubauen.

Nach 1990 wiederum ist die Welt meines Erachtens sehr viel einfacher geworden – und die Leute aller Schichten sehr viel doofer. Um so strenger müsste die Kritik der postsozialistischen deutschen Ideologie ausfallen, die ich abschließend andeuten will.

DDR objektiv – Ostdeutschland subjektiv

Die DDR war bis 1990 gegen die deutsche Bourgeoisie gerichtet und ist es als Hinterlassenschaft noch. Die finanzielle und ideelle Unterstützung verschiedenster westlinker Vereine und Verhandlungstische, die internationale Politik der DDR als Hemmnis der deutschen Wiedererweckung, die bloße Existenz nichtwestdeutschen Bodens und schließlich die hiesige Beschäftigung mit der politischen Literatur der DDR gegen die BRD sind bloß Beispiele der – materiellen und ideellen – Wirkung der DDR gegen die deutsche Bourgeoisie.

Die DDR ist nicht gleich ihrer Bevölkerung, der aktuellen ostdeutschen politischen Verfassung oder diverser »Mentalitäten«. Sicher bleibt das ostdeutsche Völkchen eine willfährigere Manövriermasse als der bürgerlichere Westen Deutschlands (z.B. die größere Abhängigkeit von Soldaten-»Arbeitsplätzen«, also dass mehr ostdeutsche Soldaten in Afghanistan »verbraucht werden«) und aber zugleich eine passive, raunende, nicht mitmachenwollende Masse und insofern leibhaftige Kritik der bundesdeutschen Gesellschaft, in der die Ostdeutschen auch dann nicht angekommen sind, wenn sie es gern wollen (was viele wollen!), diese ewigen B-Bürger und verstopften Ventile des politischen Missmuts einer sonst sehr selbstbewussten und siegessicheren Nation.

Da aber mein Thema glücklicherweise nicht »Die Ossis gegen die deutsche Bourgeoisie« ist, muss ich mich hier diesen Widersprüchen nicht stellen und kann mich besten Gewissens auf die DDR selbst konzentrieren, in der der Widerspruch zwischen Führung und Volk konfliktreich genug war, sich bis 1989 nie im gemeinschaftlichen Vorgehen gegen Dritte (seien es Länder wie Jugoslawien oder Leute wie »Ausländer«) zu entladen. Trotz aller Versicherungen, die Bevölkerung würde die DDR stützen, konnte die Führung bis 1971 – eingeschränkt bis 1990 – nicht von Grundaussagen gegen die deutsche Bourgeoisie lassen, die sie dem Volk eintrichtern musste, wenn es nicht schon 1953 Großdeutschland restaurieren sollte, und die leider heute vielerorts der ideologischen Hegemonie des deutschen Imperialismus zum Opfer fallen.

Drei Phasen: 1945-1971, 1971-1990, 1991-2010

1. Die offensive staatliche Selbstbehauptung der DDR und die Entlarvung des deutschen Imperialismus;

2. Das Arrangement mit der BRD, Tendenzen von Annäherung, Halb-Anerkennung (ständige Vertretungen etc.), Kooperation;

3. Die Auflösung der zähen DDR im Magen der BRD nebst Schwierigkeiten mit der DDR gegen die BRD.

Dass die ganzen Bourgeois auch nach 1990 gegen die DDR gehässig sind und sie zur Denunziation der Linken nutzen, ist kein Wunder. Hier soll die Frage gestreift werden, wie wir mit der DDR umgehen sollen, die wir gezwungen sind, gegen den deutschen Imperialismus zu kämpfen oder mit ihm unterzugehen.

Hier schon lässt sich mit dem Bedauern der hinterher Schlaueren feststellen, dass die DDR offensichtlich nicht genug gegen die deutsche Bourgeoisie war – als hätte es alles nichts genützt. Denn die DDR hat sich annektieren lassen. Das doppelte Übel ist, dass die DDR weg ist und die westdeutsche Linke trotzdem nicht schlauer ist, resistent gegen die tägliche Erfahrung mit dem deutschen Imperialismus, verkapselt in den toleranten Spielwiesen von Öko-Pax, Lohnverhandlungen (+ Ökonomismus) und Verteidigung des »guten Sozialstaats« gegen das »schlechte Kapital« (ein Zungenschlag, der in heutigen sozialen Protesten immer wieder auftaucht und den es zu kritisieren gilt, wenn also soziale Kämpfe mit der Verteidigung des Sozialstaats identifiziert werden). 65 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges kann Deutschland eine Erfolgsgeschichte bilanzieren, die von belanglosem linkem Gekläff munter in den 3. Weltkrieg begleitet zu werden scheint. Im Kampf gegen den deutschen Imperialismus wäre die Nützlichkeit der Staats- und Gesellschaftskritik zu prüfen, wie sie die DDR in ihrer Wissenschaft, Kunst und Politik erzeugte. Ansätze dazu möchte ich entlang des Phasenmodells anbieten.

1. Phase: Mit Ulbricht gegen den deutschen Imperialismus

»Ulbrichtianismus« ist so eine personifizierende Bezeichnung für die Jahre von 1945 bis 1971. Walter Ulbricht wurde 1971 im Zuge der »Neuen Ostpolitik« von den meisten Ämtern zurückgetreten.

Einen Versuch, die vorherrschende publizistische Richtung in der DDR der Ulbrichtzeit zu charakterisieren, formulierte ich in einem Artikel in offen-siv 4/061 im Zuge einer imperialismustheoretischen Grundlagendebatte:

»Unter Ulbricht war alles Mögliche erlaubt (man staunt ja immer wieder, auch mit Peter Hacks, was aber auch alles erlaubt war! Z.B. Biermann-Lieder gegen ›SED-Bonzen‹ vor deren Augen und so weiter), aber eines war nicht erlaubt: dass die Kommunisten in Deutschland ihren Hauptfeind und die Kampfaufgabe ihrer Sektion des Weltproletariats aus den Augen verlieren und für allerlei Kautskyanertum und ultraimperialistische Marotten anfällig werden. Als kleinen Beweis dafür führe ich die allgemeine Publizistikpraxis der Ulbricht-Regierung und ihren Schwerpunkt an. Das Büro Albert Nordens, die Dokumentensammlungen zum Potsdamer Abkommen« (auch zu Nürnberger Prozessen etc.!), »die militäranalytischen und antimilitaristischen Schriften, die breite Publikation des bürgerlich-demokratischen Widerstands gegen den Hitlerfaschismus« (von wegen in der DDR wäre nur der Arbeiterwiderstand publiziert worden! Jeden Pfarrer und Kleinbürger haben die erwähnt!), »die Propaganda für ein einheitliches antifaschistisch-demokratisches Deutschland« (Propaganda, aber nicht ohne den Realitätssinn, die DDR-Souveränität wacker zu erkämpfen), »die Sozialkritik der BRD-Verhältnisse, die mühe- und verdienstvolle Herausgabe der ›Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung‹« (deren Herausgeberkreis Walter Ulbricht vorsaß), »sie alle attackieren kompromisslos und revolutionär-demokratisch den deutschen Imperialismus als den Hauptfeind für Frieden und Demokratie in Europa, bis im unseligen Jahr 1971 diese Literatur VÖLLIG« (eher: weitgehend) »eingestellt wird – mit verheerenden Folgen für Ost und West. …

Der ›Ulbrichtianismus‹ … ist in der ganzen Publizistik völlig frei von ultraimperialistischen Marotten und betont überall die EIGENSTÄNDIGKEIT und BESONDERE AGGRESSIVITÄT des deutschen Imperialismus. … Als leuchtende Beispiele für antifaschistisch-demokratische Publizistik seien hier nur das ›Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der BRD‹ sowie die weniger bekannte, aber um so bemerkenswertere militäranalytische Schrift ›Bundeswehr – Armee für den Krieg‹ genannt. In zweiterer ist eine nach meiner Kenntnis bis heute ungeschlagene Analyse der BRD in der NATO enthalten, wogegen die heutigen Flachheiten das Grauen jedes alphabetisierten Menschen erregen müssten. …«

»Braunbuch – Kriegs- und Naziverbrecher in der Bundesrepublik und in Westberlin« von 1965/68 (Nationalrat/Staatsverlag)

Das »Braunbuch« steht nur am Ende einer Reihe von Publikationen der staatlichen Verlage der DDR, die gegen die Renazifizierung und Remilitarisierung der BRD anschreiben. Es besticht durch den dokumentarischen Wert, durch die Sammlung von über 2300 Kurzbiographien nach dem Muster »Vor 45, nach 45«, und weist so die Personalstruktur der jungen BRD nach. Doch auch Einführung und Kommentare mit Verweisen auf stattgehabte Prozesse in Ost und West, juristischen Aspekten der Kriegsverbrecherprozesse, kurzer Geschichte der frühen BRD sowie vertieften Einzelbiographien sind von Flugblattwert. Ein Auszug weist auf die Brisanz der Publikation hin:

»Am 2. Juli 1965 war das Braunbuch auf einer internationalen Pressekonferenz von Prof. Albert Norden der Öffentlichkeit übergeben worden. Es hat seitdem in der ganzen Welt großes Aufsehen erregt. Die Nachfrage nach diesem umfassenden Nachschlagewerk, in dem erstmals das ganze Ausmaß der Renazifizierung Westdeutschlands offenkundig gemacht wurde, wuchs von Jahr zu Jahr und machte wiederholte Nachauflagen und die Übersetzung ins Englische, Französische und Spanische erforderlich.

Während die Verbreitung dieses Dokumentarwerkes im Ausland nicht behindert wurde, versuchten es allein die Behörden in der westdeutschen Bundesrepublik durch ungesetzliche Beschlagnahmung, rechtswidrige Verbote und skandalöse Gerichtsbeschlüsse in Acht und Bann zu tun. Die Bonner Hexenjagd auf dieses Buch wirft ein bezeichnendes Licht auf die Haltung der Regierung der Bundesrepublik zur Bewältigung der unseligen Nazivergangenheit. Während die Deutsche Demokratische Republik im Interesse der Sicherheit und des Friedens in Europa und eingedenk der Verpflichtungen des Potsdamer Abkommens alles tut, um die Wahrheit über jenen im westdeutschen Staat fortwuchernden Nazismus und Neonazismus aufzudecken, geht die Regierung der Bundesrepublik mit Polizeigewalt gegen die Wahrheit vor und stellt sich schützend vor die Nazi- und Kriegsverbrecher.

Ein Kommentator des niederländischen Fernsehens zog am 12. Oktober 1967 aus der Bonner Hetzjagd auf das Braunbuch eine Schlußfolgerung, die inzwischen in immer mehr Ländern der Welt zu einer wichtigen politischen Erkenntnis geworden ist: ›Es gibt zwei Deutschlands – ein linkes und ein rechtes, ein antifaschistisches und ein neonazistisches, ein sozialistisches und ein imperialistisches.‹«

Dieses Buch und die vorausgegangenen Publikationen stürzten Minister in Westdeutschland, konnten freilich weder eine sozialistische Revolution noch eine ernsthafte nachholende Entnazifizierung ersetzen. Die deutschlandpolitischen Intentionen der Herausgeber erscheinen heute auch zwielichtig, von taktischen Rücksichten auf die neuen Ostpolitiker geprägt, einseitig die Unionsparteien belangend. Ende der 60er standen derlei Rücksichten jedoch noch im Rahmen einer bewussteren Strategie, moderatere Ostpolitiker zu fördern und nicht den Klassenfrieden zu suchen, wie es, glaube ich, ab 1971 zusehends der Fall wurde. Nichtsdestotrotz ist das Braunbuch beispielhaft für die Bemühungen der DDR, der deutschen Bourgeoisie das Leben schwer zu machen und den Antifaschisten und Demokraten weltweit und besonders in der BRD zu helfen, einen Begriff für ihren Staat BRD zu finden.

Der Betreiber der online-Dokumentation www.braunbuch.de bekommt übrigens heute noch Zuschriften von Nazi-Söhnen, die sich empören, so nazimäßig seien die lieben Väter nicht gewesen. [Wegen juristischer Risiken in diesem Zusammenhang wurde die Seite auch wieder gelöscht.]

Ein Reprint des Braunbuches erschien 2004 in der edition ost.

»Bundeswehr – Armee für den Krieg – Aufbau und Rolle der Bundeswehr als Aggressionsinstrument des westdeutschen Imperialismus« (1968, Deutscher Militärverlag)

Anlässlich des 10-jährigen Bestehens der Bundeswehr war in Westdeutschland ein Buch »Bundeswehr – Armee gegen den Krieg« erschienen. Dagegen hält schon der Klappentext des Für-Krieg-Buches die frappierende These: »Noch nie wurde in der an Aufrüstung, Expansionsdrang und Aggressionskriegen wahrlich nicht armen Geschichte des deutschen Imperialismus eine Armee mit einer derart eindeutigen Zweckbestimmung aufgestellt, als Instrument eines Aggressionskrieges zu dienen, wie die westdeutsche Bundeswehr.«

Das Buch ist an breite Leserkreise gewendet und enthält dennoch eine ziemlich detaillierte, aber auch zusammenfassende Darstellung der Geschichte und Aufgaben der Bundeswehr. Dabei fällt ganz entgegen heutigen linken Flugblattmoden das schon penetrant wirkende Insistieren der Autoren auf Interessenunterschieden zwischen den USA und der BRD auf. So lauten Kapitel dieses Buches etwa: »Das große Komplott der Westmächte mit der westdeutschen Reaktion zur Rettung von Wehrmachtskadern«, »Die erste Aufbauphase der Bundeswehr und das Streben nach militärischer Gleichberechtigung in der NATO (55-57)«, »Das Eindringen westdeutscher Militaristen in die Führungsspitze der NATO«, »Der Bankrott der strategischen Pläne der NATO und der Beginn des offenen Vormachtstrebens der westdeutschen Militaristen unter Ausnutzung der NATO-Krise im Jahr 1957«. Also in den 50ern, wo unsereins heute noch gern denkt, dass die Deutschen da an der Kandare der Amerikaner hingen, analysieren diese Leute, was für ein strategisches Vorgehen die deutschen Imperialisten an den Tag legen, wie sie ihre Interessen auch gegen die USA vertreten.

Den vom deutsch-nationalen Pazifismusdusel angewiderten Kommunisten dürften bei solchen Tönen die Ohren schlackern, verweigert sich doch diese Schrift bei allem Wortgetöse dem Zusammenschmeißen von USA und BRD. »Das besondere Bündnis mit den USA« wird hier nicht etwa zur Anprangerung der USA benutzt, sondern die spezifische Aggressivität der Deutschen in diesem Bündnis wird klar benannt – und das in einer Situation, wo Leute ganz anders mit dem imperialistischen Bündnis NATO konfrontiert waren und ein Verwischen der Gegensätze in der starr antisowjetischen Einheit der NATO von seinerzeit verzeihlicher gewesen wäre als heute. Den DDR-Oberstleutnants Zeimer und Charisius, die den Band herausgaben, flogen noch die deutschen und US-Truppen gemeinsam um die Ohren, wenn sie ihre Übungen an der gesicherten Grenze abhielten. Der Leichnam NATO von heute jedoch ist deutschen SIKO-Kritikern immer noch Manifestationen wider DEN Militarismus wert.

Natürlich gewönne das Buch durch Ausstreichung der Worte »imperialistisch«, »westdeutsch«, »reaktionär«, weil es dann nur noch halb so dick wäre; aber von dieser – nicht unbedeutenden – Stilfrage abgesehen liegt eine für das Jahr 1969 unerreichte technische UND politische Analyse der Bundeswehr vor.

Ein längeres Zitat möge das Beispiel für den politisch-analytischen, vielleicht schwerfälligen, doch präzisen Duktus des Buches geben.

»Die von den Interessen der führenden Gruppierungen der westdeutschen Monopolbourgeoisie bestimmte militärpolitische Taktik der westdeutschen Regierung und die Grundzüge ihrer Kriegsdoktrin prägten auch ihre Haltung zur und in der NATO. Die NATO-Politik war auch in diesen Jahren das zentrale Problem der Außenpolitik des CDU/CSU-Regimes. Dabei traten neue Tendenzen auf, und schon eingeschlagene Entwicklungslinien wurden präzisiert. So strebten die Bonner Regierungskreise einerseits nach einer relativ größeren Bewegungsfreiheit in der Koalition, deren Grundlage ihr bestimmender Einfluss auf die politische und militärische Planung und Aktion bilden sollte. Sie sahen darin eine wichtige Schlussfolgerung aus der Niederlage ihrer politisch-militärischen Konzeption in den Jahren 1961/62. Damals habe das NATO-Oberkommando ›nur schleppend und völlig unzureichend‹ auf die Sicherung der Staatsgrenzen der DDR reagiert. Und das, obwohl General Heusinger als damaliger Vorsitzender des NATO-Militärausschusses persönlich versucht hatte, Druck auf das Pentagon auszuüben. In einer Denkschrift folgerte die Bundeswehrgeneralität im Frühjahr 1963: ›Gegenwärtig sind die militärischen Überlegungen der Bundesrepublik … noch zu sehr – teilweise sogar in einem unzumutbaren Maße – von den Erwägungen einiger Verbündeter abhängig‹. …

Andererseits waren die westdeutschen Regierungskreise in voller Übereinstimmung mit den USA bemüht, nicht nur die NATO im wesentlichen in ihrer bisherigen Gestalt zu erhalten, sondern auch sich verschärfenden Krisenerscheinungen entgegenzuwirken.« (S.403)

Also die Autoren unterschlagen auch nicht, dass es sich bei der NATO um ein imperialistisches Bündnis handelt.

Übrigens ist »Bundeswehr – Armee für den Krieg« in einer Reihe erschienen mit so interessanten Titeln wie: »Polizei der BRD – Polizei der Monopole«, 1972, »Schaltzentrum der Aggression – Zur Rolle der Bundeswehr im MIK der BRD«, »Nicht länger geheim – Entwicklung, System und Arbeitsweise des imperialistischen deutschen Geheimdienstes«.

Mit Sozialistischen und Volksrepubliken gegen Revanchismus

Stellvertretend für zahlreiche Publikationen der DDR, der CSSR und der VR Polen zum Thema Revanchismus in der BRD nenne ich hier nur »Landsmannschaftlicher Revanchismus in Westdeutschland«, 1969 im Dietz Verlag erschienen, worin die Verquickung von Staat und Landsmannschaften und insbesondere das Verhältnis der CSU zu den Landsmannschaften also wirklich ausgeleuchtet wird.

»Wahrheiten über den deutschen Imperialismus« (Reihe, Dietz)

Aus einer Reihe namens »Wahrheiten über den deutschen Imperialismus« beim Dietz Verlag ist mir eine Broschüre Nummer 4 zur Hand und erwähnenswert. Anlässlich der Verhaftung Adolf Eichmanns durch den Mossad und während des Prozesses gegen ihn in Israel erschien 1961 in besagter Reihe »Judenmörder Eichmann – Kein Fall der Vergangenheit« von Heinz Kühnrich, worin sogar aus der Erklärung des Ministerpräsidenten David Ben Gurion vor dem israelischen Parlament, der Knesset, zitiert wird und im ganzen Text kein abfälliges Wort über Israel fällt, hingegen z.B. der für den deutschen Imperialismus überaus peinliche Umstand nächstens beleuchtet wird, dass Adolf Eichmann während des Prozesses drohte, Namen und Viten von in der BRD amtierenden Nazigrößen preiszugeben.

Kühnrich weist weiterhin nach, dass die Bemühungen der BRD, Adolf Eichmann als »deutschen Staatsbürger, dem ja wohl nur in Deutschland der Prozess gemacht werden könne«, von Israel ausgeliefert zu bekommen, von der Sorge beflügelt waren, Eichmann könne im Angesicht des Strangs allzu Vieles »singen«, das für die Bonner internationalen Beziehungen ernstlich gefährlich werden könnte. Auch, dass Eichmann bis 1950 in der BRD lebte, »ungeschoren«, wie Kühnrich es ausdrückt, bleibt nicht unerwähnt.

Hauptsächlich aber ist die Broschüre eine bündige, doch materialreiche Geschichte des Judenmordes in Deutschland und von Eichmanns Rolle darin, einschließlich Augenzeugenberichten, Auszügen aus dem Wannsee-Protokoll, Erwähnung des »Kommando 1005« und seiner Aufgaben, Beutelisten und einer kleinen Literaturauswahl, die einmal mehr belegt, wie ausgiebig die Literatur der DDR und auch der Volksdemokratien die Geschichte des Nationalsozialismus und der Judenverfolgung und -vernichtung bereits in den frühen 60er Jahren behandelte.

Geschichtswissenschaften contra Geschichtsrevisionismus

Zwei speziellere seien stellvertretend für zahlreiche geschichtswissenschaftliche Werke mit BRD-kritischem Schwerpunkt genannt: Band 2 des Protokolls der wissenschaftlichen Tagung der »Kommission der Historiker der DDR und der UdSSR« in Leipzig vom 25. bis 30. November 1957 mit dem Titel »Probleme der Geschichte des 2. Weltkrieges – Referate und Diskussionen zum Thema: Die wichtigsten Richtungen der reaktionären Geschichtsschreibung über den zweiten Weltkrieg«, erschienen im Akademie-Verlag 1958, worin die Geschichtskonzepte all der großen, noch heute Schüler beglückenden Geschichtsbuchschreiber der BRD ausführlich kritisiert werden, sowie »Unbewältigte Vergangenheit – Kritik der bürgerlichen Geschichtsschreibung in der BRD«, Akademie-Verlag, 1970, mit einem eher philosophischen Schwerpunkt.

Für DDR-Schüler und andere BRD-Kritiker: »Atlas zur Geschichte« (Haack 1971)

Auch um die graphische Aufbereitung der – wie dargelegt streckenweise gesalzenen – Imperialismuskritik war die DDR nicht verlegen. So enthält etwa ein auch in Schulen verwendeter »Atlas zur Geschichte« von 1971, erschienen im VEB Haack, zur jüngeren Geschichte u.a. folgende Karten:

  • »Der Imperialismus der BRD«, eine BRD-Karte mit verzeichneten »größten Industriekonzernen der BRD + Umsatz + Beschäftigte«, »Rüstungszentren in der BRD«, »Stäben und Standorten der NATO-Streitkräfte in der BRD«, »Unternehmerverbänden«, »Revanchistenorganisationen«, »Konzentration der Massenmedien«, »Institutionen der psychologischen Kriegsführung« (!), und versehen mit Tabellen und Diagrammen »Rüstungsausgaben«, »Anteil der Aufwendungen für militärische Forschung«, »Militärische Kräfte der BRD im NATO-Bereich Europa-Mitte«, »Personalbestand der Bundeswehr«, »Drogenmissbrauch in der BRD«, »Verschuldung der Städte und Gemeinden«, »Entwicklung der Fusionen«, »Verteilung des Nationaleinkommens«, »Erwerbstätige«, »USA-Kapital in der BRD« sowie »Ausländische Arbeiter in der BRD« (S. 96);
  • »Die Expansion des BRD-Imperialismus 1970«, eine Weltkarte mit verzeichneten weltweiten »Kapitalinvestitionen der BRD«, »Konzessionen und Kapitalanlagen der BRD in ausländischen Bergbauunternehmungen (Auswahl)«, »Zweigstellen des Goethe-Instituts« (!), »Ausländischen Ausbildungs- und Nachschublagern der Bundeswehr«, dem »Depotnetz der Bundeswehr«, »Truppen-«, »Panzer-« und »Raketenübungsplätzen«, »Marinestützpunkten«, der »Militärhilfe der BRD (in Mill. DM)«, uswusf. (S. 97);
  • »Der Kampf gegen Imperialismus und Militarismus in der BRD von 1949 bis 1970«, eine BRD-Karte mit verzeichneten »Parteitagen bzw. Konferenzen der KPD«, »Aktionen gegen das Verbot der KPD«, »Aktionen für die Wiederzulassung der KPD (seit 1964)« und vielen bunten Fähnchen für »Volkswiderstand« »gegen die Militarisierungsmaßnahmen der imperialistischen Besatzung und die Remilitarisierung der BRD 1950-1954«, »gegen das reaktionäre Betriebsverfassungsgesetz (BVG) und die Notstandsgesetzgebung 1950-1970«, »gegen die Verschlechterung der sozialen Lage und das reaktionäre Bildungssystem 1950-1970«, »gegen den Generalvertrag und die Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1953«, »gegen die Pariser Verträge und die Einführung der Wehrpflicht 1954-1957«, »gegen die Raketenbasen der BRD und die Atomrüstungspolitik der Bonner Regierung 1953-1970«, »gegen die Faschisierung der BRD und die imperialistische USA-Aggression gegen Vietnam 1962-1970«, den »Protest des Jahrgangs 1922 gegen die Einberufung 1959«, »Ostermarschbewegung in der BRD 1960-1969«, »Aktionen der Bauern gegen Landraub und imperialistische Agrarpolitik 1953-1963«, und versehen mit Diagrammen und Tabellen »Streikstatistik«, »Unterdrückung der Friedenskräfte« (S. 98);
  • »Das Bündnis Bonn-Washington von 1954 bis 1970« und »Die politisch-ökonomischen Pakte der imperialistischen Staaten Europas von 1947 bis 1970« uswusf. (S. 101).

Mit gutem Wissen darum, dass es sich bei diesen Karten gewiss nur um Schematisierungen politischer und nationalökonomischer Verhältnisse handelt, hatten so sowohl die DDR-Schulkinder als auch Kommunisten aller Länder ein schön aufbereitetes Material über den deutschen Imperialismus – und seine Gegner.

2. Phase: Mit Honecker immerhin noch neben dem deutschen Imperialismus

Einen ersten Erklärungsansatz versuchte ich in oben erwähntem Artikel in offen-siv 4/06: »Der ›Honeckerismus‹ (also die DDR-Staatspraxis von 1971-90) … hat die ideologische Aufweichung zugunsten des deutsch-imperialistischen ›Friedens‹ miteingebrockt, hat, nicht von Sowjetland, sondern mitten aus der DDR heraus die DDR-Bürger auf diese grabesstille Ignoranz gegenüber dem deutschen Imperialismus gedrillt, … damit zugleich die DDR in den Augen und Hirnen der fortschrittlichen Kräfte Deutschlands und der Welt diskreditiert.«

Peter Hacks beschrieb den ideologischen Zerfall des Sozialismus (im Essay »Unter den Medien schweigen die Musen«) so: »Überraschenderweise kam es im Verlauf der Entspannung zu einer weiteren und einseitigen Abrüstungsmaßnahme des Ostens. Er beschloss, die Herstellung von Kunst zu beenden und statt ihrer die Erzeugung von Unkunst aufzunehmen. Die Russen hatten in der Sache eine Wahl, die die Amerikaner nicht hatten: sie konnten sich im Seelenkrieg entweder der Kunst oder der Unkunst bedienen, und sie haben es ja tatsächlich eine nicht geringe Zeit mit der Kunst versucht. Die Amerikaner hatten die Wahl nicht; denn sie besaßen längst keine Kunst mehr. Offenbar aber wurde den Russen, als sie über ihre Kräfte bedrängt und zum Sparen gezwungen waren, diese Hochtechnologie zu aufwendig. Kunst ist nicht einfach billig von Künstlern zu beziehen, so wenig wie Bomben einfach von Erfindern. Beide bedürfen eines gewaltigen Umfelds. Die Federn in den russischen Waffenverzeichnissen hatten sich als besonders zweischneidige Waffen erwiesen.«

Und der großartige Rechtsanwalt Friedrich Karl Kaul rechtfertigte 1984 im Interview mit dem Playboy das Zurückweichen der DDR vor der BRD, exemplifiziert an der Einstellung des »Braunbuch«-Vertriebes, als »Brandt-Schutzwochen«, die er nach einigem Zögern als notwendig erkannt habe.

So bereitete sich das geistige Umfeld vor, in dem dann zum Beispiel in der Heftreihe nl-konkret im Verlag Neues Leben schon rein antiamerikanische Broschüren grassierten, wie etwa Nummer 83 (1988): »Intelligente Waffen oder intelligente Politik? – Abrüstung – die Chance der Vernunft« von André Brie, oder Nummer 77 (1986): »Killerkommando – Schwarzbuch: CIA und Contras« von Hannes Bahrmann, Peter Jacobs und Christoph Links. Diese Broschüren zeigen auch das unheilvolle, kopflose Bündnis der DDR-Publizistik mit dem bürgerlichen Pazifismus der 80er Jahre.

Ein Analyseband »Proletariat in der BRD«, Dietz 1974, ist zwar profund in seiner ökonomischen Analyse und verteidigt einen politischen Klassenbegriff und die Notwendigkeit der Erkämpfung einer Kommunistischen Partei, gibt aber zugleich die politische Perspektive auf, die westdeutsche Arbeiterbewegung könne und müsse den deutschen Imperialismus zur Anerkennung der DDR zwingen. So wird die Staatsfrage umschifft und übertriebene Befriedigung aus den ökonomischen Kämpfen der Arbeiter in Westdeutschland gezogen. Sie kriegen für ihren Ökonomismus noch die Schultern geklopft.

Eine Reihe von Büchern, die in den 70ern im Pahl-Rugenstein-Verlag in der BRD erschienen, zeigen die Hilflosigkeit im Umgang mit den Teilen der Gesellschaft der BRD, die aus pragmatischen Gründen ihren Frieden mit der DDR machen wollten. Es sind wohlmeinende, im Grunde gut geschriebene Verteidigungsschriften für die DDR, die ihr gutes Recht gegen alle DDR-Kritiker in Westdeutschland haben, denen man aber die defensive Haltung anmerkt und die zu wortreichen Apologien geraten, die nicht mehr der Entwicklung entsprechen und dem Gedeihen des deutschen Imperialismus nichts entgegensetzen als den Status Quo der Existenz der DDR.

Zu unterscheiden wäre bei einer genaueren Untersuchung der Publizistikgeschichte der DDR zwischen Stagnation auf hohem Niveau in den 70ern und auch 80ern und den Anzeichen von Verfall und Flucht in marxistisch gesichert vermeinte Abstraktionen bei gleichzeitiger Aufweichung des Imperialismusbegriffs und wachsenden Konzessionen an die bloße Existenz und das Streben der BRD, europäische Führungsmacht und langfristig Großdeutschland zu werden.

In den 80ern lässt sich der Anschmiss diverser DDR-Publikationen an die Westlinken und die völkische Friedensbewegung, auch das Arrangement mit CDU-Ostpolitikern, schließlich die steigende Fokussierung auf den angeblichen »Hauptfeind« US-Imperialismus und Identifikation desselben mit dem Imperialismus schlechthin beobachten. Freilich bleibt ein gewisser Standard, ein Bestehen auf dem Imperialismusbegriff und marxistischer Analyse, in den offiziellen Publikationen gewahrt, und der Bruch von 1989, nach dem noch in der DDR bis zum 2. Oktober 1990 offen bürgerliche und antimarxistische Literatur erschien, ist ungleich gewaltiger und deutlicher. Doch zum über Marxzitate und -paraphrasen hinausgehenden Kampf gegen den deutschen Imperialismus trägt die DDR-Literatur der späten Zeit immer weniger bei, von einigen rühmlichen Ausnahmen abgesehen.

3. Phase: Politische und publizistische Hinterlassenschaften der DDR unter dem deutschen Imperialismus

Im offensiv-Artikel 4/06 habe ich auch ein politisches Kleindeutschland-Konzept skizziert: »Kleindeutschland, das ist ›mein Dörfchen DDR‹ und den Wessis Beileid für ihre Fortschrittskrise. Das Rad der Geschichte muss womöglich zurückgedreht werden, wenn wir den sozialistischen Fortschritt haben wollen. Die BRD ist eine Sackgasse europäischer Vergesellschaftung. Die DDR ist wiederherzustellen. Das ist der erste Schritt auf dem Wege zur demokratischen Einheit Deutschlands und Europas. Bevor die antimonopolistische Demokratie und der wahre Sozialismus in Deutschland einziehen, sollte schnell noch die DDR abgespaltet werden, damit wir sie vor diesem BRD-Sozialismus bewahren können, denn der wird schrecklich. Eine zweite Bewährungsprobe wäre ein neuer 17. Juni 1953. Es wäre an den westdeutschen Demokraten, zu beweisen, daß sie nicht von ihrer Bourgeoisie eingespannt werden können für dieses und jenes Eroberungsziel, wie schon 1989 und 1999. …«

Die anschließenden Ausführungen zur Abspaltung irgendeines Ostdeutschland von der BRD um fast jeden Preis dürfen allerdings als arg revisionsbedürftig angesehen werden. Stattdessen wäre ein kritisches geistig-politisches Erbekonzept zu entwickeln, einschließlich einer Strategie der Volksgeistzersetzung, also die DDR gegen volksgemeinschaftliche Tendenzen zu benutzen, ganz wie die Propaganda von Klasseninteressen dem Nationalismus entgegenwirkt. Zu pointieren wäre: Die DDR war nicht Scheißdeutschland, worin wir jetzt leben müssen, und die Ossis sind stolz schlechtere Deutsche.

Es gibt einen literarischen Vertreter dieser Hoffnung und Haltung, nämlich den Satirekolumnisten Matthias Wedel, der in Zeitschriften wie Eulenspiegel, junge Welt, konkret und Neues Deutschland publiziert. »Satiriker« ist aber sicher eine verniedlichende Bezeichnung.2

Anzutretendes ambivalentes Erbe

Ohne die DDR gäbe es keine westdeutsche Linke, gäbe es keine Linkspartei, gäbe es keine Marx-Lektüre. Statt seiner Söhne säße Globke im Amt etc. Das kann man alles sagen. Das peinliche ist, dass sie alle nicht so dolle sind. Der Umkehrsatz will mir nicht so recht von den Lippen: Dank der DDR gibt es eine westdeutsche Linke? Dank der DDR gibt es eine Linkspartei? Dank der DDR gibt es Marx-Lektüre? Dank der DDR gibt es rot-grüne Minister? Vom Kommunismus scheinen wir uns dabei zusehends zu entfernen.

All diese DDR-Epigonen wider Willen nützen der guten Sache wenig und stiften viel Schaden, wenn sie utopistische Lieder zu deutschen Annexionen singen oder die äußerste Rebellion im Kampf gegen den Abbau des deutschen Sozialstaates sehen. Nach 1990 speist sich zudem ostdeutsches Bewusstsein aus ostalgischem, halbpolitischem Wissen um die Sozialverträglichkeit der DDR – ein wüstes, mürrisches Raunen gegen die Konkurrenzförmigkeit des Kapitalismus, gegen die letzte Garantie bürgerlicher Freiheiten also. Dieses antibürgerliche Ressentiment vieler Ostdeutscher ist die falsche Lehre aus der Geschichte des realen Sozialismus. Von der DDR lernen heißt zuvörderst: sich nicht annektieren lassen lernen und gegen den deutschen Imperialismus kämpfen.

Die Möglichkeiten der positiven Anknüpfung an die DDR haben sich als gegenüber dem deutschen Imperialismus oft zu begrifflos erwiesen, und als Erben müssen wir also sehr streng sein. Wenn Ulbricht sich nicht von der eigenen Deutschlandpolitik verwirren ließ, so sind seine Enkel nahezu gezwungen, in einem Meer aus Friedrich-Ludwig-Jahn-Broschüren, Stalin-Noten und »fortschrittlichem deutschem Liedgut« unterzugehen und einmal mehr einen Nationenbegriff mitzuschleppen, der sie schlecht gegen die Stürme der Neuzeit rüsten wird.

Die Geschichte geht übrigens immer weiter. Das neue Großdeutschland ist größer und ungehinderter denn je zuvor seit 1945. Was sich immerhin nach obiger Literaturrevue sagen lässt, ist, dass die DDR einige hilfreiche und wesentliche Bestandteile für eine radikaldemokratische und kommunistische Kritik auch der heutigen BRD bereitstellt, und dass wir dem deutschen Imperialismus auch dank der DDR nicht völlig begriffslos und daher nicht waffenlos gegenüberstehen.

Thesen zur Beerbung der DDR im Kampf gegen den deutschen Imperialismus

  1. Die DDR hat uns die Augen geöffnet für den nazistischen, militaristischen, revanchistischen Charakter der BRD. So blamiert das Schlagwort vom »Antifaschismus« spätestens seit seiner Vereinnahmung durch die SPD 2000 ist, so unaufgehoben ist die antifaschistische Staatskritik in der BRD. Hier kann vorbehaltlos an die DDR angeknüpft werden, jedoch nicht ohne Entwicklung einer verfeinerten Faschismustheorie. Die Dokumente sind uns gegeben, was draus zu machen.
  2. Als »undeutsches« nationales Erbe verschrien, steht die DDR nicht etwa für ein anderes, gar »besseres« Deutschland, sondern für eine kleindeutsche und »klassistische«, daher anti-volksgemeinschaftliche Zersetzungsidee.
  3. Die Ostdeutschen sind tendenziell unerzogen, weder von DDR noch von BRD. Sie sind dadurch nicht so vorauseilende Mitmacher des deutschen Wegs wie ihre drübigen Brüder und Schwestern und insofern ein kleines partielles Restpotential, eine kleinbürgerliche Vorbehaltsmasse wider alles mögliche, darunter auch gegen die deutsche Wiedererweckung nach 1990. Weder übertriebene Hoffnungen auf noch enttäuschte Erwartungen in ostdeutsche Widerstandsleistungen sind daher angemessen, sondern Überlegungen für eine öffentliche DDR-Kritik, die die Ossis gegen das Mitmachen im westdeutschen Projekt aufwiegelt, etwa: »Hätte die DDR bloß mal der BRD aufgezwungen, die Nazis, die Bundeswehr, den Revanchismus, auch die Homophobie, den § 218, das Blutsrecht etc. zu verbieten. Jetzt sitzen wir in der Scheiße.« Nicht aber: »Au, bringen wir das Kindergartenmodell und den Antifaschismus in unsere BRD ein, auf dass sie ein bissel mehr wie die DDR werde.«
  4. Statt auf eine deutsche Revolution zu hoffen, sollten sich Kommunisten hier anstellig machen, die Technik der Unterwerfung unter eine revolutionäre ausländische Macht zu verfeinern, um Glanzmomente deutscher Geschichte zu wiederholen. Die zwei »Revolutionen« der Deutschen, die »geklappt« haben, die von 1933 und die von 1989, sind meines Erachtens keine wackeren Vorbilder für Kommunisten, die also langsam gelernt haben dürften, dass alles Wohl von Leuten wie Napoleon und Stalin ausgeht und alles Wehe davon kommt, dass man seine Geschicke selbst in die Hand nehmen oder »dem deutschen Volke« überlassen will. (Das stellt übrigens überhaupt nicht die Notwendigkeit des Klassenkampfes infrage!) Wer auch die DDR als Brüderchen der Sowjetunion versteht, setzt keine überhöhten Erwartungen in sie, dem werden ihre Fehler zu Gesamtfehlern der sowjetischen Staatengemeinschaft, und er hat mehr Zeit, sich um die Fehler der vom deutschen Imperialismus Geknechteten zu kümmern.
  5. Von der demokratischen und Arbeiterbewegung der BRD ist zu erwarten die kritische Aneignung der DDR in diesem Sinn.

  1. http://www.offen-siv.net/2006/06-04_Maerz-April.shtml# 22 

  2. Eine Probe hiervon mag die Glosse »Der Knabe« in konkret 7/06 geben: http://www.konkret-verlage.de/kvv/txt.php?text=derknabe&jahr=2006&mon=07